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Zwanzigstes Kapitel

Als Jackson wieder die Straße hinabritt, hatte die ganze Welt für ihn ein anderes Gesicht bekommen, die Sonne schien ihren Glanz verloren zu haben, das Blau des Himmels schien verblaßt, aus strahlendem Sommer schien grämlicher Winter geworden zu sein. Diese schroffe Wandlung hatte ihren Grund darin, daß er sich bewußt wurde, eine Aufgabe übernommen zu haben, gegen die alles, was er bisher versucht und durchgeführt, ein Kinderspiel gewesen.

Lange jedoch hielt diese gedrückte Stimmung bei ihm nicht an, er brauchte sich nur Marys Abschiedsworte ins Gedächtnis zurückzurufen, die sie ihm am Gartentor mit einem letzten Händedruck zugeflüstert.

»Geh mit Gott«, hatte sie gesagt, »und wenn du zurückkommst, wollen wir's noch einmal miteinander wagen.«

Sein Blick suchte jetzt das fern im Norden aufragende, wildzerklüftete Kempton-Gebirge, dessen schneebedeckte Gipfel sich in die Wolken verloren, während seine dichtbewaldeten Ausläufer tief hinab in die Ebene hineinschnitten. Irgendwo dort mußte er den schweren Kampf ausfechten, der den jungen Tucker seinem gramgebeugten Vater zurückgeben sollte, aber wie dieses Problem zu lösen sei, konnte er sich vorläufig selbst noch nicht vorstellen. Es war wohl auch besser, ohne einen vorgefaßten Plan an die Sache zu gehen und alles dem Zufall und dem Augenblick zu überlassen.

Als er die Pappelgruppe wieder erreichte, sah er Pete am Bachufer sitzen und behaglich seine Pfeife schmauchen, die er nach Seemannsart mit seiner mächtigen Faust bedeckt hielt, um den Brand gegen den Wind zu schützen. Er ritt an Pete heran und fragte:

»Kennst du das Kempton-Gebirge?«

»Wo die Hayman-Bande haust? Ja, gehört hab' ich davon, aber dort gewesen bin ich noch nicht.«

»Na, dann wirst du's jetzt kennenlernen, ihr drei werdet nämlich sofort dorthin aufbrechen.«

Pete sprang entsetzt auf.

»Ich denke ja gar nicht daran«, erklärte er sehr bestimmt, »mit Doktor Hayman und seinen Leuten will ich nichts zu tun haben, die sind mir denn doch zu gefährlich.«

Jackson kümmerte sich um Petes Ablehnung überhaupt nicht, sondern fuhr ruhig fort:

»Ihr werdet den kürzesten Weg wählen, nicht den durch die berühmten Weiden, und euch direkt nach der Stadt Kempton begeben, die irgendwo da in den Wäldern liegt, dann braucht ihr keinerlei Angst vor der Bande zu haben, denn Doktor Hayman belästigt seine nächste Nachbarschaft grundsätzlich nicht, da er Wert darauf legt, zu Hause Ruhe zu haben. In der Nähe der Stadt gibt es eine Menge Holzfällerlager, in denen ihr euch Beschäftigung suchen werdet, getrennt natürlich, damit ihr nicht auffallt, und euch bereit halten, bis ich euch brauche. Ich habe nämlich eine große Sache vor, die uns, falls sie glückt, eine ganze Menge Geld einbringen wird – selbstverständlich kann ich keinerlei feste Versprechungen machen, aber so etwas wie vierzigtausend Dollar dürfte dabei schon für jeden von euch herausspringen.«

Petes Augen funkelten gierig.

»Ich verstehe immer vierzigtausend«, sagte er, die Hand ans Ohr gelegt.

»Es können auch fünfzig-, vielleicht sogar hunderttausend werden – aber leicht und gefahrlos ist die Sache natürlich nicht, das mußt du den Jungens gleich von vornherein sagen, wenn sie dann keine Lust haben, mitzumachen, sollen sie es bleiben lassen, auf deine Mitwirkung würde ich allerdings Wert legen, und Jerry –«

»Jerry macht selbstverständlich mit«, unterbrach ihn Pete begeistert, »und Bob nicht minder, darauf kannst du schwören, denn so blödsinnig ist wohl kein Mensch, eine solche Chance auszulassen. Sterben muß man ja doch einmal, warum soll man also nicht sein Leben riskieren, um so eine Summe in die Hand zu bekommen? Mein Gott, wenn ich hunderttausend Dollar hätte!«

»Wofür würdest du die denn verpulvern?« fragte Jackson neugierig.

»Verpulvern? Hunderttausend Dollar verpulvern?« kreischte Pete auf – seine Stimme überschlug sich fast. »Allerdings, fünfzehntausend hab' ich schon mal in einer Nacht auf den Kopf gehauen, das ist ja auch schließlich kein Kapital, mit dem man was anfangen kann, aber bei hunderttausend liegt der Fall denn doch wesentlich anders, mit denen würd' ich nach New Jersey zurückgehen – die Farm, die ich dort kaufen würde, kenn' ich schon, und die Kuhrasse, die ich dort züchten würde, seh' ich schon vor mir. Ich weiß ja nicht, ob du das verstehen kannst?«

»Das versteh' ich sehr gut«, erwiderte Jackson ernst, »und es soll mich freuen, wenn ich dir dazu verhelfen kann. Na also, dann sprich mal mit deinen Kameraden.«

»Ist gar nicht nötig, die Sache ist abgemacht, wir gehen nach Kempton«, erklärte Pete. »Nur eins bleibt noch zu besprechen: wie findest du uns, wenn du uns brauchst?«

»Ich nehme an, daß es in Kempton, wie in jeder Stadt hier im Westen, einen Kramladen, so eine Art Warenhaus gibt, wo man alles, was man braucht, zu kaufen kriegt. Einer von euch muß jeden Abend in diesen Laden kommen, so daß ich ihn jederzeit treffen kann.«

»Schön«, nickte Pete, »und wie lange wird die Sache dauern?«

»Das weiß ich nicht«, erwiderte Jackson achselzuckend, »vielleicht nur ein paar Tage, vielleicht aber auch ein Jahr.«

»Na, gut, richten wir uns also auf ein Jahr ein – was lange währt, wird gut! Hunderttausend Dollar in ein paar Tagen verdienen zu wollen, wäre ja auch ein bißchen unverschämt.«

»Siehst du, das ist ein vernünftiger Standpunkt«, meinte Jackson lächelnd, »den bring auch den beiden anderen bei, wenn sich die Sache in die Länge ziehen sollte, was ich nicht hoffen will. Sag ihnen übrigens auch, daß sie mich nicht kennen dürfen, wenn wir uns sehen, sondern uns dann unauffällig verständigen müssen – du begreifst doch, warum?«

»Na, klar!«

»Denn also auf Wiedersehen.«

»Auf Wiedersehen, Jackson, und viel Glück!«

»Danke, das werd' ich nötig haben.«

Damit warf Jackson sein Pferd herum und trabte die Straße zurück, bog aber, nachdem er sicher war, daß Pete ihn nicht mehr sehen könne, ab und schlug die gerade Richtung nach dem Weg unter den Weiden ein.


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