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Einundzwanzigstes Kapitel

Der Weg durch das ausgetrocknete Flußbett war außerordentlich angenehm und bequem, die Weiden boten willkommenen Schutz gegen die glühenden Strahlen der Sonne, das Ufer wimmelte von Kaninchen, um den Hunger des einsamen Reiters zu stillen, und überall gab es tiefe Löcher mit klarem, trinkbarem Wasser, um dessen Durst zu löschen. Das Gurren wilder Tauben erfüllte die Luft, Habichte kreisten hoch über den Baumkronen, der feuchte Boden zeigte nicht nur Hirsch- und Antilopenfährten, sondern auch die unverkennbaren Spuren von Füchsen, Kojoten und Berglöwen.

Die Talwände rechts und links wurden immer höher, der Weg steiler, der graue Wallach fiel allmählich von selbst in Schritt, Jackson, der tief in Gedanken dahinritt, merkte es kaum.

Plötzlich erweiterte sich das Flußbett, und als er aufblickte, lag eine bedeutend größere Wasserfläche vor ihm als die bisherigen Tümpel, fast ein Teich, der von einer Quelle gespeist wurde, die von der östlichen Felsenwand herabsprudelte. Auf einem Weidenstumpf unweit der Einmündung dieses Zuflusses saß ein dicker Mann mit einem gutmütigen, runden Gesicht unter dem abgenutzten, breitrandigen Hut und angelte.

Jackson hielt an, der Dicke sah freundlich lächelnd auf, nickte ihm zu und bot ihm liebenswürdig guten Tag.

»Guten Tag«, erwiderte Jackson, »beißen sie denn?«

»Bis jetzt noch nicht«, entgegnete der andere, »sie scheinen sich die Sache noch zu überlegen – mit den Fischen ist's nämlich genau wie mit den jungen Mädchen, da muß man auch mächtig Geduld haben, ehe sie anbeißen.«

»Die Erfahrung hab' ich auch schon gemacht«, meinte Jackson lachend, »namentlich bei jungen Mädchen.«

»Ich mehr bei den Fischen, aber das macht nichts, man wird Philosoph beim Angeln, und besonders beruhigt es die Nerven.«

»Haben Sie das nötig? Sehr nervös sehen Sie eigentlich gerade nicht aus.«

»Sie meinen, weil ich ein bißchen dick bin?« fragte der Angler. »Es ist leider ein weitverbreiteter Irrtum, starke Menschen nicht für nervös zu halten – als ob die Nerven im Fettpolster endeten und nicht in der Haut!«

»Dann wohnen Sie wohl hier in der Nähe und kommen öfters her, um Ihre Nerven zu beruhigen?«

Der Dicke zuckte die Achsel.

»Ich möchte schon«, sagte er, »wenn nur der Weg nicht immer so weit wäre! Übrigens ein nettes Tierchen, das Sie da reiten.«

»Ach ja, es ist nicht schlecht«, nickte Jackson, »wenn auch sicher nicht besser als das Ihre.«

Der Angler sah sich erstaunt um, von seinem Pferd aber war nicht das geringste zu sehen.

»Wie kommen Sie zu dieser Annahme?« fragte er. »Sie kennen doch mein Pferd gar nicht.«

»Allerdings nicht«, erwiderte Jackson, »und trotzdem würde ich es unbesehen gegen das meine eintauschen.«

»Hören Sie mal, junger Mann, Sie scheinen ja reichlich leichtsinnig veranlagt zu sein.«

»Ganz und gar nicht«, entgegnete Jackson lächelnd, »denn Sie haben ganz sicher ein sehr gutes Pferd da irgendwo im Hintergrunde stehen.«

»Das wollen wir vorläufig einmal unerörtert lassen«, sagte der Dicke, »zunächst erklären Sie mir mal gefälligst, wie Sie es fertigbringen, auf fünfzig Meter durch dichtes Unterholz zu sehen – haben Sie etwa X-Strahlen-Augen?«

»Das gerade nicht, aber ich habe logisch denken gelernt, und den Löwen erkennt man, wie das Sprichwort sagt, schon an der Klaue.«

»Versteh' ich nicht«, brummte der Angler.

»Ist doch schrecklich einfach: wenn man eine bestimmte Last sieht, weiß man doch sofort, welche Kraft dazu gehört, sie vorwärts zu bewegen.«

»Ach so! Na, aber bei mir können Sie doch höchstens auf einen Ackergaul schließen.«

»Durchaus nicht«, erwiderte Jackson, »ein Ackergaul hätte Sie niemals so schnell hierhergebracht.«

»Wieso wissen Sie, daß ich schnell geritten bin?«

»Das sehe ich an der Art, wie der Wind Ihre Haare da über den Ohren zerzaust hat.«

»So, so?« brummte der Dicke. »Dann können Sie mir vielleicht auch sagen, von welcher Farbe mein Pferd ist?«

»Gewiß kann ich das – Ihr Tier ist rotbraun und hat auf der linken Seite einen großen weißen Fleck.«

Jetzt war der gute Mann so erstaunt, daß er beinah seine Angelrute hätte ins Wasser fallen lassen.

»Woher kennen Sie mich und mein Pferd?« fragte er mit zusammengekniffenen Augen.

»Ich habe Sie heute zum erstenmal und Ihr Tier überhaupt noch nicht gesehen«, versicherte Jackson wahrheitsgemäß, »ich habe nur genau beobachten und logisch schließen gelernt, wie ich schon einmal bemerkte.«

»Und woraus haben Sie auf die Farbe meines Gaules geschlossen?«

»Aus den Haaren, die auf der Innenseite Ihrer Beinkleider hängengeblieben sind – rechts sind es nämlich rotbraune und links weiße.«

Der Angler sah erstaunt an sich herab und sagte dann voll ehrlicher Bewunderung:

»Donnerwetter, müssen Sie aber gute Augen haben!«

»Auf die kommt's wohl weniger bei solchen Dingen an«, meinte Jackson lächelnd, »hauptsächlich ist das Übungssache.«

»Ach, da sind Sie wohl so eine Art Gedankenleser?« fragte der Dicke.

»Gott, ja, ganz unbewandert bin ich nicht in dieser Kunst.«

»Na, also: woran denke ich eben?« fragte der Angler augenscheinlich etwas skeptisch.

»An einen Namen.«

»Und der wäre?«

»Hayman!« erwiderte Jackson ruhig.

Jetzt warf der Dicke seine Angelrute beiseite, sprang auf und schrie:

»Zum Teufel noch mal, wer sind Sie?«

»Ein guter Freund, oder hoffe es doch zu werden.«

»Demnach kennen Sie mich also doch?«

»Leider nicht, vorläufig weiß ich nur, daß Sie ein guter Linkshandschütze sind.«

Der Dicke war nämlich mit der linken Hand in die Rocktasche gefahren, wo sich deutlich die Umrisse eines Revolvers abzeichneten, zog sie aber leer wieder heraus, da ihm die Mündung von Jacksons Colt bedrohlich entgegenstarrte.

»Junger Mann«, sagte er, »Sie sind ein ganzer Kerl, Sie können es sogar mit dem Satan aufnehmen.«

»Na, also«, erwiderte Jackson lachend, »dann können Sie mich ja auch getrost bei Herrn Hayman einführen.«

»Ich denke ja gar nicht daran – wer sagt mir denn, daß Sie kein Polizeispitzel sind?«

»Ihr gesunder Menschenverstand«, antwortete Jackson schlagfertig.

Der Dicke lachte laut auf.

»Sie sind ja ein ganz sonderbarer Kauz«, sagte er kopfschüttelnd. »Wie heißen Sie denn?«

»Manhattan-Karl, und Sie?«

»Getauft bin ich auf den Namen Joseph Decker, aber meist werd' ich nur Joe oder Dicker genannt.«

»Freut mich, Sie kennenzulernen, Joe! Na, wie steht's, werden Sie ein gutes Wort für mich bei Doktor Hayman einlegen?«

Joe kratzte sich verlegen hinterm Ohr.

»Nur nicht so drängeln«, sagte er. »Daß Sie fix mit dem Revolver zur Hand sind, weiß ich ja schon, aber wie steht's denn mit dem Schießen?«

»Sehen Sie den Habicht da oben?« fragte Jackson.

Der Dicke blickte auf, in gut fünfzig Meter Entfernung schwebte ein großer Raubvogel mit ausgebreiteten Schwingen über den Baumwipfeln dahin – im selben Moment krachte ein Schuß, der Habicht fiel wie ein Stein herab, und als Joe den Blick zu Jackson zurückwandte, hatte dieser den Revolver bereits wieder eingesteckt.

»Großartig, einfach großartig«, rief der Dicke begeistert, »junger Mann, wer so schießt, braucht keines Menschen Fürsprache! Wenn das Wasser hier nicht zwischen uns läge, würde ich Ihnen jetzt anerkennend die Hand schütteln, aber warten Sie einen Moment, ich hol' nur meinen Gaul, dann reiten wir zusammen weiter.«

Damit warf er seine Angelrute fort und eilte in das Unterholz hinein.

Kaum war er verschwunden, als Jackson sich aus dem Sattel schwang, mit einem mächtigen, katzenartigen Sprung über den Teich setzte und rasch, ohne das leiseste Geräusch zu machen, dem anderen folgte. Bald verriet das Brechen von Ästen und dürren Zweigen, daß Joe zurückkam, und da Jackson in dessen Hand schußbereit ein Gewehr sah, schlüpfte er ins Gebüsch, ließ ihn vorüber, trat hinter ihn und sagte:

»Nanu, Joe, willst du Bären jagen?«

Der Dicke fuhr herum, Jacksons Colt bohrte sich tief in seine Magengrube.

»Bei Moses und allen Propheten!« schrie er ganz entgeistert, »Manhattan, du bist nicht so jung wie du aussiehst!«

»Über mein Alter können wir uns später unterhalten«, erwiderte Jackson, »zunächst tu mal das Schießeisen weg, aber recht vorsichtig, wenn ich bitten darf.«

Gehorsam warf Joe den Riemen des Gewehrs über die Schulter, sein Lachen klang etwas gezwungen, als er sagte:

»Donnerwetter, bin ich erschrocken, als ich dich da plötzlich hinter mir sprechen hörte! Du hast doch nicht etwa gedacht, daß ich im Ernst –?«

»Natürlich nicht«, unterbrach ihn Jackson, »aber nun geh mal schön voraus, wir wollen das Gewehr wieder hintun, wo es hingehört.«

Ohne ein Wort des Widerspruchs schritt der Dicke voraus, bis sie zu einer Lichtung kamen, wo ein Pferd stand, das genau der Schilderung entsprach, die Jackson vorhin, ohne es gesehen zu haben, von ihm gegeben hatte. Joe schob das Gewehr sorgfältig in den Sattelhalfter, worauf auch Jackson seinen Revolver wieder einsteckte, dann gingen sie in friedlichem Gespräch zusammen zum Teich zurück.

Während Jackson sich mit einem Satz auf seinen grauen Wallach schwang, wagte Joe doch wieder einen verdächtigen Griff nach der linken Rocktasche, zog sie aber blitzschnell zurück, als Jackson aufblickte.

»Hör mal, Dickerchen«, sagte dieser, dicht an Joe heranreitend, der inzwischen ächzend auf seinen Gaul geklettert war, »du mußt ein bißchen vorsichtig sein, denn ich habe die dumme Angewohnheit, immer gleich zu schießen, wenn einer nach dem Revolver greift – es wäre doch recht schade, wenn unsere junge Freundschaft ein tragisches Ende nehmen sollte.«

Joe, dunkelrot im Gesicht, seufzte tief auf.

»Dir ist nicht beizukommen, Manhattan«, sagte er, »von mir aber hast du wahr und wahrhaftig jetzt nichts mehr zu befürchten, ich bin stolz darauf, daß ich der erste von der Hayman-Bande bin, der dein Freund geworden – das ist doch etwas, was ich sogar vor dem Doktor voraushabe!«


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