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Sechzehntes Kapitel

Mehrere Stunden später – es war schon tiefe Nacht, die Sterne funkelten am wolkenlosen Himmel, der Sturm hatte sich gelegt, und weiße Nebel ballten sich gespenstisch über dem feuchten Erdboden – kam Jackson langsam die Talmulde entlang geritten.

Was Wendell durch blinden Zufall, war ihm durch systematische Überlegung und seine hervorragende Kunst im Fährtenlesen gelungen. Den letzten Zweifel hatte ihm der Farmer genommen, bei dem er sich am Nachmittag den »geliehenen« Renner gegen ein solides, kräftiges Gebirgspferd eingetauscht hatte, und der ihm, durch geschickte Fragen gesprächig gemacht, von dem jungen Mädchen erzählte, das vor einigen Tagen bei ihm vorgesprochen und jetzt »da droben« in völliger Einsamkeit hause.

Die verglimmenden Reste des fast erloschenen Feuers zeigten Jackson, daß er zur Stelle sein müsse. Er stieg ab und tastete sich bis zur Tür der Hütte, die er zu seiner Überraschung offenstehend fand. Während er noch überlegte, wie er sich bemerkbar machen solle, ohne Mary zu erschrecken, rief diese plötzlich:

»Wer ist da?«

Jetzt, da er ihre geliebte Stimme vernahm, verließ ihn auf einmal seine kaltblütige Ruhe, er mußte sich am Türpfosten festhalten, die Kehle war ihm wie zugeschnürt, er vermochte kein Wort zu sprechen.

Selbstsicher und ohne die geringste Furcht zu verraten, rief Mary ihm zu:

»Ich bin allein hier, aber Sie können sich das Feuer draußen frisch anmachen, links liegt noch eine Menge Brennholz aufgestapelt. Wenn Sie Hunger haben, zünden Sie sich die Laterne an, die neben der Tür hängt, dann will ich Ihnen zeigen, wo die Vorräte sind, allerdings hab' ich nur Hirschfleisch und Kaffee.«

Noch immer erwiderte er kein Wort, sondern griff nach der Laterne, nahm den Zylinder ab, ein Streichholz flammte auf, der ölgetränkte Docht faßte Feuer, Jackson sah sich um.

Die nackte, kahle Ärmlichkeit des Raumes schnitt ihm ins Herz. Da saß Mary im Bett aufgerichtet, das Haar gelöst, und blinzelte verschlafen in das Licht – sie kam ihm blaß und gealtert vor, aber das konnte auch nur die Folge der schlechten Beleuchtung sein.

Plötzlich erkannte sie ihn und schrie auf:

»Jesse – du?«

Er nickte, der Schein der Laterne begann auf und ab zu tanzen, so stark zitterten seine Hände.

»Du bist müde und hungrig, Jesse?« fragte sie leise.

»Ein wenig«, sagte er.

»Dann geh und mach schnell Feuer an, ich werde dir gleich etwas kochen.«

Der mütterliche Ton ihrer Stimme rührte ihn, er ließ sie bei der Annahme, daß er vor Hunger und Übermüdung zittere, hing die Laterne an den Nagel und ging hinaus. Es war vielleicht ganz gut, dachte er, daß er, ohne es zu wollen, ihr Mitleid erregt hatte, um so zugänglicher würde sie dann seiner Bitte sein, zu ihm zurückzukehren.

Das Feuer war fast am Verlöschen, so daß es eine ganze Weile dauerte, bis es neu aufflammte. Er sattelte sein Pferd ab, rieb es mit einer Handvoll Föhrennadeln trocken, fesselte ihm leicht die Vorderfüße zusammen, damit es nicht zu weit weglaufen könne, und ließ es dann grasen.

Als er sich wieder dem Feuer zuwandte, sah er Mary bereits damit beschäftigt, Hirschfleischscheiben zu braten. Sie hatte sich in aller Eile angekleidet, das Haar flüchtig zu einem Knoten im Nacken aufgesteckt und eine Decke um die Schultern geschlagen – wie ein Indianerweib sah sie damit aus.

»Da, hol frisches Wasser«, sagte sie eifrig, ihm den Kaffeekessel reichend.

Er nahm ihn und füllte ihn am Bach. Ihre unerschütterliche Ruhe verwirrte ihn, aber er beschloß, vorläufig noch gar nichts zu sagen, sondern erst einmal zu essen, eine Zigarette zu rauchen und dann erst das heikle Gespräch zu beginnen. Vielleicht war es überhaupt besser, es auf morgen früh zu vertagen – nun, er wollte sehen, wie sich die Dinge entwickeln würden.

Mit gekreuzten Beinen setzte er sich auf einen halb verfaulten Baumstumpf, so daß er Mary, die ruhig fortfuhr, die Bratspieße umzudrehen, ohne den Kopf zu wenden, ins Gesicht blicken konnte – sie war weder blaß noch rot, nur merkwürdig selbstsicher und beherrscht. Als sie jetzt den Kaffeekessel tiefer ins Feuer schob, trafen sich ihre Blicke, doch sie wandte den ihren nicht ab, ein leichtes Lächeln huschte über ihre Züge, als ob sie ihn jetzt erst erkenne.

Sofort sprang Jackson auf und schloß sie in die Arme. Sie wich nicht vor ihm zurück, sah ihm vielmehr voll ins Gesicht, doch aus dem ihren war das Lächeln verschwunden. Er küßte sie, aber ihre Lippen blieben kalt und gaben den Kuß nicht zurück – enttäuscht ließ er sie los.

»Du zitterst ja, Jesse«, sagte sie, »die Nächte sind schon sehr kühl hier oben, soll ich dir eine Decke holen?«

»Nein, danke«, erwiderte er, »kalt ist es zwar, aber es wird schon ohne Decke gehen.«

Nachdenklich starrte er in das Feuer und den aufwirbelnden Rauch, und als er zufällig den Blick wieder hob, war er überrascht, sie still vor sich hin lächeln zu sehen. Bald jedoch mußte er merken, daß dieses Lächeln nicht ihm, sondern lediglich ihrer Arbeit galt, in die sie sich ganz vertieft hatte.

Die Mahlzeit war jetzt fertig, doch so hungrig er gewesen, er vermochte nichts zu essen.

»Ist das Fleisch nicht gut?« fragte sie.

»Mein Gott, Mary«, sagte er, tief aufatmend, »wie weit weg du von mir bist!«

»Wieso denn, Jesse?« erwiderte sie, ihn absichtlich mißverstehend. »Ich bin doch so nahe, daß du mich mit der Hand berühren kannst! Aber weißt du was? Zu wenig Salz hab' ich genommen, darum schmeckt dir's wohl nicht.«

»Du willst mich nicht verstehen – als ob ich das Fleisch da nötig hätte!«

»Ach so, Kaffee willst du erst haben?« entgegnete sie eifrig, goß einen Becher voll und reichte ihn ihm.

Schweigend nahm er ihn und führte ihn zum Munde, der heiße Dampf schlug ihm ins Gesicht, sicher war es nur davon, daß ihm Tränen in die Augen traten. Ärgerlich auf sich selbst, wischte er sie mit dem Handrücken fort – sie sollte nicht denken, daß er ein sentimentaler Schmachtlappen sei!

»Was ist eigentlich mit dir vorgegangen, Mary?« fragte er absichtlich hart.

»Wieso? Gar nichts«, antwortete sie erstaunt tuend. »Aber du zitterst ja noch immer, ich werde dir doch lieber eine Decke holen.«

»Nein, bleib, ich friere nicht.«

»Dann nimm wenigstens noch ein bißchen Kaffee.«

»Nein, danke, ich habe mit dir zu sprechen.«

»Willst du damit nicht lieber bis morgen früh warten?« schlug sie vor. »Es spricht sich doch viel besser, wenn man frisch und ausgeruht ist.«

Erstaunt blickte er sie an.

»Wie du dich verändert hast, Mary!« sagte er selbstvergessen.

»Allerdings, ich bin eine andere geworden«, erwiderte sie ruhig, ohne jede Verbitterung, aber in einem Ton, der etwas Abschließendes, Endgültiges hatte.

»Weißt du, warum ich an unserem Hochzeitstag verschwunden bin?« fragte er zögernd.

»Gewiß, um deines Freundes willen«, antwortete sie rasch. »Der Mensch hat mir übrigens recht wenig gefallen mit seinem Galgenvogelgesicht.«

Jackson sah sie an – hatte es denn überhaupt noch einen Zweck, ihr seine Beweggründe zu erklären? Offenbar wollte sie ihn doch nicht begreifen!

Doch plötzlich fing er an zu reden, die Worte überstürzten sich förmlich, alles, alles erzählte er ihr, auch, daß er zum Pferdedieb geworden war und jetzt vom Distriktskommissar verfolgt wurde.

»Von Tex Arnold?« sagte sie, als er geendet. »Dessen Ruf kenne ich – das wird ja ein Spiel so recht nach deinem Geschmack geben.«

»Ein Spiel nach meinem Geschmack?« fragte er fassungslos.

Sie machte eine abwehrende Handbewegung.

»Gewiß, mein lieber Jesse«, sagte sie müde, »und wenn drei oder vier Tex Arnolds hinter dir her wären, würde es dir noch mehr Spaß machen, dann wärst du vielleicht sogar restlos glücklich.«

»Du glaubst also, daß mich das alte Leben gelockt hat, daß Larry Burns' Erscheinen nur das ausgelöst hat, was früher oder später, auch nach unserer Verheiratung, doch gekommen wäre?«

»Das glaube ich nicht«, antwortete sie, »das weiß ich.«

»Und doch irrst du dich!« erwiderte er sehr bestimmt.

Sie schüttelte traurig den Kopf.

»Du irrst dich«, wiederholte er eindringlich, »ich verlange nichts von der Welt als dich – glaubst du mir das denn nicht?«

»Du liebst, wie jeder Mann, deine Arbeit mehr als eine Frau«, antwortete sie, »das soll kein Vorwurf sein, denn es ist ja ganz in der Ordnung.«

»Aber Mary, für wen habe ich denn gearbeitet? Doch nur für dich, um dich erringen zu können!«

»Ach, du meinst, den Boden zu bestellen und Pferde zu züchten sei dein Beruf?« fragte sie mit leichtem Spott. »Du bist zu ganz anderen Dingen geboren.«

»Ja, wozu denn?«

»Zu allem, was die Leute verblüfft, was die allgemeine Aufmerksamkeit auf dich lenkt, was dich in den Augen der Menschen zu einem großen Mann macht! Ich bin die letzte, die es dir verdenkt, daß du ein Leben voller Erregungen und Abenteuer einem stillen, arbeitsamen vorziehst, aber ich werde es nicht mit dir teilen, ich bin eine Frau, die Kinder haben will, und zum Vater meiner Kinder eignest du dich nicht, das hab' ich glücklicherweise noch rechtzeitig eingesehen, und diese Erkenntnis kann mir nichts mehr nehmen.«

Jackson sah ihr in das Gesicht, auf dem der Widerschein der Flammen spielte, und da wußte er, daß alles Erklären und Überreden im Augenblick sinnlos sei, eine Frau wie sie war durch Worte nicht umzustimmen.

»So ist also alles zwischen uns zu Ende?« fragte er gepreßt.

»Ein für allemal und unwiderruflich zu Ende«, antwortete sie.

Nicht der geringste Groll lag in ihrer Stimme, aber unerschütterliche Entschlossenheit.

Er senkte den Blick und starrte schweigend ins Feuer, auch sie schwieg lange, endlich aber sagte sie:

»Du solltest nicht länger mehr hierbleiben, Jesse.«

»Wieso? Stör' ich dich?«

Sie schüttelte wehmütig lächelnd den Kopf.

»Weiß der Kommissar, daß du nach mir suchst?« fragte sie.

»Allerdings, das weiß er.«

»Nun, heute abend war ein Mensch hier, den ich für einen Abgesandten Tex Arnolds halte – ich habe ihm zwar allerlei Lügen über meine Person erzählt, aber er hat mir sie sicher nicht geglaubt.«

»Wie sah er denn aus?«

Nach der Schilderung, die sie von dem späten Besucher gab, erkannte er unschwer den Adjutanten des Distriktskommissars.

»An deiner Stelle würd' ich schleunigst satteln und mich auf den Weg machen«, meinte sie angstvoll.

Er schien ihren besorgten Rat gar nicht gehört zu haben, denn er starrte wie geistesabwesend ins Feuer.

»Jesse, woran denkst du?« fragte sie schließlich.

»Ich habe darüber nachgedacht, ob es nicht doch ein Mittel gibt, dich umzustimmen. Wenn ich dir nun sagen würde, wie von ganzem Herzen ich dich liebe, Mary?«

»Sag mir das nicht«, erwiderte sie ernst, »es ändert nichts und macht uns den Abschied nur schwer.«

»Gut, dann will ich gehen.«

Doch er rührte sich nicht, sondern blickte versonnen vor sich hin – zärtliches Mitleid trieb ihr die Tränen in die Augen, so daß sie sich abwenden mußte.

Wieder schwiegen sie beide, bis die lastende Stille durch das Wiehern eines Pferdes unterbrochen wurde, dem ein anderes vom entgegengesetzten Ende des Tales antwortete.

»Da sind sie ja schon«, sagte Jackson, »Tex Arnold macht seine Sache gut, nicht?«

Er blieb ruhig sitzen, während Mary entsetzt aufgesprungen war.

»Um Gottes willen, sie wollen das Tal auf beiden Seiten abriegeln«, rief sie, »rasch, Jesse, rasch, eh' ihnen das gelingt!«

»Ich habe gar keine Eile«, erwiderte er gelassen, »setz dich doch und erzähl mir, wie du dir dein Leben jetzt einzurichten gedenkst.«

»Willst du mich denn wahnsinnig machen?« schrie sie. »Sie verlegen dir doch jeden Ausweg!«

»Schön, dann werd' ich sie eben hier erwarten.«

Sie starrte ihn an, sprachlos vor Entsetzen, schließlich fragte sie:

»Du willst –?«

»Nein, du hast recht«, unterbrach er sie, »ich werde sie hier nicht erwarten, du sollst so häßliche Dinge nicht mit ansehen.«

»Also willst du mit ihnen kämpfen?«

Er machte eine ungeduldige Handbewegung.

»Ja, weißt du, Mary«, sagte er, »eine Zeitlang macht es einem ja nichts aus, so gehetzt zu werden, aber auf die Dauer wird es doch langweilig. Der gute Tex Arnold, der sich auf meine Kosten einen Namen machen will, fängt an, mir ein bißchen auf die Nerven zu gehen, ich mag nicht länger vor ihm fortlaufen.«

Sie wurde leichenblaß.

»Jesse«, sagte sie eindringlich, »bis jetzt hast du dir deine Hände stets sauber gehalten, die Menschen, die du getötet, hatten den Tod verdient, denn es waren Räuber und Mörder – einen Mann aber, der nur seine beschworene Pflicht tut, darfst du nicht töten, das wäre gemein und deiner nicht würdig, versprich mir, solche Gedanken nicht über dich Herr werden zu lassen!«

Jackson sah sie lächelnd an.

»Warum soll ich dir das versprechen, Mary, jetzt, nachdem jeder von uns sein eigenes Leben führt, an dem der andere nicht teilhat? Lange genug bin ich Farmer gewesen – ich wäre es gern für immer geblieben, um dir ein Heim zu bieten – jetzt aber hab' ich ein wenig Anregung und Abwechslung nötig, ich glaube, sogar ein Arzt würde mir in diesem Fall nichts anderes verschreiben.«

Das eiskalte Lächeln, das seine Worte begleitete, ließ sie zusammenschauern.

»Schön«, sagte sie entschlossen, »dann sattle dein Pferd und versuche durchzukommen!«

»Nein, ich gehe lieber zu Fuß«, erwiderte er und erhob sich langsam.

»Aber Jesse«, schrie sie auf, »ohne Pferd bist du doch verloren!«

»Mein Tier da ist sowieso nicht schnell genug, wenn ich eins brauche, kann ich mir ja Tex Arnolds nehmen, der reitet immer ganz vorzügliche Renner.«

Stöhnend schlug sie die Hände vors Gesicht.

»Du brauchst übrigens keine Angst zu haben«, fuhr er lächelnd fort, »ich werde ihn nicht umbringen, das hoffe ich wenigstens – wenn sie mir allerdings zu dicht auf den Leib rücken –«

Eine vielsagende Handbewegung vollendete den Satz.

»Dann also leb wohl, Mary!«

Sie nahm die Hände von dem tränenüberströmten Gesicht und streckte sie ihm entgegen, er aber ergriff nur die eine, beugte sich über sie und berührte sie zweimal flüchtig mit seinen eiskalten Lippen, dann eilte er mit raschen, geschmeidigen Schritten davon.

Mit einem Satz sprang er über den Bach, hier wandte er sich noch einmal um, blieb, von dem flackernden Feuer schwach beleuchtet, einen Augenblick stehen, nahm den Hut ab, winkte ihr damit einen letzten Gruß zu – dann verschlang ihn das Dunkel der Nacht.


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