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Fünftes Kapitel

Durch Kreuzundquerreiten hatte Jackson es erreicht, daß die völlig ermüdeten Hunde seine Spur auf dem nackten Felsen verloren hatten. Als es dunkel geworden war, wartete er, in einem tiefen Tal versteckt, bis der Kommissar mit seinen Leuten, die sich kaum noch im Sattel halten konnten, hoch über ihm vorübergekommen war; dann machte er kehrt und schlug die gerade Richtung nach seinem Haus zurück ein.

Die ganze Nacht hindurch ritt er ohne Unterbrechung, und im ersten Aufdämmern des neuen Tages sah er endlich das vertraute Dach sich über die Baumwipfel erheben. Er stieg ab und ging vorsichtig zu Fuß weiter, kein Fenster im Haus war erleuchtet.

Vor der Tür blieb er einen Moment stehen und sog tiefatmend den Blütenduft der Geißblattranken ein, die Mary selbst gepflanzt hatte. Tagsüber summte es hier von Bienen, und selbst Vögel suchten zwitschernd unter den breiten Blättern Schutz gegen die sengenden Sonnenstrahlen, doch jetzt war alles still, nur ab und zu fuhr ein leichter Windstoß raschelnd durch die blütenschweren Zweige.

Drüben im Stall fing ein Rind an zu brüllen – das war die scheckige Kuh, deren Kalb seit kurzem entwöhnt worden war, er erkannte die Stimme genau und lächelte.

Langsam stieg er die wenigen Stufen zur Tür hinauf, die er verschlossen fand, er griff suchend in die Tasche – da war ja noch das Stück Draht, mit dem er Larry Burns von seinen Fesseln befreit hatte! Wenige Augenblicke später knackte das Schloß, Jackson trat in die dunkle Vorhalle ein und zog die Tür hinter sich zu.

Licht brauchte er nicht, in seinem Haus kannte er jeden Zollbreit, wußte genau, wo jeder Tisch, jeder Stuhl stand. Vorsichtig ging er zur Tür des Schlafzimmers und lauschte, drinnen hörte er jemanden atmen, doch das konnte Mary nicht sein, es klang wie das Atmen eines Mannes. Sollte Tex Arnold ihm hier eine Falle gestellt haben?

Einen Moment zögerte er, dann öffnete er geräuschlos die Tür und trat ein – der weiche Teppich dämpfte seine ohnehin lautlosen Schritte.

Er ging direkt zum Bett und griff nach der Nachtlampe, die er auf dem Tischchen neben dem Kopfende selbst am Morgen noch zurechtgestellt hatte. Vorsichtig zog er den Schieber ein wenig hoch, sie war angezündet, ein dünner, messerrückenschmaler Lichtstrahl durchschnitt das Dunkel, vorsichtig ließ er ihn über die Gestalt gleiten, die sich unter den Betttüchern abzeichnete, bis er das Gesicht des Schlafenden traf.

Jackson hätte beinah laut aufgelacht, doch ihm war gar nicht lächerlich zumute, da er jetzt – Larry Burns in seinem Bett liegen sah. Er zog den Schieber der Lampe ganz hoch, der Lichtschein weckte den Schläfer, der erschreckt hochfuhr und sofort mit der Hand unters Kissen nach seinem Revolver griff.

»Ich bin's, Jesse Jackson – laß das Schießeisen ruhig liegen, Burns!«

Burns fiel zurück und preßte die Hand aufs Herz.

»Das hättest du sagen sollen, eh' du mich anleuchtest«, erwiderte Burns. »Wie kannst du einen Menschen nur so erschrecken?«

»Was ist hier vorgegangen?« fragte Jackson barsch.

»Was soll hier vorgegangen sein?« wiederholte Burns gähnend und richtete sich auf. »Erzähl mal lieber, wie du es fertiggebracht hast, den Kommissar mit meinem abgetriebenen Gaul so prachtvoll an der Nase herumzuführen.«

»Das ist ja gleichgültig, die Hauptsache für dich ist, daß ich Arnold von deiner Spur abgebracht habe. Also bitte, was ist hier inzwischen geschehen?«

»Ziemlich tragisch hat sie's genommen, die Weiber sind nun mal so komisch, und je hübscher sie sind, um so weniger Verstand haben sie«, meinte Burns philosophisch. »Dein Mädel ist übrigens sehr hübsch.«

»Was war mit ihr?« fragte Jackson eindringlieh. »Aber sei etwas vorsichtig in der Wahl deiner Worte, wenn du von ihr sprichst.«

»Na, höre mal, ich bin doch die Höflichkeit selber«, erwiderte Burns gähnend. »Entsetzlich müde bin ich nur, eine ganze Woche könnt' ich ohne Unterbrechung schlafen.«

»Das glaub' ich schon, und du sollst auch gleich wieder Ruhe haben, aber erst will ich wissen, was sich hier abgespielt hat, nachdem ich fort war.«

»Da sind die anderen natürlich auch gegangen.«

»Alle?«

»Ja, bis auf dein Mädel, die ist noch hiergeblieben, und deine Gäste haben sie, wie ich hörte, gefragt, auf wann denn die Hochzeit verschoben sei.«

»Und was hat sie darauf geantwortet?«

»Das konnt' ich nicht verstehen, sie sprach zu leise«, erzählte Burns schläfrig weiter. »Na, und ich hab' dann gewartet, bis alle weg waren, und als ich auch die verdammten Hunde nicht mehr kläffen hörte, bin ich aus dem Stall 'rübergekommen, und da fand ich sie denn hier in dem Zimmer sitzen mit gefalteten Händen und tränenüberströmtem Gesicht.«

»Geweint hat sie?« unterbrach ihn Jackson erregt.

»Ich sag' dir's ja! Na, nun gibt's aber für mich nichts Schrecklicheres, als ein Weib heulen zu sehen, und da hab' ich sie getröstet und ihr versichert, sie brauche gar nicht zu weinen, denn du würdest ja wiederkommen.«

»Nun weiter, was sagte sie darauf?«

»Sie fragte mich, ob ich ein Freund von dir sei und ob ich die Ursache wäre, daß du das Haus verlassen hättest.«

»Was hast du ihr darauf geantwortet?«

Jackson wurde immer ungeduldiger.

»Je nun«, erwiderte Larry Burns, sich hinter dem Ohr kratzend, »daß ich dein Freund bin, hab' ich ihr natürlich gesagt, denn das bin ich, verdammt noch einmal, jetzt mehr als je, und daß du sie gewissermaßen mir zuliebe verlassen hättest, hab' ich ihr auch nicht verheimlicht.«

»Wieso dir zuliebe?« fragte Jackson. »Laß dir doch nicht jedes Wort abkaufen, Menschenskind!«

»Vielleicht war' es richtiger gewesen, wenn ich ihr klipp und klar gesagt hätte, daß du aus Kameradschaft meine Rolle übernommen hast –«

»Also das hast du ihr nicht gesagt?« unterbrach ihn Jackson, ließ sich auf einen Stuhl neben dem Bett fallen, zündete sich eine Zigarette an und beobachtete dabei den anderen mit einer gespannten, merkwürdig sachlich wirkenden Neugier.

»Ja, weißt du, das ist doch so 'ne Sache«, fuhr Burns ein wenig verlegen fort, »als Mann hat man nun mal eine gewisse Scheu davor, einer Frau allzuviel anzuvertrauen, besonders wenn sie so hübsch ist wie deine Braut. Anfangs wollt' ich ihr's natürlich erzählen, aber dann sagte ich mir, wer weiß, ob's ihm – als wie dir – recht ist, wenn ich sie zu sehr in die Karten gucken lasse.«

»Hat sie denn gar nicht versucht, von dir zu erfahren, warum ich fortgegangen bin?« erkundigte sich Jackson.

»Na, selbstverständlich, das kannst du dir doch denken! Gleich, als ich zu ihr 'rüberkam und sie, wie du mir erlaubt hattest, um ein Pferd bat, ging es los. Sie schien ordentlich froh zu sein, mit jemandem über dich reden zu können. Ob ich dächte, daß du überhaupt zurückkommen würdest? Natürlich, sagte ich, du seist ja nicht verrückt geworden, aber da hat sie immer nur den Kopf geschüttelt und losgeheult.«

»Du hättest ihr doch nur zu sagen brauchen, daß ich fortgegangen bin, um dir zu helfen.«

»Ja, wieso denn? Dann hätt' ich ihr doch auch erzählen müssen, wie's um mich steht, und das wollt' ich ihr ja gerade nicht antun. Stell dir doch mal ihren Schreck vor, wenn sie erfahren hätte, daß sie mit einem Menschen hier allein im Haus war, der wegen Mordes zum Tode verurteilt ist!«

Jackson nickte – Burns hatte zweifellos in gutem Glauben gehandelt.

»Schließlich fragte sie mich noch, ob ich dich bald wiedersehen würde«, fuhr Larry fort, »und als ich antwortete, daß ich das stark hoffe, bat sie mich, dir einen Brief zu geben, da sie verreisen würde.«

Er griff dabei nach seinem Rock, der über der Stuhllehne hing, holte ein zerknittertes Kuvert aus der Tasche, glättete es und gab es Jackson mit den Worten:

»Da ist er! Sie sagte mir noch, ich könnte mir ein beliebiges Pferd aussuchen, aber als sie dann einen Wagen angespannt hatte und weggefahren war, dacht' ich mir, daß ich nirgendwo sicherer sei als hier, warf mich auf das Bett und habe großartig geschlafen – wie neugeboren fühl' ich mich.«

Jackson hörte längst nicht mehr zu, er hatte den Umschlag sofort aufgerissen und las:

»Lieber Jesse!

Ich hätte nie gedacht, daß es mich so schmerzen würde, aber ich werde die Zähne zusammenbeißen und darüber wegkommen – die Zeit heilt ja jeden Schmerz.

Anfangs hat es mir besonders weh getan, daß Du so ganz ohne Abschied von mir gegangen bist, aber dann hab' ich mir gesagt, daß es so besser gewesen ist. Ich gehe fort, weit fort, wohin, weiß ich noch nicht und würd' ich Dir auch nicht sagen, denn ich kenne Dich und will nicht, daß Du Dich vielleicht aus Mitleid bewegen läßt, mich zu suchen – wo die Liebe nicht groß genug war, da vermag auch Mitleid nichts.

Ich weiß, daß es einem Mann wie Dir, der gewohnt ist, allem und jedem frei die Stirn zu bieten, nicht leicht geworden sein kann, sich heimlich durchs Fenster davonzustehlen, ich sehe darin eine Rücksicht gegen mich, und dafür danke ich Dir.

Leb wohl, Du Lieber, Gott segne Dich! Möge das alte, ungebundene Leben Dir alle Wünsche und Hoffnungen, die Du daran knüpfst, erfüllen!

Ich bin noch einmal durch das ganze Haus gegangen und habe Abschied von jedem Raum genommen, nun liegt auch das hinter mir, ich will alles vergessen, wie ich auch versuchen werde, Dich aus meinem Herzen zu reißen.

Mary.«


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