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Neununddreißigstes Kapitel

Schwerfällig, beinahe taumelnd stieg Devon die Treppe hinab. Way hatte ihm zwar die Fußfesseln gelöst, doch diese waren so fest angezogen gewesen, daß das Blut gestockt hatte und er erst allmählich den freien Gebrauch seiner Beine wiederfand.

Unten angelangt, blieb Charlie Way, der die Mündung seines Colts dem Gefangenen in den Rücken gebohrt hielt, vor einer Tür stehen und klopfte; eine Stimme rief: »Herein!«, und Devon wurde in das gleiche Wohnzimmer geführt, in dem er vorhin gewesen war. Hier erwarteten ihn Gregory Wilson, Vinzent Tucker und der dicke Les Burchard, der ihm freundlich zunickte und dann Way anschrie:

»Ich habe dir doch gesagt, du sollst ihm die Fesseln abnehmen.«

»Die Füße hab ich ihm ja freigemacht, aber ihn mit ungefesselten Händen die dunkle Treppe herunterzuführen – nein, dafür danke ich ergebenst.«

»Du hast zu tun, was man dir befiehlt«, entgegnete Burchard barsch, »vorwärts – mach ihm sofort die Hände frei!«

Way gehorchte widerwillig, etwas von »unverantwortlichem Blödsinn« vor sich hinmurmelnd, dann machte Burchard, der offenbar von den dreien hier am meisten zu sagen hatte, eine stumme Handbewegung nach der Tür, worauf Way abtrat.

»Stell zwei Wachen aus«, rief Burchard ihm nach und forderte Devon dann liebenswürdig auf, Platz zu nehmen.

Devon nickte, zog es aber vor, stehenzubleiben, hauptsächlich, weil er mit dem tollkühnen Plan spielte, einem der drei eine Waffe zu entreißen, die Lampe durch einen Schuß auszulöschen, um dann in der Dunkelheit zu entkommen. Die Möglichkeit, dies Wagnis glücklich durchführen zu können, war ja verschwindend gering, besonders weil in dem Kamin ein kleines Feuer brannte und Wilson eine Schrotflinte quer über den Knien liegen hatte, aber Devon wollte nichts unversucht lassen, sein Leben zu retten, das einen ganz neuen Reiz für ihn gewonnen hatte, seit er wußte, daß sein Verdacht gegen die schöne Mabel Maynard unbegründet war. Da sie oben als gefesselte Gefangene saß, war ja erwiesen, daß sie nicht zu der Mörderbande gehörte, und das genügte ihm – alles andere würde sich dann später schon von selber klären.

Aus seinen Gedanken riß ihn Burchards Frage:

»Na, wie fühlen Sie sich denn nun, junger Mann?«

Devon sah ihn erstaunt an.

»Danke, ganz leidlich«, erwiderte er.

»So? Das freut mich! Wollen Sie eine Pflaume haben?«

Dabei hielt er ihm eine Tüte mit goldgelben, saftigen Früchten hin.

Devon schüttelte ablehnend den Kopf.

»Das ist sehr unrecht von Ihnen«, sage Burchard. »Man kann noch einmal so gut denken, wenn der Magen etwas zu tun hat. Wie steht's denn mit euch beiden – wollt ihr eine?«

Wilson wehrte stumm ab, Tucker aber rief ungeduldig:

»Vielleicht läßt du jetzt deinen Unfug und kommst endlich zur Sache.«

»Wieso denn Unfug?«

»Herrgott noch mal, du weißt doch, daß die beiden Trapper Nasen wie Bluthunde haben – und außerdem wird sich Sheriff Naxon, der alte Schafskopf, auch sicher dafür interessieren, wo Devon geblieben ist, wenn er ihn bei Mrs. Purley nicht mehr vorfindet.«

»Wie kannst du Naxon einen Schafskopf nennen?« erwiderte Burchard entrüstet. »Erstens mal ist er ein sehr kluger und gewissenhafter Beamter und zweitens ein guter Freund von mir.«

Tucker hatte Mühe, sich soweit zu beherrschen, daß er nur wütend die Achseln zuckte und sich abwandte. Burchard aber stopfte sich in aller Gemütsruhe ein paar von den köstlichen, gelben Pflaumen in den Mund, verzehrte sie mit sichtlichem Wohlbehagen und spuckte die Kerne mit großer Zielsicherheit in den Kamin.

Gerade als sein Mund wieder leer war und er etwas sagen wollte, wurde mit aller Macht an der Haustür gerüttelt, ein Fensterladen schlug – Wilson glitt von seinem Stuhl herab und brachte kniend das Gewehr in Anschlag, Tucker machte einen Luftsprung wie ein Kampfhahn und riß seine beiden Colts aus den Halftern – nur Burchard war ganz ruhig geblieben und fragte lächelnd:

»Was habt ihr denn? Das war doch nur der Sturm – außerdem scheint es zu regnen.«

Alle lauschten – tatsächlich trommelte ein wolkenbruchartiger Guß auf das Dach und gegen die Scheiben.

»Den Regen schickt uns der Himmel«, sagte Burchard zufrieden, »bei so einem Wetter wird es selbst Harry und Jim nicht leicht werden, eine Spur zu verfolgen.«

Vinzent Tucker war jetzt am Ende seiner Selbstbeherrschung.

»Himmelkreuzmillionendonnerwetter«, schrie er, »willst du die ganze Nacht hier Blödsinn schwätzen oder endlich zur Sache kommen?«

»Nur ruhig Blut, mein Lieber«, erwiderte Burchard gelassen, »wir haben gar nicht nötig, irgend etwas zu übereilen. Wenn ich mich damals übereilt hätte, als mein Wagen zusammenbrach, gäb's heute kein West-London und keine Goldbergwerke in der Timbal-Schlucht.«

Tucker machte eine verzweifelte Bewegung und wandte sich angewidert ab.

»Schön, mein Sohn«, sagte Burchard, nachdem er zwei weitere Pflaumen verzehrt und die Steine kunstgerecht in den Kamin befördert hatte, »fangen wir an. Die Frage ist doch die, meine Herren: kaufen wir Devon sein Land ab und gehen dann, mit seiner Unterschrift unter dem Kaufvertrag, in aller Gemütlichkeit an die Ausbeutung des Goldvorkommens – oder beseitigen wir ihn, um dann bei der Arbeit durch den Sheriff gestört zu werden? Hierüber möchte ich eure Ansichten hören.«

Devon glaubte, seinen Ohren nicht trauen zu dürfen – verblüfft starrte er Burchard an, der sich jetzt an Wilson, offenbar das am wenigsten einflußreiche Mitglied dieses seltsamen Dreimännerausschusses, wandte und ihn aufforderte, seine Meinung zu äußern.

»Ich halte es für Wahnsinn, einen bissigen Hund, den man glücklich gefangen hat, wieder laufen zu lassen«, sagte dieser.

»Das ist das erste vernünftige Wort, das heute abend gesprochen worden ist«, knurrte Vinzent Tucker.

»In jüngeren Jahren hätte ich wahrscheinlich ebenso gedacht«, entgegnete Burchard, »nachgerade aber wird mir die Verantwortung zuviel, die ihr natürlich großmütig mir überlassen werdet. Wie steht's, Devon, wollen Sie Ihren Frieden mit mir machen?«

»Ihnen meine Ranch verkaufen, heißt das?« fragte Devon.

»Das nicht allein, Sie müßten sich auch in aller Form verpflichten, zusammen mit Harry und Jim die Gegend hier zu verlassen und nie wieder zurückzukommen.«

»Aber Burchard«, mischte Wilson sich ein, »glaubst du denn, daß er so dumm sein wird, ein derartiges Versprechen zu halten?«

»Allerdings glaube ich das«, entgegnete der Dicke überzeugt, »vergiß nicht, daß wir es mit einem Gentleman zu tun haben!«

»Mit einem Spieler«, wandte Wilson wütend ein.

»Der ein vollendeter Gentleman ist!« wiederholte Burchard. »Also, wie denken Sie, Devon – ist leben besser als sterben?«

Devon nickte.

»Schön! Ich habe Ihnen seinerzeit fünfundzwanzigtausend Dollar für Ihre Ranch anbieten lassen – wollen Sie die jetzt annehmen?«

»Um Gottes willen, Burchard, bist du denn wahnsinnig geworden, eine solche Summe zum Fenster hinauszuwerfen?« rief Tucker ganz entrüstet.

»Ich werde sie aus meiner eigenen Tasche bezahlen«, erwiderte Les Burchard, »ihr braucht euch nicht daran zu beteiligen! Mir ist die Sache so viel wert – ich schlafe nachher besser.«

»Ich will darauf eingehen«, sagte Devon nach kurzer Überlegung, »stelle aber meinerseits die Bedingung, daß ›Hans im Glück‹ und seine Schwester gleichfalls frei sind, sobald ich den Vertrag unterschrieben habe.«

»Das ist natürlich vollkommen ausgeschlossen«, riefen Wilson und Tucker wie aus einem Munde.

»Ich bin mit Hans zusammen hierhergekommen und kann nur mit ihm zusammen wieder fortgehen«, erklärte Devon bestimmt, »mit ihm und seiner Schwester.«

»Der gute ›Hans im Glück‹ hat mit solchen Zufälligkeiten rechnen müssen, das weiß er«, sagte Burchard, »und mit dem Mädel hab ich mir redliche Mühe gegeben, sie von der ganzen Angelegenheit fernzuhalten – zuletzt hab ich sie sogar hier bei Wilson festgesetzt, aber das liebe Kind war zu schlau und ist immer wieder auf eigene Faust losgegangen, bis sie denn auch glücklich hinter das Geheimnis gekommen ist.«

»Sie hat also nicht in Ihren Diensten gestanden?« fragte Devon erregt.

Burchard warf ihm einen verachtungsvollen Blick zu.

»Halten Sie uns für so blödsinnig, daß wir uns einem Frauenzimmer in die Hand geben?«

Plötzlich zuckte er zusammen.

»Was war denn das?« fragte er.


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