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Vierundzwanzigstes Kapitel

Nicht zwölf, sondern vierzig Männer verließen kurz darauf unter Sheriff Naxons Führung West-London. Harry und Jim zeigten ihnen den Weg, den sie aber auch allein gefunden haben würden, wenn sie sich einfach nach dem aufsteigenden Rauch gerichtet hätten. An der Stelle nämlich, wo der Überfall geschehen war, lagen die Kadaver von vier Pferden, die mit Holz und Reisig bedeckt und angezündet worden waren.

Das Feuer hatte die toten Tiere bereits so weit ergriffen, daß ein Wiedererkennen unmöglich war. Die wenigen Fellfetzen, die man fand, genügten nur gerade, die Farbe der verbrannten Tiere festzustellen, mehr aber auch nicht. Da Harrys Wallach erst kürzlich von der Bande gestohlen war, blieb nur noch die braune Stute, die Devon auf der Flucht geritten hatte, übrig, um vielleicht auf die Spur der Verbrecher zu führen.

Man zog also weiter und sah sich bald einem anderen, noch gewaltigeren Feuer gegenüber: die Blockhütte, der Heuschober und der Pferdestall in der Lichtung brannten lichterloh. Gerade als das Aufgebot ankam, brach die Hütte zusammen, die brennenden Balken rollten davon und drohten das umliegende Dickicht in Brand zu stecken, so daß mehrere Männer absaßen, um ein größeres Unheil zu verhüten.

Währenddessen gingen die anderen, besonders der Sheriff, Jim und Harry, daran, die Umgegend nach Spuren abzusuchen, fanden aber nichts, was sie irgendwie weitergebracht hätte. So beschloß Naxon, mit seinen Leuten nach West-London zurückzukehren, von wo aus er dann auch noch nach Devons Ranch ritt, um zu sehen, ob er hier irgendeinen Anhaltspunkt fände.

Die ganze Stadt war natürlich über all diese Ereignisse in heller Aufregung, überall wurden sie lebhaft erörtert und eingehend besprochen, und da Devon offenbar das Opfer einer weitverzweigten Verschwörung war, wurde er im Handumdrehen zu einer lokalen Berühmtheit.

Was dies in einer Stadt wie West-London bedeutete, sollte er bald erfahren. Ein Barbier zum Beispiel bemühte sich um seine Kundschaft und bot ihm an, ihn täglich umsonst zu bedienen. Das Levingston-Kosthaus stellte ihm sein bestes Zimmer ohne Bezahlung zur Verfügung. Der Besitzer war davon überzeugt, dann die übrigen Räume an Neugierige zu hohen Preisen vermieten zu können. Aus derselben Spekulation auf die Neugierde der Menschen bewilligte ihm ein Saloon kostenlos Getränke, soviel er wünsche, wenn er sich verpflichten wolle, einen Teil seines Tages in ihrem Spielzimmer zu verbringen.

Einen Todeskandidaten sich genauer anzusehen, übte einen seltsamen Reiz auf die Leute aus. Alle waren nämlich davon überzeugt, daß nur sofortige Flucht Devons Leben retten könne. Als es sich aber dann zeigte, daß er nicht davonlief, betrachteten sie ihn mit geheimer Scheu und angenehmem Gruseln. Dabei war West-London durchaus nicht etwa blutdürstiger als irgendeine andere Stadt im Westen, aber sie liebte nun einmal die Aufregung, besonders, wenn andere die Kosten dafür trugen.

Devon nahm die Dinge hin, wie sie lagen, und nutzte sie nach Kräften aus. Seine Taschen füllten sich mit Geld. Die Menschen drängten sich dazu, mit ihm am gleichen Pokertisch zu sitzen. Hatte er es mit ehrlichen Leuten zu tun, spielte er gleichfalls anständig, so daß er sogar an einem Abend viertausend Dollar verlor, was man ihm hoch anrechnete. Denn man hatte gesehen, wie unerbittlich und geschickt er Falschspieler hochzunehmen pflegte.

Wenn ihn einer fragte, ob er denn gar nichts gegen seine geheimnisvollen Feinde zu unternehmen gedenke – den meisten tat es nämlich leid, einen so netten, liebenswürdigen, jungen Mann in dauernder Lebensgefahr zu wissen – dann lächelte Devon nur und erklärte, sein Fall läge ja in den bewährten Händen des Sheriffs. In Wahrheit jedoch verließ er sich mehr auf die Wachsamkeit der beiden Alten. Harry und Jim waren eifrig am Werk, den Schleier des Geheimnisses zu lüften.

Eines Tages nun trat eine neue Verwicklung ein.

Am Postgebäude befand sich ein Brett, an dem Steckbriefe und andere amtliche Bekanntmachungen angeschlagen wurden, aber da West-London noch keine Zeitung besaß, benutzten die Bewohner es auch für ihre eigenen Zwecke. Wenn jemand etwas verloren oder zu verkaufen hatte oder sonst seinen Mitbürgern etwas mitzuteilen wünschte, befestigte er einen entsprechenden Zettel daran und war nun sicher, daß jeder Vorübergehende ihn lesen würde.

An diesem Brett war eines Morgens ein breites, weißes Papier zu sehen, auf dem in großen Buchstaben geschrieben stand:

»Lieber Devon!

Was verlangen Sie für die braune Stute? Ich könnte sie nämlich gebrauchen. Ganz ergebenst

Hans im Glück.«

Ganz West-London lachte darüber, denn »Hans im Glück« war durch seine tollen Streiche eine stadtbekannte und beliebte Persönlichkeit geworden. Devon, der natürlich von der Sache hörte, schrieb auf denselben Zettel:

»Einen Preis kann ich erst nennen, wenn ich herausbekommen habe, wem das Tier gehört.

Mit bestem Gruß
Walt Devon.«

In der folgenden Nacht wurde der Zettel durch einen anderen ersetzt, der folgende Mitteilung enthielt:

»Lieber Devon!

Ich halte fünfhundert Dollar für einen sehr anständigen Preis, bin aber bereit, eine Kleinigkeit draufzulegen. Um Ihr zartes Gewissen zu beruhigen: der Vorbesitzer hat das Tier nicht mehr nötig – Tote reiten bekanntlich nicht.

Ihr sehr ergebener
Hans im Glück.«

Darauf antwortete Devon einfach:

»Die Stute ist nicht verkäuflich.«

›Hans im Glück‹ aber erwiderte:

»Dann nehme ich mir, was ich brauche – im Augenblick aber brauche ich das beste Reitpferd von West-London.«

Die Stadt, die diesen eigenartigen Briefwechsel mit größtem Interesse verfolgt hatte, hielt den Atem an. Wie würde der Kampf um die braune Stute ausgehen, den das Schicksal dem armen Devon zu all seinen sonstigen Sorgen auch noch aufgebürdet hatte? Welche Vorsichtsmaßregeln würde er treffen, um das Tier zu behalten, das in dem kleinen Stall von Mrs. Purley neben deren Kosthaus untergebracht war?

Die Maßregel, die Devon traf, war sehr einfach. In dem Laden, der den Goldgräbern alles Nötige für Sprengungen verkaufte, besorgte er sich einige Trockenbatterien, eine Spule mit isoliertem Kupferdraht und eine kleine elektrische Glühbirne, die er vor seinem Bett anbrachte und die hell aufflammte, sobald die Klinke der Stalltür niedergedrückt wurde. Da er einen sehr leichten Schlaf hatte, durfte er hoffen, damit auszukommen.

Zwei Tage vergingen, ohne daß etwas geschah, aber da bekannt geworden war, daß Devon weder einen Wächter vor den Stall stellte, noch ihn selbst bewachte, war West-London davon überzeugt, daß er die Stute unbedingt verlieren würde.

»Nun, und wenn schon«, erklärte Mrs. Purley, die über alle Dinge ihre eigene Meinung hatte. »Soll sich vielleicht ein so netter, feiner Mann wie Mr. Devon auf eine Schießerei mit diesem ›Hans im Glück‹ einlassen?«

In der dritten Nacht dann geschah es.

Devon erwachte, weil ein Lichtstrahl seine Lider getroffen hatte, und als er sich erhob, sah er den Draht in der Birne noch glühen. Er fuhr also in seine Kleider, nahm seinen Colt, schwang sich aus dem Fenster und war zehn Sekunden nach dem ersten Aufflammen der Glühbirne bereits auf dem Weg zu dem Stall.

Ehe er um die Hausecke bog, blieb er stehen und spähte vorsichtig herum: er sah gerade einen Reiter aus dem Stall herausreiten. Ein andres Pferd stand neben der Tür.

»Guten Abend, Hans!« rief er, trat vor, zielte nach dem Reiter und schoß, wußte aber sofort, daß er gefehlt hatte, denn die Stute hatte gerade, als er abdrückte, einen Sprung auf ihn zu gemacht.

Tief auf ihren Hals niedergebeugt, schoß jetzt der andere, Devon aber, halb blind von dem Pulverdampf und halb taub von dem Knall des dicht an seinen Ohren abgefeuerten Colts, holte aus und schlug dem Reiter mit seiner Waffe auf den Kopf.

Einen Augenblick stand er wie benommen da, dann sah er verdutzt dem Mann, der aus dem Sattel geglitten war, ins Gesicht: es war tatsächlich der berühmte »Hans im Glück«, der da vor seinen Füßen lag!


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