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Zwölftes Kapitel

Mrs. Purley kam dieser Andeutung sofort ungebeten nach.

»›Hans im Glück‹«, begann sie, »ist hierhergekommen, um sich zu amüsieren, und hat das denn auch reichlich getan. Zehn Mann und zehn Gäule waren schließlich Tag und Nacht unterwegs, um Hänschen zu suchen; aber als sie ihn dann getroffen hatten, schickten sie schleunigst nach Verstärkung. Er ist ein riesig gewandter Junge und hat eine fabelhafte Technik – wie ein gelernter Rausschmeißer arbeitet er! Ich habe es selbst einmal mit angesehen, wie er sich in Charlies Saloon durch eine Menge durchgeboxt hat, die mit Revolvern, Messern und Schlagringen auf ihn losging. Mit der bloßen Faust hat er das gemacht, einfach vorbildlich. Ich habe damals wirklich bedauert, kein Mann zu sein. Ein wundervoller Anblick war es, wie er Kinnhaken und Schwinger austeilte, und wie jedesmal, wenn er zugeschlagen hatte, einer mit dem Gesicht voran zu Boden ging!

Als er dann durch war, schwang er sich auf sein Pferd und rief den anderen zu, er käme morgen wieder. Er ritt ein Stück die Straße entlang, sprang ab, trat in einen anderen Saloon, stopfte sich den Inhalt der Kasse in die Tasche, ging wieder hinaus, schoß erst noch das Firmenschild, das an zwei Seilen hing, herunter und verduftete dann.

Damals hat man ganz West-London auf den Kopf gestellt, um ihn zu finden, und in alle vier Himmelsrichtungen wurden bewaffnete Mannen nach ihm ausgeschickt – er aber kam am nächsten Abend seelenruhig in die Stadt zurück, ging in Burchards Saloon und spielte den Gästen zum Tanz auf. An ihn rangetraut hat sich nämlich niemand, denn er hatte seine Revolver vor sich auf die Tasten des Klaviers gelegt. Als er dann genug hatte, holte er sich das beste Pferd aus dem Mietstall und ritt davon. Aus diesen kurzen Zügen werden Sie ungefähr ersehen, was ›Hans im Glück‹ für eine Nummer ist.«

»Jawohl, ich verstehe«, erwiderte Devon, der die ganze Zeit über das Lichtbild aufmerksam betrachtet hatte.

»Ich kann mich natürlich nicht auf Einzelheiten einlassen«, fuhr Mrs. Purley fort, »ich kann Ihnen gewissermaßen nur die fetten Überschriftzeilen geben. Aber nun muß ich noch ein paar Worte über das junge Mädchen sagen –«

»Das arme Ding ist voraussichtlich seine Geliebte?« unterbrach sie Harry.

»Da könnte sie einem natürlich leid tun«, erwiderte die Witwe, »aber die Sache ist viel schlimmer; sie ist nämlich nicht seine Geliebte – sondern seine Schwester!«

»Was – seine Schwester?« fragte Harry überrascht.

»Jawohl, und sie kommt geradeswegs aus dem Osten, um nach ihrem Brüderchen zu sehen, weil er doch so selten und immer nur sehr flüchtig nach Hause geschrieben hat! Sie ist in grenzenloser Angst um die Gesundheit des armen, lieben Willi – er ist ja immer so nervös gewesen, der gute Junge. Ganz krank hat mich ihr Gerede gemacht, denn nervös ist an dem Bengel doch höchstens der Finger, mit dem er den Colt abgedrückt! Wie ein Affe hab ich gegrinst, während sie so geschwätzt hat. Na, und das Ende vom Lied? Nun wäre aber alles gut, erzählte sie, nun könne er auch etwas für seine Gesundheit tun, denn ein lieber, alter Großpapa sei gestorben und habe gegen eine Million Dollar hinterlassen, in die sie und Willi sich teilen sollten.«

»Ich denke, das Früchtchen heißt Hans?« fragte Devon.

»Ach, keine Spur, ›Hans im Glück‹ ist nur sein Spitzname«, entgegnete Mrs. Purley. »Sein wirklicher Name ist William Maynard, und seine Schwester, das süße Dummchen, heißt Mabel. Ganz entsetzt war sie, als ich ihr erklärte, ich hätte keine Ahnung, wo sich ihr Brüderchen im Augenblick aufhalte; aber ich tröstete sie damit, daß wir ihn auf alle Fälle schon finden würden. Ich war natürlich in der scheußlichsten Verlegenheit, denn wem sollte ich in dieser verkommenen Stadt ein derartiges Geheimnis anvertrauen? Als ich Sie dann vorhin drüben im Schankraum sah, fiel es mir wie Schuppen von den Augen – Sie, mein werter Mr. Devon, sind natürlich der gegebene Mann dafür! Sie werden diesen ›Hans im Glück‹ holen und ihn in Freiheit dressiert seiner Schwester vorführen, damit sie ihn nach Hause schaffen kann und ich diese gräßliche Verantwortung loswerde.«

»Aber erlauben Sie mal, Verehrteste«, wandte Devon ärgerlich ein, »wie komme ich denn dazu? Und vor allem, wie kann ich einen Menschen finden, den ich überhaupt nicht kenne?«

»Ja, soll ich vielleicht meinen Laden zumachen und selbst auf die Suche gehen?« fragte Mrs. Purley empört. »Es gibt doch außer Ihnen keinen Mann in ganz West-London, den man mit einer derartig heiklen Sache betrauen könnte! Aber warten Sie, ich werde mal die Kleine herholen, und dann wollen wir doch sehen, ob Sie es fertigbringen, nein zu sagen!«

»Einen Augenblick!« Devon hielt sie zurück. »Damit, daß ich die junge Lady kennenlerne, ist gar nichts geändert, liebe Mrs. Purley, und außerdem muß ich jetzt unbedingt fort.«

»Sie bleiben hier!« befahl sie in einem Ton, der keinen Widerspruch aufkommen ließ, ging zu einer Tür, öffnete sie und rief in den Nebenraum hinein:

»Hallo, Miss Maynard!«

»Ja, Mrs. Purley?«

»Haben Sie sich genügend ausgeruht, um einmal herzukommen und eine Neuigkeit zu hören?«

»Aber gewiß!«

Mabel Maynard kam herein mit halbgeöffneten Lippen und vor Erregung strahlenden Augen, doch ihr Gesicht verfinsterte sich, als sie nur Devon und den alten Harry erblickte.

»Nein, Herzchen, Ihr Bruder ist allerdings noch nicht da«, tröstete Mrs. Purley die Enttäuschte, »aber wir sind auf dem besten Weg zu ihm – das ist nämlich Mr. Devon, der Teilhaber Ihres Bruders.«

Devon fuhr betroffen zusammen, doch ehe er diese Behauptung zurückweisen konnte, sagte Mabel:

»Ach, ich wußte gar nicht, daß Willi hier auch geschäftlich tätig ist, ich dachte, er lebe ganz seiner Gesundheit. Welche Art von Geschäft betreiben Sie denn, Mr. Devon?«

»In der Hauptsache ist er Goldgräber«, erwiderte statt des Gefragten Mrs. Purley, »aber die beiden haben auch noch andere Dinge vor, die sich recht gut anlassen – nicht wahr, Mr. Devon?«

»Ja«, erwiderte Devon matt.

»Kann denn Willi solche schwere Arbeit leisten?« fragte das junge Mädchen erstaunt.

»Das ist gar keine schwere Arbeit«, versicherte Mrs. Purley schlagfertig, »wie denn überhaupt die Männer stark übertreiben mit dem, was sie angeblich zu leisten haben. Was ist das schon, wenn die Mannsleute acht Stunden Steine klopfen? Gar nichts gegen das, was wir armen Weiber bei achtzehnstündiger Arbeitszeit täglich im Haushalt zu schaffen haben!«

Mabel sah sie einigermaßen fassungslos an, dann lächelte sie und fragte Devon:

»Geht es meinem Bruder gut?«

»Gewiß«, entgegnete Devon, »wenigstens habe ich nichts Gegenteiliges gehört.«

»Haben Sie ihn denn schon lange nicht mehr gesehen?« erkundigte sich das junge Mädchen sichtlich besorgt.

Mrs. Purley rettete wieder geistesgegenwärtig die bedrohliche Lage.

»Er hat seit einiger Zeit außerhalb der Stadt zu tun«, sagte sie, »aber es ist gar nicht weit. Devon wird ihn gleich holen.«

»Da geh ich natürlich mit«, erklärte Mabel.

»Sie bleiben ganz friedlich hier sitzen und ruhen sich schön aus«, wandte Mrs. Purley ein, »dabei kann Sie Mr. Devon nämlich nicht gebrauchen.«

Devon stand ratlos und unschlüssig da, doch die energische Witwe drängte ihn einfach zur Tür.

»Seien Sie lieb, alter Kerl, und machen Sie sich auf die Strümpfe«, flüsterte sie ihm dabei zu, »drüben im Schankraum ist Lewis, genannt der ›Schläger‹, der über ›Hans im Glück‹ sehr genau Bescheid wissen soll – fragen Sie den nach ihm, dann werden Sie den Bengel schon finden.«

»Glauben Sie denn, daß Lewis mir Auskunft geben wird?«

»Ich weiß nicht, aber ich hoffe es – wenn Sie irgendeine geschickte Lüge erfinden. Jedenfalls hat der ›Schläger‹ schon eine ganze Menge getrunken, ich nehme also an, daß das seine Zunge ein bißchen gelöst hat.«


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