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Zehntes Kapitel

Harry war offenbar mit der Wendung, die die Dinge genommen hatten, durchaus nicht einverstanden.

»Auf die Gefahr hin, mir gleichfalls deinen allerhöchsten Zorn zuzuziehen, lieber Jim«, sagte er, »was hast du dir eigentlich bei der Geschichte gedacht? Du redest daher, als ob du tatsächlich Mitbesitzer dieser Ranch hier wärst. Willst du Walt etwa beim Wort nehmen und wirklich Ansprüche an sein Eigentum stellen?«

»Gar nichts will ich«, erwiderte Jim, puterrot im Gesicht und empört über eine derartige Unterstellung. »Selbstverständlich habe ich nur in Walts Interesse so gesprochen, wie du gleich sehen wirst. Vielleicht kommt ihr beide mal mit.«

Er ging voraus und machte vor dem Pfahl halt, an dem Ways Pferd angebunden gewesen war.

»So, nun schau dir das einmal an, Harry«, sagte er, »vorausgesetzt, daß du überhaupt mit deinen blöden Augen noch etwas anderes als Gedrucktes lesen kannst.«

»Na, erlaube mal, ich bin doch noch nicht stockblind wie du, und selbst, wenn ich halb blind wäre, würde ich doch sofort an der Art des einen Hufeisens sehen, daß Ways Gaul, der zuletzt hier gestanden hat, am rechten Vorderfuß Strahlfäule hat.«

»Stimmt! Walter, kannst du auch erkennen, daß die Spur des einen Hufeisens ganz anders aussieht als die der übrigen?«

»Allerdings sehe ich das – aber was willst du damit beweisen?«

»Warte nur ab und komm mit.«

Damit ging er weiter und blieb dann an einer Stelle stehen, die Ways Pferd heute nicht betreten hatte.

»Bitte schön«, sagte er.

Devons Auge war durchaus nicht auf das Verfolgen von Spuren geeicht, aber der Hufeisenabdruck, auf den Jim zeigte, war so klar und deutlich, daß er auf den ersten Blick verblüfft sagte:

»Der muß von dem selben Tier herrühren.«

»Du hast's erfaßt, mein Sohn«, erwiderte Jim, »so ist es!«

»Es könnte ja aber auch ein anderes Pferd Schwamm am Huf haben«, wandte Devon, bedenklich geworden, ein.

»Das ist mehr als unwahrscheinlich, denn Strahlfäule kommt bei uns sehr selten vor, nämlich nur bei Tieren, die viel im Stall stehen und schlecht gehalten werden. Daß Way aber seine Pferde schlecht behandelt, habe ich an den Flanken des armen Viehs gesehen, das er heute geritten hat.«

»Nun schön, nehmen wir an, daß das alles stimmt – was wäre damit bewiesen? Hier kann doch schließlich jeder, der will, vorüberreiten.«

Jim nahm eine sehr überlegene Miene an.

»Gewiß kann das jeder – aber, was hat ein Kerl hier nachts zu suchen?«

Devon sah ihn verständnislos an.

»Woher weißt du, daß diese Spur in der Nacht entstanden ist?«

»Nur, wenn der Boden feucht gewesen ist, kann das Hufeisen so tief eingedrungen sein und einen so klaren Abdruck hinterlassen haben«, erklärte Jim, »geregnet aber hat es in diesem Monat nur einmal, und zwar vor fünf Tagen gegen zehn Uhr abends.«

»Stimmt«, bestätigte Harry, »ich kann mich noch genau entsinnen, ich war gerade zu Bett gegangen – eine halbe Stunde hat der Regenguß aufs Dach getrommelt und dann plötzlich wieder aufgehört.«

»Ja, aber was soll der gute Mann hier in der Dunkelheit gesucht haben?« fragte Devon lächelnd. »Außer dem Schlamm in dem Staubecken da ist doch hier wahrhaftig nichts zu holen.«

»Vielleicht handelt es sich wirklich um den Schlamm«, erwiderte Jim mit todernster Miene. »Es gibt ja auch im Schlamm Unterschiede, und manche Sorten sollen sehr gut für die Gesundheit sein.«

Harry lachte laut auf.

»Na, weißt du«, sagte er glucksend, »so ein Schwein ist doch wohl kein Mensch, daß er das Zeug da ißt!«

Jim maß ihn voll grenzenloser Verachtung.

»Das ist nun ein Kerl, der den ganzen Winter über nichts macht als Zeitungen lesen«, sagte er zu Devon, »aber von Moorbädern hat er natürlich noch nie was gehört!«

»Selbstverständlich hab ich das«, erwiderte Harry gekränkt, »aber wer soll denn in dem grünlichen Dreck da baden, der obendrein noch von Blutegeln wimmelt?«

»Wenn's ihm Spaß macht, kann Way meinetwegen Tag und Nacht drin sitzen«, meinte Devon.

»Du lachst darüber«, entgegnete Jim, »aber nimm einmal an, daß es sich wirklich um heilkräftiges Moor handelt; dann kann die Sache mehr einbringen als eine Goldader.«

»Wieso? Das möcht ich wissen!« wandte Harry ein.

»In Massen würden die Leute dann herkommen, Vinzent Tucker oder Les Burchard würde ein großes Hotel oder ein Sanatorium bauen, wo jeder Gast zehn Dollar täglich zahlen müßte und für jedes Moorbad fünf bis sechs Dollar extra; was meinst du, was da für ein Haufen Geld einkommen würde?«

Devon lächelte – die Sache kam ihm doch ein bißchen zu phantastisch vor! Entschieden, da war das, was Way über die Absichten des Herrn Tucker und Burchard gesagt hatte, ein gut Teil wahrscheinlicher. Allerdings erklärte das nicht Ways nächtlichen Besuch.

Kurz darauf verabschiedete sich Devon von den beiden Kameraden, ohne ihnen von dem gestrigen Mordanschlag erzählt zu haben. Wozu sollte er auch die guten Alten unnütz beunruhigen?

Er war noch keine zehn Minuten unterwegs, da hörte er hinter sich Hufschlag, und als er sich umwandte, sah er, daß Harry ihm gefolgt war.

»Nanu, Harry«, fragte er, »hab ich was vergessen?«

»Allerdings«, erwiderte der Alte, »du hast nämlich vergessen, daß du jetzt Les Burchard und Vinzent Tucker zu Feinden hast.«

»Ach, und da willst du ein bißchen auf mich aufpassen?«

»Und du meinst, ich sei zu alt dazu – was?«

»Das nicht, aber Jim halte ich für zu alt, als daß man ihn hier allein lassen könnte«, antwortete Devon diplomatisch.

»Um den brauchst du dir keine Sorge zu machen, der schläft mit der geladenen Schrotflinte im Arm, und bei Tag wird sich noch weniger einer an ihn heranwagen. Jedenfalls komme ich mit dir, du wirst mich vielleicht nötiger brauchen, als du ahnst.«

Dabei sah er ihn so treuherzig und entschlossen an, daß Devon jeden weiteren Versuch, ihn umzustimmen, als von vornherein aussichtslos aufgab, und so zockelten sie denn in gemächlichem Trabe West-London zu.

Als sie die ersten Ausläufer der Stadt erreichten, erhob sich hinter ihnen in der Timbal-Schlucht ein merkwürdiges Geräusch. Ähnlich dem Brausen des Sturmes, der durch dichten Föhrenwald fegt, klang es, und bald darauf sahen sie, daß die Zickzackpfade, die zur Stadt heraufführten, von Menschen wimmelten.

»Da hat einer einen großen Goldfund gemacht«, erklärte Harry; »heute nacht wird sich allerlei tun in West-London.«

Sie hatten kaum ihre Pferde in dem Mietstall untergebracht, als auch schon die Menge den Stadteingang erreichte, von wo aus sie sich die Hauptstraße hinunterwälzte wie ein Strom, der alles mit sich fortreißt, die Tagediebe aus ihrer trägen Ruhe aufscheuchte, die Verkäufer aus den Geschäften, die Bürger aus ihren Häusern herausholte, als ob er sie an sich saugte.

Die einzigen Dämme gegen diese reißende Flut bildeten die Saloons, vor denen sie sich staute und schäumend brandete, und deren Pendeltüren in dauernder, schwingender Bewegung waren wie die Flügel eines flatternden Vogels. Das Gerücht wollte wissen, daß ein gewisser Tom Fagan eine geradezu unwahrscheinlich reiche Goldader freigelegt hatte, die ihm unerhörten Reichtum versprach – wenn sie sich nicht, wie es leider so häufig der Fall war, sehr schnell erschöpfte.

Im Saloon »Zum Glück im Winkel« lud dieser Tom Fagan jedenfalls vorerst einmal die ganze Stadt zum Trinken ein. Er hatte zwei große Fässer Whisky gekauft und auf jeder Straßenseite eins aufstellen lassen, aus denen je zwei Kellner ununterbrochen jeden Vorübergehenden bedienten – auch in der Kneipe selbst hielt Tom Fagan jeden frei, der eintrat.

Kein Mensch konnte sich der allgemeinen Aufregung entziehen: die Goldgräber freuten sich, weil wieder einmal bewiesen war, daß die Timbal-Schlucht noch immer ungeahnte Möglichkeiten bot, so daß auch der, der bisher Pech gehabt hatte, hoffen konnte, daß das Glück bald einmal auch zu ihm kommen werde – die Spieler, Geldverleiher, Taschendiebe, Bauernfänger und das sonstige Gesindel aber sahen gleichfalls ihren Weizen blühen.

Der einzige, der völlig unberührt von dem tollen Treiben blieb, war der alte Harry. Er bestand darauf, daß sich auch Devon schleunigst aus dem lärmenden Gewühl entferne, denn, so behauptete er, dieser Tumult reize nur dazu, einen mißliebigen Menschen durch einen unauffälligen Schuß in den Rücken zu beseitigen.


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