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Sechsundzwanzigstes Kapitel

Sieger und Besiegter maßen sich, als sie allein waren, eine Weile stumm mit den Blicken.

»Den heutigen Tag können Sie sich in Ihrem Kalender rot anstreichen«, sagte schließlich ›Hans im Glück‹.

»Für manchen wird es ein Trauertag sein«, entgegnete Devon.

»Ach wo – mal mußte es ja so kommen; damit hab ich immer gerechnet«, erwiderte Hans kaltblütig.

»Ich dachte bei meiner Bemerkung auch an jemand anders – an ein junges Mädchen.«

›Hans im Glück‹ lachte laut auf.

»Keinem Mädel wird es das Herz brechen, wenn ich baumeln muß«, sagte er. »Ich hab immer viel zuviel zu tun gehabt – mit Weibern hab ich meine Zeit nie vergeudet.«

»Ich dachte nicht an eine Liebste«, entgegnete Devon ernst, »an Ihre Schwester hab ich dabei gedacht.«

Die Wirkung dieser Worte auf ›Hans im Glück‹ war erstaunlich: er fuhr zusammen, auch die freche Sorglosigkeit, mit der er bisher seine Lage betrachtete, schien ausgelöscht. Entgeistert starrte er Devon an.

»Meine Schwester?« fragte er schließlich tonlos.

»Jawohl – Ihre Schwester Mabel«, nickte Devon.

»Allmächtiger – kennen Sie die wirklich?«

»Gewiß, halb West-London kennt ja Mabel Maynard, die nach ihrem Bruder sucht.«

Das Gesicht des Gefangenen wurde weiß.

»Das kann nicht stimmen«, sagte er, »den Namen würde sie nie genannt haben.«

»Weil es ihr richtiger ist?« fragte Devon.

»Ihr richtiger? Nein, das ist er natürlich nicht«, antwortete Hans leise.

Hilflos sah er sich um. Devon hatte das Gefühl, der Wahrheit nahe zu sein, denn es war doch beinahe undenkbar, daß ›Hans im Glück‹ von dem Hiersein des jungen Mädchens nichts wissen sollte.

»Sie kennt wohl Ihre – gegenwärtige Beschäftigung nicht?« fragte er.

»Um Gottes willen, wie sollte sie die kennen?«

»Demnach ist sie tatsächlich hergekommen, um Sie zu suchen?« forschte Devon weiter.

»Der Himmel mag wissen, warum sie gekommen ist – wahrscheinlich, um Unfug anzurichten, denn das hat sie immer verstanden – allerdings nicht, wenn es sich um mich handelte.«

Er ließ den Kopf sinken und schlug die Hände vors Gesicht, dann starrte er wieder fassungslos Devon an, der ihn kaum wiedererkannte, so völlig verschieden wirkte er in seiner gegenwärtigen Verzweiflung.

»Wie hat sie mich genannt?« fragte Hans nach einer Weile.

»William Maynard.«

»Dann kann es Mabel nicht gewesen sein!«

»Aber sie hatte doch ein Lichtbild von Ihnen bei sich.«

»Dann ist sie vollkommen von Gott verlassen«, stöhnte Hans. »Wahrhaftig, ich wollte, Sie hätten vorhin ein bißchen kräftiger zugeschlagen.«

»Sie glaubten sich also gewissermaßen sicher vor ihr, nahmen an, daß sie Sie nicht finden könne?«

»Fest überzeugt war ich davon, da zweitausend Meilen in der Luftlinie zwischen ihr und mir lagen – aber für sie war das offenbar noch nicht genug.«

Wieder starrte er verzweifelt zu Boden.

»Hören Sie mal, Maynard«, begann Devon.

Der andere zuckte zusammen.

»Soll ich diesen Namen nicht gebrauchen?«

»Nein – bitte nicht.«

»Schön, es liegt mir fern, Sie zu verletzen. Aber wollen Sie mir einmal erklären, wie es möglich ist, daß Sie von dem Hiersein Ihrer Schwester noch nichts gehört haben? Beinah die ganze Stadt weiß doch, daß sie hier ist und mich in eine böse Falle gelockt hat.«

» Sie in eine Falle gelockt?«

»Ja, freilich – ich sollte ihren Bruder suchen, dessen Bild sie mir gezeigt, und Lewis, der ›Schläger‹, wollte mich zu Ihnen führen. Der ist doch ein Freund von Ihnen, nehme ich an?«

»Lewis kenne ich – er ist zwar ein Hund, aber ganz brauchbar.«

»Na, dann wird Ihnen ja auch das Weitere nicht unbekannt sein, denn dann haben Sie selbst doch die Falle aufgestellt, in der Harry und ich beinah umgekommen wären.«

»Ich soll Ihnen eine Falle gestellt haben? Davon höre ich zum erstenmal, das ist mir völlig neu.«

»Ich möchte Ihnen ja gerne glauben –«

»Sie müssen mir glauben«, unterbrach ihn Hans heftig. »Ich lüge niemals, und eine Falle hab ich in meinem Leben noch keinem Menschen gestellt. Wenn ich mit jemandem was abzumachen habe, dann tu ich's Auge in Auge, aber nicht hinterrücks!«

Das klang so ehrlich und aufrichtig, daß Devon stutzig wurde. Außerdem erzählte man sich zwar allerlei von diesem ›Hans im Glück‹, hinterhältig und verlogen aber hatte ihn noch keiner genannt.

»Schön«, sagte er nach kurzer Überlegung, »dann arbeitet Ihre Schwester also allein für die Bande, die hinter meinem Skalp her ist.«

»Das würde sie niemals tun«, erklärte Hans mit der gleichen Bestimmtheit, mit der er vorher gesprochen hatte.

»Dann hätt ich also geträumt, daß sie mich in den Wald gelockt hat, wo mich die Kugeln empfingen?«

»Das ist sie nicht gewesen, es war eine andere, die ihren Namen angenommen hat.«

»Und wie käme die Betreffende zu der gewissen Ähnlichkeit mit Ihnen?« fragte Devon spöttisch.

Hans knirschte mit den Zähnen.

»Wenn sie etwas Derartiges getan hat, muß Mabel wahnsinnig geworden sein«, sagte er, »denn sie ist ein durch und durch anständiger Mensch.«

»Ich möchte Ihnen auch das gerne glauben«, entgegnete Devon.

»Das können Sie getrost, ich kenne sie besser, als ich mich kenne, und rede völlig offen zu Ihnen. Ich weiß wahrhaftig nicht, was ihr Kommen für einen Zweck haben sollte –«

»Aber der liegt doch sehr nahe«, unterbrach ihn Devon, »sie wollte Sie mit Gewalt zu Ihrer Familie zurückführen.«

»So ein Einfall wäre ihr allerdings zuzutrauen.«

»Nun, und könnte ihr das gelingen?« fragte Devon neugierig.

»Ihr? Sie bringt alles fertig. Sie kann einen Knaben zum Mann und einen Mann zum Knaben machen.«

»Das glaube ich schon«, erwiderte Devon ernst.

»Sie scheinen ihre Macht auch bereits verspürt zu haben«, sagte Hans lächelnd. »Nehmen Sie sich in acht, daß Sie nicht krank werden. Sieben Jahre hält so ein Fieber mindestens vor.

»Die Kugeln, die sie auf mich hat abschießen lassen, werden mich schneller davon heilen«, entgegnete Devon.

Darauf erwiderte ›Hans im Glück‹ nichts, doch er neigte, während er Devon anblickte, plötzlich den Kopf seitlich und kniff seine Augen ein wenig zusammen, unmerklich fast, aber doch so, daß dieser es merkte und rasch herumfuhr: im Rahmen der Tür, die von der Küche in den Vorraum führte, sah er unbestimmt eine dunkle Gestalt stehen, in deren Hand etwas Metallisches glänzte.

Devon sprang zur Seite und hob den Colt, der andere feuerte, ohne zu treffen. Im gleichen Augenblick flog die Küchentür zu – ›Hans im Glück‹ hatte wieder einmal Glück gehabt und war entkommen.

Devon eilte zur Tür; als er sie aufriß, wurde draußen Hufschlag laut, er sah gerade noch den Fliehenden um die Ecke verschwinden. Merkwürdigerweise hatte Hans aber nicht die braune Stute, deretwegen er sich in Lebensgefahr begeben, zur Flucht benutzt, sondern sein eigenes Pferd.

Ohne lange zu überlegen, lief Devon um das Haus herum, um dem anderen, der auf ihn geschossen hatte, den Rückweg abzuschneiden, doch als er um die Ecke bog, sah er, daß er zu spät kam. Der Mann kreuzte bereits rennend die Straße und verschwand in dem nächsten Quergäßchen. Sein Vorsprung war zu groß, als daß Devon hätte daran denken können, ihn zu verfolgen – was außerdem in dem Gassengewirr von West-London beinahe Selbstmord gewesen wäre.

Mißmutig machte er kehrt, brachte die braune Stute wieder in den Stall und ging dann ins Haus zurück, wo Mrs. Purley gerade mit dem Sheriff ankam.

»Natürlich ist er fort«, empfing ihn die Witwe vorwurfsvoll. »Ich hab's mir doch gleich gedacht, als ich die Schüsse hörte!«

Devon gab kurz Auskunft, wie die Flucht des verwegenen Burschen vor sich gegangen war, und schloß ärgerlich:

»Die zerschossenen Fensterscheiben da können Sie mir auf meine Rechnung setzen, Mrs. Purley.«

»Das werde ich sogar wirklich«, entgegnete die Witwe gereizt, »und den Kaffee, den er getrunken hat, dazu. Ihnen aber, verehrter Mr. Devon, würde ich einen Luftwechsel empfehlen – West-London scheint doch ein bißchen zu westlich für Sie zu liegen.«

Damit verschwand sie in ihre Gemächer.

Am anderen Morgen aber las die Stadt an dem Anschlagebrett vor dem Postbüro:

Werte Freunde!

Ich habe Devon herausgefordert und bin beinah eklig dabei reingefallen. Er hat seine braune Stute behalten, und ich hab arge Kopfschmerzen bekommen. Aber noch ist nicht aller Tage Abend – vielleicht hab ich ein andermal mehr Glück. Ich benutze die Gelegenheit, der reizenden und liebenswürdigen Mrs. Purley herzlichsten Dank für ihren ausgezeichneten Kaffee zu sagen. Mit den besten Grüßen

Euer ergebener
Hans im Glück.


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