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Achtzehntes Kapitel.
Doktor Byrne beim Analysieren

In seinem Zimmer, das man ihm auf der Cumberlandranch angewiesen hatte, ließ sich Doktor Randall Byrne an seinem Tisch nieder, um einen noch unvollendeten Brief zu Ende zu schreiben:

 

»Ich habe abbrechen müssen, lieber Loughburne, weil ich zum Essen gehen mußte. Ich saß allein mit Miss Cumberland an dem riesigen Tisch, – sie mir gegenüber. Großes Schweigen herrschte um uns her. Es war sonst niemand im Zimmer als der chinesische Koch, der aus der Küche hereinschlurfte und servierte.

Ehe ich zum Essen hinunterging, hatte ich meine Augengläser abgelegt, denn ich habe bemerken müssen, daß eine Brille, so wohltuend sie auch für unsere Augen sein mag, sich bei der Weiblichkeit keiner entsprechend großen Schätzung erfreut. Und man soll doch gewiß bemüht sein, sich seinen Mitmenschen angenehm zu erweisen.

Bei dieser Gelegenheit muß ich feststellen, mein lieber Loughburne, daß ich an den Augen von Miss Cumberland besondere Eigentümlichkeiten beobachtet habe. Die Augen aller anderen menschlichen, überhaupt aller lebenden Wesen, denen ich bis jetzt meine Aufmerksamkeit gewidmet habe, schienen immer nur geschaffen, um damit zu sehen, wo hingegen Miss Cumberlands Augen ausdrücklich geschaffen scheinen, damit man hineinsieht. Diese merkwürdige Eigenschaft führe ich auf folgende Eigentümlichkeiten besagter Augen zurück: Erstens, ihre Größe ist ganz ungewöhnlich, zweitens, sie sind von einer Farbe, die zu studieren ein wundervolles Gefühl der Beruhigung gibt. Sie haben, wie ich dir versichern kann, die Farbe des tiefblauen Abendhimmels, der dem Blick gestattet, ins Unermeßliche hinaufzuträumen.

Heute bei Tisch kam es mir vor, als sähe ich einen Funken in diesen Augen aufblitzen, aber in dem Moment, wo ich es zu bemerken schien, senkte sie augenblicklich die Lider. Nichtsdestoweniger wurde es mir sofort unbehaglich heiß in meinem Kragen, und ich litt unter einem gewaltigen Blutandrang nach dem Kopf. Ich fragte sie, ob sie gelächelt habe und warum, – worauf sie sofort versicherte, sie habe nicht gelächelt. Aber sie lächelte wenigstens in dem Augenblick, wo sie die Versicherung abgab.

›Das Wetter‹, sagte ich, ›war heute ungewöhnlich herrlich.‹

Ich mußte feststellen, daß Miss Cumberland diese Bemerkung mit einem neuen Lächeln begrüßte.

Sofort erwiderte sie: ›Mir ist es etwas windig vorgekommen!‹

Ich erinnerte mich, daß die Höflichkeit gebietet, Äußerungen von Damen immer zuzustimmen, und mit größter Geistesgegenwart fügte ich deshalb meiner vorherigen Äußerung zu: ›Ganz richtig, ein widerlich stürmischer Tag.‹

Zu meinem größten Erstaunen wurden diese Worte mit einem hellen Lachen begrüßt.

›Doktor Byrne,‹ sagte sie, ›Sie sind geradezu einzig!‹

›Dies ist eine Eigenschaft,‹ sagte ich entschlossen, ›die ich mich von jetzt ab bemühen werde, zu ändern.‹

Daraufhin hob sie mit einer protestierenden Geste ihre beiden Hände. Ich konnte ihre wundervollen Augen hinter den schlanken braunen Fingern schimmern sehen – ich möchte Dich, mein lieber Loughburne besonders darauf hinweisen, daß wir uns an die falsche Ansicht gewöhnt haben, die Weiße der Haut für ein besonderes Merkmal der Frauenschönheit zu halten –, und sie bemerkte, noch immer lachend: ›Nein, gewiß dürfen Sie sich nicht ändern.‹ Ich nahm einen doch gewiß geschickten Frontwechsel vor und erwiderte: ›Nein, gewiß, ich werde das nicht tun.‹

Aus irgendeinem mysteriösen Grunde wurde daraufhin das Mädchen von Lachen geradezu überwältigt. Sie rief mit ihrer wundervollen musikalischen Stimme – es klingt mir immer noch nach – ›Doktor Byrne, Sie sind begeisternd.‹

Ich hätte sie gern ausführlicher über ein so interessantes Thema reden hören, aber da die Bescheidenheit mir verbot, über diesen Punkt eine Debatte mit ihr herbeizuführen, so zog ich es vor, sie selbst zum Gegenstand unseres Gesprächs zu machen.

›Miss Cumberland,‹ sagte ich, ›ich stelle mit großem Vergnügen fest, daß die Beängstigung, die Sie in letzter Zeit bedrückt hat, geringer geworden zu sein scheint. Ich nehme an, daß Mister Daniels' Unternehmung erfolgreich ausgehen wird, obwohl, wie ich bekennen muß, mir nach wie vor dunkel ist, inwiefern die Rückkehr dieses mir noch unbekannten Herrn Barry hier von besonderem Nutzen sein kann. Auf jeden Fall sehe ich, daß die Aussicht, ihn zurückkehren zu sehen, Sie glücklicher stimmt.‹

Ich stellte diese Fragen schweren Herzens, obwohl ich nicht weiß, worauf dieses plötzliche Gefühl der Niedergeschlagenheit zurückzuführen war. Noch rätselhafter war mir das Entzücken, das sich meiner bemächtigte, als das Mädchen langsam den Kopf schüttelte und antwortete: ›Selbst wenn er zurückkommt, hat es nichts zu bedeuten.‹

Ich sagte: ›Dann wollen wir ihn doch unterwegs abfangen und ihn zurückschicken dahin, woher er kommt.‹ Aber, als hätte ich ihr weh getan, rief sie laut: ›Nein, nein, nein!‹ Und gleich darauf fügte sie hinzu: ›Und was soll dann aus meinem armen Vater werden?‹

›Ihren Herrn Vater‹, mußte ich bekennen, ›hatte ich im Augenblick allerdings völlig vergessen.‹

Immerhin schien es mir, daß nicht nur der Gedanke an ihren Vater ihren plötzlichen Schmerzausbruch verursacht hatte. Sie wünschte offensichtlich die Rückkehr dieses Barry und dennoch fürchtete sie sich davor. Es war eine gänzlich mysteriöse Angelegenheit.

Nach dem Essen ging ich mit ihr ins Wohnzimmer hinüber, um Mister Cumberland zu sehen. Körperlich hatte sich sein Befinden nicht im geringsten geändert. Von Tag zu Tag finde ich diesen Krankheitsfall erstaunlicher. Er führt unsere ganze medizinische Wissenschaft ad absurdum. Sein Körper ist sozusagen bereits an Altersschwäche gestorben und dennoch ist das eigentliche Element des Lebens in ihm noch gegenwärtig. Er ißt nichts oder so gut wie nichts und dennoch ist noch Energie in ihm. Seit drei Tagen hat er jetzt nicht eine Sekunde lang die Augen geschlossen. Man könnte annehmen, daß er sich in einem Trancezustand befindet, doch durch eine Reihe sorgfältig durchdachter Experimente habe ich festgestellt, daß bei ihm das Hirn in dauernder fieberhafter Tätigkeit ist. Was soll das alles bedeuten? Welche Eigenschaften zeichnen diesen in der Welt herumwandernden Barry derart aus, daß Kate Cumberland sich nach seiner Rückkehr sehnt und sie dennoch fürchtet? Wieso war Buck Daniels, als er aufbrach, um ihn zu holen, offensichtlich bei dem Gedanken an seine Unternehmung von wilder Furcht geschüttelt, obwohl der Mann, den er holen will, nach seinen eigenen Äußerungen, sein bester Freund ist?

Du siehst, wie das Geheimnis allmählich Form annimmt. Es liegt sozusagen vor meinen Augen. Und trotzdem kann ich es nicht fassen und nicht enträtseln. Die Geschichte eines Mannes, eines Pferdes und eines Hundes. Aber was ist diese Geschichte?

Heute bin ich draußen bei den Viehgehegen gewesen, und einer der unzähligen Korrals fiel mir dadurch besonders auf, daß die Pfosten wesentlich höher und stärker waren, als bei allen anderen Gehegen. Ich fragte, für welche Tiere dieser Korral bestimmt sei – der um vieles kleiner war als die anderen –, und man antwortete mir: ›Das ist Satans Korral.‹ Ich vermutete gleich, daß eine sonderbare Geschichte dahinter stecke: ›Der Teufel?‹ rief ich. ›Läßt sich der Teufel von Euch in einen Korral sperren?‹ ›Oh, jawoll,‹ sagte der Mann, ›läßt sich schon sagen, daß das Biest ein Teufel ist. Wenn wir ihn mit den anderen Gäulen auf die Weide ließen, er würde Hackfleisch aus ihnen machen. So ein verdammter Teufel steckt in dem Vieh.‹ Die Geschichte eines Mannes, eines Pferdes und eines Hundes! Ich glaube, ich habe die gewaltige Kette gesehen, mit der der Hund festgelegt zu werden pflegte. War das nun der Platz, wo das Pferd untergebracht wurde? Und wenn es so ist, welche Ketten und Bande müssen erst nötig sein, um den Mann zu halten? Was für eine Sorte Mann muß es sein? Gewiß ist eines: Ein Mann, der ein solches Pferd und einen solchen Hund sein Eigen nennt, muß gewachsen sein wie ein Riese. Gewiß ist es ein wilder und unbezähmbarer Charakter, denn sonst könnte Kate Cumberland keine Furcht vor ihm empfinden und bei alledem muß es doch ein Mensch von ungewöhnlichem inneren Wert sein, denn es ist so, als warte die ganze Ranch nur auf seine Rückkunft. Diese Glut der Erwartung ist sogar ansteckend, selbst an mir fängt sie an zu zehren. Tag und Nacht werde ich von wilden Träumen heimgesucht. Wie soll das alles enden?

Für heute muß ich schließen. Aber ich bedaure unendlich, lieber Loughburne, daß Du nicht hier bist. Ich fühle, daß ich der Zeuge eines Schauspiels bin, wie es diese Erde noch nicht gekannt hat.

Dein Byrne.«


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