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»Ihr Hund mag Ihr Hund sein,« bemerkte Jerry Strann, zu dem Rücken des Fremden gewandt, »aber das ist hier nicht Euer Hof. Mann, paßt 'n bißchen besser auf Euer Vieh auf, oder ich werd's ihm so besorgen, daß Ihr Euch überhaupt nicht mehr darum zu kümmern braucht.«
Mit diesen Worten machte er einen Schritt nach vorne. Der Hund quittierte darüber mit einem Knurren. Er jaulte nicht, wie es andere Hunde wohl tun. Es war ein drohender, tiefer Baßton, bei dem der Revolver wie von selbst in Jerrys Hand zu springen schien.
»Bart,« sagte der Fremde mit der sanften Stimme, »leg' dich hin und halt den Mund.« Und damit drehte er sich in seinem Stuhl herum, schob seinen Hut wieder gerade und sah mit mildem Blick auf den Radaubruder, der hinter ihm stand. Für einen Künstler wäre dieses Zusammentreffen ein Fest gewesen, denn auch der Fremde besaß, wie Strann, ein ungewöhnliches Maß körperlicher Schönheit. Immerhin ließen sich bei ihm allerlei Einwände erheben, denn er besaß nicht das offen Männliche, das Strann so auszeichnete. Vielmehr kennzeichnete ihn eine geradezu weibliche Grazie und Weichheit der Erscheinung; seine Handgelenke waren rund, wie die eines Mädchens, und seine Hände mädchenhaft schlank und zart gebaut. Vielleicht ist die weißglühende Sonne der Sommermonate daran schuld, vielleicht sind es die Schneestürme des Winters, jedenfalls erzeugt das Klima dieser Berge eine rauhe, grobe Haut und schneidet alles überflüssige Fleisch hinweg. Die Gesichter sind dort oben eckig, wie mit dem Beil aus Holz gehauen. In dieses Mannes Gesicht aber gab es keine scharfen Winkel und Ecken, sondern es war wie von den Händen eines liebevollen Bildhauers geglättet und abgerundet. Die Natur schien sich an seiner Wiege entschlossen zu haben, einmal zu zeigen, was sie in dieser Beziehung zu leisten imstande war. Ein solches Kunstwerk mochte wohl eher den Frauen als den Männern preiswürdig erscheinen, denn Männer lieben eine gewisse Gewichtigkeit der Erscheinung und eher einen Überschuß an Fleisch und Knochen, während dieses Burschen Körper so leicht und gewichtslos schien wie seine Hand. Er saß nun und musterte Jerry Strann mit äußerstem Ernst. Seine Augen waren merkwürdig groß und etwas Rätselhaftes war darin zu Hause. Vielleicht kam das daher, daß in diesen Augen kein Denken zu lesen war und daß man, wenn man hineinsah, dem etwas schwermütigen und geheimnisvollen Blick begegnete, der die Augen vieler Tiere kennzeichnet.
Seine Wirkung auf Strann war ein neues Grinsen. Strann entrunzelte die Stirn und steckte den Revolver weg. Der riesige Hund verkroch sich tiefer in den Schatten des Tisches und drängte sich dicht an seinen Herrn.
»Ich bin Jerry Strann. Vielleicht habt Ihr von mir gehört?«
»Ich heiße Barry«, sagte der andere. »Tut mir mächtig leid, aber ich habe noch nie von Euch gehört.«
Und seine Stimme brachte Jerry Strann zum drittenmal zum Grinsen. Sie war so gedämpft, so sanft, so samtig, wie die Stimme einer sehr jungen Frau, und obendrein schienen die großen, braunen Augen flehentlich um Entschuldigung dafür zu bitten, daß ihr Besitzer nicht wußte, wer vor ihm stand.
»Gehört Euch der Gaul dort draußen?«
Ein bejahendes Nicken.
»Was kostet er?«
»Nichts.«
»Hört mal, Mann,« erklärte Strann, »jedes Ding hat seinen Preis und ich muß den Gaul haben. Versteht Ihr mich?! Muß, Mann! Ich handle gar nicht erst. Ich will gar nicht versuchen, den Preis zu drücken. Just nennt 'ne Ziffer und ich leg' das Geld auf den Tisch. Denke, das ist ein anständiges Angebot.«
»Der Gaul, Mann, ist kein sehr frommes Tier,« sagte Barry, »kann sein, Ihr findet keinen Geschmack dran.«
»Mann, laßt Euch darüber keine grauen Haare wachsen, ob der Gaul fromm ist oder nicht«, gluckste Strann. Plötzlich hielt er inne und starrte sein Gegenüber mit durchbohrenden Augen an. Der Verdacht war in ihm aufgestiegen, daß man sich heimlich über ihn lustig machte, aber bei näherem Zusehen konnte es nicht möglich sein. Die großen Augen waren noch immer ernst und gleichsam entschuldigend auf ihn gerichtet. So fuhr er also fort: »Mann, habe längst heraus, daß er den Teufel im Leibe hat. Just das hat mich zum Stehen gebracht, als hätte mir einer 'ne Kugel vor den Kopf geschossen. 's ist just das, was mir an 'nem Gaul gefallen kann. Denke, ich sitze am liebsten auf 'nem Gaul, der einem was zu schaffen macht. Well, nennt Euren Preis, Mann! Heh, O'Brien, her mit dem Whisky! Wir müssen den Kauf begießen!«
O'Brien kam eifrig mit vollen Gläsern angesegelt und Strann fragte sein Gegenüber höflich: »Hier herum daheim?«
»Nein«, antwortete der andere sanft.
»Nein? Wo kommt Ihr her?«
»Von da drüben«, sagte Barry und glitt mit einer graziösen Handbewegung über die halbe Windrose.
»H–m–m–m«, knurrte Strann und richtete erneut einen scharfen Blick auf seinen Tischgenossen. Er griff nach einem der vollen Gläser, die vor ihnen standen: »Hier! Auf den schwarzen Teufel draußen!« Und er leerte das Glas in einem Zug. Als er es aber leer auf den Tisch zurückstellte, stellte er mit atemloser Verblüffung fest, daß das zweite Glas mit dem ungemischten Whisky noch unberührt dastand. Der Fremde hatte nur das danebenstehende Sodawasser getrunken.
»Daß dich der ...«, sagte Strann mit dröhnender Stimme und seine Faust fiel krachend auf die Tischplatte. Aber er hatte sich sofort wieder in der Gewalt: »Nun, was kostet der Gaul?«
»Habe keine Ahnung, was man für Pferde zahlt«, erwiderte Barry.
»Also um den Anfang zu machen – ich biete fünfhundert Dollar. Hartes Gold, bar auf den Tisch für Euren – wie heißt das Vieh eigentlich?«
»Satan.«
»Heh?«
»Satan!«
»H–m–m«, knurrte Strann. »Fünfhundert für den Satan. Was denkt Ihr darüber?«
»Wenn Ihr ihn reiten könnt ...«, begann der andere.
»Verdamm mich!« grinste Strann und machte eine großzügige Handbewegung, »nur keine Angst, ich werd' ihn schon reiten.«
»... dann laß ich ihn Euch umsonst«, brachte Barry gelassen seinen Satz zu Ende.
»Ihr – was?« sagte Strann, dann schob er sich langsam vom Stuhl hoch und brüllte hinaus. (Sofort flogen die Flügel der Doppeltür auf und in der Öffnung erschien ein Sammelsurium neugieriger Gesichter): »Jungens, der Mister hier gibt mir seinen Rappen umsonst – hahaha! –, wenn ich ihn reiten kann!« Er wendete sich wieder zu Barry um. »Die alle haben's jetzt gehört!« schloß er. »Und das Geschäft ist abgemacht. Just so! Wenn aber Euer Gaul es fertig bringt, mich in den Dreck zu schmeißen, ist die Partie verspielt. Was?«
»Jawohl, jawohl!« nickte der mit den braunen Augen.
»Was steckt dahinter?« fragte einer von Jerrys Gefolgsleuten, als Strann auf die Straße heraustrat.
»Keine Ahnung«, sagte Jerry, »'n bißchen simpel schaut mir der Junge aus. Ich kann nichts dafür, wenn er sich hereingelegt hat. Mal 'ran, du!«
Und damit packte er die Zügel des schwarzen Wallachs. Geschwindigkeit, blitzartige Geschwindigkeit war das einzige, dem er es zu danken hatte, daß er davonkam, denn in dem Augenblick, wo seine Finger das Leder berührten, warf Satan den Kopf herum und biß zu wie ein gereizter Hund. Strann hörte im Zurückspringen, wie dicht neben seiner Schulter die Zähne zusammenschnappten. Er lachte wie ein Wilder.
»Das werd' ich ihm abgewöhnen,« verkündete er, »und verflucht schnell sogar.«
Jetzt hörte man Barrys sanfte Stimme: »Ich werde Ihnen beim Aufsteigen helfen, Mister Strann«, und damit schob er sich langsam durch den Haufen der Zuschauer, bis er am Kopf des Pferdes stand.
»Paßt auf!« warnte ihn Strann mit einer Besorgnis, die ungeheuchelt war, »der beißt Euch den Kopf ab.«
Aber Barry kümmerte sich nicht darum. Gleichmütig dem bösartigen Gebiß den Rücken zukehrend, zog er dem Gaul die Zügel über den Kopf. Der Wallach stellte ein Ohr auf und dann das andere, und dann drängte er seine Schnauze liebkosend gegen Barrys Schulter.
Die Versammlung quittierte darüber mit einer reichen Spende erstaunter Flüche.
»Ich werde ihm den Kopf festhalten, bis Ihr im Sattel seid«, schlug Barry vor, seine sanften Augen auf Jerry Strann gerichtet.
»Well«, knurrte der. »Soll ich doch verdammt sein!«
Dann fügte er gelassener hinzu: »Gemacht! Haltet Ihr ihm den Kopf, dafür verpflichte ich mich, daß ich das Biest reiten werde, ohne die Zügel anzufassen. Soll's gelten?«
Barry stimmte mit einem traumverlorenen Nicken zu. Seine schlanken Finger liebkosten die samtene Schnauze des Wallachs, und er redete dem Tier mit halblauter Stimme zu – Worte ohne Sinn vielleicht, wie sie Mütter gebrauchen, um ihre weinenden Kinder zur Ruhe zu bringen. Als Jerry Strann den Fuß in den Steigbügel setzte und die Zügel mit den Händen faßte, schien das schwarze Pferd in sich zusammenzukriechen. Ein Schauer lief über das Fell. Es war ein unerfreulicher Anblick, wie bei einem Hund, der sich vor der aufgehobenen Peitsche duckt. Es war sogar noch schlimmer, es wirkte wie der Abscheu eines Mannes, der aus Versehen ein unreines Tier angefaßt hat. Keiner der Umstehenden wagte einen Laut. Jedes Grinsen war von den Gesichtern wie weggewischt. Jerry Strann schwang sich mit einer mühelosen Bewegung in den Sattel.
Und da saß er und probierte die Steigbügel. Es erwies sich, daß sie ihm um ein paar Zoll zu kurz waren, aber er weigerte sich, sie längerschnallen zu lassen. Er faßte die Reitpeitsche fester und drückte sich den Hut in die Stirn.
»Laßt ihn los!« schrie er. »Heiii!«
Der schrille Ruf gellte die Straße entlang, und das Echo gab ihn bellend von Wand zu Wand zurück. Eine Sekunde verging. Das Pferd rührte sich nicht vom Fleck. Es stand mit wildem Zittern, die flammenden Augen auf seinen Herrn gerichtet. Barry hob die Hand.
Und dann geschah es! Wie wenn eine bis zum äußersten gebogene Feder in ihre alte Lage zurückspringt, schwirrte der Rappe herum wie ein Kreisel, und Strann rutschte wie ein Sack auf die linke Seite hinüber. Bevor er sich wieder zurechtsetzen konnte, war der Wallach davongeschossen wie ein Pfeil. Die Fahrt ging nicht weit – kaum so weit wie die Breite der Straße betrug, dann stieg er in einem jähen Sprung hoch in die Luft, als habe er ein gewaltiges Hindernis zu nehmen, und landete steifbeinig mit einem Ruck, der einen schon beim Zusehen seekrank machen konnte. Schließlich wirbelte er wieder wie ein wahnsinniger Kreisel herum und schoß den Weg zurück, den er gekommen war. Und Jerry Strann zog aus Leibeskräften an den Zügeln – trotz allem, was er versprochen hatte –, aber die kurzen Steigbügel behinderten ihn, und bei aller Aufmerksamkeit hatte das plötzliche Losschnellen des Pferdes ihn überrumpelt. Als der Wallach auf steifen Beinen landete, wurde Jerry nach vorne geschleudert, und sein linker Fuß verlor den Halt im Steigbügel. Dann kam das wirbelnde Drehen, und Jerry flog aus dem Sattel. Es war ein sauber durchgeführter Trick. Er überschlug sich in der Luft und plumpste in den Staub, wo er am dicksten war. Der Wallach lief zu seinem Herrn zurück, schnellte mit der ihm eigenen Katzenhaftigkeit herum und beobachtete mit aufgerichteten Ohren, wie Strann sich langsam aus dem Staub zusammenklaubte.
Kein lautes Auflachen, kein einziger Hurraruf begrüßte das Ereignis. Nicht ein Gesicht von denen, die dem zurückkehrenden Strann entgegenstarrten, verzog sich auch nur zum leisesten Lächeln. Der dicke O'Brien hatte von der Tür seiner Kneipe aus alles mit angesehen, jetzt legte er einem Mann, der neben ihm stand, die Hand auf die Schulter und flüsterte ihm ins Ohr: »Es wird Krach geben, Billy! Einen immensen Radau gibt's! Mach' dich auf die Socken und hole Fatty Matthews – sie haben ihn neulich zum Konstabler gemacht – und bring' ihn her so rasch wie möglich! Mach' trab!«
Der Mann ließ sich noch die Zeit, einen letzten Blick auf Jerry zu werfen, und eilte dann schleunigst die Straße hinunter.
Es gilt als besonders fein, auch dort oben, wenn ein Mann das Spiel verliert und doch dazu lächeln kann, aber das Lächeln, mit dem Jerry Strann langsam zu ihnen zurückkam, tat seinem Anhang förmlich weh.
»Jeder fliegt gelegentlich mal in den Dreck!« philosophierte er, »aber einmal ist keinmal. Mit dem Gaul habe ich noch nicht das letzte Wort gesprochen!«
Barry wandte sich ihm zu. Wenn auf seinem Gesicht auch nur ein Anflug von Spott zu finden gewesen wäre, so wären wohl auf der Stelle die Revolver in Aktion getreten. Aber es war wie vorher. Die großen braunen Augen schienen eher um Entschuldigung zu bitten.
»Von zweimal versuchen war eigentlich nicht die Rede«, bemerkte er.
»Dann werden wir jetzt darüber reden«, sagte Strann.
Einer war unter den Zuschauern, der schon zu alt war, um für gefährlich zu gelten, und deshalb war er der einzige, der es sich herausnehmen konnte, mit Strann ein offenes Wort zu reden. Das war der dicke O'Brien.
»Jerry,« sagte er, »Mann, du hast selbst gesagt, was das Spiel sein soll, und du hast verloren. Kalkuliere, du willst dir nicht nachsagen lassen, daß du nicht ehrlich verlieren kannst. Keiner spielt zweimal um denselben Einsatz.«
Jerry Stranns sonst lichtbraune Augen waren grau vor Wut, als sein Blick von O'Brien zu den Umstehenden und von ihnen zu Satan und von Satan zu dessen sanftmütigem Herrn hinüberschweiften. Nirgends verriet ihm ein trotziger Blick oder ein verächtliches Zucken um die Mundwinkel eine willkommene Gelegenheit, seiner Galle Luft zu machen. Er stand eine Weile in unschlüssiger Wut, dann war sein besseres Selbst Sieger in dem wilden inneren Kampf geblieben.
»Kommt alle mit 'rein!« schrie er. »Wir werden einen saufen und den ganzen Kram vergessen.«