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Siebentes Kapitel.
Jerry Strann

Gottes Zorn scheint leichter zu tragen, wenn sich seine Auswirkung auf einen eng umgrenzten Bezirk erstreckt, deshalb dankte die Welt im allgemeinen Tag um Tag inbrünstig dafür, daß Jerry Stranns Wirkungsbereich auf das Gebiet der Drei B.s beschränkt war. Die Drei B.s sind, wie jedermann in den Bergen oben weiß, die drei Flecken Bender, Buckskin und Brownsville. Sie bilden die Ecken eines unregelmäßigen Dreiecks, dessen riesige Flächen von wilden Schluchten durchzogen und von mächtigen Bergen unterbrochen sind, und dieses Dreieck war der bevorzugte Tummelplatz von Jerry Strann. Jerry war nicht im Umkreis der Drei B.s geboren und die Anwohner zerbrachen sich vergeblich den Kopf, warum seine Wahl auf ihre Gegend gefallen war. Sie lebten in dem Gefühl, daß sie sich die besondere Ungnade der Allmacht zugezogen hatten und daß Jerry Strann ihnen als Buße auferlegt war.

Jerry war knapp vierundzwanzig Jahre, aber sein Ruf war schon sprichwörtlich. Seine Besuche in den drei Städtchen waren Ereignisse, die man benutzte, um im Gespräch kleinere Vorfälle zeitlich zu bestimmen, und wenn ein Gewitter über den Bergen hing, pflegte es zu heißen: »Es sieht aus, als wäre Jerry Strann im Anzug.« Mütter, die widerspenstige Kinder zu zähmen hatten, drohten ihnen mit Jerry Strann. Und doch sah er nicht aus wie ein Menschenfresser mit einem blutigen Messer zwischen den Zähnen. Er war hochgewachsen, anmutig in seinen Bewegungen, wie eine junge Pappel im Sturm, und dabei zäh und stählern, wie das Wurzelwerk der Dornbüsche in der Steppe. Er gehörte zu den seltenen Erscheinungen männlichen Geschlechts, die unwidersprochen schön sind, ohne unmännlich zu wirken. Sein Gesicht konnte von Praxiteles für eine Apollostatue geschaffen worden sein. Sein braunes Haar war dicht und dunkel, jeder Windhauch brachte es zum Tanzen, und in seinen hellbraunen Augen lebte ein munteres Licht, das nie erlosch: die unbezähmbare Lust am Leben.

Man muß beachten, daß Jerry Strann nicht bösartig war, aber er hatte Lust am Streit, wie Apoll in seiner Jugend Lust am Streit gehabt hat oder besser vielleicht, wie ein junger, rassereiner Bulldogg. Er kämpfte mit Geschmack und Anstand und großer Hingabe an die Sache und überließ es mit größter Bereitwilligkeit dem Gegner, zu entscheiden, ob man mit Fäusten, mit Messern oder mit Revolvern übereinander herfallen wollte. In einer anderen Zeit, gewappnet, mit goldener Kette und den Rittersporen, wäre Jerry Strann – aber wozu das? Das zwanzigste Jahrhundert ist nicht das vierzehnte. Jerry Strann war ganz einfach um sechshundert Jahre zu spät auf die Welt gekommen. Es gab kein Pferd, das er nicht reiten konnte. Er konnte Messer werfen wie ein Mexikaner, mit beiden Händen, und schoß mit zwei Revolvern, ohne zu zielen, in einer Weise, daß es den Schießsachverständigen krank und weh zumute wurde.

Bei alledem sind die Leute von den Drei B.s, wie allgemein bekannt, weder sehr sanftmütig, noch sehr duldsam. Man muß sich wundern, daß dieses junge Raubtier sich so lange unbehelligt seines Daseins erfreuen durfte. Aber es gab einen sehr triftigen Grund. Oben in den Bergen lebte als einsamer Fallensteller Mac Strann, ein Mann, dem alles und jedes in der weiten Welt verhaßt war und der nur ein Wesen liebte, seinen jungen Bruder, den schönen, wilden, sonnigen Jerry Strann. Er liebte ihn mit derselben Kraft, mit der er alles andere verabscheute. Es ist unmöglich, die Sache mit mehr Nachdruck auszusprechen. Die Leute von den Drei B.s mußten es rasch und gründlich erfahren, wie sehr Mac Strann an seinem Bruder hing. Jerry feierte einst den Abend vor Allerheiligen auf seine besondere Art. Es trug sich in Buckskin zu und drei Leute, Williamson, McKenna und Rath, machten sich auf, um dem Land endlich Frieden von dem jungen Scheusal zu verschaffen. Sie machten Jagd auf ihn, wie man auf einen jungen Mustang Jagd macht. Und sie erwischten ihn auch. Und da sie drei kräftige und entschlossene Männer waren, brachten sie ihn auf die Knie, so gründlich, daß er danach einen Monat lang im Bett liegen mußte. Aber noch ehe der Monat herum war, kam Mac Strann von den Bergen herunter nach Buckskin und holte sich Williamson und McKenna und Rath zusammen. Es spielte sich in aller Öffentlichkeit ab. Und als der Morgen kam, hatten Williamson, McKenna und Rath von diesem Tal der Tränen Abschied genommen und Mac Strann war in seine Berge zurückgekehrt. Er wurde nicht einmal vorübergehend verhaftet. Denn er steckte voller teuflischer Tricks, und es gelang ihm ausnahmslos zu erreichen, daß die Opfer, die er sich ausgesucht hatte, ihn zuerst angriffen. Dann löschte er sie blitzschnell und ohne zu fehlen aus und zog sich wieder in seine Löwenhöhle zurück. Solche Auftritte hatten sich zwei- oder dreimal abgespielt, und dann hatten die Leute von den Drei B.s begriffen, daß es nicht gut war, Anschläge auf Jerry Strann auszuhecken. Sie fanden sich mit ihm ab, wie man sich mit einer Gottesgeißel abfindet.

Es war keine Rede davon, daß Jerry Strann ein Einsiedlerdasein gelebt hätte wie sein Bruder. Wenn er auszog, um sich einen vergnügten Tag zu machen, strömten die jungen Leute aus den Ortschaften in hellen Scharen herzu. Denn Jerry pflegte für alle zu zahlen und der Whisky floß, wo er hinkam, wie Wein unter dem Efeustab des jungen Bacchus. Wo Jerry erschien, gab's keine Langeweile, und junge Männer lieben es, wenn es lebhaft her geht. So geschah es auch, daß er diesmal an der Spitze eines ganzen Geschwaders in Brownsville Einzug hielt. Das Gerücht lief ihnen voraus. Türen wurden verriegelt und Fenster zugehängt und Männer saßen dahinter im Dunkeln, die Flinte schußbereit über die Knie gelegt, denn Brownsville bildet die äußerste nördliche Ecke des Dreiecks, und Jerry beehrte es deshalb selten. Man weiß, daß Menschen die Schrecken mehr fürchten, die seltener wiederkehren, als solche, mit denen sie durch die Gewohnheit vertraut geworden sind.

Wie schon gesagt, ritt Jerry an der Spitze des lärmenden Zugs. Einmal wäre es höchst unklug gewesen, sich ihm vorzudrängen, und außerdem gab es im ganzen Umkreis der Drei B.s kein Pferd, das es mit seinem Braunen aufnehmen konnte. Es war eine Stute, die der Teufel selbst mit dem Nordwind gezeugt hatte, und es hauste derselbe Geist in dem Gaul, der in Jerry Strann zu Hause war; vielleicht weil sie beide demselben Herrn dienten. Die Hufe dröhnten und eine dicke Staubwolke umhüllte den Zug. Aber mitten in der Straße warf Jerry plötzlich mit einem lauten Ausruf den Arm in die Höhe und parierte sein Pferd mit solcher Heftigkeit, daß es beinahe gestrauchelt wäre. Die Staubwolke trieb träge und schwer über ihre Köpfe nach vorne. Die jungen Leute sammelten sich rasch um ihren Anführer und warteten schweigend, was er zu sagen hatte. Das Schweigen wurde nur durch das Schnaufen der Pferde unterbrochen und der scharfe Geruch der schwitzenden Tiere war in jedermanns Nase.

»Wem gehört der Gaul?« fragte Jerry Strann mit ausgestrecktem Finger.

Er hatte vor O'Briens Etablissement haltgemacht, das Hotel, Kneipe, Laden und Schmiede in einem war. An der Barre vor dem Eingang war ein schwarzer Wallach angehalftert. Es war ein Geschöpf, das auf einem Sattelplatz Sensation unter dem Rennplatzpublikum erregt hätte. Vielleicht hätte man diese oder jene Einzelheit auszusetzen gefunden. Zum Beispiel hätten hier oben in den Bergen viele kopfschüttelnd festgestellt, daß das Tier zu leicht gebaut und zu zartgliedrig war, um lange durchzuhalten, aber wie es Menschen gibt, deren Stirn und deren Augen den Stempel der Größe tragen, so war es auch mit dem schwarzen Wallach. Als der Reitertroß donnernd hinter ihm die Straße herabgefegt kam, hatte er sich mit katzenhafter Anmut herumgedreht und den Kopf gehoben, um zu sehen, was vorging. Sein Kopf und seine Augen waren es, die Jerry Strann auf der Stelle festgenagelt hatten wie die Mündung eines angelegten Gewehrs.

Nach einer kurzen Pause, in der keiner sich gefunden hatte, der anzugeben vermochte, wem das Pferd gehörte, erklärte Strann gelassen: »Der Gaul gehört mir!«

Eine Welle der Erregung flog über die Umstehenden. In der Bergwüste da droben braucht man es mit des Nächsten Frau nicht allzu genau zu nehmen, kann hier und da eine Kuh oder zwei mitgehen heißen und zu guter Letzt die Rechnung mit einem soliden Stück Blei aus einem 4,5 kalibrigen begleichen. Aber bei Pferden ist die Sache ganz anders. Ein Pferd ist in den Bergen etwas, was jenseits aller Gesetze steht und über allen Gesetzen. Es ist ein Ding, das wichtiger ist als die Ehre und teurer als die Liebe, und wenn einem Mann sein Pferd geraubt wird, dann kommen die Männer der Berge zusammen und machen Jagd auf den Dieb, gleichgültig, ob es einen Tag in Anspruch nimmt oder einen Monat, und wenn sie ihn erwischt haben, knallen sie ihn nieder, wie einen herrenlosen Hund und lassen sein Fleisch den Geiern und seine Knochen den erbarmungslosen Sternen. All dies hat seine triftigen Gründe. Aber nichtsdestoweniger schwang sich Jerry Strann aus dem Sattel, warf seinem Braunen die Zügel über den Kopf und ging mit hungrigen Augen auf das schwarze Pferd zu. Er nahm sich dabei nicht in acht und wagte sich zu nahe heran. Der Wallach wirbelte mit seiner blitzgleichen katzenhaften Geschwindigkeit um sich selbst und zwei schwarze Hufe schmetterten ein Haarbreit an des Mannes Schulter vorbei. Die Menge antwortete mit einem lauten Schrei. Jerry Strann machte einen Schritt nach rückwärts und lächelte, daß man seine Zähne sah.

»Jungens,« sagte er –, aber er sprach mehr mit sich selbst als mit den anderen –, »es gibt nichts auf der ganzen Welt, wonach's mich mehr juckt als nach diesem Gaul. Reinweg nichts. Ich werde ihn kaufen. Wo ist der Mann, dem er gehört?«

»Das ist kein Gaul, den einer verkauft, wenn er ihn hat, Jerry«, meinte eine Stimme aus dem Troß. Sie waren alle abgestiegen und drängten sich jetzt um ihren Anführer. Jerry beehrte den, der gesprochen hatte, mit seinem rätselhaften Lächeln. »Oh,« schmunzelte er, »nur keine Angst, er wird schon verkaufen! Vielleicht sitzt er drin. Ihr bleibt hier draußen und wartet auf mich. Ich will mal hineinsehen.«

Und er stieß die Tür auf und betrat die Kneipe.

Es war eine tote Zeit fürs Geschäft, deshalb saß O'Brien zufrieden in seinen Stuhl zurückgelehnt, hatte die Füße auf den Schanktisch gelegt und nippte in kleinen Zügen an einem mächtigen Glas Bier. Das Knacken des Türschlosses war ihm ein willkommener Laut. Er blickte auf, sah wer eintrat und stand im selben Augenblick auch schon auf den Füßen. Die gesunde Röte seines Gesichts erlosch und auf der bleichen Haut zeichneten sich plötzlich die Sommersprossen ab wie Tintenflecke.

»Da draußen steht ein schwarzer Gaul,« erklärte Jerry, »den ich kaufen werde. Wo ist der Besitzer?«

»Trink erst 'nen Schluck«, sagte der Schankwirt und zwang sich zu einem liebenswürdigen Lächeln.

»Ich hab' was Wichtigeres vor«, sagte Jerry Strann.

»Ist dein Brauner denn futsch?« fragte O'Brien und bemühte sich, über den mutmaßlichen Verlust bekümmert zu erscheinen.

»Oh, mit dem Braunen war alles in Ordnung, bis ich den schwarzen Gaul gesehen habe. Jetzt könnt' ich meinen, der Braune ist überhaupt kein Pferd. Wo ist der Mann?«

Der Schankwirt hatte alles getan, um Zeit zu gewinnen. Jetzt gab er es auf. Er deutete in eine Ecke: »Da drüben!«

Es war ein schlanker Bursche, der allein an einem Tisch in der Ecke des langen leeren Raumes saß. Er hatte den Sombrero aus der Stirn geschoben und war in eine Partie Patience vertieft. Jerry Strann warf einen flüchtigen Blick auf den Mann, der ihm den Rücken kehrte, rückte seinen Patronengurt zurecht und schickte sich mit einem ironischen Grinsen an, den Fremden anzureden. Der rührte sich nicht. Er teilte mit eintöniger Gleichförmigkeit seine Karten aus, und während er damit beschäftigt war, sagte er mit der sanftesten Stimme, die Jerry Strann jemals in seinem Leben zu Ohren gekommen war: »Fremder, ich glaube, es ist besser, Ihr bleibt, wo Ihr seid. Mein Hund hat etwas gegen Euch.«

Und Jerry Strann sah jetzt im Schatten des Tisches, an dem der Fremde saß, einen tieferen Schatten, eine schwarze, riesige und formlose Masse und zwei glühende Punkte, die ihn grün und giftig anstarrten. Er blieb stehen. Ja, er machte einen Schritt rückwärts. Da hörte er, wie hinter ihm der Kneipwirt ein Kichern erstickte. Ohne O'Briens unpassende Lustigkeit wäre in der Geschichte der Drei B.s wohl nicht all das zu verzeichnen, was nun folgte.


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