Ferdinande Freiin von Brackel
Die Tochter des Kunstreiters
Ferdinande Freiin von Brackel

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18

Meine schwarze Kunst, das ist mein Schmerz,
Mein Zauber ein gebrochnes Herz,
Und einer weiß, warum.

Das war ein stiller Reisegefährte, murmelte die alte Anne, die verschlafenen Augen reibend, als sie in dem Wagen neben ihrer jungen Herrin Platz genommen hatte. Die alte Anne war dem Direktor treu geblieben; sie war stets Noras Begleiterin und widmete ihr nach wie vor ihre besondere Pflege. »Nora, mein Püppchen, ich glaube, du frierst,« setzte sie daher auch jetzt sorgsam hinzu, die dicke Reisedecke ihr höher hinaufziehend; – »das kommt von all den Nachtfahrten, von all dem Jagen durch die Welt. Gott sei Dank, daß wir endlich an Ort und Stelle sind! So alte Knochen ertragen's bald nicht mehr ... und so junge auch nicht,« sprach sie für sich weiter, sich mühsam aus dem Wagen helfend, der jetzt an einem der ersten Gasthöfe hielt.

Der Herr, der die Damen am Bahnhof empfangen, war auch hier wieder zur Stelle. »Der Direktor ist schon gestern abend angelangt,« berichtete er. »Alles ist auf übermorgen geordnet, wenn Sie, Fräulein Nora, nicht zu ermüdet sind.« Nora schien kaum zu hören; sie nickte nur stumm und stieg die Treppe hinan, ohne weitere Notiz von ihm zu nehmen.

»Sehr ungnädig,« murmelte Landolfo. »Allzu verwöhnt! Bald, meine Schöne, werde ich es Ihnen wieder abgewöhnen müssen. Aber irre ich nicht sehr, so war das ja der Comte, der da aus dem Kupee schaute! Hoffentlich kein Rendezvous! Hilft ihr aber alles nichts ... den bekommt sie nun doch nicht mehr, die bella donna .... dafür haben wir gesorgt! Deshalb war die reizende Hoheit aber gewiß so ungnädig ... nun, wir rechnen noch ab mit der Zeit,« setzte er höhnisch lächelnd hinzu, in das Restaurationszimmer des Hotels eintretend, um dort mit einigen Likörs seinen Ärger hinunterzuspülen.

Die alte Anne hatte, wie einst vor Jahren bei der Mutter, das Zimmer ihrer jetzigen jungen Gebieterin sorglich hergerichtet, die weichen Kissen lockend ausgebreitet, die Fenster dicht verhangen, in das lose Nachtgewand sie gekleidet, daß sie ruhe nach der anstrengenden Fahrt. Nora hatte alles mit sich geschehen lassen und lag jetzt stumm ausgestreckt da. Die Alte betrachtete sie und schüttelte den dicken Kopf. »Das unruhige Leben bringt sie noch um wie ihre Mutter,« murrte sie beim Hinausgehen; »gerade wie die Mutter, wenn sie auch zehnmal so stark wäre! Arme, schöne Miß!«

Nora war allein. Nach der unausgesetzten Bewegung jetzt vollkommenste Ruhe. Aber sie empfand sie nicht. Immer schien es noch zu sausen, zu brausen, zu stoßen, zu rasseln und mit ihr fortzujagen. Immer sah sie ihn noch sich gegenüber, so stumm, so still, so regungslos und kalt.

Es war eine schlimme Nacht gewesen: Stunden, wo der Sturm alles vernichtet und das Menschenherz umwendet.

Drei Jahre waren vorübergegangen, seitdem Nora Karsten nach jenem ersten Auftreten ihr Lager aufgesucht und wie heute dagelegen hatte, zerknickt vom Übermaße körperlicher und geistiger Anstrengung, Ihr Ruf hatte sich seitdem über alle Städte des Kontinents verbreitet; die kühne Berechnung Landolfos war vollkommen gerechtfertigt worden. Ihre Schönheit, ihre Kunst hatten das Glück und den Erfolg fester denn je an des Direktors Unternehmen geknüpft. Noras Name allein füllte stets die Räume des Zirkus.

Bei ihr aber war nach jener furchtbaren Erregung allmählich ein Rückschlag eingetreten. So wenig wie die Seele sich auf der Höhe des Glückes zu erhalten vermag, kann sie auf der Höhe des Schmerzes bleiben. Mit einer unbezwinglichen Tatsache tritt eine gewisse innere Ruhe ein, und zwar um so mehr, wenn diese Tatsache uns ein unruhiges, geschäftiges Leben auferlegt, das stete körperliche Anstrengung fordert. Körperliche Anstrengung ist das einfachste Gegenmittel gegen einen geistigen Schmerz. Noras Beschäftigung an und für sich war ihr keine abstoßende; sie hatte die Vorliebe dafür von ihrem Vater geerbt und hatte, wie es bei jedem wirklichen Talente der Fall ist, Freude an der Ausübung und Ausbildung derselben. Das Publikum war ihr dabei allmählich Gewohnheit geworden; es berührte sie nicht weiter, als daß ihr wahrscheinlich etwas gefehlt haben würde, wenn einmal der Huldigungsschauer und der Beifall ausgeblieben wäre, der alle ihre Leistungen begleitete, und den sie als etwas Selbstverständliches hinnahm.

Ihr Vater hatte ihre Gefühle möglichst zu schonen gesucht. Er ließ sie, wie früher, ganz unbeteiligt an der übrigen Gesellschaft; sie trat nie anders als an seiner Seite auf, nahm nie an kombinierten oder theatralischen Produktionen teil und hielt sich streng an das einfache Schulreiten und an das gelegentliche Vorführen eines oder des anderen der berühmtesten Pferde.

Wohl hatte sie an jenem ersten Abende gedacht, sie würde es nimmer ertragen; wohl hatte sie damals geglaubt, sie müsse untergehen an diesem doppelten Leide der Erniedrigung und der verlorenen Liebe – aber es stirbt sich nicht so leicht. Es lag Stahl in ihrem Blute, Stahl in ihrem Geist, und unwillkürlich hob sich das Haupt wieder in die Höhe in dem Gefühle der Größe des Opfers, das sie gebracht, in dem Frieden der Selbstachtung, die jede uneigennützige Handlung mit sich bringt. Und sich auf der Höhe dieser Selbstachtung und seiner Achtung zu erhalten, das war das innere Ziel, das sie sich gestellt hatte.

Es war ihr ein Stich ins Herz gewesen, als ihr Brief uneröffnet an sie zurückgelangt; aber das war noch in einer Zeit gewesen, wo ihr Herz fast gefühllos war vom vielen Schmerze, den es durchgemacht. Sie konnte nicht einmal seine Handschrift erkennen, so entstellt war sie, so bedeckt überdies von Postzeichen und Poststempeln – vielleicht, und ihr Herz ließ ihr den Trost, war der Brief ihm gar nicht zu Händen gekommen! Sie hob ihn aber auf, wie er da war, in dem stillen Glauben, ihn einst vielleicht ihm zustellen zu können, damit er dann noch den Schmerz ersehe, der sie allein in seinen Augen rechtfertigen könne, und sie rechtfertigen sollte, auch ihr Leben. Ernst und still schloß sie sich in dem bunten Treiben ab, nicht an der kleinsten Jugendfreude teilnehmend. Wo sie hinkam, sah sie sich von den Huldigungen der jungen Männerwelt verfolgt; sie hatte Verehrer jeden Ranges und hundertmal versicherte ihre Stiefmutter ihr, wie sie ja nur ein wenig zuvorkommender zu sein brauche, um zehn Grafen zu ihren Füßen zu sehen, anstatt des einen treulosen.

Aber Nora schüttelte stumm den Kopf dazu; nie empfing sie einen der ihr Huldigenden, nie flog ein freundlicher oder ermutigender Blick der stolzen Reiterin in den Kreis ihrer Zuschauer. Unter der jungen Männerwelt ging die Sage, daß sie niemals die ihr zugeworfenen Kränze oder Buketts anrühre. Mit schelmischen Blicken und Gebärden sammelten meist die Clowns sie auf, oft ein lustiges Bombardement gegen das Publikum damit beginnend, oder zum Ärger der Opfernden und zum Jauchzen der Zuschauer sich selbst damit schmückend. Und was für ein Blütenregen, was für eine unsinnige Verschwendung war der spröden Schönen gegenüber schon getrieben worden! Einige Kühnere hatten endlich versucht, die Buketts ihr unmittelbar in die Wohnung zu senden, und es hatte die ganze Überredung ihrer Stiefmutter dazu gehört, daß sie dieselben nicht sofort zurücksandte. Nur der Gedanke, es würde ihrem Erfolg und damit ihrem Vater schaden, indem sie sich Feinde schaffe, hatte sie veranlaßt, das geschehen zu lassen. Aber die duftigen Sendungen verblühten meist, ohne daß sie auch nur einen Blick darauf geworfen, ohne daß sie jemals eines der darin verstecken Liebesgeständnisse gelesen.

Auch an den kleinen Soupers und Gesellschaften, welche die leichtsinnige Herrenwelt hier und da arrangierte, soi disant ihrem Vater zu Ehren, um die stolze Tochter einmal aus ihrer Zurückgezogenheit zu locken, nahm sie nie teil. Einige kurze Augenblicke in den Manege, hier und da einmal auf der Promenade oder im Theater, aber immer nur an der Seite ihres Vaters, das waren die einzigen Momente, die ihre heißesten Anbeter erhascht hatten. Doch erzählte man sich im Publikum, des Morgens in der Frühe könne man die schöne Reiterin sehen, wie sie im dunkelsten, schlichtesten Gewande sich in die Kirche begebe, zu der Zeit, wo die ganze beau monde noch im tiefsten Schlafe liege.

Die Macht ihrer Schönheit hatte zwar einige zu dem heroischen Schritt getrieben, auch dort ihr aufzupassen; aber sobald sie es bemerkt, war sie in der Kirche nicht mehr erschienen. Die frostige Morgenluft kühlte die hitzigsten Köpfe ab und verleidete es jedem, weitere Nachforschungen anzustellen.

So hatte Nora bisher gelebt. Aber diese Nacht hatte grausam den Schleier ihr vom Auge gerissen, den letzten Hoffnungsfunken verlöscht. – Diese Begegnung hatte ihr erklärt, welch kalte Verachtung den Brief zurückgesandt.

Verachtet! verachtet! ausgestoßen aus dem Herzen, das ihr ein und alles gewesen. Also keinen mildernden Umstand hatte er aufgefunden? Nicht ein Strahl von Mitleid und Teilnahme war ihr geworden, der in der Erinnerung das Herz ihr hätte erwärmen können, ihr leuchten in der Nacht der Verzweiflung?

Verzweiflung war es – die Hände griffen in das dunkle, schwarze Haar, und das Gesicht vergrub sich leidenschaftlich in die Kissen, als könne es vor Schmach und Schmerz den letzten Schimmer des Lichtes nicht mehr ertragen.

In dem Übermaße des Wehes erwachte ein Gefühl der Rechtfertigung in ihr – das getretene Herz erhob sich gegen die Ungerechtigkeit, die es erduldet. Was war er denn, der kein Wort ihr mehr gegönnt, keines Blickes mehr sie würdigen wollte? Hatte er denn nicht auch das Gelübde gebrochen, mit dem er gelobt hatte, sie zu retten aus ihrer gefährlichen Lage, ihr Schutz und Hilfe zu sein?

Beim ersten Wellenschlage hatte er sie sich selbst überlassen? Ja, sie hatte es ihm leicht gemacht, dachte sie in der Bitterkeit ihres Herzens; sie hatte das Wort ihm zurückgegeben, hatte ihn jeder Verpflichtung überhoben. Und er hatte nicht einen Finger gerührt, sie zu retten – er hatte die Freiheit genommen, um sie sinken zu lassen.

Was trauerte sie ihm nach? Ihm war es wohl ein willkommenes Ereignis gewesen, frei zu werden. Und sie hatte selbst dem Schatten dieser Liebe noch jeden Gedanken geopfert!

Nun, wenn sie denn doch vergessen, verachtet war, was zog sie so strenge Schranken um sich, was versagte sie jeder heiteren Lebensfreude den Einlaß?

Das ungestüme Blut in ihr wallte hoch auf; das verlassene Herz schrie nach Betäubung, nach etwas, das seine Leere ausfüllen könne.

Hatte sie nicht stets diese leichte Schmetterlingsnaturen um sich gesehen, die so fröhlich durchs Leben flatterten, so leicht und ungebunden – ja, die gehörten zu ihrem Stande! Wohl sanken sie oft in den Staub; aber sie hatten sich doch auf Blüten gewiegt, waren froh und glücklich gewesen. Und sie – auch sie wurde in den Staub getreten, aber ohne gleich ihnen wenigstens den Schaum des Lebens genossen zu haben.

Warum wollte sie besser sein als jene, wo das Schicksal sie in die gleiche Sphäre gestoßen? Was wollte sie sich müde kämpfen zu einer steilen Höhe hinan, die sie kaum erreichen und auf der die Welt sie nie dulden würde? Verloren, verloren war sie doch jetzt für jedes wahre Lebensglück – aber leben wollte sie ohne diesen brennenden Durst danach.

Das sind schlimme Stunden, in denen die aufgeregten Gefühle ganz die Oberhand gewinnen. Auch die reinste Seele, wenn sie so wild durchwühlt wird, trübt sich durch den Schlamm, der auf dem Grunde jeder irdischen Natur liegt.

Lange lag Nora so, bis die Erregung in sich selbst verlief. Aber wenn die Flut verläuft, bemerkt man erst, wie sie alles anders gestaltet hat!

Als Nora sich erhob, hatte ihr Anlitz einen anderen Ausdruck. Das Auge glühte dunkler, trotzig warfen sich die Lippen auf und an die Stelle von Zurückhaltung und Ruhe war unheimliches Leben in die Züge gekommen. Sie war noch daran, ihre Haare aufzuwinden, als an die Tür gepocht wurde und man ihr einen köstlichen Strauß hineinreichte.

Die erste Bewegung, wie in alter Gewohnheit, war, ihn zurückzuweisen; aber gleich darauf nahm sie ihn an. Die kostbarsten, seltensten Blüten waren darin vereinigt, ein feiner Duft stieg daraus empor. Sie nahm ihn, preßte das Antlitz in die Blüten; sie sog den Hauch ein, als wollte sie sich damit betäuben. Sie wußte recht gut, aus welcher Hand der kostbare Strauß kam. Ein Verehrer prinzlichen Ranges verfolgte sie seit Monaten mit ähnlichen Gaben. Heute tat ihr dies zum erstenmal wohl, hatte sie zum erstenmal eine fast wilde Freude daran.

»Ich kann sie alle zu meinen Füßen zwingen, wenn ich will,« dachte sie und warf stolz den Kopf zurück. »Ich kann sie alle fesseln, sie alle lenken mit einem Blick meines Auges, mit einem Winke meiner Hand, wenn ich es versuche. Ich kann sie unglücklich machen, diese stolzen Menschen, wie ich unglücklich geworden bin. Aber ihm will ich zeigen, daß ich nur die Hand auszustrecken brauche, um das zu erreichen, was er mir entzieht.«

Als Nora einige Stunden später zu ihrem Vater kam, um wegen der Anordnungen für die folgenden Tage mit ihm zu überlegen, fand er sie so zugänglich für all seine- Vorschläge wie nie zuvor.

In der Stadt und in Kreisen, weit über diese hinausgehend, sprach man bald von nichts anderem als der schönen Nora Karsten, die man noch niemals so bezaubernd gesehen, wie in dieser Saison. Was man ihr früher an kalter Ruhe, an einer fast steifen Zurückhaltung vorgeworfen, schien ganz abgestreift. Die meisten schrieben einer Gasttour, die sie durch Frankreich und England gemacht, und von der sie eben zurückgekommen, diesen Fortschritt zu.

Nora trat jetzt auch in gemischten Vorführungen auf; eine genial entworfene romantische Szene war bald ihre Hauptrolle und der Glanzpunkt der Vorstellungen. Angelehnt an die Sage von Libussa, Böhmens schöner, männerfeindlicher Königin, war es ein Kampf der Amazonenschar mit den ihnen widerstehenden Männern, eine Darstellung, die zur Entwicklung von Mimik wie von Reitkunst viel Gelegenheit bot und ein massenhaftes, glänzendes Personal zur Schau brachte. Der Sieg der Amazonen, die wilde Jagd der Flüchtigen, endlich Libussa allein dem letzten Manne, dem tapferen Sharka, gegenüber, ihr Kampf mit ihrem Stolz und ihrer Liebe, zum Schlusse der Triumphzug und das Weh der Amazonen, als Libussa den tödlichen Pfeil auf ihn gesandt, dann aber selbst sterbend zusammenbricht – das war an und für sich ein so bewegtes, fesselndes Bild, wie es die Reitkunst noch nicht geboten. Von nah und fern strömte man hin, da die schöne Nora Karsten als Libussa bewunderungswürdig sein sollte.

Einige Wochen später hatte der Zirkus seine Reise weiter fortgesetzt, und war, wie alljährlich, in der österreichischen Hauptstadt. Auch dort ward diese Vorstellung mit Spannung erwartet. Daß einige heißblütige Verehrer von hohem Range, der schönen Libussa wegen der Truppe folgten, war eine Kunde, die vor ihr herlief und der ganzen Sache höheren Reiz verlieh. Nach wie vor behauptete man jedoch, daß sie ihre männerfeindliche Rolle im Leben fortsetze.

An dem Abende der ersten Vorstellung war alles, was die Hauptstadt an Rang und Namen bot, im Zirkus Karsten versammelt. Mit der glänzendsten Ausstattung ließ der Direktor die Aufführung in Szene gehen.

Schön, hinreißend schön war diese Libussa, wie sie jetzt hereinritt, von der leichten Schar ihrer Reiterinnen umwogt. Sie ritt einen schwarzen Hengst edelster Rasse, dem Feuer aus allen Gliedern zu sprühen schien. Ein goldener Panzer umschloß die schlanke, kräftig gebaute Gestalt, ein Gewand aus Silberstoff floß in schweren reichen Falten nieder. Den Kopf deckte ein silberner Helm, der die Züge frei ließ und aus dem die üppige Lockenfülle in ihrer Rabenschwärze weit über den Nacken niederfiel. Wie hingehaucht saß sie auf dem feurigen Roß, und doch eisenfest, eine wahre Verkörperung jener trotzigen Heldenjungfrauen.

Es war ein herrliches Schauspiel, dieser Reiterkampf in seinen kunstreichen, vielgestaltigen Wendungen, die vielen edeln Tiere, die kräftigen, kühnen Menschen; aber aller Augen ruhten doch nur auf Libussa, die, wie von einem Zauber geführt, allüberall aus dem dichten Knäuel hervorragte, ihre Kunstfertigkeit und Beherrschung des Tieres auf das glänzendste bewährend.

Beifallsjubel auf Beifallsjubel war schon den einzelnen Momenten gefolgt. Noch dramatischer gestaltete sich die Aufführung bei der Verfolgung der Flüchtigen, wo die Schar der Amazonen wie die wilde Jagd daherbrauste, wieder Libussa an der Spitze, die Lanze hoch geschwungen, die Haare flatternd, die Augen funkelnd. »Walküre, Schildjungfrau,« zog es flüsternd durch die Reihen.

Jetzt war der Augenblick gekommen, wo der letzte Krieger sich mutig ihr gegenüberstellte, von den triumphierenden Amazonen umgeben. Libussa soll den Pfeil schnellen und hält ein, das mit ihr hoch sich bäumende Roß gehört noch in die Szene, vielleicht auch noch der leuchtende Siegesblick, mit dem sie die Zuschauer zu grüßen scheint, und der eine Stelle des weiten Raumes aufsucht, wo eine dichte Gruppe von Herren Platz genommen hat. Sie brechen in den feurigsten Beifall aus.

Aber Libussas Auge bleibt dort gefesselt, als könne sie es nicht wegwenden. Der unglückliche Sharka stellt sich ihr umsonst in der kühnsten Stellung gegenüber, den Todesstoß zu erwarten – sie scheint ihn zu übersehen. Eine solche Todesblässe bedeckt plötzlich ihr Gesicht, ein solches Zittern erfaßte sie, daß eine der Amazonen, ihre Stiefmutter, die es bemerkt, mit großer Geistesgegenwart ihr Pferd herandrängt, ihr einige Worte zuflüsternd, um sie wieder zur Besinnung zu bringen.

Wie aus einem Traum erwachte Nora – sie faßte sich und führte die Szene zu Ende. Das Publikum hat die kleine Störung nur als meisterhafte Darstellung des inneren Kampfes genommen, und ihr Zusammenbrechen, indem sie vom Roß in die Arme der klagenden Jungfrauen gleitet, in der mystischen Beleuchtung blutigroter Flammen glänzend, krönt das Ganze.

Aber gut ist es, daß Nora, dem Gange des Spieles entsprechend, hinausgetragen wird – sie hätte sich nicht mehr aufrecht erhalten können. Sie sieht nicht die Kränze, die man ihr spendet, sie hört nicht den tausendfachen Jubel, der ihr nachjauchzt – ein heftiger Weinkrampf erschüttert sie, sobald sie sich außerhalb der Arena weiß.

Auf der Stelle aber, wo sie hingeblickt, hatte inmitten einer Reihe glänzender Uniformen ein Mann im langen, schwarzen geistlichen Gewande gestanden, der aufmerksam mit ernstem Blick der Vorstellung folgte, aber auf all die Ausrufe der Bewunderung rings um ihn her nicht zu achten schien.

»Das ist recht, Herr Kaplan, daß Sie unsere weltlichen Vergnügungen nicht ganz verschmähen,« sagte eben ein langer, hagerer Offizier, den spitzigen Schnurrbart streichend. »Hat dieses achte Weltwunder der Reitkunst Sie hergeführt, oder was bringt Sie einmal wieder in unsere Hauptstadt? Die Gräfin hat uns die letzten Jahre so hartnäckig verschmäht.« »Das Leiden und die Abwesenheit des jungen Herrn Grafen beschäftigten sie traurig genug, um sie allem Verkehr abhold zu machen,« gab der Angeredete zurück. »Ich bin augenblicklich auf dem Wege zu Graf Kurt, der leider auf dem Gute der Komtesse Lilly in Göhlitz wieder erkrankt ist.«

»Was, ist der Kurt endlich zurück von seinen Irrfahrten?« fragte der Offizier lebhaft. »Und in Göhlitz? Nun, über seine Gefangenschaft dort wird die Frau Mama nicht zürnen. Aber was fehlt ihm eigentlich?«

»Die klimatischen Fieber scheinen seinen Organismus zerstört zu haben,« sagte der Kaplan; »seit jenem Gehirnfieber in Peru hat er sich nie wieder ganz erholt. Eben jetzt hatten wir die besten Hoffnungen; doch scheint die Ermüdung der Reise diesen Rückfall hervorgerufen zu haben, an dem er schon wochenlang laboriert.«

»Das ist traurig,« sagte der Offizier teilnehmend. »Es war auch eine unglückliche Idee von der Mutter, ihn fortzuschicken; ich weiß ja, wie sie sich damals darum bemühte, Gott weiß, warum. Ist er denn jetzt besser?«

»Ja, er ist auf der Genesung, und da er den dringenden Wunsch aussprach, mich zu sehen, bin ich gekommen. Morgen gehe ich hin. Die Gräfin ist schon seit einigen Wochen dort.«

»Dann komme ich jedenfalls in der nächsten Zeit auch einmal hinüber, den alten Freund zu begrüßen und der spröden Komtesse meine Aufwartung zu machen. Wo steckt der jüngste Sohn, Graf Nikolas?«

»In seinem Regiment; er hat sich sehr gestärkt und ist recht tüchtig geworden in den letzten Jahren.«

»So! Aber dem Kurt wird er nie das Wasser reichen. Ein prächtiger, liebenswürdiger Kerl! Wie der war, gibt es nicht viele. Jammervoll, wenn er nicht wieder gesund würde. Aber kommen Sie, Herr Kaplan; etwas hat die Menschenflut sich verlaufen, und wir können gehen.«

Sie schritten voran. Eine Gruppe junger Offiziere schloß sich dem Rittmeister an. »Ist das Frauenzimmer schön!« riefen einige der jüngsten noch in heller Begeisterung. »Wahrhaft himmlisches Weib! Und dies Reiten! Rittmeister, ich bitte Sie, wir haben sie doch schon öfter gesehen ... aber so noch nie! Fabelhafte Fortschritte hat sie gemacht.«

»Ich weiß nicht,« sagte der Rittmeister trocken, »früher hat sie mir besser gefallen. Es war etwas Eigentümliches, wie sie damals ritt, sich selbst ganz außer acht lassend, nur ihr Pferd vorführend. Jetzt macht sie's wie alle anderen und produziert sich selbst. Aber sehen Sie, Baron, ist das nicht der Prinz R., von dem man sagt, daß er der schönen Reiterin wegen immer der Truppe folge?«

»Ja, der lange Herr in Zivil mit dem kahlen Kopfe. Man erzählt Fabelgeschichten, was er alles treibt dieser Sirene wegen; doch überflüssigerweise. Sie soll längst verlobt sein mit dem ersten Geschäftsführer ihres Vaters, der eifersüchtig wie ein Luchs sie bewacht.«

Über des Kaplans Lippen ging ein leiser Seufzer.

»Kommen Sie nicht noch ein wenig mit uns, Hochwürden,« sagte der Rittmeister verbindlich, »die heiße Sitzung durch einen kühlen Trunk zu beschließen?«

»Ich danke Ihnen,« sagte der Kaplan. »Für einen Abend war es genug der Weltlichkeit. Ich denke, schon in der Frühe weiter zu reisen. Also auf Wiedersehen in Göhlitz, meine Herren!« Und sie schüttelten sich freundlich die Hände.


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