Ferdinande Freiin von Brackel
Die Tochter des Kunstreiters
Ferdinande Freiin von Brackel

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13

Es ist im Leben häßlich eingerichtet,
Daß bei den Rosen gleich die Dornen steh'n.

Für Nora war seit jenem Tage die Welt wieder schön, obgleich der Himmel sich mit Wollen bedeckt hatte und kalte Regenschauer die Lenzherrlichkeit fortzuschwemmen drohten, obgleich auch an ihrem Horizont Wolken aufstiegen, die allmählich ihren verdüsternden Einfluß geltend machten. Mit der vollen Befriedigung und Beruhigung, die Kurts Besuch ihr gelassen, achtete sie kaum darauf und lebte nur in ihrem seligen Traume. Die Wolken, die für sie sich sammelten, lagen auf des Vaters Stirn, dessen Stimmung seit seiner Krankheit gänzlich verändert war. Es hatte sich eine Unruhe, eine Gereiztheit seiner bemächtigt, die man früher nie an ihm gekannt. Selbst das freudige Ereignis der Geburt eines Sohnes, die bald nach der Rückkehr der Direktorin zur Villa stattgefunden, hatte ihn nur auf wenige Tage erheitert, soviel Freude er auch erst über den Ankömmling gezeigt.

Nora hatte den Bruder freudig aufgenommen. Es war ihr gewissermaßen ein Trost, dem Vater einen Ersatz zu wissen, wenn ihre künftigen Verhältnisse sie ganz von ihm trennen würden. Seine Mißstimmung, die sie anfangs auf die Folgen der Krankheit, dann auf die Unruhe der Erwartung des Ereignisses geschoben, wußte sie sich nicht anders als durch körperliches Leiden zu erklären. Sie bat ihn daher wiederholt, sich mehr Ruhe zu gönnen. Er war jedoch rastloser als seit Jahren, immer wieder zur Truppe zurückkehrend, oft, aber meist nur auf Stunden, zur Villa kommend, und dann immer in Begleitung jenes Landolfo, der ihm ganz unentbehrlich schien und mit dem er häufig lange, geheimnisvolle Beratungen hatte.

»Signor Landolfo«, wie er sich mit großer Vorliebe nannte, und wie sein Name stets auf den Anzeigen in fetten Lettern prangte, war unbedingt eine in das Auge fallende Erscheinung. Die geschmeidige Gestalt, das kühne Profil, die Fülle glänzend schwarzen Haares verfehlten nie ihre günstige Wirkung auf die Menge. Nur der schärfer Beobachtende fühlte sich unangenehm berührt durch den kecken, schlauen Blick der dunklen Augen, durch den sinnlichen Ausdruck der aufgeworfenen Lippen, die der wohlgepflegte Bart bestens zu verdecken suchte. Sein stolz klingender Name hätte sich vielleicht auf ein bescheidenes »Levi« zurückführen lassen, wenn es überhaupt möglich gewesen wäre, irgendwie auf seine Vergangenheit zurückzukommen. Gleichwie von Schillers poetischer Figur, konnte man von ihm sagen: »Man wußte nicht, woher er kam«; und auch das weitere: das »schnell war seine Spur verloren, sobald er wieder Abschied nahm«, durfte er von sich rühmen. Denn unter den verschiedensten Gestalten war er schon aufgetaucht und immer wieder spurlos untergegangen. Halb verdorbenes Genie, hatte er sich auf dem Theater, als Künstler, als Schriftsteller und in ähnlichen Fächern versucht. Eines Tages ganz auf dem trockenen, war er bei einer kleinen Reiterbande aufgetreten. Einige Gewandtheit und sein gefälliges Aeußere brachten ihn dort zur Geltung, und mit dem Selbstbewußtsein, das ihn zierte, hatte er bald dem Direktor Karsten seine Dienste angeboten. Landolfos equestrische Talente waren nur schwach; aber Karsten wußte seine ästhetische und geschäftliche Begabung zu verwerten. Die Fertigkeit im Entwerfen neuer Szenen, in der Behandlung des theatralischen Teiles der Vorführungen, welche Landolfo besaß, machte ihn sehr schätzbar bei der Truppe, wie auch seine gewandte Feder die Aufmerksamkeit des Direktors auf sich zog. Landolfo war aber ganz der Mann, einmal gewonnenes Terrain auszubeuten. Mit der Gewandtheit, die vielleicht ein Erbteil semitischer Abstammung war, wußte er seinem Chef so zur Hand zu gehen, daß die Leitung der Geschäfte allmählich auf ihn überging. Der Direktor hatte nie viel Sinn für das Geschäftliche gehabt, hatte es stets gern auf andere Schultern gelegt, und der rasche, schlaue Blick, die sichere Berechnung Landolfos imponierten ihm um so stärker, als er in dieser Zeit mehr als sonst des Rates bedurfte.

In den letzten Monaten waren bedeutende Geschäftsverwicklungen eingetreten. Bisher war Karsten unbestritten der einzige und Größte in seinem Fach gewesen. Er hatte goldene Ernten gehalten, so daß er sich durchaus nicht zu scheuen brauchte, große Summen für seinen Luxus zu verwenden.

Im vorigen Winter war ihm aber zum erstenmal ein Konkurrent entstanden, der rastlos versuchte, des Direktors Glanz zu verdunkeln und die Gunst des Publikums für sich zu gewinnen. Es mußten ihm riesige Mittel zu Gebote stehen; er war erfinderisch in der Wahl seltsamer Leistungen, in der Einführung neuer Elemente, welche die Schaulust reizten.

Das Neue lockt stets, und Karsten bemerkte bald einen sichtlichen Abfall seiner früheren Gönner und einen noch fühlbareren Ausfall in der Kasse. Auch er sah sich daher zu größerem Aufwande, zu neuen Anstrengungen gezwungen, um dem Nebenbuhler gegenüber sich behaupten zu können. Einige seiner besten Kräfte waren ihm bereits durch dessen hohe Anerbietungen abwendig gemacht, so daß er in bezug auf das Personal jetzt wirklich hinter jenem zurückstand. Das kränkte ihn lief und rief seinen ganzen Ehrgeiz wach. Er mußte jetzt suchen, neue Reizmittel zu schaffen, um seinen Namen wieder zu der alten Höhe zu heben. Aber diese rasch herbeigezwungenen Mittel kosteten große Summen, und bei dem Kapital, welches allein schon der tägliche Unterhalt so vieler Menschen und Tiere erfordert, ist ein Schritt abwärts wie der. Anstoß zur Lawine.

Um seinen Kredit zu erhalten, durfte Karsten nichts an dem Luxus seines Lebens ändern, wie schwer ihm auch die Bezahlung des Schlößchens ward, das er mit der ganzen Rücksichtslosigkeit des überreichen Mannes erworben hatte.

Schon den Winter hindurch hatte ihn dies beunruhigt und allmählich den Grund zu seiner Krankheit gelegt. In den letzten Wochen war aber ein neuer Umstand hinzugetreten, der ihn schwer traf. Der Bankier, bei dem er diejenigen Summen hinterlegt hatte, die er stets flüssig haben mußte, hatte unglückliche Spekulationen gemacht, und der Konkurs war ausgebrochen. Das hatte den Direktor in der letzten Zeit so oft zu der Villa geführt, da ei in der nahe liegenden Stadt die Geschäftsleute zu Rate zog.

Heute war er plötzlich eingetroffen, mühsam seine Aufregung verbergend, indes er Landolfo zur Stadt sandte, Erkundigungen einzuziehen. Der Anblick seines kleinen Sprößlings wie das Wohlbefinden seiner Frau erheiterten ihn etwas, indes er Nora oft mit finsterem Blicke betrachtete. Ihr Verhältnis zum Grafen wurde ihm in seiner jetzigen Lage immer drückender.

Er war am Abende mit den Seinen vereint im Salon seiner Frau, als Landolfo wieder eintraf. Der Direktor ging ihm hastig entgegen. Mit krankhafter Überreizung sah er in ihm jetzt seine einzige Stütze, da einige schlaue Ratschläge, die nicht übel gewirkt hatten, ihn blendeten. Er suchte daher Landolfo immer mehr heranzuziehen und empfing ihn auch heute mit lebhaft zur Schau getragener Freundlichkeit. Der Direktorin sagte Landolfo sehr zu. Er war der Mann ihrer früheren Kreise, und seine pikante Persönlichkeit bestach sie. Sie widmete ihm stets die größte Liebenswürdigkeit, indes Nora, der sein zudringliches Wesen ungemein zuwider war, ihn nur mit abweisender Kälte behandelte, besonders seit jenem Tage, wo er ihr Zusammentreffen mit Kurt belauscht hatte.

Der Direktor, der ihm immer mehr Beweise seines Vertrauens gab, bot ihm an, sich im Familienkreise niederzulassen – ein Augenblick, den Nora wie unwillkürlich benutzte, um sich zu erheben und aus dem Zimmer zu entfernen. Landolfo sah es und biß sich auf die Lippen. Er war sich der stummen Fehde zwischen ihm und der Tochter seines Herrn bewußt – sie hatte mehr wie seinen Stolz verletzt.

Er war nicht kalt geblieben solcher Schönheit gegenüber, und seitdem er dem Direktor so nahe getreten, hatten seine Gedanken einen kühnen Flug genommen. Seine Fähigkeilen und seine Persönlichkeit schienen ihm genügend in die Wagschale zu fallen, um die Hand der Tochter seines Herrn zu erstreben. Kein anderer Schwiegersohn konnte demselben so nützlich sein, so gut die Oberleitung des Ganzen künftig mit ihm teilen.

Was die Eroberung der Persönlichkeit selbst anging, schmeichelte er sich mit den schönsten Hoffnungen. In den Kreisen, in denen er gelebt, war er eines leichten Sieges stets sicher gewesen. Noras Kälte hatte er anfangs mit der stolzen Ausnahmestellung, die sie in dem Kreis einnahm, erklärt. Seit dem Tag in Wien aber, als er den Grafen Degenthal antraf, glaubte er den richtigen Schlüssel dazu zu haben, und zur beleidigten Eitelkeit trat die Wut der Eifersucht.

Die erste Rache war, seinem gemeinen Sinne gemäß, der anonyme Brief an die Gräfin gewesen. Er hatte das Verhältnis damals für eine gewöhnliche Liebesintrige gehalten. Einige Worte des Direktors ließen ihn zwar bald andere Schlüsse ziehen; da aber Noras Benehmen seit jenem Tage nur noch schroffer gegen ihn wurde, steigerte sich auch seine Rachsucht. Er wollte sie demütigen, er wollte ihr diesen hochfliegenden Gedanken rauben – sie sollte gestürzt werden. Die Berechnung, daß er dann vielleicht seinen ersten Plan erreichen könnte, stachelte ihn um so mehr an, als die Verlegenheiten des Vaters ihm die Mittel dazu plötzlich in die Hand legten.

Bleich vor Zorn war er zurückgetreten, als sie sich zum Gehen wandte, und hatte ihr den Weg zur Tür frei gemacht; seine dunklen Augen aber ruhten wie verzehrend auf ihr, die sich seines Zornes gar nicht einmal bewußt wurde, so wenig Blick hatte sie für ihn. Stumm blieb er stehen, aber sein Entschluß war in dem Augenblick reif geworden.

Der Direktor hatte ebenfalls seiner Tochter unmutig nachgeblickt. In der Absicht, ihr Benehmen zu verdecken, erhol, er sich jetzt wieder. »Nein, kommen Sie in mein Zimmer, Landolfo; Geschäftssachen werden am besten gleich abgemacht, und Damen taugen doch nicht dabei.«

»Sie haben freilich keine Vorliebe für einfache Geschäftsmänner, wie vielfachen Vorteil sie auch von ihnen ziehen,« sagte Landolfo scharf und so laut, daß es Noras Ohr noch treffen sollte.

»Aber ich weiß solche zu würdigen,« lächelte Frau Emilie von ihrer Chaiselongue herüber, wo sie möglichst graziös lag. »Karsten, du bringst doch Signor Landolfo zurück und entziehst ihn uns nicht den ganzen Abend?« fügte sie hinzu, huldvoll die Hand ausstreckend, die Landolfo galant küßte.

»Kommen Sie,« mahnte der Direktor ungeduldig, ihn in sein Schreibzimmer mitnehmend, welches im unteren Geschosse lag.

»Was haben Sie für Nachrichten?« war die Frage, noch ehe die Tür sich geschlossen hatte. Landolfos Gesicht nahm, sobald er mit dem Direktor allein war, einen anderen Ausdruck an. Alle Unterwürfigkeit schwand daraus; er wußte, daß man ihn nötig hatte. Gleichgültig nahm er daher eine Zigarre von dem Direktor an, zündete sie umständlich an und warf sich nachlässig in einen der Sessel, indes Karsten unruhig auf und nieder schritt.

»Hier sind Briefe,« sagte Landolfo, ein kleines Paket auf den Tisch werfend.

»Und der Bankier?« fragte erregt der Direktor.

»Im besten Falle großer Verlust! Zwei Drittel werden wahrscheinlich eingebüßt, wenn nicht mehr.«

»Aber das ist ja ein unerträglicher Schlag,« rief der Direktor aus, »ein unersetzlicher Verlust! Ich werde ihn unter den jetzigen Verhältnissen kaum tragen können. Es sieht nichts weniger als gut aus bei der Truppe. Den ganzen Winter die riesenhaften Kosten und der enorme Ausfall in der Einnahme!«

Landolfo schwieg und wirbelte Rauchwolken in die Luft.

»Zwei Drittel Verlust,« murmelte der Direktor, immer wieder auf und ab gehend, »das ist Ruin.«

»Eine einzige glückliche Saison könnte Ihnen wieder aufhelfen,« sagte Landolfo ruhig.

»Aber kann ich eine glückliche Saison aus der Erde stampfen?« rief Karsten zornig. »Der Kerl da will mich zugrunde richten, er bietet alle tollen Mittel auf! Es muß ein Unternehmen vieler sein. Ein einziger könnte über solche Summen nicht verfügen. Es ist eine Intrige, mir meinen langjährigen Ruhm zu rauben.... Aber ich lasse mich nicht aus dem Felde schlagen!«

»Was für Nachrichten von der Truppe?« fragte Landolfo in seltsam ruhigem Tone wieder.

Der Direktor zuckte die Achseln. »Die neuen Clowns bewähren sich; aber das nächste Vierteljahr wieder Steigerung der Gagen! Es ist nicht zu zahlen. Der Kassierer verlangt Geld; der Besuch ist schwach. Die neue Gesellschaft hat natürlich sofort einen Zug durch alle mitteldeutschen Städte unternommen, vor uns her, uns überall das Paroli zu bieten. Ist das noch edle Pferdedressur, mit Löwenbestien für die Gaffer einherzuziehen?« setzte er grollend hinzu.

»Engagieren Sie eine Löwin, das zieht am besten,« sagte Landolfo mit häßlichem Lachen.

Der Direktor schien nicht gehört zu haben; er war mit den Briefen beschäftigt, die Landolfo auf den Tisch gelegt hatte. Ein leiser Fluch ging plötzlich über seine Lippen. »Auch das noch!« sagte er zornig, das Papier fortschleudernd. »Was ist denn in das Frauenzimmer gefahren? Da kündigt mir Fräulein Elisa, meine erste und beste Schulreiterin! Hab' ich nicht eben noch ihre unsinnigen Forderungen bewilligt? Die hat mir der Kerl auch abspenstig gemacht!«

»Was schreibt sie denn?« fragte Landolfo gleichgültig.

»Lesen Sie selbst. Dumme Phrasen... Das fehlte noch.«

Landolfo las den Brief und legte ihn ruhig nieder. »Ich dachte es mir,« fugte er, sich zurücklehnend.

»Was dachten Sie? Was will sie?« fragte Karsten gereizt.

»Beleidigte Künstlerehre. Fräulein Nora hat ihr keinen Gegenbesuch gemacht ... das duldet unsere Schöne nicht. Nicht alle sind so zahm wie unsereins.«

»Dummes Zeug,« brummte der Direktor. »Das Mädchen verdirbt mir noch alles mit seinem unsinnigen Hochmut!« Aufgeregt ging er wieder auf und nieder. »Was sollen wir tun, Landolfo?«

»Engagieren Sie eine neue; Fräulein Elisa war keine Nouveauté mehr.«

»Eine neue engagieren!« rief der Direktor wieder. »Wo sogleich eine finden? Und die wahnsinnigen Forderungen, die diese Geschöpfe stellen ... und bald keinen Heller mehr in der Tasche. Wechsel, die mir die Haare auf dem Kopfe weiß machen, wenn ich an die Deckung denke ... es ist der Ruin, sage ich ... ich ertrage es nicht.«

»Ich wüßte niemand, der ihn leichter abwenden könnte als Sie,« bemerkte Landolfo, sich erhebend und die Zigarrenasche abklopfend.

»Ich?« fragte der Direktor erstaunt und suchte vergebens einen Blick in das von ihm abgewandte Gesicht zu tun. »Wie meinen Sie das, Landolfo? Sie sind klug; haben Sie irgend einen Plan? Reden Sie!«

»Fräulein Nora,« sagte Landolfo noch immer mit abgewandtem Gesichte, wie mit seiner Zigarre beschäftigt, »Fräulein Nora ist die beste Reiterin, die ich kenne. Demoiselle Elisa war nicht mit ihr zu vergleichen. Und sie ist überdies eine Schönheit, die Ihnen die halbe Welt wieder zuführen würde... Lassen Sie Fräulein Nora auftreten, und der Sieg gehört Ihnen.«

Karsten zuckte zurück. »Meine Tochter reitet nicht öffentlich,« sagte er nach einer Pause mit heiserer Stimme.

Landolfo schwieg.

»Ihre Mutter hat es nicht gewünscht,« fuhr der Direktor, wie sich selbst überredend, fort.

»Verhältnisse ändern die Sache,« sagte Landolfo kurz.

»Sie wird es niemals tun!« rief der Direktor.

»Fräulein Nora ist sehr fromm, sagt man; sie wird ihre Kindespflicht kennen, den Vater vor sicherem Ruin zu bewahren.«

Dem Direktor war es, als fühle er Angstschweiß auf der Stirn. »Sie hat andere Pflichten ... sie ist verlobt, und der Graf hat mein Wort.«

Landolfo lachte leise auf. »Ah! verlobt ... mit dem jungen österreichischen Grafen vielleicht? Wenigstens war es nicht sehr offiziell bis jetzt.«

»Es sollte noch zwei Jahre Geheimnis bleiben,« lautete die etwas verlegene Antwort des Direktors. »Solche Verlobung!« sagte, Landolfo, die Achseln zuckend, »Verlobung entre nous, damit man freie Hand behält ... man kennt das! Deshalb hat sich der junge Herr so schleunigst nach dem Orient begeben. Die Frau Mama scheint die Sache zu begünstigen.«

»Wohin?« fragte Karsten, dem Nora nichts von Kurts Versetzung gesagt, aus einer gewissen Scheu, die Entfernung zu erwähnen.

»Attaché bei der Gesandtschaft zu Peru,« sagte Landolfo. »Etwas Luftveränderung für den jungen Herrn... Der orientalische Liebhaber wird Ihre Pläne sehr wenig stören, mein Bester,« setzte er hinzu, vertraulich die Hand auf des Direktors Schulter legend. »Lassen Sie uns offen sein. Man kennt die Geschichten: das liebt sich wohl, heiratet sich aber nicht.«

»Ich halte den Grafen durchaus für einen Ehrenmann,« sagte der Direktor, und ein dunkler Fleck zeigte sich auf seiner Wange. Unwillig wandte er sich von der Berührung seines Untergebenen ab und stand ihm einen Augenblick mit der früheren Würde gegenüber.

»Ich auch,« gab Landolfo mit unverschämter Ruhe zurück. »Aber jung, sehr jung! Seien Sie gerecht, Direktor: von seinem Standpunkt aus eine große Torheit.. und Torheit hat keine Dauer. Der zäheste Karnevalsmensch hält sie nicht drei volle Tage aus. Eh bien, so geht's stets im Leben, und ist die Torheit auch noch, so süß – sie scheitert stets an sich selbst. Le jeune couple hat schon seine démêlées

»Was wissen Sie davon?« herrschte der Direktor.

»Ein glücklicher oder unglücklicher Zufall, wie man es nimmt, machte mich in Wien zum Zeugen einer kleinen Liebesszene: Fräulein Nora in Tränen, weil der Herr Graf ihr Vorwürfe machte, daß sie mit der »Bande« herübergekommen ... Fräulein Nora empört ... dann flehend, er möge die türkische Reise unterlassen. Als Antwort darauf reiste der Herr Graf in derselben Nacht ab ... ohne weiteren Abschied.«

»Ich habe von dem allem nichts erfahren.«

»Es war nicht angenehm für Fräulein Nora, das zu erzählen,« gab Landolfo zurück. »Ich habe ihre stille Irritation bemerkt. Aber Fräulein Nora ist eine bedeutende ... eine kluge junge Dame. Sobald sie klar sieht in allem, wird sie zu handeln wissen. Sie wird verstehen,« fuhr er langsamer betonend fort, »daß ein Bankrott die Lage nicht verbessern wird, und daß die Tochter des ruinierten Kunstreiters der Familie noch weniger zusagen wird, als die des reichen Mannes.«

Karsten stand wie erstarrt da. Diese Worte brachten ihm ein neues Bild vor Augen – die Unterredung mit dem Kaplan, die Mitgift, die er damals verheißen, und daß er als Lügner dastehen würde.

Von neuem traf ihn der Gedanke, es sei Unnatur, in so schwerem Augenblicke sich nicht auf seine Tochter verlassen zu können – eine Tochter, die nur die Finger zu seiner Rettung auszustrecken brauche und es nicht tun werde. »Sie wird es niemals tun!« rief er laut.

»Seltsame Kindespflicht,« meinte Landolfo kaltblütig. »Unsereins taugt nicht viel, würde das aber anders verstehen. Warten Sie übrigens bis morgen ab. Morgen wird es sich entscheiden, was aus der Sache wird. Das Haus brennt noch nicht über dem Kopfe. Drei Monate halten wir den Kredit noch, und im schlimmsten Fall ... ich wiederhole es, Fräulein Nora wird kein unnatürliches Kind sein. Versuchen Sie es nur.«

Damit zündete er sich eine neue Zigarre an und blieb, wie auf ein Wort des Direktors wartend, noch einen Augenblick stehen.

Karsten antwortete nicht. Dunkler brannten die Flecken auf seinen Wangen, seine Gedanken arbeiteten unruhig; aber er schwieg. Landolfo fragte, ob er sich empfehlen dürfe. Nur ein stummes Nicken war die Antwort, und der Direktor war allein.

Wäre es nicht natürlich, daß das Kind den Vater rette? Der Gedanke bohrte sich in sein Hirn.

Der Graf, der Graf? Eine dumme Liebelei, die schon ihr Ende erreicht hatte. Sie würde ihren richtigen Verhältnissen wiedergegeben. Er hatte der Mutter sein Wort gehalten, ihr die Erziehung gegeben, die sie gewünscht. Aber Verhältnisse ändern die Sache, hatte Landolfo mit Recht behauptet. Einen Augenblick fiel ihm ein, das ganze Inventar zu verlaufen und sich zurückzuziehen. Jedoch das ging nur mit schwerem Schaden. Nur wenig wäre zu retten, und – geschlagen vor seinem Gegner zu weichen? »Das würde ihr nicht dienen und mir nicht helfen,« dachte er düster ... »Doch soll es ihr freier Wille bleiben,« murmelte er. »Ich werde ihr alles klar machen; mag sie dann wählen und tun, was ihr recht scheint.«

»Ich sage ihr nichts, nein, ich sage ihr nichts,« wiederholte er sich dann wieder, und doch klang es eine lange schlaflose Nacht in seinen Ohren: »Wäre es nicht natürlich, daß das Kind den Vater rette?«


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