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Weniges hat noch im menschlichen Gemeinschaftsleben so viel Schaden angerichtet, wie das » Schlagwort«: – diese Mißgeburt aus Denkträgheit und Überredungswillen!
Opfer über Opfer fordert es in allen Lebens- und Erlebnisreichen dieses Erdendaseins!
Vor allem aber hindert jedes Schlagwort die ihm Hörigen, zu eigener Denkselbständigkeit zu kommen.
Willig läßt sich jeder Denkbequeme fangen, wird nur das rechte Schlagwortlasso über seinen Hals geworfen, und ist er einmal dieser Schlinge Beute, dann wird frühere Freiheit schnell vergessen …
Es wandelt aller Widerstand sich schnell zu ausgeprägt perverser Unterwürfigkeit, und schließlich wird es wahre Wollust, stets der Leine Zug zu folgen, bis ein Pferch erreicht ist, den die Schlagwortmatadore ihrem Fange vorbereitet halten. –
Aus solchem Pferche gibt es selten ein Entrinnen, und selten kommt auch nur der Wunsch zur Flucht in den dort Eingepferchten zum Erwachen.
Die Meisten fühlen sich in schöner »Sicherheit«, und alle Denkselbständigkeit kam ihnen längst abhanden.
So werden sie auch denen, die noch außerhalb des Pferches sind, zu ständiger Gefahr, in gleicher Weise, wie gezähmte Elefanten sich gebrauchen lassen, um die noch freien Tiere ihrer Gattung einzufangen …
Vieles kann ein Schlagwort zu umfassen scheinen, was keineswegs in seinem Sinn enthalten ist, – und was als »Schlag« empfunden wird, dem man sich, innerlich getroffen, beugt, ist meist nur Übertölpelung der Denkbequemlichkeit. –
So zweifellos gewiß das Denken auch zum ärgsten Feind des Menschen werden kann, so nötig ist es ihm als Waffe, überall, wo Worte wehrlos machen wollen.
Das Schlagwort aber ist nichts anderes, als ein Wort, das wehrlos machen will durch Lähmung sinngerechten Denkens!
Es kann nur siegen, wo kein Widerstand sich gegen seine »schlagende Gewalt« zu wehren wagt!
Weiß einer aber ihm mit wachen Sinnen zu begegnen, und die Waffe konsequenten Denkens wehrhaft zu gebrauchen, dann ist dem Schlagwort schnell die Macht entwunden, und als wunderlicher Wechselbalg fällt es in sich zusammen …
Was es bewirken wollte, zeigt sich dann als leerer Wahn, – und nur die Willigkeit, dem Wahn zu folgen, war wirklich vordem drohende Gefahr …
Sie sind kaum alle aufzuzählen, die solchem Wahn, der sich in mannigfache Form zu wandeln weiß, getreu Gefolgschaft leisten müssen, weil sie versäumten, sich zu wehren, als ein Schlagwort sie zu überrumpeln suchte! –
Männer und Frauen, Weise und Unweise, Alte und Junge, Dumme und gewaltiglich Gescheite sind in diesem unermeßlich langen Zuge der durch Schlagwortwahn Genarrten aufzufinden, und immer neuer Zustrom wendet sich dem Zuge zu, weil nur die Allerwenigsten sich noch des freien Denkens zu bedienen wagen, sobald das rechte Schlagwort sie geschickt zu überfallen weiß …
Unübersetzbare Gefahr bringt diese Willigkeit zur Folgeleistung, wo ein Schlagwort einbricht, über alles Menschenleben!
Es ist in vielen Fällen niemals wieder gutzumachen, was solcherart in großen und auch kleineren Verbänden, die sich menschliches Zusammenleben schuf, an Schaden angerichtet wird!
Und selbst im kleinsten der Verbände, – der Verbindung zweier Menschen in der Ehe, – richtet oft genug der Schlagwortwahn sein arges Unheil an. – –
In die Familie bringt der kleinste Knirps schon, als Geschenk der Schulgenossen, sein, ihm selbst noch unfaßbares Schlagwort mit, – Kinder und Eltern lassen sich betören und zu kämpfenden Parteien machen, deren jede einem anderen Schlagwort folgt.
Am schauerlichsten wird dann aber die Gefahr, dort, wo das ganze öffentliche Leben sich widerstandslos durch ein Schlagwort gängeln läßt! –
Durch alle Spalten dringt das Schlagwort dann in jedes Haus, und hindert, daß sich wache Gegenwehr zum Widerstande rüste.
Hilflos können ganze Völker solchem Schlagwortwahn verfallen, zum Triumphe derer, die ihr Denken nicht zuschanden werden ließen, und keine Mühe, keinen Hirnzwang scheuten, um zur Meisterschaft als Schlagwortwerfer zu gelangen …
Was hilft es dann den schwer Geschädigten, wenn sie zuletzt sich doch noch ihrer Knechtschaft zu erwehren suchen?!
Allzulange hatten selbst sie sich der Schlagworte bedient, um Andere zu gängeln, bis sie nunmehr ihre Meister fanden, die besser noch verstanden, Schlagworte zu werfen …
Nur die bewußte, strengste Abkehr von der Täuschungswelt des Schlagwortwesens, kann hier Rettung bringen! – –
Es ist wahrhaftig an der Zeit!
Zu lange war man dem Gespenst der Freiheit nachgefolgt, – zu lange war man selbst in seinem Bann, und suchte Andere durch manches Schlagwort zu betören, um Gefolgschaft zu erhalten.
Jetzt muß man endlich doch erkennen, daß Schlagwortwahn niemals zu wahrer Freiheit führen kann.
Noch aber ist man seiner alten Schlagwortweisheit so verhaftet, daß man unwillkürlich, auch um anderem Schlagwortwahn zu wehren, erneut den Schlagworten verfällt, die man voreinst zu prägen wußte, um sie Anderen zuzuschleudern …
Zu selbstgewisse Überheblichkeit ist noch dabei der sehr naiven Meinung, daß der Gegner es » nicht merken« würde, wenn man seinem Schlagwort nur das eigene entgegenwirft, weil man nicht anders sich des Angriffs zu erwehren weiß.
Die aber Meister ihrer Schlagwort-Kampfesweise wurden, weil sie Meisterschaft erlangen wollten, – erkennen sehr genau, daß ihnen nur mit Schlagworten begegnet wird, die weniger schlagkräftig als die ihren wirken …
So sind sie ihres Sieges schon im voraus sicher, – es sei denn, ihre Gegner könnten sich doch noch entschließen, endlich auf das Kampfesmittel zu verzichten, das sie ja doch nur halb beherrschen, weil sie ihr – Gewissen nicht zu sehr beschweren wollen, um der Schlagkraft ihres Schlagworts willen. – –
Gewissen- los muß der sein, der das Schlagwort meistern will, denn wer noch ein Gewissen in sich trägt, der ist nicht fähig, die Belastung zu ertragen, um deren Preis allein im Schlagwortkampf der Sieg erreichbar wird! –
Denen, die erkannten, daß das Schlagwort nie zur Freiheit führen kann, ist heute nur zu helfen, wenn sie konsequent das Schlagwort meiden!
Andere Waffen müssen ihrer Abwehr Wirkung sichern!
Ihre Worte müssen fortan wohl » erwogen« sein, und dürfen nur durch Wahrheit wirken wollen!
Nicht jede Wahrheit aber ist zur Abwehr wirksam, denn nicht jede Wahrheit läßt sich von dem ungeübten Blick sofort erkennen. –
Nur dort, wo Wahrheit augenblicklich sich empfinden läßt, kann sie dem Irrwahn wirklich wehren, den das Schlagwort zu verbreiten sucht!
Wer endlich sich zu der Erkenntnis durchgerungen hat, daß hinter allem Schlagwortwahn sich nur die Wüste weitet, – wer das Gespenst der Freiheit hier in einer seiner fürchterlichsten Formen wüten weiß, – der wird wahrhaftig sich auch gleicher Mühe, gleicher Anspannung zu unterziehen wissen um der Wahrheit zweckgerechte Form zu finden, wie jene, die das Schlagwort schleifen bis zur schärfsten Schärfe, sie sich auferlegen ohne Unterlaß. – –
Sein Wort darf nicht nur Selbstberauschung wirken, – darf nicht billige Bestätigung der eigenen Meinung sein!
Niemals darf er vergessen, daß er noch zu » Feinden« spricht, die ihm erst durch Erkenntnis Freunde werden sollen!
Er wird vermeiden müssen, anzugreifen, und nur durch Abwehr wirken dürfen, – durch eine Abwehr, die der Gegner achten muß, selbst wenn er Gegner bleiben sollte. –
Man kann von denen, die in einem Schlagwortwahn sich wohlgefallen, nicht etwa erwarten, daß sie allsogleich der Wirklichkeit zurückgewinnbar wären!
Gleichwie ein Arzt, der das umnachtete Gehirn des Irren wieder heilen will, vorerst gezwungen ist, dem Wahn des Kranken sich zu fügen, soll der noch Gesundungsfähige sich wiederfinden in der Wirklichkeit, – so wird auch jeder, der die Seele seines Nebenmenschen einem Schlagwortwahn entreißen will, bedenken müssen, daß dem Wahnbetörten noch als » Wahrheit« gilt, was er verlassen soll, um wieder zu sich selbst zu kommen! – –
Noch ist der Arme, durch die Suggestionsgewalt des Schlagworts Eingefangene nicht fähig, sich aus den ihn engumschnürenden Gedankenfesseln zu befreien!
Noch wagt er nicht, nach eigener Erkenntnisfähigkeit sich einzustellen!
Das Schlagwort hält ihn allzufest im Bann, und wenn er auch sich zu befreien sucht, so fehlt ihm doch der Mut, der Freiheit dort zu folgen, wo sie allzuweit von dem geliebten Schlagwort sich entfernt. – –
Man wird den so Verirrten nicht mehr anders retten können, als durch ein gütiges Beachten seiner Torheit, und nur wenn man ihm zeigt, daß man ihn gelten läßt, wird er zuletzt doch auch die Kraft in sich erwecken, die ihm Einsicht bringt, daß nur ein Schlagwort ihn am Gängelbande hielt, wo er vermeinte, wohlbegründeter Erkenntnis frei zu folgen.