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Als man sich der Landungsbrücke näherte, der weltberühmten »Alten Liebe« von Cuxhaven – dieser Stätte, an welcher der Völkerverkehr vorbeiflutet – die den Schmerz der Ausreisenden und die Wonne der Heimkehrenden kannte, die alle Hoffnungen und alle Enttäuschungen auf ihren Balken hatte flüstern und weinen hören – da wurde Tullas Herz von Angst ganz fassungslos.

Und sie bat:

»Bleiben Sie noch – verlängern Sie Ihren Urlaub.«

»Nein,« sagte er, »es ist unmöglich.«

Er war ernst und blaß.

Der Dampfer legte an – die Unruhe des Von-Bord-Gehens kam – zur Rückfahrt, elbaufwärts wollten sie ja die Bahn benutzen. Ein heimlich-holdes Wort – eine Frage, die man nur ohne Zeugen ausspricht – das war nun nicht mehr möglich.

Und Tulla wußte: er wird nichts sagen ...

Warum nicht? O Gott – wie schwer, wie schrecklich! Warum nicht? Sie hatte ihm doch so viel, als möglich war, Beruhigendes über die Verhältnisse gesagt! Warum sprach er nicht? Es war schließlich doch wohl wegen der Mama, und es paßte ihm doch wohl nicht, daß die Mama wieder heiratete ... Tulla fand und fühlte keinen Grund ... Der Jammer in ihrem Herzen wurde immer größer. Nun sank alles zusammen. Die Minuten, die verrannen, schienen alles Leben, alle Hoffnungen mit sich fortnehmen zu wollen ... Gleich war man in Hamburg. Auf dem Bahnhof kam der Abschied. Raspe mußte sofort umsteigen in den Zug nach Wittenberge ... Dann war alles aus – das wußte Tulla – schied er jetzt, stumm – in diesem unbegreiflichen Schweigen, dann sah sie ihn nie mehr – nie.

Sie hatte beinahe Furcht davor, ihn anzusehen.

Sie stützte den Arm auf die schmale Fensterbank des Fensters und sah starr in die Marschlandschaft hinaus, die flach und braun draußen lag. Sie waren allein im Abteil. Und sie schwiegen fast auf der ganzen Fahrt.

Sophie war traurig. Statt eines Aufblühens hatte sie ein Abwelken erlebt – ein seltsam niederdrückendes Schauspiel. Vorwärts stürmende, wagemutige Jugendtollheit wäre fast natürlicher gewesen. Aber gewiß war es gut so, daß ihr Sohn besonnen blieb. Ihr war, als sei die heutige Jugend vielleicht im allgemeinen reifer als die der vorigen Generation. Vielleicht.

Sie sah, daß Tulla verwirrt vor Schmerz und Enttäuschung war. Es tat ihr leid ... Eine innere Stimme sagte ihr: das Kind wird vergessen ...

Aber ihr Sohn? Der feste, ernste Raspe – mit der klaren Tiefe seines Wesens? Da blieb eine Wunde im Herzen. Und ein Zweifel, eine Unsicherheit, ein Zögern – jedem neuen Gefühl gegenüber, das ihn etwa bestricken wollte ...

Sie mußte sich bezwingen, um nicht zu weinen.

Und je näher sie Hamburg kamen, desto unruhiger eilten ihre Gedanken auch Allert entgegen. Sieben lange Tage hatte sie nichts von ihm gehört.

Was konnte in dieser Zeit alles geschehen sein? Sein Duell mit dem vielleicht zurückgekehrten Dorne konnte stattgefunden haben – mit einem Male sah Sophie es nicht mehr so hochgemut an ... wie, wenn Allert verwundet daniederlag. Oder vielleicht war Dorne immer noch verschwunden und Allert hatte sich an die Polizei wenden müssen – seine Firma war in aller Mund – schreckliche Katastrophen konnten eingetreten sein.

Endlich sprach sie von ihren Aengsten.

Aus ihren bangen Vorstellungen heraus wollte sie Zuspruch und Wahrscheinlichkeiten von Raspe hören, der ihr doch auch nichts, gar nichts sagen konnte. Aber, um sie zu beruhigen, sprach er:

»Vielleicht hat sich alles umgekehrt zum Harmlosen gewendet. Und wir finden vielleicht Allert glücklich und von allen Sorgen befreit.« Ach – das konnte ja nur auf eine einzige Weise möglich sein ... Marieluis ... Die Mutter dachte es voll Inbrunst. Ja – vielleicht. Sie hatten sich in den letzten Tagen gewiß manchmal gesehen – bei den Festen für Dory und Fritz. Und es ist so ein wahres altes Wort: Verloben steckt an. Der Anblick von Glück erzeugt Sehnsucht nach Glück – das ist so natürlich.

Und die rasche Phantasie Sophiens verließ alle düsteren Bilder und baute ein neues auf: wie, wenn am Bahnhof zwei Glückselige auf sie warteten? Wenn dem älteren Sohn inzwischen die Träume zur Wirklichkeit geworden waren, die der jüngere hatte zerfließen sehen? ...

Da fuhren sie in die Halle ein ...

Auf dem Bahnsteig standen ziemlich viele Menschen, ihr Durcheinander machte es nicht ersichtlich, ob etwa Allert zur Stelle sei ...

Aber Tulla schrie auf – überrascht – außer sich –

»Mein Bruder!«

Und ein paar Augenblicke darauf hing sie am Hals eines jungen Mannes, den Sophie nie gesehen hatte. Aber Raspe erkannte ihn: es war der Leutnant Viktor Rositz ...

Tulla brach in leidenschaftliche Tränen aus. Sie konnte sich nicht beherrschen. Eine jammervolle Traurigkeit schluchzte heraus ...

»Na nu?« sagte Viktor.

»Ich freu' mich so, Dich wiederzusehen,« stammelte Tulla und hatte auch, in aller Aufregung, ein solches Gefühl – es floß in ihren Gram hinein. Sie hatte selbst nicht gewußt, daß ihr der Bruder, mit dem sie auf dem Kriegsfuß lebte, so teuer sei ... Wenigstens kam es ihr in diesem Augenblick so vor, als habe sie ihn unmenschlich lieb ...

Sophie stand verlegen und bestürzt. Was sollte der Leutnant Rositz von der Gemütsverfassung seiner Schwester denken!

Aber Viktor Rositz war nicht der Mann, sich durch irgend etwas aus seiner gesellschaftlichen Glätte herausbringen zu lassen.

»Nervös? Ja, die kleinen Mädchen. Herr von Hellbingsdorf – bitte mich der gnädigen Frau vorzustellen ...«

Und er beugte sich über Sophiens Hand.

»Gnädige Frau sind erstaunt, mich zu sehen? Ich war in Ihrer Wohnung, dort erfuhr ich, daß Sie mit diesem Zuge aus Helgoland zurückkehrten. Wir hatten von der Reise keine Ahnung – Tulla schreibt ja nie. Darf ich gnädige Frau nachher eine halbe Stunde in Anspruch nehmen?«

»Aber natürlich ... Kommen Sie doch zum Abendessen – mein Sohn reist gleich weiter – ein wenig müssen Tulla und ich uns erst nach der Reise besinnen...«

»Zum Abendessen? Danke gehorsamst. Um acht Uhr? Danke sehr – ja. Und Sie reisen gleich weiter, Herr von Hellbingsdorf? Schade. Na und Du, Tulla? Willste morgen mit mir nach Haus? Mama ist seit Palmsonntag in Berlin. Ewig kannste ja nicht die Gastfreundschaft der gnädigen Frau in Anspruch nehmen ...«

»Ja,« sagte Tulla, »ja, ich fahr' morgen mit Dir.«

Und nun mußte Raspe sich verabschieden – sein Zug wartete auf einem andern Bahnsteig.

Alles war hastig, unfrei – kein inniges Wort zwischen Sohn und Mutter mehr möglich – die Minuten drängten.

Er reichte Tulla noch die Hand. Und sie sah ihn mit einem so schmerzlichen Blick an, als wollte sie eine große Schuld an ihrem jungen Leben auf sein Herz laden.

Raspe erwiderte den Blick – von schwerem Ernst war sein Ausdruck, aber fest und klar.

Das fauchende, rollende Gelärm des Bahnhofs erfüllte die Ohren und übertäubte jedes Wort.

Und so ging ein Traum unter ... Das brausende Leben machte keine Pause – gönnte der Minute dieses Abschieds nicht einmal die Andacht der Stille.

Mit der Frage, was die überraschende Ankunft Viktor Rositz zu bedeuten habe, konnte Sophie sich nicht befassen. Ihre Unruhe war zu groß. Allert hatte sie nicht vom Bahnhof geholt? Obgleich er wußte, daß er dort noch seinen Bruder einen kurzen Augenblick sehen konnte? Sollte ihm etwas zugestoßen sein?

Und in der Wohnung hatte Sophie gleich Hausfrauenunruhe. Therese war nicht so leistungsfähig, daß man ihr alles Weitere hätte überlassen können. Sie brauchte Zeit und Sammlung für ihre meisterlichen Kochkünste, und ihre Gedanken waren auf die Regelmäßigkeit des Arbeitsganges eingestellt. In der Küche fand also eine Beratung statt. Und Tulla steckte den Kopf zur Tür hinein und fragte, ob Therese ihr nicht packen helfen dürfe. Aber das war unmöglich – sie mußte doch für das Abendessen sorgen, zu dem der Bruder erwartet wurde.

Tulla erklärte dann weinerlich, sie habe noch nie, in ihrem ganzen Leben nicht, selbst einen Koffer gepackt und käme gewiß nicht damit zustande – und es war zum erstenmal ein leiser Ton von Ungeduld in ihrer Stimme.

Begütigend versprach Sophie ihr, am späten Abend ihr zu helfen, es würde schon gehen. Und Tulla zog sich zurück, in einem Gemisch von Beschämung und – Erleichterung ... Morgen würde sie ja wieder so viel Bedienung haben, wie sie wollte ...

Sophie aber, indem sie nun rasch die Zimmer durchsah, ihre eigenen Sachen auspackte, gestand sich zum erstenmal: Tulla war doch ein recht mühsamer Gast gewesen – immer anspruchsvoll, ohne es zu ahnen – durch ihr bloßes Dasein – reizend – lieblich – eine kleine Prinzessin, die sich darin gefiel, einmal bürgerliches Leben zu kosten –

Wo nur Allert blieb?

Sie telefonierte an. Es wurde von der Fabrik aus geantwortet, daß Herr von Hellbingsdorf soeben mit dem Auto zur Stadt gefahren sei.

Also gottlob – er war gesund – lag nicht etwa zerschossen und elend danieder.

Und wenige Minuten später hatte sie ihn dann auch vor sich – er schien der alte – er tat lebendig und humorvoll wie immer.

Er hatte mit dem besten Willen nicht an den Zug kommen können, so sehr es ihn verlangte, Raspe noch die Hand zu drücken ... Da war gerade ein Geschäftsfreund gewesen – es handelte sich um den Abschluß großer Lieferungen.

Aber sein Gesicht war bewölkt, trotzdem er von bedeutenden Bestellungen sprach, die erheblichen Gewinn verhießen. Und seine Farben waren unfrisch, ja, versorgt sah er aus – ermüdet – unfroh.

Sophie wollte wissen ...

»Ach,« sagte er, »Du hast ja keine Zeit, und gleich kommt Tulla herein ...«

»Nein, sie kommt gewiß nicht herein.« Sie hatte das bestimmte Gefühl: Tulla wird sich, gleichsam versteckt, in ihrem Zimmer halten, bis ihr Bruder kommt – der bedeutet ihr in ihrem Schmerz so etwas wie einen Schutz, einen Halt ...

Und nun fragte sie sich doch laut: »Was kann denn Viktor Rositz von mir wollen?«

Gleichgültig sagte Allert: »Ach – irgend was Taktloses. Sie sind vielleicht auf den Gedanken gekommen, daß sie Dir Tullas Bild doch noch honorieren müßten.« Im Grunde war es auch ihr gleichgültig. Des Sohnes wichtige Angelegenheiten drängten heran und wollten besprochen sein.

Allert saß auf dem Koffer seiner Mutter und sah zu, wie sie, rasch und sacht sich hin und her bewegend, ihre Sachen an den zukommenden Stellen einordnete. Er hatte die Arme verschränkt, und es war eine gewisse Ruhe in seiner äußerlichen Haltung. Die Mutter sah wohl: Bitterkeit, die auf dem Weg ist, sich in die herbsten Enttäuschungen zu fügen.

»Dorne? Ja, Mutter – der ist wieder da. Als ich Sonnabend vormittag in mein Büro trete, sitzt er da – an meinem Schreibtisch – noch flauer, fader, schlapper anzusehen als sonst. Ich kann Dir nicht beschreiben, Mutter, was für'n Widerwillen mich packte. Bei Gott, in mir kribbelte so was – ich hätt' ihn schlagen mögen. Na, nachher kam denn das Mitleid – als er mit scheuem Blick, wie 'n mißhandeltes Tier zu mir aufsah... Und wie er leise sagte: ›Ich war wahnsinnig – können Sie mir verzeihen – ja, von Sinnen – ich bitte Sie um Verzeihung – ich hab' Patows Brief gefunden. Gewiß – natürlich – ich bin zu jeder Genugtuung bereit – wenn meine Reue Ihnen keine ist‹... Und wie er dann so beschrieb – immer leise vor sich hin – wie er seine Töchter zu seiner Schwester gebracht habe und dann weggereist sei – er wisse nicht wohin – tags in der Bahn – nachts in der Bahn – kreuz und quer – blöde. Oh, das war schrecklich, einen Menschen so reden zu hören ... Und was sollt' ich da viel antworten. Ich würde die Sache mit Patow besprechen.«

»Und was sagte Fritz?«

»Daß der Ehrenrat wohl entscheiden würde, ich dürfe mich mit so 'ner Art Erklärung zufrieden geben. Der Ehrenrat sei ja schließlich eingesetzt, nicht um Duelle zu fördern, sondern um sie, wo möglich, zu hindern. Na, und der Mann war ja tatsächlich sinnlos – was so einer tut und sagt, darf man wohl nicht anders bewerten als die Aeußerung eines Betrunkenen. Aber diese Duellfrage ist ja so nebensächlich« –

»Mir nicht!« sagte Sophie aus Herzensgrund und gab sich erst jetzt zu, daß sie zu viel und mit Sorge daran gedacht hatte.

»Das wäre so 'ne kurze Szene gewesen – meinetwegen mit 'nem kleinen Denkzettel – das ist wie Theater: Spannung, Aufregung, Schluß – vorbei. Aber nun?«

Und er brach los. Er stand von seinem burschikosen Sitz auf dem Koffer auf und rannte hin und her in dem vollen Raum und stieß eine Hutschachtel aus seinem Weg und setzte mit Nachdruck einen Stuhl von einer Stelle zur anderen.

»Fortan alle Tage – Jahr um Jahr den Mann sehen – sprechen – mit ihm arbeiten! Meine Arbeit wird mir ja zum Ekel. Und was das gräßlichste ist – Du sollst sehen, Mutter – eines Tages verzeiht er ihr! Das wetterleuchtete schon durch seinen Gram – die Töchter, die haben geweint, sagte er, – aber es ist nicht das allein – ich hab's gespürt, Mutter, als hätt' er mir's haarklein beschrieben – als er heimkam und der Duft ihrer raffiniert gepflegten Person noch in den Zimmern war – als er in die Kleiderschränke hineinsah, wo ihre weißen Flöre hingen und ihre bunten Schuhe standen. Oh, ich hab's erraten – er wird sie aufnehmen, wenn sie wiederkommt. Und ob sie wiederkommt – das hängt ja bloß davon ab: findet sie einen, der ihr Dasein auf sich nimmt und mit mehr Geld stützen kann – nein, Mutter – so einen Mann kann ich nicht achten.«

Nun saß Sophie auf dem Koffer, ganz erschreckt und geschlagen.

»Und da ist kein Loskommen – das seh' ich... Er sprach von der gemeinsamen Weiterarbeit als etwas Notwendigem. Dieser Brand – und danach die Neuanlagen – so vergrößert – nach seinen Ideen, mit seinem Gelde. Das schmiedet mich an ihn – das ist die Kette, die mich bindet. Er weiß es, er sagt es sich selbst – ganz still und ergeben – daß ich nicht die Mittel habe, ihn auszuzahlen – daß er auch keinen Grund sähe, falls ich die Bitte um Verzeihung annähme, daß doch die gemeinsame Arbeit gedeihe. Und ich kann ihm nicht ins Gesicht sagen – daß ich ihn verachte, daß all sein tüchtiges Wissen ihn mir nicht zum Manne macht! Männlichkeit erochst man sich nicht auf Universitäten, und sie sitzt nicht im Gehirn – die sitzt im Blut – im Charakter ... Ja, siehst Du, selbst wenn ich ihm nicht verzeihe – Fritz sagt, ich muß es – aber wenn ich vorschütze, als könne ich's nicht über mich bringen – selbst das kann ich ja nicht mal zum Vorwand nehmen ... Ich bin an ihn geschmiedet – oder ich muß meine Schöpfung verlassen.«

»Hast Du mit Senator Amster über die Sache gesprochen?« fragte Sophie dazwischen.

Ueber Allerts Gesicht flog eine helle Röte.

»Nein. Aber« – es wollte ihm nicht rasch von den Lippen – »aber mit Marieluis – ich hab' es ihr erzählt – wir waren ja dreimal zusammen diese Woche – es ist fabelhaft, wie Fritz in Glück und Festen schwimmt und wie Dory glänzt«– –

»Und was sagte Marieluis?« »Daß sie es mir ganz nachfühlt – daß ich mit dem Manne nicht weiterarbeiten könne – dürfe...«

»Ah« ... sprach Sophie und wartete... Aber es schien, daß Allert nichts mehr zu sagen habe. So setzte sie denn hinzu: »Das hab' ich von Marieluis erwartet, daß sie nicht den Nützlichkeits- und Geldpunkt als Hauptsache ansieht. Sie – ja, sie ist von unserer Art und unsern Sinnes!«

»In vielem, Mutter,« sagte er, »in sehr vielem – aber in großen Fragen – in Fragen, die ihr nebensächlich sein sollten und daran sie beinahe ihr Leben hängt – da nicht.«

Er strich sich über die Augen, schien plötzlich ganz abgelenkt, als denke er an Gott weiß was, und sagte dann: »Mir scheint, Du hast eingekramt – wir können ja wohl bald essen – ach so – dieser Leutnant Rositz kommt noch – und was ich noch erzählen wollte: ich gehe morgen in die Versammlung – höre Doktor Marya Möller – tja – so is man nun – sie bat – ja – sie bat...«

»Doktor Marya Möller?« fragte Sophie grenzenlos erstaunt.

»Ach nee – Unsinn – kenn' ich ja gar nicht – Marieluis, die bat – immer wieder bat sie...« Er war verlegen und setzte hinzu: »Es war nicht ganz männlich von mir, es zu versprechen.«

»O doch!« rief seine Mutter. »Ihr Männer müßt nicht gleich denken, wenn Ihr 'n bißchen Euren Eigensinn lockert, das sei schwach.« »Na denn ... Und kommst Du mit?«

»Aber natürlich!« Ihre Stimme klang aufjubelnd. Das war ihr ein Zeichen – eine Verheißung –

»Um noch ein Wort von Dorne zu sagen,« fügte sie in einer blitzschnellen Ideenverbindung hinzu, »Du zahlst ihn allmählich aus und nimmst dazu vorerst meine Ersparnisse. Das weitere findet sich.«

Er soll, er muß ein Gefühl der Unabhängigkeit haben, dachte sie – damit ihn der Gedanke an Marieluisens Geld nicht hemmt –

»Ich soll Dich berauben?!«

»Du sollst mich beruhigen!«

Ein kräftiges Klopfen tönte in diesen Wettstreit hinein.

»Wenn es nicht das Pochen des Schicksals ist, ist es Theresens Knöchel. Beide klopfen mit gleicher Härte,« sagte Allert.

Herr Leutnant Rositz waren da und hatten befohlen, seine Schwester noch nicht zu benachrichtigen, sondern allein erst die gnädige Frau. Aber Sophie hatte in keiner Hinsicht Verlangen nach einer Zwiesprache mit Viktor Rositz und bat Allert, mit nach vorne zu kommen. Tullas Bruder zeigte eine gewisse feierliche Gemessenheit. Er reichte Allert die Hand und betonte, daß es ihm ein Vergnügen sei, auch den älteren Sohn von Frau von Hellbingsdorf kennen zu lernen, für die seine Familie eine unbegrenzte Verehrung und Dankbarkeit empfinde wegen aller Güte, die sie dem Verstorbenen wie auch nun der jungen Tulla bewiesen habe. Es war gar nicht möglich, dies alles konventioneller zum Ausdruck zu bringen, als er es tat.


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