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Sophie sah, wie leidenschaftlich erregt er war. Sie fühlte den Ernst der Stunde.

Und sie wußte: eine Lösung lag nah – eine beglückende Lösung. –

Marieluis ...

Sie sah ihren Sohn an. So beredt, so ganz von dem Wunsch durchzittert, er möge in ihren Augen das lesen, was sie nicht laut sagen durfte.

»Was siehst Du mich so an?« fragte er.

»Ich denke,« begann sie zögernd, daß er fühlen mußte, sie habe eine Fülle von Gedanken und wähle sehr vorsichtig aus, was davon sie laut werden lassen könne. »Ich denke – wenn Rositz noch lebte. Er würde uns raten – mehr: er würde uns helfen. Aber wir haben auch hier Freunde – sehr sachverständige in kaufmännischen Fragen. – Wenn Du mit Amster sprächest?« Und ganz geschwind schloß sie an: »Ich meine – ihn um Rat bätest – nur um Rat.«

Und dachte dabei: er liebt sie doch – und sie ihn – ich weiß, ich fühle es. Und Marieluis' Mitgift, die Hälfte des ihr zugedachten Amsterschen Vermögensanteils, war noch mehr als die Summe, deren er bedurfte.

Konnten Herz und Verstand in vollerem Einklang stehen als hier? Allert wurde rot wie ein Knabe.

»Nein,« sagte er kurz.

Und dieses knappe Nein verriet der Mutter, daß ihre Hoffnungen noch weit von Erfüllungen entfernt waren. Das machte ihr Herz traurig.

Ein kurzes Schweigen entstand. Und sie, in der tiefen Innigkeit, die sie verband, fühlten einander förmlich all die Geständnisse ab, die der Mund verschweigen mußte.

Wie kann ich denn um sie werben! grollten seine Gedanken, ich liebe sie – aber schwere Fragen sind noch unbeantwortet zwischen ihr und mir – und die Bedenken, die mich gestern abhielten, ihr zu Füßen zu stürzen, soll ich heute vergessen, weil ich ihr Geld brauchen könnte?

Und die Mutter flehte ihn an – ihr ganzes Gemüt war ja voll von diesem Wunsch, diesen Gedanken:

Habe doch den Mut! Das, was zwischen ihr und Dir steht, wirst Du in der Ehe und gerade nur in der Ehe besiegen. Denke auch daran, daß ein liebendes Weib beglückt ist, wenn ihre Hand dem Manne Hilfe bringen darf ...

Aber sie wußte wohl, sie mußte das beschweigen. Und dies Zwischenspiel von zärtlichen Wünschen, das sich so unversehens unter die rauhen Sorgen geschlichen, schloß sie mit einem Seufzer ab.

Ihr ganzes Wesen verwandelte sich plötzlich in Energie und in mütterliche Autorität, und sie sprach:

»So wirst Du nun meine Ersparnisse in Dein Geschäft nehmen. Sie reichen nicht ganz – aber das Fehlende gibt dann doch vielleicht Onkel Just oder eine Bank ...«

»Nein. Du hast gespart, damit mir unsere Heimat wieder erwerben können – einst – wenn Du so weiter verdienst und sparst, kannst Du es in fünf Jahren erreichen. Gibst Du mir Dein Geld, verschiebt sich alles in ungewisse Ferne – wird vielleicht unmöglich – selbst bei gutem Geschäftsgange – erst hieße es doch, Onkel Just ausbezahlen.«

»Ich habe es längst aufgegeben, für Muschenfelde zu sparen,« sagte Sophie tapfer.

»Du sagst es – uns – Dir selbst! Aber Du weißt doch gut: tief unter unsern Worten sitzen noch Dinge, die man nicht heraufkommen lassen will. Und das ist bei Dir die ewige Sehnsucht nach der eigenen Scholle« –

Sophie wurde ein wenig blaß.

»Aber noch stärker ist mein Wunsch, Dich sorglos emporkommen zu sehen; noch größer wäre mein Glück, wenn Du das wirst, was Du nun doch einmal werden wolltest: der Beherrscher eines großen Unternehmens, das weithin Ansehen genießt – Du bist ein Hellbingsdorf – unser Zweig hat Unglück gehabt – bring' ihm die Blüte zurück, auf neuem Felde – und nimm mein bißchen Geld.«

Er nahm dankbar die Mutter in die Arme. Für diesen Augenblick mußte alles unabgeschlossen bleiben.

Aber er fühlte so ganz die Wohltat, mit einer klugen, warmherzigen, arbeitenden Frau seine Sorgen teilen zu können ...

Als er es sagte, meinte sie – vielleicht ein wenig heuchlerisch, denn im tiefsten Grunde denken Mütter ja doch: Keiner versteht ihn wie ich –

»Und ich bin nur die Mutter – ein Weib – o, das ist doch noch ein ganz anderes Teilen.«

»Ja, wenn die Frau all ihre Gedanken und all ihre Zeit dem Mann und dem Gedeihen des gemeinsamen Lebens widmet! – Wenn sie nicht in Spelunken und schlechten Gassen die Sittlichkeit heben muß« –

»Nun – nun – nicht so kraß!« warnte sie schmeichelnd und streichelte ihm die Schulter.

Er trat aber spröde hinweg – er wollte nicht umschmeichelt sein. Und er sah sich sehr genau das Bildnis des Papstes Julius II. an, das seine Mutter mal kopiert hatte, und das nun hier, über der Barockkommode aus Familienbesitz, an der hell gestreiften Wand hing.

Nun kam auch Tulla heim und wurde von ihrer mütterlichen Gastgeberin auf das sorgsamste mit einem späten Imbiß bedient. Und Tulla sah sehr hübsch aus, in schwarzen Spitzen, die den Hals frei ließen, und mit einer glitzernden, schwarzen Jettspange im Haar. Das gab Allert sich zu. Aber es ärgerte ihn irgendwie, daß seine Mutter das junge Ding so fürsorglich verpflegte. Es kam ihm vor, als mache seine Mutter ihr beinahe den Hof. Er war nicht unbefangen, er sah nicht, daß seine Mutter nicht mehr tat, als selbst dem jungen Gast gegenüber am Platze war, er vergaß, daß dann immer alles bei seiner Mutter gleich eine solche Note von Wärme und Hingabe hatte. Er dachte wirklich geradezu: Mutter hofiert sie per procura Raspe.

Tulla sprach von der Oper. Es war ziemlich voll gewesen. Bekannte? O ja – Dora Vierbrinck und der Hauptmann Fritz von Patow und eine Dame dabei, die vielleicht Doras Mutter sein konnte. Rötliche Haare? Sehr glatt gescheitelt? Ja. Und es sah so aus: Verlobte, die von der befriedigten Mutter geleitet werden. Tulla hatte herangehen wollen. Aber die Herrschaften waren so umdrängt gewesen – und sie hatte im Vorbeigehen genau gehört, daß die Dame mit den glatten, rötlichen Scheiteln abwehrend gesagt hatte: »Glückwünsche werden durchaus noch nicht angenommen ...« Und rund herum hatte alles gelacht – ja, sehr vergnügt waren sie gewesen in der Gruppe.

Und man hörte heraus, daß Tulla sich fremd und allein im Zwischenakt gelangweilt habe ... Das war so begreiflich. Sophie war voll Mitleid und tröstete: es solle auch nie wieder vorkommen. Heute hatte es sich so gefügt – es waren ernste Sachen zu besprechen gewesen – Geschäfte, und davon mögen junge Mädchen nichts hören.

Zu entschuldigen brauchte Mutter sich auch nicht gerade, dachte Allert.

Und die Oper selbst? Oh, ganz nett – aber Tulla hatte Caruso als Radames gehört, und sie fand auch die Amneris der Götze besser – ja, Mama hatte jenesmal für den Platz achtzig Mark bezahlt – aber schön war es gewesen ... Und es klang ein leises, fernes bißchen Blasiertheit und Protzentum heraus – ganz unbewußt –

Am andern Tage sagte Tulla: »Sie haben Sorgen, liebe, gnädige Frau – ganz gewiß – irgendeinen Kummer haben Sie – ach, ich kenne Ihr Gesicht so genau –«

Das rührte nun Sophie.

»Ja, liebes Kind. Dumme Sorgen.«

»Sorgen?« sprach das junge Mädchen in einem Ton des Widerwillens. »Das hängt immer mit Geld zusammen.«

»Kann sein – auch hier – in zweiter Linie. Ich will es Ihnen lieber sagen: es scheint, in der Familie Dorne sind Katastrophen eingetreten ...«

»Wegen der gräßlichen Frau?«

Sophie stand verdutzt. Welches Urteil hatte denn die junge Tulla über diese Frau? Wie konnte sie überhaupt ein Urteil haben?

»Wie kommen Sie darauf, Kind –?«

Tulla zuckte die Achseln.

»Ach,« sagte sie in einem Gemisch von Naivität und Erfahrung, »ich weiß nicht – die kommt einem nicht geheuer vor ...«

Das war unbestimmt – ganz ins Blaue hinein gesprochen. Sophie hütete sich aber, näher nachzuforschen. »Was eigentlich vorgegangen ist, wissen wir nicht. Nur dies ist klar: Allert wird noch ernste Auseinandersetzungen haben und möchte sich von Doktor Dorne trennen. Dazu gehört viel Geld. Und so haben wir allerlei zu bedenken.«

»Jetzt gerade, wo bald Ihr Sohn Raspe kommt!« sprach Tulla und bekam eine weinerliche Stimme.

Seit Wochen war sie nun hier und wartete geduldig auf die schöne Osterzeit. Und nun kamen Sorgen? Oh, Tulla wußte gut: Sorgen – Geld – Verstimmung – Streit – das hing zusammen. Das war ihre Erfahrung aus dem Leben der Mama. Seit Papas Tod gab es ja seltener Streit, denn Onkel Karl von Buschke, Mamas Bruder, der Junggeselle, hatte solche Schwäche für die jüngere Schwester und schickte immer Geld, wenn sie festsaß. Aber wenn Harald und Viktor schrieben, fuhr Mama im Zimmer umher und schimpfte ... Also von nun an wurde es hier auch so ungemütlich ...

Sie ging in ihr Zimmer und starrte lange auf die Höfe und Hinterhöfe hinaus und auf die Wipfel, in die der Frühling grüne Pünktchen hineinwirkte, und die sich zwischen den Mauern wie Gefangene ausnahmen oder wie vergessene Ueberreste der Natur...

Diese Aussicht machte sie noch bekümmerter. Sie dachte an ihr Zimmer in Berlin – an den großen Raum voll weißer Lackmöbel und blau und weißer Libertyseide.

Aus einem dumpfen Gefühl heraus schrieb sie einen Brief an Fiffi v. Samelsohn und dachte: sie ist doch ganz nett – und man war so aneinander gewöhnt, von klein an.

Es wurde ein sehr tiefsinniger Brief, voll von Betrachtungen über die Schwierigkeiten des Daseins, und wie besonders doch die Liebe Opfer fordere. Ja, an den Opfern, die man bringe, könne man erst recht ermessen, wie groß eine Liebe sei.

Tulla weinte aus einem ihr selbst nicht erklärbaren Grund über diesen ihren Herzenserguß. Dann fügte sie noch ein P.S. hinzu:

»Wie war es denn in Paris? Bist Du schon in Nizza? Wie gefällt es Dir? Hast Du Dich in Paris verliebt? Ist der Baron Legaire noch bei unsern Mamas? Schreibe bald Deiner Tulla.«

Und das »bald« unterstrich sie fünfmal.

Hiernach wurde ihr plötzlich wieder sehr mutvoll ums Herz. Sie holte aus ihrer Schmuckkassette das Bild Raspes hervor, das sie – ihrem Glauben nach heimlich, dennoch von seiner Mutter wohl beobachtet – sich aus einem Kasten mit Photographien »gestohlen« hatte. Es war sehr ähnlich. Ein Kabinettbild und Raspe in Uniform darstellend.

Sie versank in den Anblick. Ja, er war der stattlichste, wundervollste Mann, den sie je gesehen. Ihre Verliebtheit schwoll hoch an – flutete als Glückseligkeit über ihr junges Herz und ließ sie alles vergessen. Sie küßte das Bild voll Andacht – ganz und gar liebende, bescheidene Demut.

Dann sah Tulla in den nächsten Tagen wohl ein, daß ihre Voraussetzung, es gäbe hier nur Streit und Verstimmungen, nicht zutraf. Ganz im Gegenteil schien dieses liebevolle Verstehen zwischen Mutter und Sohn noch inniger. Sie gingen so herzlich miteinander um, als könne Güte ihnen helfen – aber daß die Stimmung sehr ernst war, sah Tulla wohl.

Und sie sah ja auch: wenn Allert abends kam, zog er sich mit der Mutter immer erst für einige Minuten zurück.

Sie hörte auch: er verzweifelte beinahe, weil die Lage dunkel blieb. Der abgereiste Doktor Dorne schrieb nicht. Man wußte nicht, wohin er gereist war. Man konnte gar nicht nachforschen. Das vorsichtige Anfragen bei den Dienstboten schien schon fast zu viel riskiert. Man wollte, durfte kein Aufsehen machen. Skandal war zu vermeiden. Der Mann konnte doch unerwartet zurückkehren. Oder schreiben. Die Leute in der Wohnung wußten nichts ...

In der Fabrik sagte Allert, daß sein Teilhaber in wichtigen Familienangelegenheiten verreist sei. Die wissenschaftliche Arbeit mußte inzwischen der Assistent weiterführen, der, das sah Allert gleich, ein tüchtiger und selbständiger Mann war.

Schon sprach Allert mit seiner Mutter davon, ob man sich mit der Polizei in Verbindung setzen wolle ...

Sechs Tage schlichen so hin –

Und Raspes Ankunft stand vor der Tür.

So klagte Tulla es denn laut der Mutter des geliebten Mannes vor:

»Diese Geschichte wird ihm seinen Osterurlaub verderben. Und sie geht ihn doch gar nichts an.«

»Nun, die Sorgen des Bruders gehen ihn wohl an,« sagte Sophie. Aber sie dachte selbst voll Bekümmernis daran: Er kam, vielleicht das Herz voll Spannung und Vorfreude – vielleicht sollte er sich über sein ganzes zukünftiges Mannesleben entscheiden – in festlichen Frühlingstagen sich prüfen, ob junge Liebe und seliges Hoffen zu herrlicher Wahrheit werden können.

Und da drängten sich diese häßlichen Sachen dazwischen. Die Furcht vor Aufsehen, die Allerts geschäftlichen Ruf doch immer ein wenig trüben konnte

– wie, wenn der unselige Mann sich ein Leid angetan? – Wenn das alles in die Presse käme? Allert in solchem Zusammenhang genannt zu sehen – welch ein Gedanke!

Sophie dachte daran: am besten würde es sein, mit Tulla und Raspe zusammen fortzugehen. An Vorwänden fehlte es nicht. Sie war überarbeitet, sie durfte das Bedürfnis nach einer Ausspannung wohl geltend machen. Man konnte in die Lüneburger Heide gehen – malerische Studien versuchen und den herben nordischen Frühling skizzieren. Aber Tulla, das verwöhnte Prinzeßchen, würde in den einfachen Wirtshäusern der Heidedörfer vielleicht zu viel entbehren. Doch Helgoland? Sophie kannte es nicht. Als sie den Gedanken laut erwog, schien Tulla entzückt. Sie war mal dagewesen – als ganz kleines Kind, mit Papa und Mama, in den Zeiten, als es noch vorkam, daß Papa und Mama zusammen reisten. Sie konnte sich jedoch beim besten Willen nicht mehr erinnern, wie es dort aussah. Ja, ja, nach Helgoland. Und sie ward so belebt von der Aussicht auf diese kleine Reise, daß Sophie wohl herausfühlen mußte: es hatte schon an Abwechslung gefehlt. Sie war es ja auch nicht anders gewöhnt: immer Veränderung, Vergnügen. Neues Vorhaben tauchte schon auf, wenn ein Programm noch nicht ganz zu Ende genossen war ...

Es gab nun einen Kampf für das Mutterherz. Sie wünschte so heiß, ihrem älteren Sohn in dieser schweren Zeit der Ungewißheit zur Seite zu bleiben. Aber sie wünschte nicht minder dringlich, dem jüngeren Sohn die bevorstehenden Tage zum Fest zu machen.

Aber da kam ein im Grunde für sie ja recht nebensächliches Ereignis und verhalf zur Entscheidung. Dory Vierbrinck verlobte sich mit dem Baron von Patow. Er war der Sohn von Sophiens verstorbenem Bruder. Wie hätte sie sich der Teilnahme an all den Festlichkeiten entziehen können? Das neue Brautpaar sollte in der Osterzeit durch viele Diners gefeiert werden. Einladungen für sie und ihre Söhne kamen gleich reichlich ins Haus. Dies alles mitmachen und den jungen lieben Gast dann immer allein lassen, hätte geheißen, die ganze Urlaubszeit Raspes um ihren eigentlichen, unausgesprochenen Zweck bringen.

Und wie wenig war der Mutter nach Festen zumute, jetzt, wo so schweres Gewölk über dem Leben ihres Sohnes stand.

Allert selbst riet: reise ab, nimm Raspe und Tulla mit Dir, ich will versuchen, ab und an die Familie zu vertreten; und übrigens weiß ja Fritz ziemlich Bescheid und kann mir's nicht verargen, wenn ich nicht allemal dabei bin, wo er und seine Braut angefeiert werden. Es schien ihm selbst fast willkommen, ein paar Tage allein zu sein.

Er fühlte täglich mehr: alles erträgt sich gut, ja besser zu zweien. Nur gerade nicht Ungewißheiten – deren Peinlichkeit steigert sich beim Besprechen.

So war es denn beschlossen. Am Dienstag nach Palmsonntag wollte man sich einschiffen und am Ostermontag zurück sein.

Und Sophie fuhr am Montag spät nachmittags zur Bahn, um Raspe abzuholen.

Tulla blieb in der Wohnung zurück – ganz aus aller Haltung vor fieberhafter Spannung. Zweimal zog sie sich um, und Therese mußte ihr die Kleider im Rücken schließen. Das nahm Therese übel, denn sie war nicht gewohnt, in ihrer Arbeit so oft gestört zu werden. Tulla wollte wissen, welches Kleid ihr besser stehe, und bekam die Antwort:

»Beides ejal. Schwarz steht jnä Fräulein nu mal nich.«

Und Mamas Jungfer hatte doch immer bewundert, wie vorteilhaft die Trauerkleidung für Tulla sei! Sie weinte beinahe. Sie zog ein drittes Kleid an. Das aus schwarzen Spitzen, das den Hals freiließ. Und geängstigt von Theresens Kritik, suchte sie sich Heller aufzuputzen. Sie legte ihre Perlenschnur um den Hals.

Sie starrte in den Spiegel und kam sich nun schöner vor. Aber in ihr war doch eine große Ungewißheit: bin ich eigentlich hübsch oder nicht? Wenn man so sah, wie die meisten Frauen über diesen Punkt sich unglaublicher Selbsttäuschung hingaben! ... Ja, es war offenbar schwer, es zu wissen. Und sie hätte so gern schön sein mögen – für ihn!

Sie sah nach der Uhr – jeden Augenblick konnte er hier sein. Sie lief nach vorn. Ihr Herz klopfte hart und schnell. Sie riß ein Fenster auf und bog sich hinaus. Da fuhr gerade unten ein Auto vor.

Sofort schlug sie das Fenster wieder zu und rannte in ihr Zimmer zurück. Da saß sie mit heißem Gesicht und wartete.

Das Leben im Hafen tönte als grandioser Rhythmus durch die Morgenfrühe. Vom hellen Dunst leise überschleiert lag das gewaltige und in steter Bewegung sich verschiebende Bild. Vom hohen Geländer herab, über begrüntem Hang und knospenden Baumriesen her, sah das ungeheure Haupt aus Granit. Die ganze hellgraue Riesengestalt Bismarcks hatte fast den gleichen Farbenton wie der Himmel. Und so wurde das Ueberlebensgroße zu einer unbeschreiblichen Feinheit und Märchenhaftigkeit – der Stein verlor seine Härte, die Größe das Erdrückende – einer Geistererscheinung gleich stand der Mann aus Granit und bewachte den großen Strom und die Nähe wie die Ferne und begrüßte alle, die hereindampften, und entließ alle, die hinaussegelten, mit einer Mahnung.


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