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Bei kurzem Hin- und Herreden mit Dorne hatte er wohl gefühlt: So nah geht es dem nicht! Nein, nicht sehr nah! Man war völlig versichert, Dorne ließ gleich ein tröstendes Wort fallen, daß der Zwang eines Neubaues viele Vorteile habe, manche bisher ungünstige Anlage konnte nun zweckmäßiger eingerichtet werden. Er sah für seine Experimente, seine Arbeit bessere Bedingungen voraus. Er war ja auch erst seit ein paar Wochen mit diesem allen verbunden.

Aber für Allert sanken hier viele Erinnerungen in den Staub. Drei harte Anfängerjahre – viele Stunden voll schwerer Sorgen - zahlreiche, nicht umzubringende Hoffnungen – alles, was einen Menschen an die Stätte bindet. Dach ist nicht Dach – Tisch nicht Tisch – Wand nicht Wand. – Der Verstand weiß es wohl: es gibt stolzere Dächer, kostbarere und bequemere Dinge als diese, die nun von der Glut verzehrt werden. Aber was sie adelte, was den eigenen, gewohnten Besitz doch zum köstlichsten macht, das war, daß er ein Stück Leben sah, Zeuge gewesen und so, durch stummes Mitspielen im Dasein, ein beseeltes Teil von ihm war. Es zerriß Allert fast das Herz, daß sein Kontorstuhl, sein Schreibtisch mitverbrannten. –

Und dann – als Kaufmann fühlte er ja auch den Schaden als Schlag, gegen den man sich nicht versichern kann. – Die Unterbrechung der Fabrikation und der Lieferungen – wie leicht konnten da mühsam angeknüpfte Verbindungen für immer zerreißen – die Konkurrenz überholt eilig und lachend den, der wider Willen aufgehalten wird. Erster zu werden ist das Ziel – auch ein Rennen. –

Er biß sich auf die Lippen.

Da fühlte er eine sanfte Hand die seine ergreifen und liebevoll pressen. Er sah zusammenschreckend neben sich. Da stand Julia – im grauen Pelz, auf dem Kopf die graue Pelzmütze, unter der das schwarze Haar hervorbauschte – er sah, seltsam das Geringste und Nebensächlichste genau erfassend, daß an dieser grauen Pelzmütze ein Veilchenstrauß befestigt war – und wie ein Blitz huschte eine Vorstellung durch ihn hin – ein dicker, dunkler Veilchenstrauß auf blaßblauer Seide, an weißen Schultern. Und dies jetzt – hier! – Aber es war schon vorbei. Er sah die Flamme wieder steigen und die Rauchwolken aufquellen und hörte das emsige Raunen pruzelnder, sausender, brodelnder Geräusche.

Und mitten in seine bitterlich schmerzenden Gedanken hinein, so, als hätte er sie ihr genau erzählt, sagte Julia:

»Ja, Ihr seid genau versichert. Mein Mann sagte es mir unterwegs. Aber was hier alles gerade für Sie mitverbrennt, das kann Ihnen keine Versicherung ersetzen. – Alle Erinnerungen an Ihre ersten Arbeitsjahre. An Ihre erste Selbständigkeit – Gott, muß das ein wichtiges und verantwortliches Gefühl gewesen sein. – Sie war doch für Sie ein Stück Lebensgeschichte geworden, die Fabrik. Mein Mann, dessen Fassung ich bewundere, wird Ihnen gewiß eine große Stütze sein – aber dies versteht er nicht. Ich versteh' es – ja, ich ...

Windelweich war ihm zumute. Die Worte sprachen zu ihm.

Sie hat doch ein warmes Herz. – Da ist doch mehr in ihr, fühlte er.

Er drückte in heißer Dankbarkeit die Hand wieder, und es genierte ihn nicht, daß die schwarzen Augen in den seinen den feuchten Schimmer sahen.

Und gleich danach geschah es, daß der eine der leitenden Feuerwehrmänner sie bat – »weit, weit zurückgehen« – und daß Julia sich voll Angst an seinen Arm klammerte. Er legte die Rechte um ihren Pelz und führte sie weiter fort. Und da kamen sie schon in die Front der Zuschauer, die die Straße füllten. Und all diese Gesichter, dies Gehäuf von Menschen zwischen den Mauern der nächtigen Straße, über die bald greller Schein hinflog und bald ein schwarzer Rauchschleier, das hatte etwas Furchtbares – wie Lemuren, die am Eingang einer Unterwelt lauernd sich zusammenhäufen. – –

Und die zarte Frau schien von allem Mut verlassen, in dem sie sich hergewagt – sie lehnte an Allert, und er mußte sie halten.

Wo war der Mann? Allert sah ihn nicht. Der Befehl des Feuerwehrmannes hatte sie, planlos, blind gehorchend, nur so fortgejagt. Nun dehnte sich vor ihnen der abgesperrte Straßenteil. Ja, wer mochte wissen, wo Dorne war. – Und hilflos stand man hier und sah den Tempel der Arbeit zusammenstürzen, und mit den aufquellenden Rauchwolken schienen die Geister der Stätte zu entfliehen.

Er dachte: Ich sollte fortgehen – die Frau wegführen. Was tun wir hier. Man war nur ein tatenloser Zuschauer wie all diese Tausende, die sich im Schlunde aller Gassen hüben und drüben preßten.

Er hatte nicht einmal das Recht, sich zu betätigen – da arbeitete die Wehr – die nur ihre geschulten Kräfte an ihre Maschinen heranließ – da war die Polizei, die sogar den Besitzer fortwies. Hier waren keine Menschenleben in Gefahr, die man mit heldischem Mut hätte retten wollen und können. Hier galt es die höchste Umsicht und die rasendste Arbeit, das Feuer nicht weiterspielen und -tanzen zu lassen – zu verhüten, daß ein großes Fabrikviertel, daß zahllose Schiffe ein einziges großes Feuerwerk wurden, daß sich Lagerstätten voll von Millionenwerten in prasselnde Scheiterhaufen, Raketen und Glühbomben auflösten.

Ja – fort – die Qual des Zusehens war zerrüttend.

Julia flüsterte: »Ich möchte fort – bringen Sie mich nach Haus.« – –

Er verstand nicht. Trotzdem man das Gefühl hatte, inmitten einer grandiosen, andachtsvollen Stille zu sein, durch die nur Kommandorufe hallten, war in der Tat die Luft voll von Geräuschen, die, durcheinander sausten und zischten.

Sie mußte es noch einmal sagen.

»Ja,« sagte er, »gewiß.« –

Und nun fühlte er: es hielt ihn hier mit bezwingender Gewalt fest – es war ein Opfer, die Frau zu geleiten. – Ganz rasch machte er sich aber klar: In einer Viertelstunde kann ich wieder hier sein.

Er versuchte, Julia durch das Gedränge zu bringen. Jeder wollte gern vor ihm zurückweichen, denn viele kannten ihn als den Besitzer der brennenden Farbwerke, und andere errieten, daß er es sei. Das teilnahmvolle Platzmachen war aber schwer, denn jeder Gefällige, indem er sich bewegte, drückte schon mit seinem Rücken gegen die Brust eines Hintermannes.


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