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Endlich kamen sie aber doch durch diese lang sich hinstreckende, zusammengekeilte Menge. Und da war auch ein Auto. Sie stiegen ein. Julia fiel, wie in halber Ohnmacht, mit ihrem Kopfe gegen seine Schulter. Mit ihren beiden Händen umklammerte sie seinen Arm, ging, wie suchend, mit ihren Fingern abwärts, bis sie seine Rechte fand, und umpreßte sie mit heftigem Druck. Und rasch schien sie sich zu erholen. Sie sprach – in abgebrochenen Worten – aber jedes kam aus seinem eigenen Gemütszustand – sagte ihm, wie ihm zumute war; sein tiefstes Innere, so wie es in dieser Stunde war, schien auf ihren Lippen sich in die rechten, erlösenden Reden zu kleiden.

Das tat ihm wundervoll wohl. Er war ja nicht schwach und nicht zerbrochen. Aber er war weich, erregt, nervös. Und dieser Weichheit war es Trost, so mit verstehenden, zarten Worten gestreichelt zu werden ...

Das schien nicht die Frau mit dem deutlich versucherischen Wesen.

Das war das Mitleid, das war das Verständnis in Person – vor allem dies letztere. – So klein und einsam vor dem gewaltigen Ereignis hatte er gestanden – so ganz in menschliche Nichtigkeit aufgelöst.

– Und man ist nicht mehr in der zermalmenden Einsamkeit vor der Naturmacht, man ist nicht mehr eine Nichtigkeit voll Ohnmacht, wenn eine verstehende Seele sich zu einem neigt: »Ich leide mit Dir, weil ich weiß, daß Du leidest.« – –

Und immer traulicher schmiegte sie sich in seinen Arm.

Da hielt das Auto – droben im Haus glänzten erhellte Fenster in die Nacht hinaus. – –

»Dank,« sagte er mit unsicherer Stimme, »Dank für all Ihr Mitgefühl.« – –

Und da neigte sie sich zu ihm – so nah – daß ihre schwarzen, flehenden Augen dicht vor seinem Gesicht waren.

War sie es, die zum Kuß seine Lippen berührte – war er es, der die ihren suchte? – Ein kurzer Augenblick ...

Dann Stimmen – der Chauffeur, der die Tür aufriß – helle Rufe von droben aus den Fenstern

– Geräusche drinnen an der Haustür. –

Julia stieg die drei, vier granitenen Stufen zu ihr empor. –

Und er, der im Auto saß, das sofort wendete – er sah nicht das Siegerlächeln auf ihrem Gesicht. –

Allert jagte zurück. Dieser kurze Augenblick war rasch abgetan – mit einer Handvoll vernünftiger Worte, die er sich sagte: die arme Frau war außer sich – gleich ihm jäh mit dem Donnerwort aus dem Schlaf gejagt – er wußte ja, wie einen das umwarf – und dann die Furchtbarkeit des Brandes – das war ein Schauspiel, das die Nerven fieberischer erbeben macht als jedes andere. – Ein zartes Weib hat das Verlangen, sich zu halten – es ist das natürliche Begehren nach Schutz, das sie sich an den Mann schmiegen heißt, der zufällig neben ihr ist. –

Und gerade alles, was an Ritterlichkeit in ihm war, erklärte und entschuldigte ihre Hingegebenheit – und er entschuldigte auch sich selbst. –

Es gibt Stimmungen und Augenblicke, die einen über die Grenzen führen. – Aber er war sich bewußt, jenseits der Grenzen nichts Unerlaubtes empfunden zu haben.

Eine Aufwallung der reinsten Menschlichkeit – zwischen zweien, die in diesem Augenblick nicht Mann und Weib waren. –

Und am andern Vormittag weinte seine Mutter an seiner Brust. Und er mußte und konnte ihr auch tröstend sagen: »Wär' ich ein Mann, wenn mich so ein Rückschlag umwürfe? Ein Zwischenspiel, das aufhält – jawohl. – Mehr aber nicht.«

Das war im Amsterschen Hause. Dort suchte Allert seine Mutter; vorher zu ihr in die Pension zu kommen, war ihm unmöglich gewesen; bis zum Mittag konnte er nicht warten, er durfte es nicht darauf ankommen lassen, daß ein Zufall oder eine Zeitung ihr die erste Nachricht gäbe.

Lurch, der ihn ja nun als den Sohn der hier täglich anwesenden und von seiner Herrschaft sehr geehrten und geliebten Malerin kannte, ließ ihn sogleich in das erste der großen Zimmer, wo er vor vier Wochen Marieluis als Tochter dieses Hauses erkannt hatte. Droben im improvisierten Atelier malte seine Mutter jetzt die beiden Haimbrugkschen Knaben, und in Gegenwart dieser Kinder, in Gegenwart von vielleicht deren Erzieherin und Atelierbesuchern mochte Allert seine ernste Neuigkeit nicht mitteilen. Er ließ seine Mutter herunterbitten.

Als er das Zimmer betrat, erschrak er.

Vor acht Tagen, als er zum Sonntagsessen hier mit seiner Mutter zuletzt gewesen war, stand das Bild noch nicht hier. – Er hatte es noch nie gesehen – nun war es hier aufgestellt, ehe es, dem Wunsche der Senatorin gemäß, zur Empfehlung der Malerin bei Commeter ausgestellt wurde. – Daß es ein wirklich bedeutendes Kunstwerk sei, erkannte und bedachte er in diesen Minuten nicht.

Das war sie ganz! Dies schöne, gereifte Wesen, ernst und klug und kühl und beherrscht – mit dem reizvollen Mund, in dessen Winkeln mehr Heiterkeit und Temperament sich versteckten, als man in Sprache, Blick und Geste je erriet. Das blaßbläuliche Gewand trug sie auf dem Bild, und die dunklen Veilchensträuße in kraftvoll lila Tönen wirkten höchst malerisch. – Und wie das duftige Haar ihn entzückte – man hätte mit den Händen hineinfahren mögen. – Ach, und diese Schultern und Arme. – Vollkommen! dachte er. Und dachte es zornig – erbittert.

Dann kam die Mutter. Und nach dem ersten großen Schreck, den ersten Tränen und seinen gefaßten Worten rief sie nach Lurch. Ja, man mußte doch die Senatorin wissen lassen ... Sie war gerade im Atelier gewesen. – Vielleicht hatte sie es sogar schon gewußt und beherrscht geschwiegen. – Jetzt meinte Sophie es durchaus: »Ja, unbefangen war sie nicht.« – Und als Lurch meldete: »Herr von Hellbingsdorf wünschen seine Frau Mutter dringlich zu sprechen,« da hatte sie gesagt: »Gehen Sie nur rasch.« – Es sah wohl der Senatorin ähnlich, ihr Wissen zu verbergen, um dem Sohn nichts vorwegzunehmen. – Das nackte Wissen ohne Kenntnis der näheren Umstände ist oft noch viel grausamer als die genaue Wahrheit. –

Und es zeigte sich, daß die kluge Frau wirklich durch eine Telefonnachricht ihres Gatten vom Brande der Hellbingsdorfschen Farbwerke unterrichtet worden war – schon um halb zehn. – Aber sie war der Ansicht: »Nicht mir kommt es zu, die kahle Tatsache einem erregbaren Mutterherzen mitzuteilen.«

Jetzt aber, da sie mit ihrer Tochter erschien, nahm sie die ihr gemäße Haltung an. Sie beherrschte mit Fragen, Mitteilungen, Ansichten das Gespräch.

Es war Sophie lieb. Sie fühlte sich vom Schreck geschlagen, litt um ihren armen, lieben Jungen und bewunderte ihn auch zugleich. – Und dies Bewundernkönnen tat ihr wohl wie der beste Trost.

Frau Amster erzählte zunächst, was ihr der Senator kurz telefoniert habe, und begründete ihr Verschweigen der Unheilsnachricht als logisch und gerecht. Auf diesen beiden Leitworten ihres Lebens ruhte sie ein wenig aus, voll Gefallen an sich und ihrer Freiheit von dem gewöhnlichen, weibischen Mitteilungsdrang. Dann aber wollte sie alles wissen.

Und Allert erzählte. Und der Schluß seiner Erzählung lautete:

»Es war so tötend – so unnütz – dazustehen – zu warten, bis endlich diese schreckliche, hochsteigende Flamme in sich zusammenfiel – nochmals stieg und sank, bis das Ganze nur ein wüster Haufen schien, aus dem zuweilen Flammen zuckten. – Und bis endlich alles schwarz war – diese trostlose nasse Schwärze, ja – die hatte was wie vom Grab. – Der Himmel wurde grau – die Menschen verloren sich – andere kamen – die Stockung in den Straßen hörte auf. – Ich hatte eigentlich gar keinen Gedanken mehr, als ganz blöde und dumm: jetzt ist der Himmel schon grau. – Und mich fror – Dorne war schon längst nach Hause gefahren. Ich hätte auch gehen sollen. Aber das war wie 'ne fixe Idee – ich mußte durchaus aufpassen, wie der Himmel langsam hell wurde. Endlich sagte der Brandmeister was zu mir – daß man erst nach einigen Stunden würde nachsehen können, ob der Geldschrank standgehalten habe

– Geld ist ja natürlich nicht viel drin. – Das gibt's heutzutage nicht mehr – aber die Bücher. – Da kam ich denn ein wenig zu mir selbst und fühlte mich zerschlagen. – Du fielst mir ein, Mutter, und die zahllosen Tassen Tee, mit denen Du Dich lebendig machst, wenn Dich was umgeworfen hat. – Na – ich ging in meine Wohnung, und nach dem vielen starken Tee ward mir famos zumute – ganz kühn sozusagen. – Nun erst recht! fühlt ich so ungefähr. Man sollte Ereignisse niemals vor dem Frühstück beurteilen. Und ich beschäftige mich mit der Frage: Sollte Mut keine Charaktersache sein? Sollte er latent in Tee- und Kaffeekannen stecken? Wie Teein und Koffein? Das muß Dorne mal untersuchen!«

Die Senatorin lächelte wohlgefällig.

Sie selbst war eine gänzlich humorlose Natur. Gerade deshalb war ihr Allerts scherzhafter Ton unterhaltend, und sie spürte auch, daß er ihn zuweilen wie eine Art von Waffe und Wehr brauchte, um seine eigentlichen Empfindungen dahinter zu verbergen, und vor allen Dingen, um seiner Mutter zu suggerieren, er nähme das Leben leicht.

»Und Frau Doktor Dorne? Haben Sie etwas von ihr gesehen? Hat sie sich aufgeregt?«

»Sie war in der Nacht mit zur Stelle. Nachher mußte ich sie rasch nach Hause bringen. Der Gatte hatte sich im Gewühl verloren. Die Gattin war ziemlich aus der Fassung, doch voll Verständnis.«

Du hast keins! Offenbar gar keins! dachte er grollend zu Marieluis hinüber, die schweigend saß, das Fenster voll Vormittagssonne im Rücken, so daß ihr Gesicht gänzlich im Schatten und um ihr blondes Haar eine goldschimmernde Kontur war. Sie hatte ihm nur die Hand gereicht – höchst flüchtig.

Solche schreckhaften Ereignisse hatten wohl nicht auf Teilnahme von ihr zu rechnen – dabei gab es ja keine sittlich Verwahrlosten zu retten. – Dabei konnte ja keine hebende und ausgleichende Tätigkeit entfaltet werden. – Und ein warmes, gutes Wort an einen zu richten, der immerhin Schweres erlebte – der noch lange, lange an dem Schlag zu tragen haben werde – dazu stand man diesem einen wohl zu feindlich gegenüber.

Während er diese zornigen Gedanken an Marieluis richtete, bemerkte die Senatorin lobend: »Das gefällt mir an Frau Dorne. In solchen Stunden gehört die Frau zum Mann! Man hat doch wiederholt immer die besten Eindrücke von ihr.«

Es gefiel auch Allerts Mutter. Sie war immer so froh, wenn sie etwas Lobendes über Julia sagen und damit ihr Gefühl und ihre Vorurteile widerlegen konnte. »Und was fangt Ihr nun an?« fragte sie sorgenvoll.

»Wenn man nicht selber das Objekt wäre – fast Spaß hätt's einem machen können – auch das Pech bringt Konjunkturen für Geschäftsleute. – Man kann den Satz aufstellen: Es gibt keinen Schaden! Alles, was sich ereignet, ist irgend jemandes Nutzen – alles ist Umsatz: Tod und Feuersnot und Wasser, Krieg und Pestilenz – bloß Umsatz.«

»Und ich finde,« sprach die Senatorin angeregt, »daß gerade das dem wirtschaftlichen Leben der Neuzeit einen so intelligenten, ausgleichenden, rastlosen und sicheren Charakter gibt. Dies beinahe unwahrscheinliche Ineinanderverflochtensein aller Interessen bewahrt uns vor allzu großen Erschütterungen.«

Sie fing an, von der großen Geldkrisis zu sprechen, die 1857 in Hamburg alle Geschäfte lahmgelegt, und wie, nach den Erzählungen ihres Vaters, die Leute in Freudentränen ausbrachen, als die bekränzten Lokomotiven auf dem Berliner Bahnhof, damals dem ersten und einzigen noch, einfuhren, diese kleinen Lokomotiven mit den großen Schornsteinen, die uns heute, wenn man Bilder von ihnen sieht, beinahe anmuten wie Modekupfer aus vergangenen Tagen. Sie brachten Silbergeld aus Oesterreich, diese Lokomotiven, und das sollte in die leeren, stockenden Adern des wirtschaftlichen Lebens fließen.

Ja, so etwas konnte man sich gar nicht mehr als möglich vorstellen.

Und weil sie doch einmal beim Erzählen war, kam sie auf ihres Vaters Berichte vom Hamburger Brand im Mai 1842, und wie die Leute auf den Knien lagen und beteten, während der flammende Kirchturm sich neigte, und das von der Hitze bewegte Glockenspiel mit hallenden Tönen in die Feuersglut hineinsang: »Allein Gott in der Höh sei Ehr'.«

Sie sprach lebhaft und gut, und diese jeden Hamburger bewegenden Erinnerungen lenkten ganz von Allert und seinen Sorgen ab. Sophie, die sich in Gegenwart der Senatorin immer an die Wand gedrückt fühlte, ohne dadurch im mindesten verletzt zu sein, denn es war unwillkürlich und entsprach dem Wesen beider, Sophie hätte zu gern nachgefragt. Aber sie wollte nicht unhöflich sein.

Mit einem Mal, in eine knappe Atempause hinein, fragte aber Marieluis:

»Sie wollten uns erzählen – vielleicht, wie Ihre Lage andern Leuten zum Vorteil wird? – Ich verstand« –

Daß Marieluis ihre Mutter unterbrochen hatte, ehe diese ihren Vortragsstoff bis aufs letzte Körnchen vor den Zuhörern ausgeschüttet gehabt, war wohl noch nicht dagewesen. Wenigstens Allerts Mutter und er selbst hatten es noch nicht erlebt. Und nun klopfte ihm sofort das Herz wegen dieser Zwischenfrage, als ob sie etwas ganz Besonderes sei.

Die Senatorin schien ein wenig verdutzt – wie ein Husch ging ein derartiger Ausdruck über ihr Gesicht. Aber sie schloß sofort ein ermunterndes: »Also?« – an.

»Drei Makler waren schon Punkt neun zur Stelle. Jeder schwor, daß er uns am vorteilhaftesten unter Dach und Fach bringen könne. Wir werden wohl die leerstehenden Gebäude einer verkrachten chemischen Fabrik am Nagelsweg mieten – Dorne meint, da läßt sich der provisorische Betrieb in kürzester Frist einrichten. Und ein Vertreter einer Baufirma, deren Spezialität Fabrikbauten sind, fand sich mit Vorschlägen ein. Und dann ein Mann, der ein Angebot auf Kauf und Abfuhr der Trümmer machte. Und ein Agent von Safes, falls unser stählernes das Feuer nicht sollte ausgehalten haben. –«

»Fabelhaft!« sagte die Senatorin.

Sophie war ganz erleichtert.

Sachverständig fragte die Senatorin weiter: »Und die Lieferungen?«

»Gerade gestern – 'n bißchen Glück hab' ich ja immer irgendwie doch – ja, da haben wir 'n ganzen Leichter mit Blechbüchsen befrachtet – Farbstoff für 'ne große sächsische Spinnerei und Baumwolldruckerei – soll die Elbe rauf. – Und zur Bahn kam gestern auch gerade noch vielerlei. – Ich muß die andere Kundschaft bitten, sich zu gedulden – zu der wichtigsten reise ich selbst ...«

Er fühlte die herzlichste Anteilnahme der klugen Frau. – Plötzlich dachte er: Wie so ein außergewöhnliches Ereignis die Menschen gleich näher aneinander bringt. –

Und die Hausfrau sagte jetzt auch, daß sie darauf bestehe! Allert und seine Mutter müßten hier heute abend essen, Allert sollte durchaus auch noch mit dem Senator sich aussprechen, den alles sehr interessieren würde. – Sein Haus habe doch unter seinem Großvater auch die Erschütterung durch einen Brand aushalten und überwinden müssen. Damals freilich seien nicht gleich Makler und Agenten mit Hilfsmitteln aus dem Boden aufgeschossen. – Alles sei schwerer gewesen, nicht nur weil das Unglück so viele traf und die ungeheure Ausdehnung hatte, sondern weil man damals diese auf Gelegenheit lauernden Allesvermittler im Geschäftsleben noch nicht kannte.

Allert nahm die Einladung an. Er wußte selbst nicht, ob ungern oder mit heißer Freude. Er dachte: Ich sollte ihr aus dem Wege gehen – jetzt – jetzt auch das noch – diese Quälerei. – Das lenkt ab! Das darf nicht sein. – Ich habe Sorgen – Arbeit. –

So viel von beiden, daß er die nächsten Wochen manchmal dachte, es würde sich nicht bezwingen lassen, es gehe über seine Kraft. Und alle Augenblicke mal zu kurzen Reisen auf und davon – trotz Telefon und Draht, in gewissen Dingen war die Ueberredungskunst doch die beste Art zu verkehren.

Und darüber kam es ihm eigentlich gar nicht zum Bewußtsein, daß er plötzlich für einen kleinen Kreis von Menschen eine Hauptperson und ein Mittelpunkt geworden war.

Bei Dornes wußten es sogar schon die Dienstboten: das Kommen und Gehen des Herrn von Hellbingsdorf bestimmte die Toiletten der gnädigen Frau und die Gerichte auf dem Tische. Oft, wenn er am späten Abend von einer Reise zurückkam, suchte er noch seinen Teilhaber auf, um sich mit ihm zu besprechen. Dorne, unfähig, nach außen hin auch nur den kleinsten Schritt für ihr Unternehmen zu tun, arbeitete in seinem Laboratorium mit desto leidenschaftlicherem Eifer. So schienen sie sich auf das glücklichste zu ergänzen. Wenn diese kaum verhehlbaren Unruhen nicht gewesen wären, von denen Dorne oft mitten bei der Arbeit befallen ward! – Und Frau Julia machte immer ein großes Wesen davon, wenn er so abends, manchmal etwas abgespannt, noch in wichtigen Sachen vorsprach. Dann tat sie, als sei es ihre Pflicht, sich in seiner Pflege zu erschöpfen, und als habe er zu ihrer aller Besten ungefähr Herkulesarbeit hinter sich.

Es war ihm peinlich, daß seine Tätigkeit zu überschwenglichem Verdienst aufgebauscht wurde. Es genierte ihn vor dem Manne, der mit Worten beistimmte, in dessen helle Augen aber dann immer der seltsam schimmernde Funke trat. –

Im Hause Amster war Allert auch plötzlich »der liebe junge Freund« geworden. Auf das ernsthafte Gesicht des Senators kam ein heller Schein, wenn er mit ihm sprach, und die klugen, scharfen Züge der Hausfrau milderten sich zur Zufriedenheit, so oft er sich bei ihnen als Gast, natürlich besonders eingeladen, zum späten Mittagessen einfand. Seine Mutter genoß es glückselig, ihrem Sohn die Achtung und Vorliebe dieser beiden hochstehenden Köpfe und Herzen zugewendet zu sehen – denn schließlich – sie hatten ja auch Herz. –

Wie viel, das wußte Allert noch gar nicht. Aber seine Mutter, die hatte es erfahren.

Nicht nur durch all die nahezu leidenschaftliche Protektion. Diese schätzte Sophie in ihrer feinen Menschenkenntnis sehr richtig ein. Da sprach das Herrscherbedürfnis der Senatorin. Sie hatte diese Malerin gewählt und hierher gebracht, nun sollten alle Menschen durchaus im Urteil und Geschmack mit ihr übereinstimmen, und indem sie der von ihr geladenen Künstlerin Auftrag über Auftrag verschaffte, bewies sie sich und anderen ihren machtvollen Einfluß.

Nein, die Mutter hatte zur Mutter gesprochen. Etwa drei Wochen nach dem Brand.

Es war nach einer Sitzung. Die kleinen Haimbrugks hatten mit ihrer Mama, der Erzieherin und einer älteren Schwester einen ziemlich geräuschvollen Abgang genommen. Sophie knöpfte sich gerade die Malschürze ab. Da betrat die Senatorin das Atelier. Sie war im Hut und Pelzpaletot, vornehm und stattlich sah sie aus. Sie kam aus einer Vorstandssitzung. Dann war sie immer besonders angeregt; sie hatte dann ihre Ueberlegenheit voll ausgekostet und war mit sich zufrieden.


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