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Sighard.

Seit einigen Tagen ließ sich Editha kaum sehen. Sie saß am Fenster ihres luftigen Zimmers beim Stickrahmen. Doch mancher Nadelstich irrte und falsche Farben wurden eingetragen; denn es war nicht der Geist der Stickerin bei der Arbeit. Sighard beschäftigte sie und die auffallende Thatsache seines Nichterscheinens. Weßhalb kam er nicht? Hatten drei Jahre die Erinnerung an alte Freunde in seinem Gedächtnisse verwischt? War er gleichgültig geworden gegen Jene, die ihm Theilnahme bewahrten? Hatte Waffenruhm seinen Geist vergiftet bis zur Geringschätzung seiner aufrichtigsten Bewunderer, – bis zur Undankbarkeit gegen die Wohlthäter seiner Mutter?

Doch nein, – dies Alles war unmöglich! Sighards hoher Sinn bestand unverdorben, sein edler Charakter konnte nicht einer Handlungsweise niederer Sinnesart verfallen. Nicht ihn traf ein Tadel, sondern ihre Ungeduld und fast anmaßenden Ansprüche. Schon gleich am folgenden Tage seiner Heimkehr hatte sie ihn erwartet, – welche Anmaßung! Würde er seinen Besuch auf Wochen hinausschieben, er handelte deßhalb nicht geringschätzend, verstieß nicht gegen die Formen des Anstandes. Er ritt nach Auerberg, wann es ihm gefiel, – und wann er kam, mußte das Erscheinen des viel besungenen Helden die Burg und deren Bewohner ehren.

Solchen Gedanken und Empfindungen hingegeben, hatte Editha zehn Minuten lang unterlassen, nach Greifenstein hinüber zu spähen. Da klang Hufschlag an ihr Ohr. Sie schaute hinab, und jähe Röthe übergoß ihr Angesicht. Der längst Ersehnte ritt in den Hof, über alle Maßen stattlich und schön. Er trug ein goldenes Gewand von solcher Pracht, wie es Editha niemals gesehen. Von den Strahlen der Mittagssonne überströmt, ging ein solches Leuchten, Blitzen und Funkeln von ihm aus, daß ihre Augen geblendet wurden. Er schwang sich aus dem Sattel und übergab das Pferd dem herbeigeeilten Roßknechte Hunolt. Als sich jetzt Herr Sighard nach dem Eingange des Hauses wandte, sah er nach den Gemächern Edithas empor. Ein wonniger Schreck überfiel die Späherin, sie wich scheu zurück und stand, wie betäubt, in Mitte des Zimmers. Dort stand sie noch, als sich die Thüre öffnete und Isengard, die Zofe, mit vielsagender Miene herein kam.

»Euer gnädiger Vater läßt Euch ersuchen, in den Saal zu kommen und den edlen Ritter Sighard von Greifenstein zu grüßen.«

Unwillkührlich berieth Editha den Spiegel, der jedoch von so bescheidenem Umfange war, daß er kaum das Angesicht wiedergab.

»Ordne mein Haar, – doch rasch! Es drängt mich sehr, den Freund längst vergangener Tage wieder zu sehen, und auch den vielbesungenen Helden der Gegenwart zu grüßen, – wie es der Vater gebot.«

»Schwerlich grüßte jemals Jungfrauenmund einen hübscheren Mann, und wohl auch keinen, der Frauengruß züchtiger verdiente, – wenn nicht mein Auge mich betrog.«

Indem Isengard so sprach, begann sie, mit einem silbernen Kamme das prachtvolle Haar zu ordnen, das tief über den Rücken hinabfloß, wie eine goldig schimmernde Fluth. Frisuren gab es damals nicht. Frauen trugen Hauben, Jungfrauen ließen das Haar frei über Nacken und Rücken herabwallen. Dann legte Isengard um das Haupt der Herrin einen Goldreif, der zierte und zugleich das Haar zusammenhielt. Aus dem Schranke nahm sie einen reichen Mantel, ein weites, bis zu den Füßen hinabfallendes Gewand, von röthlicher Farbe, ohne Aermel, an den Säumen durch silberne Stickereien geziert und über der Brust von einer goldenen Agraffe zusammen gehalten. Feierlich kleidete das Gewand Editha. Wohl unter dem Einflusse ihrer gegenwärtigen Gemüthsbewegung, erhob sich ihre natürliche Anmuth zur jungfräulichen Würde, und ihre seltene Schönheit strahlte in königlicher Majestät. Wie ein Diadem trug sie den Goldreif, goldig schimmerte das wallende Haar, Lilien und Rosen schmückten ihre Wangen, und sonnenhaft leuchteten ihre Augen. Doch alle diese körperlichen Vorzüge verdunkelte die Hoheit ihres Wesens, und ihre ganze Erscheinung erinnerte sehr an die gelungensten Liebfrauenbilder, welche zartes Empfinden und fromme Gläubigkeit altdeutscher Meister geschaffen, oder vielmehr den Wirklichkeiten jener geistig großen Zeit nachgebildet.

Nur zwei Gemächer trennten vom Saale, und diese beiden Gemächer durchschritt sie mit Bedacht, fast mit Zögern. Plötzlich war eine nie empfundene Beklommenheit über Editha gekommen. Sie fühlte den Brand ihrer Wangen und scheute sich, einen Mann zu begrüßen, den sie höher schätzte, als irgend einen Menschen.

Isengard öffnete weit die Thüre. Das Burgfräulein überschritt die Schwelle.

Greifenstein unterhielt sich mit Frau Kunigunde und Baldemar, jedoch in einer Weise, die seine Zerstreutheit und Erwartung des Kommenden verrieth. Während Billungen den Gast mit tausend Fragen über die böhmische Heerfahrt bestürmte, betrachtete Frau Kunigunde mit mütterlichem Wohlgefallen den stattlichen Sohn ihrer Freundin, der zum Besuche im höchsten Schmucke ritterlicher Tracht erschienen war. Sein Scharlachmantel bildete ein vollendetes Werk damaliger Kleiderkunst; denn nach künstlerischer Vollendung strebten damals alle Gewerbe, selbst die Schneider. Der Stoff bestand aus dem feinsten Seidengewebe, mit Gold und Silberfäden durchwirkt, am Saum durch kostbaren Pelz verbrämt, an den sich Goldstickereien in überaus reicher und geschmackvoller Zeichnung anschlossen. Auch das Unterkleid, von blauem Sammt, war an Aermeln und Saum durch reiche Ornirungen in Silber geziert, während das Schwert ein handbreiter, zierlich gearbeiteter Ledergurt trug.

Als sich die Thüre öffnete, wandte Sighard das Haupt, und wie geblendet stand er, beim Anblicke der nahenden Erscheinung. So mächtig war der Eindruck, und so kräftig lebten in dem jungen Edelmanne die Empfindungen seiner Zeit für die reine Weiblichkeit, daß ihm beinahe die Uebung ritterlichen Anstandes entging. Er beugte vor Editha das Knie, wie vor einem höheren Wesen, und wagte kaum, mit den Lippen die zum Kusse dargereichte Hand zu berühren. Zu den höchsten Pflichten des Ritterthums gehörte nämlich die Verehrung der Frauen, deren Schutz und Vertheidigung gegen Willkühr und Unterdrückung. Daher auf allen Turnieren des Adels und in allen Gesängen der Dichter der stehende Wahlspruch: »Ehre den Frauen!« Und hohe Ehre verdienten jene altdeutschen Frauen; denn Vorbild aller Weiblichkeit war Maria, Unsere Liebefrau, deren Tugenden nachzuahmen, allen ihres Geschlechtes ziemte. Hiezu kam die ideale Stimmung der Zeit, welche Frauenschönheit vergeistigte und mit einem höheren Nimbus umgab. Aus der Verschmelzung religiöser, ritterlicher und feudaler Begriffe und Ideen entwickelte sich das Herkommen, gleichsam die Verpflichtung für jeden Ritter, einer Dame zu huldigen, ihr seine Thaten zu weihen. Er wurde Lehensmann und Vasall der Auserwählten. Das Verhältniß zwischen Beiden blieb jedoch ein ideales, über allen geschlechtlichen Beziehungen erhabenes. Deßhalb war es ihnen nicht gestattet, sich zu ehlichen, weil nicht dem Geschlechte Verehrung und Vasallendienste galten, sondern jenem lauteren, großartigen Ideenkreise, dessen Verkörperung die Auserwählte darstellte. – – Dagegen entehrte den Ritter nichts so sehr, als die Liebe zu erniedrigen, indem er sein Herz an einen unwürdigen Gegenstand verschenkte.

So bildete die Frau das ideale Wesen, dessen Einfluß Poesie, Turniere und Höfe beherrschte.

Diese Hochschätzung und Verehrung der Frauen entsprang lediglich dem Christenthum. Das heidnisch germanische Weib schmachtete im Zustande der Erniedrigung. Das klassische Griechenland hatte die Frau zum groben Sinnengenuß herabgewürdigt. Rom kannte nur die Mutter von Soldaten und Bürgern. Die Kirche hingegen zerbrach mit den Sklavenketten zugleich das Joch der Frauen und erklärte dieselben als gleichberechtigt mit dem Manne. Nebenbei erschien mit dem Evangelium das Weib in christlicher Verklärung, Theil nehmend am Werke der Erlösung und des Apostolates, namentlich Maria, die Mutter des Heilandes, die Königin der Engel, von himmlischer Schönheit umstrahlt, ein Inbegriff aller Hoheit und Reinheit, ein hehres Wesen, unerschöpflich an Vorzügen für die Einbildungskraft eines tiefsinnigen Zeitalters. Und mit Maria wurde ihr ganzes Geschlecht gehoben, geadelt, das Weib gleichsam genöthigt, in Wandel und Gesinnung, in Tugend und Reinheit, der Ursache seiner Achtung näher zu kommen.

Allerdings blieb dieser glanzvolle Frauendienst nicht ohne Schattenseite und Verzerrung. Wenn Verehrung der Auserwählten den Ritter spornte zur Tapferkeit und kühnen Thaten, sowie zur Bedingung an überwundene Feinde, bei der Dame seines Herzens sich auszulösen, so mochte dies noch angehen. Wenn aber Ulrich von Lichtenstein bei einem Turniere, das er zur Ehre seiner Dame gab, sich den verwundeten Finger abschneidet und ihn der Auserwählten überreichen läßt, so war dies Tollheit und Wahnwitz eines Sonderlings, – keine Handlung im Geiste des herrschenden Frauendienstes.

Weit weg von solchen Abgeschmacktheiten war Sighard von Greifenstein. Als er das Knie beugte vor Editha, genügte er keineswegs einer leeren Förmlichkeit, er folgte zugleich einem Zuge seines Herzens, das glaubte an die Verehrungswürdigkeit eines Wesens, dessen vollendete Körperschönheit noch weit höhere geistige Vorzüge wiederstrahlte.

»Seid willkommen, Herr Sighard!« sprach sie, den Knieenden durch eine Handbewegung aufrichtend. »Gleichgroß sind Ehre und Freude, den hochgefeierten Ritter begrüßen zu dürfen.«

»Ganz richtig, – den hochgefeierten Ritter!« bestätigte Herr Baldemar. »Vor wenigen Tagen war ein fahrender Minnesänger bei uns zu Gast, der Eure Kühnheit in der Böhmenschlacht gar hübsch besungen. – Nun aber, – der guten Sitte muß Genüge geschehen! Editha, reiche unserem liebwerthen Gaste den Minnetrunk!«

Er deutete auf einen silbernen Pokal, der neben einer Kanne, von gleichem Metall, auf einer Platte stand. Editha füllte den Pokal mit Wein bis zum Rande.

»Heil, Herr Sighard!« sprach sie, von dem Weine nippend, und darauf den Pokal dem Gaste überreichend.

»Heil und Minne!« erwiederte er, den Becher zum Munde führend.

Alle tranken und sprachen die gleichen Worte.

Nach Erledigung dieses gesellschaftlichen Brauches, nahte Sighard abermals mit einer tiefen Verbeugung dem Edelfräulein.

»Bereits habe ich Euren Aeltern schuldigen Dank ausgesprochen, für das meiner Mutter bewiesene Wohlwollen. Empfanget auch Ihr meinen innigsten Dank, edles Fräulein! Der einsamen, durch mancherlei bange Vorstellungen gequälten Burgfrau von Greifenstein seid Ihr, während meiner Heerfahrt, eine gar liebevolle Trösterin gewesen. Meine Mutter ist voll des Lobes und Rühmens über Eure große Güte. Betrachtet mich als Euren Schuldner, den nicht allein die Vorschriften des Ritterthums, sondern auch Dankbarkeit zu Eurem Dienste verpflichten.«

»Die geringen Verdienste einer selbstverständlichen Aufmerksamkeit,« erwiederte sie, »haben Huld und Minne Eurer vielwerthen Frau Mutter reichlich vergolten.«

Herr Baldemar rückte Stühle. Editha nahm den Ehrenplatz am Tische ein, während Frau Kunigunde verschwand, der Aufgabe der Hauswirthin zu genügen.

Greifenstein löste den Schwertgurt.

»Laßt mich Euer Knappe sein, Ritter Sighard,« sagte Billungen, von den Schultern des Gastes den Mantel abnehmend. »Ein reiches Kleid, – von solcher Pracht, wie ich es niemals geschaut! Wohl eine Gabe des Kaisers?«

»Doch nicht; – ein Geschenk des Bürgermeisters Hartmann von Worms,« antwortete Sighard.

Der heitere Gesichtsausdruck Billungens trübte sich bei den Worten; er gedachte der Wormser Fehde.

»Gestern empfing ich das Gewand,« fuhr Greifenstein fort, dem Baldemars Bewegung nicht entgangen war, »und trage es heute, bei dieser feierlichen Gelegenheit frohen Wiedersehens, zum ersten Male.«

Er warf hiebei einen flüchtigen Blick auf Editha, deren gleichgültige oder wohlwollende Empfindungen bei Gelegenheit des Wiedersehens zu erforschen. Er fand jedoch keine Merkmale für das Eine, oder für das Andere. In jungfräulicher Hoheit saß sie da, strahlend von Anmuth und Schönheit, nach des jugendlichen Forschers Urtheil weit erhaben über gewöhnliche Gefühlsweise.

»Ein schlimmer Handel, – der Span mit Worms!« sagte Billungen, indem er seinem Gaste gegenüber Platz nahm. »Ihr kennt wohl Ursache und bisherigen Verlauf der Fehde?«

»Ich habe nachgefragt und bin genau unterrichtet,« antwortete Greifenstein, ernst niedersehend.

»Nun gut, – was sagt Ihr dazu?«

»Leider kann ich Eure Verfahrungsweise nicht ganz billigen, – am wenigsten die Waffenbrüderschaft mit Bertolf von Starkenburg.«

»Darin irrt Ihr, bester Freund! Ich stehe mit dem Grafen in keiner Waffenverbrüderung. Er allein führt den Span, ohne meine geringste Mitwirkung; – er allein stellte sich in den Riß für meine schwer gekränkte Ehre, gewiß sehr edel! Das Unrecht müßte ich ertragen, wie ein Wehrloser, von dem stolzen Worms unglimpflich Behandelter, ohne Bertolfs treue Freundschaft.«

»Ihr faßt die Sache, Herr Baldemar, nach der Eingebung Eures biederen Gemüthes. Betrachte ich jedoch den Burggrafen nach Innen und höre dazu seinen Leumund, so finde ich von Freundestreue und Edelsinn keine Spur, – wohl aber berechnende Selbstsucht, die eine erwünschte Gelegenheit klug ausbeutet. Uneigennütziger Freundschaft und Theilnahme ist ein Mensch, von Bertolfs Charakter, ganz und gar unfähig. Am Dorngestrüpp des Eigennutzes sammelt man nicht die süße Traube selbstloser Opferwilligkeit. Demzufolge wird Bertolf seine Bedingungen gestellt, seinen Lohn gefordert haben für den scheinbaren Freundesdienst.«

Billungen sah nieder und trommelte mit den Fingern auf der Tischplatte.

»Nun ja, er machte seine Bedingung, sogar eine hohe, schwer wiegende, – gemäß seinem Einsatze bei solcher Fehde, – obendrein noch eine heikle und nicht leicht erfüllbare, wegen eines gewissen Umstandes,« gestand er seufzend.

»Nebenbei gedenkt Bertolf, die fahrenden Wormser Kaufleute berauben und ausplündern zu können,« fuhr Sighard fort. »Gemeiner Straßenraub beschimpft ihn dabei nicht. Er liegt ja mit Worms in Fehde und schädigt ritterlich seine Feinde, – ein prächtiger Ehrenschild für den verkappten Straßenräuber, eine gleißende Maske für den Frevler.«

Beifällig vernahm Editha die gerade Rede, und Sighards Entrüstung über den Verabscheuten erfüllte sie mit hoher Freude.

»Ihr geht zu weit, – viel zu weit!« widersprach Billungen.

»Nicht weiter, als mich Bertolfs bekannte Gesinnung zu gehen berechtigt.«

»Ich theile vollkommen Euer Urtheil über den Burggrafen, Herr Sighard!« sprach Editha. »Der schlaue Mann, voll Tücke und Hinterlist, mißbrauchte den arglosen Sinn meines Vaters.«

»Hütet Eure Zunge, Fräulein Tochter!« unterbrach sie unmuthig Herr Baldemar. »Deine unbegründete Abneigung wider meinen erprobten Freund solltest Du in Hochschätzung wandeln, – Du kennst mein Gebot! – – Was konnte ich thun, ohne des Grafen wackeres Einstehen für mein Recht? Sollte ich die Unbild schweigend ertragen, wie ein feiger Bube? Die fast höhnische Behandlung der Wormser ruhig einstecken?«

»Der gesetzliche Weg stand Euch offen,« antwortete Greifenstein. »Nicht das Faustrecht des Burggrafen hättet Ihr anrufen sollen, sondern das gesetzliche Verfahren des kaiserlichen Landrichters.«

»Um niemals Recht und Genugthuung zu erlangen, – man kennt dies! Wer fragt seit manchem Jahre nach dem Landvogt, der seine Sprüche nicht vollziehen kann? Oder nach einem Kaiser, der schwach ist, wie sein Landvogt? Die Faust gilt, die Stärke, – nicht das Recht! Wohl gemerkt, – dies sage ich nicht, weil mir der Wirrwarr gefällt im Reiche, – nein, ich beklage ihn! Wollte nur Dinge schildern, wie in Wirklichkeit sie liegen.«

»Wie sie lagen im kläglichen Zwischenreiche,« versetzte Greifenstein. »Heute liegen sie anders. Wir haben einen frommen, klugen, gerechten und starken Kaiser. Ordnung schafft der Habsburger im Reiche und Recht. Eben hat sein gewaltiger Arm den mächtigsten Trotzkopf, den Böhmenkönig, niedergeworfen, – die Reihe wird an Alle kommen, die sich auflehnen wider das Gesetz. Rudolph nimmt es furchtbar ernst mit seinem Schwure, ein Schirmherr der Kirche, der Unterdrückten und Schwachen zu sein. Raubdegen läßt er kurzweg aufhängen und deren Burgen schleifen. Kein Landfriedensbrecher findet Schonung vor seiner Strenge.«

Kunigundens Eintritt unterbrach den Gegenstand. Einige Mägde folgten ihr, mit Schüsseln und Platten, mit Bechern und Kannen, so daß ein reiches Mahl den Tisch bedeckte. Die Mannigfaltigkeit ausgesuchter Speisen verrieth sofort, daß sich Frau Kunigunde auf den erwarteten Besuch gerichtet hatte.

»Was Ihr da Rühmliches meldet über den Habsburger, freut mich sehr,« sagte Billungen, indem er eine Pastete zerschnitt. »Aber es fragt sich, ob Rudolphs Hand stark genug ist, dem Rechte allenthalben freie Bahn zu schaffen. Nicht gar viele weltliche Fürsten mag es geben im Reiche, die ein gutes Gewissen haben. Die Meisten von ihnen benützten das Zwischenreich zu ihrer Bereicherung, – oder richtiger gesagt, zu straflosen Diebstählen an den Reichsgütern. Andere, vorsichtiger und klüger, ließen sich von den schwachen Königen schenken, was ihnen gefiel. Demzufolge ist der Kaiser arm, machtlos, – die Fürsten haben Alles eingesackt und sind mächtig. Wie mag nun der Habsburger nach dem Rechte durchgreifen können?«

»Sorget nicht, Herr Baldemar! Kaiser Rudolph wird durchgreifen, – sehet doch zu, was er bereits gethan! Vor zwei Jahren schon zwang er den Markgrafen von Baden, den Grafen Eberhard von Würtemberg und den Grafen von Freiburg, Alles haarklein heraus zu geben, was sie von Reichsgütern an sich gerissen. Auch den Erzbischof von Mainz nöthigte er, den Bachgau, welchen seine Vorfahren nach des zweiten Friedrichs Tod weggenommen, dem Reiche zurück zu stellen. Hiebei verfährt Rudolph nach dem Grundsatze, daß alle Schenkungen der Könige Richard von England und Alphons von Castilien nichtig seien, da es fremden Herren nicht zustehe, Güter und Einkünfte des Reiches zu verschenken. Ebenso erklärt er für null und nichtig jede Veräußerung und Verschenkung von Reichsgütern, die seit Friedrichs II. Exkommunikation auf dem Concil zu Lyon gemacht wurden Quod omnia donata, confirmata seu facta quocunque modo alio de rebus vel bonis imperii per quondam Richardum regem aut praedecessores suos in imperio a tempore, quo lata fuerit in olim Fridericum II. imperatorem depositionis sententia, nullius habere debeant roboris firmitatem, nisi consensu majoris partis principum in electione romani regis vocem habentium fuerint approbata. Bei M. I.[= Ignaz] Schmidt, Gesch. d. Deutschen VIII, S. 97.. – Das sind Rudolphs Grundsätze, die er mit Kraft und Entschiedenheit durchführt.«

»Ebenso kaiserlich und rühmlich, wie gefährlich!« versetzte Billungen. »Was, meint Ihr, wird die ganz natürliche Folge dieses gestrengen Verfahrens sein? Die fürstlichen Diebe werden zusammenstehen wider den Habsburger und ihn zwingen, vom Rechten abzulassen.«

»Sie haben es bereits versucht,« erwiederte Sighard. »Nicht Wenige schlossen geheime und offene Bündnisse mit dem Rebellen Ottokar von Böhmen. Die Markgrafen Otto von Brandenburg und Heinrich von Meißen, die Erzbischöfe von Cöln und Magdeburg, nebst anderen rheinischen Herren, ließen sich durch Geld bestimmen, für Ottokar zu werben. Herzog Heinrich von Bayern rüstete sogar seine Landsassen für den Böhmenkönig und schickte sie in den Kampf wider den Kaiser. Was half es ihnen? Die marchfelder Schlacht schmetterte alle offenen und geheimen Reichsverräther zu Boden. Es gelang ihnen nicht, den klugen und tapferen Habsburger zu stürzen, den Alle fürchten, die ein böses Gewissen haben und Feinde der Ordnung im Reiche sind. Nicht auf die Fürsten will sich Rudolph stützen, sondern auf die Städte, deren aufrichtiger Freund er ist, und die in starken Bündnissen zusammentreten für Kaiser und Reich.«

Editha sah aus leuchtenden Augen auf den jugendlichen Degen, der nicht allein mit dem Schwerte, sondern auch mit schlagenden Worten für Rudolph einstand; denn auch das Fräulein von Auerberg theilte die Begeisterung ihrer Zeit für den Habsburger.

»Ueberhaupt darf man nicht mit dem gewöhnlichen Maßstabe das gegenwärtige Haupt des Reiches messen,« fuhr Greifenstein fort. »Rudolph ist eine großartige Persönlichkeit, – von Gott augenscheinlich berufen, das Reich wieder aufzurichten, welches die letzten Hohenstaufen tief erschüttert haben. Gleich bei der Krönung zu Aachen schlichtete Rudolphs Weisheit und Frömmigkeit einen verhängnißvollen Streit. Als er nämlich die Fürsten mit den Reichslehen begaben wollte, da fehlte der Scepter. Die meisten Fürsten behaupteten, ohne Scepter sei die Belehnung nicht rechtsgültig, demnach könne Rudolph nicht belehnen. Andere Herren widersprachen, jedoch nur wenige. Da erhob sich der Habsburger, nahm vom Altare ein Kreuz, hielt es hoch empor und rief: ›Sehet hier das Zeichen, wodurch wir und die ganze Welt erlöst worden! Dieses heilige Kreuzzeichen gebrauchen Wir bei der Belehnung statt des Scepters Ecce signum, in quo nos et totus mundus est redemptus, et hoc signo utamur loco sceptri. Hainr. Stero ad ann. 1273. .‹ – Der Streit war verstummt. Die Belehnung mit dem Kreuze erfolgte.«

»Edel gedacht! Wie freut mich diese Geistesgegenwart meines Kaisers!« sagte Editha.

»Ein gar kluger und frommer Herr!« rühmte Frau Kunigunde.

»Weise, wie Salomon!« bestätigte Billungen. »Wollten die Fürsten nicht Juden und Mohren sein, so mußten sie das Kreuz sich wohl gefallen lassen.«

»Und der Gedanke war nicht zufällig, auch nicht gemacht, sondern ganz natürlich; denn er entsprang dem Geiste und Wesen Rudolphs,« fuhr Greifenstein lebhaft fort, als er Edithas hohes Interesse für den Gegenstand bemerkte. »Was der Kaiser thut und spricht, quillt hervor aus dem nämlichen Born lebendigen Glaubens und frommen Gemüthes. Bis heute brach er nicht ein Wort seiner Verheißungen bei Uebernahme der Reichsverwaltung, versäumte nicht ein Pünktchen seiner Pflichten. Rastlos und stark schirmt er die Schwachen, hilft den Unterdrückten zum Rechte, beugt den frevlenden Uebermuth hochfahrender Gewalthaber, sorgt väterlich für Wohlfahrt und Gedeihen der Städte und Gemeinden, schützt Kirchen und Klöster, zerbricht jegliche Tyrannei und straft hart die Verbrecher am Frieden und öffentlicher Sicherheit. Und dies Alles vollbringt er weniger durch Waffenmacht, die er nur in beschränktem Maße besitzt, als durch Klugheit und mit Gottes Hilfe. Nur ein Beispiel seines unerschütterlichen Gottvertrauens! Als er sich anschickte zur Heerfahrt wider Ottokar, frug ihn Ritter Hans von Klingen: ›Wer ist denn Euer Schatzmeister?‹ – ›Der Reichsschatz,‹ antwortete lächelnd der Kaiser, ›besteht noch aus fünf schlechten Silberstücken, die ich bei mir trage.‹ – ›Eia, hoher Herr, wie wollet Ihr nun Euer Kriegsvolk versorgen?‹ rief Klingen verwundert. – ›Der Herr, welcher bis jetzt für mich sorgte, wird es auch auf bevorstehender Fahrt thun!‹ gab Rudolph zur Antwort. Und sein Gottvertrauen wurde nicht zu Schanden.«

»Wie verehrungswürdig!« sagte Editha. »Wäre mir doch das Glück beschieden, den frommen Helden einmal sehen zu dürfen! Herr Sighard, darf ich bitten, uns wenigstens eine annähernde Zeichnung seines Aeußeren zu geben?«

»So weit ich es vermag, thue ich Euch gar gerne den Willen, adeliges Fräulein!« erwiederte er mit einer Verneigung des Hauptes. – »Der Kaiser zählt nun sechszig Jahre, von denen jedoch seine Rüstigkeit und Kraft nichts verrathen. Seine Körperhöhe mißt sieben Fuß rheinisch, seine Figur ist schlank, der Knochenbau stark, sein Kopf klein, die Gesichtsfarbe bleich, das Haar blond und spärlich, jedoch fallen vom Hinterhaupte noch einige volle Locken in den Nacken. Er hat zwei blaue, durchdringende, zuweilen jäh aufblitzende Augen und eine ungewöhnlich vorspringende Adlersnase. Das Kinn trägt er glatt rasirt, und die untere Lippe springt etwas hervor. Die Stirne ist hoch, gewöhnlich der Sitz ernsten Sinnens. Beim gesellschaftlichen Verkehr verbreitet sich gar viele Lieblichkeit über die feinen, edelgeformten Züge. Er scherzt gerne und macht viele Spässe, wenn nicht gerade Sorgen des Herrschers ihn drücken. Seine körperliche Haltung ist fest und gerade, seine Erscheinung erzwingt Hochachtung und Verehrung. Einfach ist sein Kleid; denn er liebt keinen Prunk und verachtet Weichlichkeit. Ueber der Rüstung trägt er einen grauen Waffenrock, ohne jegliche Verbrämung. – Das ist Rudolph von Habsburg.«

»Wie meisterlich Ihr darzustellen vermöget, – man sieht fast den Herrn leibhaftig vor Augen,« sagte Baldemar. »Darum möchte ich auch eine Schilderung der marchfelder Schlacht aus Eurem Munde hören, – so es Euch nichts verschlägt, mein lieber Sighard! Seid ja dabei gewesen und habt den Böhmen deutsche Hiebe ritterlich ausgetheilt. Zwei fahrende Minnesänger haben mir den Waffengang zwar schon vorgetragen in gereimten Worten, aber es war zu viel Singsang dabei, – zu viel Durcheinander, man erhält keinen klaren Ueberblick. Darum möchte ich gar gerne von Euch den Hergang und Verlauf in schlichter Weise vernehmen, ohne Wortprunk und gereimten Schnickschnack.«

»Thut uns den Gefallen, Herr Sighard!« bat Frau Kunigunde, als Greifenstein zögerte. »Der große Waffengang auf dem Marchfelde soll ja für das deutsche Volk von der größten Wichtigkeit gewesen sein.«

»Dies war er, edle Frau!« versetzte Sighard. »Unterlag der Habsburger, siegte der Böhme und mit ihm die verbündeten Fürsten, so war es um Einheit und Macht des Reiches geschehen. Das kaiserliche Ansehen wäre zu einem wesenlosen Schatten abermals zusammengeschrumpft, wie es seit dem zweiten Friedrich gewesen. Fürstliche Uebergriffe und Willkühr hätten den Reichskörper in Stücke zerrissen und das heillose Faustrecht hätte jegliche Ordnung zerstört. – – Am fünfzehnten August ging Rudolph über die Donau und bezog auf dem Marchfelde ein festes Lager. Dort stieß der Pfalzgraf, zu dessen Gefolge ich gehörte, mit fünfzig Helmen zu dem kleinen Heere, das nur dreitausend Ritter und fünftausend Reisige zählte. Täglich trafen jedoch Streithaufen der Städte ein, auch Worms schickte hundert wohlgerüstete Mannen, ebenso viele Zürich, die Vorlande eine Schaar geübter Bogenschützen. Der vertraute Freund des Kaisers, Bischof Heinrich von Basel, erschien mit hundert und fünfzig Gewappneten, der Erzbischof von Mainz mit zweihundert. So wuchs allgemach das Heer auf vierzehn tausend Mannen, – während König Ottokar, dessen Lande und Hilfsmittel von Böhmen bis an das adriatische Meer sich erstreckten, mit gewaltiger Streitmacht heranzog. Dreißig tausend Krieger, alle gut bewaffnet und kampfgeübt, folgten ihm. Ottokar führte Belagerungszeug mit, um das Lager der Deutschen zu beschießen, weil er glaubte, der Kaiser werde sich gar zu schwach fühlen und keine offene Feldschlacht wagen. Rudolph erkannte die große Gefahr, den Muth aber verlor er nicht; denn Furcht und Zagen sind dem frommen Helden unbekannt. Schon war der Feind nahe, täglich drohte ein Angriff, den jedoch Rudolph hinter Wällen und Gräben nicht zu erwarten gedachte. In freiem Felde wollte er mit seinen Getreuen der Uebermacht begegnen. Als mein Pfalzgraf die Ungleichheit der Streitkräfte und die bedenkliche Lage andeutete, versetzte lächelnd Herr Rudolph: ›Mir genügt, eurem Schutze mein Leben anvertrauen zu können. Rastet noch einen Tag, dann geht es zum Streite. Gottes Gnade, die mich an das römische Reich gerufen, wird mich wundersam auch aus diesem Kampfe führen.‹«

»Da kam Hugo von Tauffers geritten mit der frohen Kunde, König Ladislaus von Ungarn sei mit zwanzig tausend leichten Reitern bei Marcheck eingetroffen. Darob entstand große Freude. Die Ungarn und Kumanen bedeuten zwar nicht viel und taugen wenig zum Kampfe. Es sind kleine Leute, ohne Rüstung, mit Lanzen und Pfeilen bewaffnet, auf gar kleinen Pferden. Betrachtet man so einen kumanischen Reiter, so scheint es, ein guter deutscher Ritter möge Roß und Mann in der Faust zerdrücken können. Aber flink sind die Gesellen, rasch zum Angriff und zur Flucht, den Feind belästigend und ermüdend.«

»Am fünf und zwanzigsten August rückten wir aus dem Lager und nahmen Stellung zwischen Stilfrid und Dürrenkrut. Ganz in der Nähe lag der Böhme, keine Stunde entfernt. Weithin sah man seine Streitmassen das Feld bedecken. Allein der Böhme rührte sich an jenem Tage nicht; die angebotene Schlacht nahm er nicht an, wahrscheinlich deßhalb, weil er überrascht worden und der Deutschen Ankunft nicht gewärtig gewesen.«

»Als im Westen die Sonne tiefer sank und die Böhmen zum Waffengang nicht erschienen, bereiteten sich der Kaiser, die Fürsten, nebst vielen Herren, auf morgen ohne Zagen den Tod zu erleiden. Fromme Brüder des heiligen Franziskus und Dominikus hörten allenthalben Beichte, von dichten Gruppen Solcher umdrängt, die sich zur Reise in die Ewigkeit rüsten wollten; denn klar dünkte es Allen, daß ein blutig heißer Tag bevorstehe und für gar Manchen der jüngste Tag anhebe. Bis nach Mitternacht währte das reuige Anklagen der Bekenner und das Lossprechen der Priester. Beim Morgengrau las Bischof Heinrich von Basel unter freiem Himmel die Messe. Der Kaiser, die Fürsten und eine große Menge edler Degen empfingen den Frohnleichnam. Darauf erhoben sich Alle heiteren Muthes zum Streite für das Recht und das heilige Reich. Auch an körperlicher Stärkung für den Kampf gebrach es nicht. Speisen waren in Fülle zur Hand.«

»Jetzt bildete der Kaiser die Schlachtordnung. Er theilte das Heer in drei Haufen; den mittleren führte er selber. Der linke Flügel kämpfte unter Habsburgs Fahne, der rechte unter dem Reichsbanner. Vor dem Kaiser wogte die rothe Fahne, mit dem weißen, sieghaften Zeichen des Kreuzes. Die Nachhut von dreihundert Rittern übergab Rudolph zur Führung dem langen Ulrich von Capellen und Conrad von Sumerau, – den tapferen Degen höchst ungelegen; denn sie mochten lieber vorn daran sein, als hinten müßig stehen. Alle Krieger hatten zum Erkennungszeichen ein weißes Kreuz angeheftet, – sogar die heidnischen Kumanen.«

»Nun ritt der Kaiser durch die Reihen und sprach ermuthigende Worte. Der Worte bedurfte es nicht, schon der Anblick Rudolphs, voll Würde und Majestät, entflammte zur Begeisterung, ja, zu freudigem Tode für eine gerechte und heilige Sache. Den Habsburger begleitete dessen Freund, Bischof Heinrich, der ein Panzerhemd über das Gewand der Barfüßer gezogen; denn schon flogen die Pfeile.«

»Inzwischen verriefen die Mönche mit lauter Stimme vollkommenen Ablaß. Sie gingen durch die Reihen, blieben zuweilen stehen und verkündeten: ›Der heilige Vater gewährt vollkommenen Ablaß aller zeitlichen Strafen für Jene, die sterben im Kampfe für das Recht und das heilige Reich!‹«

»Darauf wurde das Feldgeschrei ausgegeben, – es hieß: ›Christus, – Rom!‹«

»Jetzt hob der Bischof von Basel mit weithin schallender Stimme den Schlachtgesang an:

›Heil'ge Maria, Mutter und Magd,
All' unsre Noth sei Dir geklagt!‹«

»Singend rückte das Heer langsam vorwärts. Auch die Böhmen zogen bedächtig heran. Schon hörte man ihr Feldgeschrei ›Gospodino Pomoloido!‹ Wild, scharf und stürmisch klangen die wälschen Laute. Dann wurde es stille hüben und drüben. Auf Bogenschußweite standen wir uns nahe. Es war eine peinliche, bangvolle Stille, die letzte Ruhepause, bevor das Blut in Bächen sich ergoß. Deutlich sah man die glänzende Gestalt des Königs Ottokar. Hoch zu Roß hielt er im Mitteltreffen auf einer Anhöhe, in silberner Rüstung, um den Helm eine goldene Krone, deren Edelsteine blendende Lichter ausstrahlten. Ich sah von dem prächtig gekleideten Herrn auf den einfachen Rudolph, der einen ganz gewöhnlichen Panzer und Waffenrock trug, ohne jegliche Zier.«

»Noch hielten die beiden Heere einander gegenüber, wie zwei finster drohende Wetterwolken. Da geschah es, daß Heinrich Schorlin, ein schwäbischer Ritter, im Dienste des Bischofes von Basel, plötzlich auf die Böhmen lossprengte. Gar kühn und verwegen sah es aus, wie ein einziger Recke ein ganzes Heer anfällt. ›Reit' zu! Reit' zu!‹ riefen Viele. Rudolph hingegen befahl einigen Rittern, dem Schwaben nachzusprengen und ihn heraus zu hauen. Statt Einiger stürmte jedoch eine ganze Schaar wider den Feind, – und so begann die Schlacht. Zwischen dem Marchfluß und den Hügeln wogte das blutige Gedränge bis zum Mittag ohne Entscheidung. Da gebot Ottokar einer auserlesenen Ritterschaar, den Kaiser und dessen Streitgenossen anzufallen. Wie ein Sturmwetter brachen die Böhmen hervor. Die Wucht des Ansturmes warf das deutsche Mitteltreffen. Rudolph sandte eilends einen Boten, die Nachhut herbei zu rufen. Der lange Ulrich mochte jedoch mit seinen Heergesellen zu spät kommen; denn immer gewaltiger drängte die Masse der Böhmen. Der Habsburger sah die Seinen weichen, die Reihen durchbrochen. Mit einer Stimme, welche den Waffenlärm übertönte, rief er: ›Streitet für das Recht, – kämpfet für das heilige Reich! Christus, – Rom!‹ Zugleich hob er den Schild und stürzte sich in das dichteste Gewühl. Krachend schmetterten die Streiche des Helden auf Schilde und Helme, und gar mancher Böhme fiel aus dem Sattel. Das Beispiel des Kaisers stachelte die Recken zur äußersten Anstrengung. Eine kühne Schaar drängte dem Habsburger nach, der stritt, wie ein Löwe, einem unerschütterlichen Felsen vergleichbar, an dem wüthend die feindlichen Massen anprallten. Feuerflammen schlugen die Schwerter aus Helmen und Schildesrand, und manche edle That geschah. Allein die Deutschen vermochten es nicht, die feindlichen Reihen zu werfen. Immer höher schwoll die Fluth der Böhmen, ungestümer wurde ihr Andrang. Da verschwand plötzlich Herr Rudolph. Ein Böhme hatte ihm schnöde das Pferd durchbohrt; es stürzte und mit ihm der gute Held. Ein Ritter aus Thurgau, Walther von Ramswag, deckte mit seinem Schilde den Gestürzten, und ringsum tobte wüthend die Schlacht. Es war große Noth. Das eherne Getöse machte die Luft erzittern und die blutgetränkte Erde bebte unter dem gewaltigen Streiten der Recken. Da stürmten Ulrich von Capellen und Conrad von Sumerau mit ihren dreihundert Rittern heran. Mit unwiderstehlicher Gewalt brachen sie in den Feind und warfen ihn zurück. Da rief Markgraf Heinrich von Hochberg: ›Der Böhme flieht, – er flieht!‹ Und Viele wiederholten freudig die Worte. Wirklich floh der Feind. Schrecken war plötzlich über die Böhmen gekommen. Nach allen Seiten flüchteten sie über das Feld, verfolgt von den hurtigen Ungarn und Kumanen. Auch die feindliche Nachhut, sechshundert Ritter, die noch keinen Schwertstreich gethan, wurden fortgerissen. Eine große Menge sprang in den Fluß, wo sie ertranken, und zwölftausend Erschlagene bedeckten die Wahlstatt. Auch König Ottokar, der muthig gestritten bis zum letzten Augenblicke, war gefallen. Heinrich von Bartholsdorf fand die Leiche, nackt ausgezogen, von Blut überronnen und mit zahllosen Wunden bedeckt. Er meldete den Fund dem Kaiser. Dieser ritt zur Stelle, betrachtete voll Wehmuth den furchtbar entstellten, vor einer Stunde noch so mächtigen und stolzen Gegner, und stand tief erschüttert. Dann hob er das Haupt und sprach zu den edlen Degen ringsum: ›Sehet hier die Nichtigkeit aller Größe und alles Glückes auf Erden!‹«

»Das ist Verlauf und Ausgang der Schlacht auf dem Marchfelde!« schloß Greifenstein.

Die Zuhörer waren in athemloser Spannung dem Erzähler gefolgt. Herr Baldemar hatte die Fäuste geballt, Frau Kunigunde bangvoll die Hände verschlungen, und Edithas Antlitz war weiß, wie Lilienblüthe.

»Habt Dank, Ritter Sighard, – Dank!« sprach aufathmend der Burgherr. »Weiß Gott, so anschaulich und greifbar habt Ihr den Streit beschrieben, daß ich vermeinte, dabei zu sein und dreinschlagen zu müssen! Hei, – das war ein heißes Ringen! Jetzt kann ich von dem großen marchfelder Waffengang mir eine Vorstellung machen.«

»Empfanget auch meinen Dank, Herr Sighard!« sprach Editha. »Was Ihr vorgetragen, ist ergreifend gewesen und rühmlich. Was Ihr jedoch verschwiegen, war noch rühmlicher, und das Rühmlichste das Verschweigen.«

Das gespendete Lob aus solchem Munde erfreute sehr den bescheidenen Helden, und das huldvolle Lächeln ihres Antlitzes entzückte ihn, während Billungen den verhüllten Sinn der Worte bedachte.

»Richtig, – gerade den Hauptehrenpunkt habt Ihr ja verschwiegen!« sagte Baldemar. »Den Ritter Walther habt Ihr zwar genannt, wie er kühn und tapfer mit seinem Schilde den gefallenen Kaiser gedeckt. Allein die Mär meldet noch einen anderen Degen, der wie ein Thurm vor dem Kaiser gestanden, und diesen habt Ihr nicht genannt, nämlich unseren Sighard von Greifenstein. Nun, verzeiht meinen Freimuth, – jedem gebührende Ehre!« fuhr er fort, als Sighard den Blick senkte. »Ich weiß, Demuth und Bescheidenheit gehören zu den Pflichten des Ritterthums, und Ihr thuet wohl daran, denselben zu genügen. Aber Editha hat Recht: – Euer Verschweigen war das Größte und Rühmlichste, dieweilen die Ueberwindung Anderer leichter sein mag, als die Ueberwindung seiner selbst.«

»Ich wollte Gott auf den Knieen inständig danken,« sagte Frau Kunigunde, »wenn unsere beiden Söhne am Hofe des Landgrafen von Hessen Euren Fußtapfen folgen würden.«

Die Worte erinnerten Sighard an Heidolf. Er kannte die Abneigung des Vaters gegen den »Dickkopf« und fürchtete heftigen Zorn des reizbaren Mannes, über Heidolfs Erkühnen, kein Mönch werden zu wollen. Demnach überlegte er, wie Herr Baldemar mit der gefallenen Entscheidung zu versöhnen sei.

»Nach meinem Dafürhalten,« begann er, »legen die Klosterschulen weit festeren Grund zum Ritterthum, als die Fürstenhöfe. Körperstärke, Tapferkeit und Waffengewandtheit lassen den Edelmann unfertig, – sittliche Grundsätze hingegen, feste Regeln für das Leben, geschöpft aus den göttlichen Wahrheiten des Evangeliums und vermittelt durch Männer nach dem Herzen Gottes, vollenden den Ritter. Ein Degen von großer Kraft des Leibes, aber ohne religiöse Grundsätze, ist eben kein Ritter, sondern ein Mensch, der von seinen starken Gliedern den allerschlimmsten Gebrauch machen kann. Natürlich genügt das bloße Wissen sittlicher Grundsätze auch nicht, diese müssen vielmehr eingeprägt, einerzogen, zu frei gewählten Lebensregeln gemacht werden; – Beides erlangt der Knabe und Jüngling in den Schulen und in der strengen Zucht der Klöster, nicht an den Fürstenhöfen. Deßhalb meine ich, Ihr hättet wohlgethan, auch die beiden anderen Söhne den frommen Vätern in Lorsch zu übergeben.«

Wohlgefällig betrachtete Editha den jungen Mann, der so ernst und verständig sprach.

»Ihr redet so gescheidt, wie Vater Folcnand in Lorsch, der hundert Jahre alt und voller Weisheitsprüche ist,« scherzte Baldemar. »Euer Lob auf Schulen und Zucht der Klöster mag gelten, – weiß übrigens, daß nicht lauter Sigharde von Greifenstein daraus hervorgehen.«

»Euer Heidolf von siebenzehn Jahren mag dem Sighard von gleichem Alter kaum nachstehen,« erwiederte Greifenstein. »Gestern war ich in Lorsch. Die Väter priesen Heidolf in hohem Maße und bedauerten sehr, keinen Beruf für den Ordensstand in ihm zu entdecken, – meinten jedoch, er würde ein guter Degen werden.«

Billungens Gesicht wurde finster.

»Das soll er nicht!« rief er unwirsch. »Bin nicht vermögend, drei Ritter auszustatten. Zum Mönch habe ich Heidolf bestimmt, hiebei muß es bleiben.«

»Mit Verlaub, Herr Baldemar, mir dünkt Eure Rede nicht ganz nach der Ordnung! Wenn Heidolf zum Ordensstand keinen Beruf hat, wie mögt Ihr ihn zwingen, Mönch zu werden?«

Die beiden Frauen sahen bei der Frage in fast ängstlicher Spannung auf den Burgherrn. Man konnte in ihren Zügen lesen, daß sie mit seinem harten, unväterlichen Willen nicht einverstanden und mit Theilnahme für Heidolf erfüllt seien.

»Wie ich ihn mag zwingen?« erwiederte Billungen in rauhem Tone. »Nach dem Rechte des Vaters, den Stand seiner Söhne und die Heirathen seiner Töchter zu bestimmen. Wie ich befugt bin, meiner Editha einen Gemahl zu geben, den ich für tüchtig und recht halte, so bin ich auch befugt, aus meinen Söhnen Ritter oder Mönche zu machen. So ist es Brauch und Herkommen Cantu, B. VII, S. 630.

Greifenstein bewegte mißbilligend das Haupt.

»Allerdings ein herkömmlicher Brauch, aber ein ungerechter, sogar ein unchristlicher Brauch!« entgegnete er. »Diese Vergewaltigung der freien Berufswahl stammt noch aus der Heidenzeit, – in der christlichen Lehre, Moral genannt, steht jedoch hievon das Gegentheil. Aus diesem Grunde verbietet die Kirche jeden Zwang der Aeltern und verweigert die Aufnahme aller Kinder in Klöster, die nicht aus eigenem Antriebe, sondern auf Befehl der Aeltern das Ordensgewand nehmen sollen.«

Beifällig nickte Frau Kunigunde.

»Mütterlich besorgt und weise handelt auch in diesem Punkte die Kirche,« sprach sie. »Mein Gemahl wird eher von einem gefaßten Vorhaben abstehen, als die Kirchengebote verletzen.«

»Das Vorhaben wäre auch unausführbar,« bemerkte Sighard. »Die frommen Väter von Lorsch werden unter keiner Bedingung gegen ihr Gewissen und gegen das Gebot der Kirche handeln.«

»Ich merke, gestern habt Ihr in Lorsch Dinge erfahren, die für mich gar übel und bitter schmecken,« versetzte grollend Herr Baldemar.

»Noch weit bitterer würde Euch das Bewußtsein schmecken,« erwiederte Sighard, »statt eines guten Ritters, aus Heidolf einen berufslosen, schlechten Mönch gemacht zu haben. Bedenkt doch eine solche Verantwortung vor Gott!«

»Bei St. Veit und allen Heiligen!« rief Billungen auffahrend. »Was soll ich mit dem Jungen anfangen?«

»Ueberlaßt ihn mir, Herr Baldemar! Stolz wäre ich darauf, aus dem ehrenfesten Geschlechte der Billungen einen Edelknappen zu besitzen. Ich würde Heidolf im Gebrauche der Waffen üben, die Pflichten des Ritterthums ihn lehren und zum Knappen heranbilden. Im nächsten Frühjahre reite ich an den Hof des Kaisers, wo es zu kühnen und edlen Thaten immer Aufträge giebt. Heidolf wird mich begleiten. Dann wollen wir sehen, ob der Klosterschüler nicht ein besserer Ritter wird, als die beiden Edelknaben am Hofe des Landgrafen.«

Billungens Gesicht wurde helle.

»Dies wollt Ihr übernehmen?«

»Mit rechter Freude!«

»So mag es gelten, Ritter Sighard, – unsere Hände darauf!« und er reichte ihm über den Tisch die Rechte. »Weiß Gott, Ihr nehmet mir da einen schweren Stein vom Herzen!«

»Wir sind Eurer großen Güte sehr verbunden, Herr Sighard!« sagte Frau Kunigunde, einen lichten Schein ihres froh bewegten mütterlichen Herzens in den Zügen.

Greifenstein erhob sich zum Abschiede.

»Minnigliche Grüße an Eure traute Frau Mutter!« sagte Kunigunde. »Möge sie recht bald mit Euch herüber kommen.«

Der Gast verbeugte sich tief vor den Frauen und schritt hinaus, von Baldemar in den Hof geleitet, wo Hunolt den ungeduldigen Streithengst am Zügel hielt. Mit warmem Handschlage schieden die Männer.

»Laßt Euch bald wieder sehen!« rief Baldemar dem Wegreitenden nach.

Die Frauen standen auf dem Söller und blickten hinab, Kunigunde mit glücklichem Lächeln über die unerwartete und erwünschte Lösung des Geschickes Heidolfs. Edithas Wangen glühten ungewöhnlich, und ihre strahlenden Augen ruhten hold auf dem Stattlichen. Nochmals winkte er grüßend nach dem Söller und ritt durch das Thor. Die Frauen schauten ihm nach, sie sahen den goldenen Mantel im Winde flattern, und als die hohe Gestalt unter den Bäumen des Waldes verschwand, meinte Editha, es sei mit Sighard der lichte Tag geschieden.


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