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Der Oblate und die Klosterschüler.

Die mittelalterliche Sitte, Kinder in frühester Jugend Klöstern zu übergeben und Gott zu weihen, weßhalb die Geopferten »Oblaten« genannt wurden, war nicht christlichen, sondern jüdischen Ursprungs. Schon Anna, das Weib Elkanas, opferte ihren Knaben Samuel dem Herrn, damit er ihm diene alle Tage seines Lebens im Tempel.

Die katholische Kirche unterstützte keineswegs diese Sitte, im Gegentheil, sie suchte, dieselbe zu beschränken und in ihrer Ausführung zu erschweren. Manche Aeltern wurden hiebei keineswegs von religiösen Beweggründen geleitet, übergaben vielmehr körperlich mißgestaltete oder gebrechliche Kinder den Klöstern, um sich derselben zu entledigen. Andere betrachteten die Klöster als Versorgungsanstalten für nachgeborene Söhne und Töchter, ohne Rücksicht auf deren Beruf für den Ordensstand. Außerdem vernichtete dieser Zwang die Freiheit der Berufswahl, schädigte das Ansehen und die innere Disciplin der Klöster, durch die Aufnahme widerstrebender und berufsloser Glieder. Daher verbot die Kirche strenge jede Nöthigung, legte sogar, wie schon bemerkt, den Bann auf Alle, die Jemand zum Eintritt in ein Kloster zwangen. Päpstliche Verordnungen bestimmten, daß jedem Oblaten bis zum achtzehnten Lebensjahre der freie Austritt aus der klösterlichen Genossenschaft gestattet und vor diesem Zeitpunkte die Ablegung der Gelübde ungültig sei.

Auch für Billungen war Heidolfs mißgestalteter Kopf ein Beweggrund, den Knaben in früher Kindheit als Weihegeschenk den Mönchen in Lorsch zu übergeben. Die Norbertiner nahmen sich des Kleinen väterlich an, erzogen und bildeten ihn, knüpften jedoch an dessen spätere Aufnahme in das Kloster den Beruf und Heidolfs freie Einwilligung. Weder Baldemars Bitten, noch dessen Vergebung reicher Güter an das Stift, im Falle der Aufnahme Heidolfs in die Ordensgemeinschaft, konnte die Mönche bewegen, von ihrem Entschlusse und den kirchlichen Verordnungen abzuweichen. So weit ging die Aengstlichkeit ihres zarten Gewissens, daß sie nicht einmal durch Vorstellungen Heidolf für den Ordensstand zu gewinnen strebten. Und was heute geschah, sollte kein Zureden, sondern eine Belehrung bedeuten, von der, nach seinem Ermessen, der Oblate Gebrauch machen konnte, oder auch nicht.

Zwei Zöglinge der inneren Schule, hochgewachsene Jünglinge von etwa neunzehn Jahren, angethan mit dem Gewande des heiligen Norbert, schritten nach dem Oratorium. Ihre Augen waren gesenkt und ihre Hände lagen gekreuzt über der Brust, zum Zeichen, daß sie eben im Begriffe seien, ein Gebot ihres Oberen gehorsam zu vollziehen. Schon war ihr Haupt mit der Tonsur bezeichnet, das Haar, bis auf einen schmalen Streifen, glatt geschoren. Haltung, Gang und Benehmen der Klosterschüler trugen das Gepräge strengster Disciplin. Wie Kriegsleute schritten sie einher, die zu irgend einer Aufgabe befohlen wurden. In den edlen Gesichtszügen dieser jugendlichen Ritter Christi athmete der Geist ihres göttlichen Meisters, dem sie Treue und Entsagung für das ganze Leben geschworen. Ueber der weißen Stirne thronte die lauterste Herzensreinheit, eine liebeglühende Seele leuchtete in den demüthigen Blicken, und die sanfte Güte des Herzens lag verklärend über ihrem ganzen Wesen.

Zwischen Beiden ging Heidolf, der Oblate, genau in der Haltung eines Opfers. Sein dicker Kopf neigte schwer zur Brust herab, die Arme hingen schlaff, seine Haltung war gedrückt, und sein Gang dermaßen widerstrebend, als vermöge es nur eine unsichtbare Macht, ihn vorwärts zu schieben. Was jetzt mit ihm geschehen sollte, wußte er nicht genau. Er kannte den Willen des gestrengen Vaters und fürchtete, ihm geopfert zu werden.

Einige Schritte hinter den Jünglingen folgte Prior Gerbod, nicht ohne Besorgniß in den hageren Zügen. Angesichts der dräuenden Wetterwolken, die sich über Lorsch zusammenzogen, mochte Heidolfs Entlassung aus dem Kloster dessen reizbaren Vater erbittern und die Lage nicht unerheblich verschlimmern.

Ein feierlich ernster Raum that sich vor den Klosterschülern auf, das Oratorium. Zwei Säulenreihen, mit zierlich gemeiselten Capitellen und einfachen Füßen, daran Zacken hervorsprangen, die aussahen, wie Zehen, schnitten den viereckigen Raum in drei Theile. Auf den Säulen ruhten Kreuzgewölbe romanischer Bauweise. Die Wandflächen unterbrachen Nischen, in denen Heiligenfiguren in Lebensgröße standen. In den drei Nischen des Vordergrundes erhoben sich einfache Altäre, an denen bei strenger Winterkälte kranke Mönche zu celebriren pflegten. Zwischen den Säulen hin reihten sich Bänke, zum Sitzen und Knieen eingerichtet.

Die Klosterschüler beugten das Haupt vor den Altären und knieten in den Bänken. Der Prior ließ sich auf der Stufe eines Altares betend nieder. Dann erhob er sich und trat vor Heidolf.

»Mein Sohn!« begann er väterlich. »Die Umstände drängen zur Entscheidung, ob Du für Dein Leben das Kleid des heiligen Norbert tragen, oder in die Welt zurückkehren willst. Eine höchst wichtige, Dein ewiges Heil berührende Frage! Seit elf Jahren lebst Du hier und hast die heilsam strenge Zucht unseres gebenedeiten Vaters Norbert kennen gelernt. Nun bist auch Du zu jener Reife des Alters gelangt, welche einen guten und klugen Entschluß für das ganze Leben erwarten läßt. Damit aber Deine Entscheidung mit Ueberlegung und nicht aus übereilter Unwissenheit erfolge, so werden Deine beiden Mitbrüder, Lupold und Conrad, Dir nach jugendlicher Fassungskraft und Anschauung darlegen, weßhalb man der Welt entsagen kann und soll, und was für den Menschen das Klosterleben bedeutet. Höre aufmerksam, – dann überlege vor Gott und flehe um dessen erleuchtenden Beistand, damit Deine Entscheidung Dir Heil bringe.«

Nach diesen Worten zog sich der Prior nach dem Hintergrunde des Oratoriums zurück.

Lupold erhob sich und stand als Lehrender vor Heidolf. Die Belehrungen des Schülers enthielten aber genau die Anschauungen jener Zeit über das Klosterleben, sowie auch die Beweggründe, nach denen man die Freuden der Welt mit den Gelübden der Armuth, der Keuschheit und des Gehorsams vertauscht, weßhalb sie auch für spätere Zeitalter von einigem Interesse sein mögen. Und die Wärme, womit Lupold den Gegenstand behandelte, verrieth zugleich dessen Begeisterung für den Ordensstand.

»Viel lieber Bruder Heidolf!« hob er in sanftem Tone an. »Wir wollen miteinander betrachten, was uns bereden soll, der Welt zu entweichen und zu flüchten unter den Schutz und den Frieden des Klosters.«

»Du kennst den warnenden Ausspruch unseres Herrn Jesu: ›Alles, was von der Welt, das ist Augenlust, Fleischeslust und Hoffart des Lebens.‹ Sohin lauern bei jedem Schritte in der Welt Gefahren, Versuchungen, klägliche Niederlagen, bis zum ewigen Verderben. Darum ist der erste und vornehmste Beweggrund, in das Kloster zu treten, das sehnliche Verlangen, die Gelegenheiten der Sünden zu meiden, der verkehrten Welt zu entfliehen, ihren tückischen Schlingen zu entkommen.«

»Wir sind ja nicht geschaffen für den sinnlichen Genuß, der niemals befriedigt, auch nicht für irdische Freuden, die vergänglich und eitel, – wir sind vielmehr geschaffen zum Dienste Gottes und für ein ewiges Leben unaussprechlicher Herrlichkeit. Darum ist des Menschen höchster Ruhmespreis, ein guter Mönch, das heißt, ein tapferer Ritter Christi zu werden. Siehe an und bewundere Waffen und Rüstung dieser getreuen Degen des Herrn! Ihr glänzender Helm ist der Glaube, – ihr starker Schild die Hoffnung, – ihr scharfes, allzeit siegreiches Schwert die Liebe, – ihre schirmende Wehr das Gebet, – ihre glorreichen Siege über den Feind sind die guten Werke. Und der Ritterschlag, der einweiht und verpflichtet zum beharrlichen Dienste des Herrn, das ist die Ablegung der Gelübde. – Beneidenswerth glücklich, der gelangte zu dieser hohen Würde, der eingereiht wurde in diese Streitschaar Gottes!«

»Wer hingegen in der Welt bleibt, läuft stets Gefahr, von Räubern überfallen, geplündert und ermordet zu werden. Die Räuber sind die Versuchungen und Anreizungen zum Bösen. Der Tod ist die schwere Sünde. – Betrachte die enge Pforte, den steilen Weg, der zum Himmel führt! Betrachte die Menge derer, die zu Grunde gehen, – betrachte die Gefahren in der Welt, ihre eiteln Unterhaltungen, ihre schlüpferigen Ergötzungen, ihre mannigfachen Prüfungen, – – und finden wirst Du, wie klug und sicher es sei, für Christus Alles hinzugeben.«

»Erwäge ferner die Wichtigkeit und den Segen einer steten Verbindung und des engen Zusammenlebens mit frommen Männern! Schon der Psalmist hat gesagt: › Cum sancto sanctus eris, et cum viro innocente innocens eris; cum electo electus eris et cum perverso perverteris,‹ – heilig wirst du sein mit dem Heiligen, unschuldig mit dem Unschuldigen, auserwählt mit dem Auserwählten, verkehrt mit dem Verkehrten. Darum ruft der heilige Vater Bernhard aus: ›Fliehet aus der Mitte von Babylon, fliehet und rettet eure Seelen! Gefahr droht der Unschuld in weltlichen Vergnügungen, der Demuth in den Reichthümern, der Frömmigkeit im Geschäftsverkehr, der Wahrhaftigkeit in der Geschwätzigkeit, der Nächstenliebe in der Ungerechtigkeit.«

»Eia, viel trauter Bruder Heidolf, höre den Herrn Jesum sagen: › Omnia, quae habes, da pauperibus, et veni sequere me!‹ All dein Eigen gebe den Armen, dann komme, folge mir nach, – werde ein guter Mönch!«

Immer weiter dehnte sich die Unterweisung, immer begeisterter wurde Lupold und immer trauriger Heidolf; denn allzu klar und klug zeigte ihm der Klosterschüler die Erhabenheit und den Segen des Ordenslebens. Heidolf aber träumte nur von weltlichen Waffen, von Turnieren und tapferem Streiten; ihm lag dies im Blute. Nicht den Teufel wollte er bekämpfen in geistiger Wehr, sondern greifbare Feinde in glänzender Rüstung. Daher seine Traurigkeit und Wehmuth über die eigene Schwäche und Neigung, je beredter Lupold den geistigen Waffenruhm der Ritter Christi hervorhob.

Endlich schwieg der Klosterschüler und trat bescheiden zurück. An seiner Stelle erschien Conrad, in den blauen Augen ein fast überirdisches Leuchten, und auf den Wangen die liebliche Röthe seiner glühenden Seele.

»Mein liebwerther Heidolf, höre gütig meine Worte!« begann er. »Weßhalb wir flüchten aus der Welt, hast Du vernommen. Nun höre, was dem Heilsuchenden das Kloster bietet.«

»Im Kloster findet man die größte Bescheidenheit, sagt der ehrwürdige Abt Peter von Blois; man findet geregeltes Leben, brüderliche Liebe, Seelenfrieden, Gemeinschaft aller Dinge, gegenseitige Unterstützung, strenge Zucht, Liebe zum Gehorsam, innige Freundschaft, Bändigung des Fleisches, Ausübung der Gastfreundschaft, freies Studium, regelmäßige Nachtwachen, beschauliches Leben, andächtigen Psalmengesang. Elf Jahre konnten dich überzeugen, Bruder Heidolf, daß Lorsch alle diese Kleinodien und Schätze in reicher Fülle gewährt. Von Lorsch gelten die Worte des Dichters Virgil: › Hic locus urbis erit, requies ea certa laborum,‹ – hier die Stelle der Stadt und die sichere Ruhe von Mühsal.«

»Männer hast Du kennen gelernt, wie Vater Bernhard sie rühmt mit den Worten: ›In allen Klöstern findet man Mönche, der Tröstungen und Freuden voll, stets heiter und freundlich. Männer, Tag und Nacht sinnend und Gottes Gesetz beschauend, reine Hände im Gebete zum Himmel hebend. Männer, sorgsam und gewissenhaft ihr Thun bewachend und sich aller guten Werke befleißend. Männer, denen angenehm die Disciplin, süß das Fasten, kurz die Nachtwachen, eine Erholung die Handarbeit und wohlthuend ein strenges Leben.‹«

»Bedenke, mein Bruder, welch ein Segen ausgeht von solchen Männern! Sie gleichen himmlischen Blumen, die ausgießen den süßen Duft ihrer Vollkommenheit, spornend zur Nacheiferung. Darum sagt mit Recht der heilige Bernhard: ›Eine Gemeinde von Mönchen ist ein Paradies, in dessen Mitte sich der Baum des Lebens befindet, welcher Schatten giebt und Frucht, nämlich Christus, der Spender des Lebens. Unser Orden ist Demuth, Friede und Freude im heiligen Geiste. Unser Orden ist Schweigen, Fasten, Beten, Arbeiten und vor Allem, den erhabenen Weg wandeln, der da ist die Liebe.‹«

»Hat St. Bernhard nicht Lorsch geschildert, indem er Solches schrieb? Wer möchte nicht wohnen unter Männern, von denen der Eine für Dich betet, ein Anderer Dich tröstet, wenn Du krank bist, ein Anderer bei Drangsalen mit Dir fühlt und mit Dir weint? Ein Anderer beim Irren Dich liebevoll zurecht weist? Ein Anderer Dich berathet, wie ein trauter Herzensfreund? Wo Alle Dich lieben ohne Arglist? Ei, Bruder Heidolf, wer wird hinausgehen aus dem Frieden und Lieben des Klosters, in den Streit und Haß der Welt?«

» Pax est in cella,
Foris autem plurima bella!

Frieden herrscht in der Zelle,
Draußen Zwietracht der Hölle!«

»Wie häufig hast Du gelesen die Worte, in goldenen Buchstaben prangend über dem Eingange zur Clausur:

»Toto corde meo de Laurissa mater amavi,
Traditus a puero, mea sub te cella ligavi.
Nazarius foveat me; sub quo sanctificavi,
Ut Christo placeam, me cui sacrificavi.

Dich, o Mutter Lorsch, von Grunde des Herzens ich lieb'!
Schon als Knabe Dir anvertraut, getreu und hold ich Dir blieb.
Nazarius beschütz' mich; unter ihm hab' ich einst mich geweiht,
Daß ich Christo gefalle, durch Muth im heiligen Streit.«

»Unsere liebe Mutter Lorsch hat viele Kinder, und jedes Kind hat sein eigenthümliches Gesicht, verschieden von dem Gesichte des Anderen. Dennoch aber findest Du in jedem Gesichte ein Gleiches. Was ist dies? Friede in allen Zügen, heitere Ruhe auf allen Gesichtern. Mein Heidolf, willst Du nicht Jenen angehören für Dein ganzes Leben, deren Antheil Seelenfriede und Heiterkeit des Geistes? Cellae et coeli habitatio cognatae sunt; quod geritur in coelis, hoc est in cellis. Quidnam est hoc? Vacare Deo, frui Deo. In der Zelle und im Himmel ist verwandt die Wohnung; denn was im Himmel geschieht, geschieht auch in der Zelle. Was ist das? Gott dienen, Gott genießen. Höre St. Bernhard ausrufen: ›Guter Gott, wie viele Freude hast Du bereitet Deinen Armen! Deus bone, quanta pauperibus procuras solatia!‹«

»›Im Kloster, diesem Vorhofe des Paradieses,‹ fährt der Heilige fort, ›hört man beständig eine leise göttliche Stimme, einen heiligen, geheimnißvollen Rath, verborgen den Weisen und Klugen, den Kleinen aber geoffenbart. Gewiß empfandest auch Du schon, mein Bruder, wie Lorsch ein Lustgarten ist, in dem blüht alles Schöne und Erhabene, was Rose und Lilie symbolisch andeuten! Von Lorsch gelten die Worte der Schrift: ›Wie herrlich sind Deine Häuser, o Jakob! Deine Zelte, Israel, sind wie schattige Haine, wie am Flusse ein Freudengarten, wie Hütten, die Gott gepflanzt, wie Cedern am Wasser!‹«

»Zögere nicht, mein Heidolf, den besten Theil zu wählen – nämlich den Schutz, den Frieden, das wahre Glück, die Geisteswonne des Klosters! Kehre nicht zurück in die Welt, wo Feinde im Hinterhalte liegen, Deine Unschuld zu rauben und den Frieden Deiner Seele. Verlasse die Himmelspforte nicht, bleibe bei uns, Deinen Freunden. Wandle mit uns den Pfad des Gebetes, der Beschauung, der Arbeit, der Wissenschaft und Furcht Gottes, damit Du eingehen mögest zum ewigen Leben.«

Und über Conrads Lippen ergoß sich ein gar bewegliches Flehen. So hinreißend und bezaubernd malte seine glühende Begeisterung das Glück der Zelle, daß Heidolf den Kopf senkte, daß ihm das Herz schwer wurde und dicke Tropfen aus seinen Augen hervorquollen. Nichts Fremdes schilderte Conrad, nichts Unbekanntes rühmte er, sondern Erscheinungen und Güter, die Heidolf seit elf Jahren mit eigenen Augen geschaut, deren hoher Werth ihm aber niemals so klar geworden, wie heute.

Conrad hielt inne. Der Prior trat heran. Auf seinen Wink verließen die beiden Klosterschüler das Oratorium. Sie kreuzten über der Brust die Hände, verbeugten sich zuerst vor den Altären, dann vor dem Prior und schritten neben einander hinaus, geleitet von dem Rauschen ihrer langen Gewänder.

Lange kniete betend der Prior. Das laute Schluchzen Heidolfs störte ihn nicht, dessen Thränen unablässig flossen und das rauhe Kleid des heiligen Norbert benetzten. Dann legte sich der Seelensturm. Auch Heidolf betete, bis eine Hand leise seine Schulter berührte. Gerbod stand neben ihm, väterlichen Ernst in den Zügen.

»Mein Sohn!« begann er milde. »Conrad und Lupold haben treue Hut und gottseliges Wallen im Kloster Dir gezeigt. Dennoch ist es keines Menschen Pflicht, den Ordensstand zu wählen. Wer von Gott nicht berufen sich dünkt, entsage dem Kloster. Ohne Beruf kein guter Mönch. Auch in der Welt kannst Du Gott dienen, Gott lieben, Deine Pflichten erfüllen und den Himmel erstreiten. – Nun sprich, was ist Deine Wahl?«

»Mein Vater, – o mein Vater!« antwortete Heidolf mit unsicherer Stimme und neuerdings brachen seine Thränen hervor. »Es fällt schwer, – gar schwer, von hinnen zu scheiden, – – und doch, – zum Mönche tauge ich nicht!«

»Amen! Du hast entschieden, mein Sohn, und wirst Lorsch verlassen. Dein Vater wird sich mit Deiner Wahl versöhnen und fürder nicht grollen, weil allhier keine bleibende Stätte für Dich ist.«

Da hob der Klosterschüler ein krampfhaftes Weinen an, so heftig und voll Wehe, daß ihm der Schmerz die kräftigen Glieder krümmte.

Gerbod stand bewegt vor ihm, überlegend, was den Jüngling dermaßen erschüttern möchte.

»Weßhalb dieses Weinen, Heidolf? Enthülle vertrauensvoll, was Dein Gemüth bewegt.«

Nur mühsam fand der Klosterschüler Worte und Fassung.

»Setze Dich nieder, – so geht es besser!« sprach der Prior, an Heidolfs Seite Platz nehmend. »Nun beichte, was Dein Herz beschwert.«

»Eure Güte ist's, ehrwürdiger Vater, und die Güte aller ehrwürdigen Magister und Väter!« antwortete Heidolf. »Seit vielen Jahren habt Ihr mich erzogen, gebildet, unterwiesen mit vieler Mühe und gar großer Liebe, – ich aber vergalt oft meinen liebwerthen Vätern durch Ungehorsam und Leichtsinn, – dies reut mich. Was mich grämt, ist auch dieses: – mein leiblicher Vater will mich nicht, – verbannt mich gleichsam aus seinem Angesichte, da ich ihm doch niemals ein Leid gethan. Lorsch ist mein Vaterhaus gewesen, wo ich so viele Wohlthaten genoß, wo ich nur treue Liebe fand, – und ich verlasse dieses traute Vaterhaus, weil ich nicht wage, mit meinem verkehrten Sinnen und Streben das geweihte Kleid St. Norberts zu gewinnen. Ich steige empor zur Burg, wo ich vielleicht das Thor verschlossen finde, oder Uebelwollen und Härte meines Vaters. O ich Unseliger, namenlos bedrängt solches Erwägen mein Gemüth!«

In solcher Weise entlastete Heidolf seine bekümmerte Seele und begoß mit reichlichen Thränen seine Worte.

»Sei beruhigt, mein Sohn, und gräme Dich nicht ohne Grund. Ich selbst werde in den nächsten Tagen Dich nach Auerberg geleiten und Deinen Vater begütigen. Was Du gelernt in Lorsch, an Wissen und frommer Zucht gewonnen, wird Dir in jedem Berufe zum Segen gereichen. Kannst Du nicht ein Ritter Christi sein, so wirst Du ohne Zweifel ein tapferer Degen werden.«

»Das will ich, mein Vater, – ein Degen, gleich Sighard!« versicherte Heidolf, indem es in seinen großen Augen zu flammen begann. »Auch Sighard war Klosterschüler. Wäre er kein so guter Degen geworden, heute läge Herr Hartmann von Worms im Thurme des Burggrafen. Ich will es Sighard nachthun, – vor Gott und den Menschen mir Huld erstreiten.«

»Der Herr segne Dein edles Streben, mein Heidolf! Beharre auf dem Pfade, der in Lorsch Dir gezeigt worden, wandle stets vor Gott in Demuth, und Du wirst den höchsten Siegespreis erlangen, – das ewige Leben. – – Nun kehre zurück nach dem Scholarium und verliere keine Stunde der wenigen Tage Deines Hierseins.«

Als Heidolf das Kloster verlassen hatte und über den Hof schritt, gewahrte er im Dämmer eines Bogens der Thorhalle eine hochragende Gestalt, deren Anblick ihn, wie fest gewurzelt, an die Stelle bannte. Die Gestalt lehnte an einem Pfeiler, in Betrachtungen vertieft. Eine kurze Tunika, mit engen Aermeln, kleidete den Sinnenden, während der gewöhnliche Mantel adeliger Herren neben ihm auf der Bank lag. Silberne Sporne bezeichneten den Ritter, und auch ein langes Schwert, das vor ihm stand und dessen Kreuzgriff bis zur Brust hinauf reichte. Selbst in dieser unbeweglichen Haltung schlug die Muskelkraft der Glieder durch die enge anliegenden Beinkleider und die Aermel der Tunika, eine ganz ungewöhnliche Körperstärke verrathend. Unter dem Hute quoll röthliches Lockenhaar hervor, nach damaliger Sitte über der Stirne kurz abgeschnitten, und dann frei auf Nacken und Schultern hinabwallend. Ueberaus stattlich war die Gestalt und das Angesicht von großer Schönheit, noch gesteigert durch den kriegerisch kühnen Zug, welchen die blitzenden Augen und die Adlersnase ihm verliehen.

Heidolf hatte einige Augenblicke den Recken angestarrt. Jetzt stieß er einen Freudenschrei aus und stürzte auf ihn los.

»Sighard, – mein Sighard!« rief er, mit beiden Armen den jungen Mann umschlingend, und aus freudestrahlenden Augen zu ihm emporblickend.

Der jähe Aufschrei und Anfall hatten Greifenstein aus tiefem Sinnen geschüttelt. Er fuhr liebkosend über Heidolfs dicken Kopf und lächelte.

»Wie geht Dir's, mein guter Junge? Bist bedeutend gewachsen seit drei Jahren. Erstreckt sich das Wachsthum zugleich auf geistiges Gebiet und Frömmigkeit, dann wirst Du einmal ein guter Mönch werden.«

Bei dem Worte »Mönch« senkte Heidolf den Blick und trübe Schatten legten sich über die Wonne des Wiedersehens. Zugleich bemerkte Sighard die gerötheten Augen des Klosterschülers.

»Du hast geweint, – heftig geweint, – weßhalb?«

»Die alte Geschichte, – Ihr kennt sie ja! Vater will mich in die Kutte zwingen, und ich trage lieber ein Gewand von Stahl, als das Kleid des heiligen Norbert. Heute kam's zur Entscheidung, – zu großem Herzeleid und vielen Thränen.«

Sighard blickte theilnehmend auf den Jüngling, dessen kriegerischen Sinn er kannte, und gedachte der Ungerechtigkeit seines Vaters, die er niemals gebilligt hatte.

»Bis das Rekreationsglöcklein läutet und ich die ehrwürdigen Väter begrüßen kann, ist immer noch eine Spanne Zeit. Setzen wir uns hierher, – erzähle, mein Junge, was sich begeben.«

Heidolf berichtete umständlich, und als er das harte Geschick hervorhob, im väterlichen Hause keine wohlwollende Aufnahme zu finden, brachen abermals seine Thränen hervor.

»Darum bitte ich, herzenstrauter Sighard, nehmet Euch doch meiner an! Seht doch, wie verlassen und verstoßen ich bin! Gewähret mir ein Plätzchen in Eurer Burg, – in Treue will ich Euch dienen und niemals Eurer Huld vergessen.«

»An einem guten Plätzchen auf Greifenstein soll es Dir nicht fehlen, Du Thränenreicher! Was willst Du aber zu Greifenstein? Doch kein Faulenzer werden?«

»Nein, – gewiß nicht! Nehmet mich zum Knappen. Seid mir Lehrer im edlen Waffenwerk und Ritterwesen. Auch Ihr seid Klosterschüler gewesen, wie ich, – und jetzt seid Ihr ein hochgefeierter Ritter und Held, der viele hundert Böhmen erschlagen, dem Kaiser das Leben gerettet in der wilden Schlacht. Auch ein starker Schirm der Schwachen seid Ihr geworden, wie es Herr Hartmann von Worms bezeugen kann. Genau so will ich es machen, – Ihr sollt mir Vorbild sein in Allem.«

»Du führst Deine Sache nicht schlecht,« erwiederte lächelnd der junge Mann. »Ich werde heute mit den ehrwürdigen Vätern über die Sache sprechen und morgen mit Deinem Vater. Sind beide Theile mit Deinem Gesuche einverstanden, dann freut es mich, einen strebsamen Edelknappen gefunden zu haben, der ein guter Ritter werden will. Eben läutet das Glöcklein, – ich darf nicht säumen, die halbe Stunde auszunützen. In zwei Tagen sehen wir uns wieder.«

Mit freundlichem Blick und Händedruck entließ er den Klosterschüler und schritt nach der Pforte.


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