Autorenseite

 << zurück weiter >> 

Anzeige. Gutenberg Edition 16. Alle Werke aus dem Projekt Gutenberg-DE. Mit zusätzlichen E-Books. Eine einmalige Bibliothek. +++ Information und Bestellung in unserem Shop +++

Editha.

Am folgenden Morgen saß Editha mit ihrem Vater beim Schachbrette; denn Herr Baldemar, welchen die Lahmheit eines so nothwendigen Gliedes, wie der rechte Arm, beim Reiten hinderte und ihm das Jagdvergnügen fast unmöglich machte, war ein leidenschaftlicher Schachspieler geworden. Was ihn zum Spiele mit Editha noch besonders reizte, war der Umstand, daß sie ihn gewöhnlich matt setzte. Auch gegenwärtig stand die Parthie für ihn herzlich schlecht. Er bemerkte die Gefahr und strengte sich vergebens an, dem Verderben zu entrinnen.

»Es hilft nichts, Vater!« sprach sie lächelnd. »Nach zwei Zügen seid Ihr matt.«

»Muß ich abermals unterliegen, so mag es gleich geschehen; denn nichts ist unerträglicher, als ein unhaltbarer Zustand.«

Zweimal wechselten die Figuren, er war matt.

»Sonderbar, – beim Schachturnier mit dem Burggrafen bin ich fast regelmäßig Sieger, – mit Dir ist es umgekehrt.«

Die Bemerkung schien sie unangenehm zu berühren. Seit jüngster Zeit erwähnte er auffallend häufig des Burggrafen und rühmte dessen ritterliche Eigenschaften.

»Warum hast Du ihm neulich die Parthie so hartnäckig verweigert?« frug er.

»Weil Graf Bertolf nicht der Mann ist, mit dem ich spielen möchte.«

»Warum nicht?«

»Weil ich jede nähere Berührung mit ihm vermeiden will.«

»Sei nicht wunderlich, Editha! Der Graf ist mein treuester Freund. Mannhaft hat er sich meiner angenommen gegen Worms. Jene mächtige und übermüthige Stadt glaubte, mein gutes Recht mit Füßen treten und meine Ehre schwer kränken zu dürfen. Der Graf trat für mich ein, – in der Noth bewährt sich der Freund. Wir sind dem edlen Manne zum größten Danke verpflichtet.«

»Nach Eurer Auffassung, Vater! Vielleicht kam der Fall dem Grafen sehr gelegen, seine Kampfeslust zu befriedigen und noch Anderes, was man ihm nachsagt.«

»Was man ihm nachsagt? Was denn?«

»Sehr Schlimmes, – Raub an fahrenden Leuten.«

»Verläumdung, – nichtswürdige Verläumdung!« erwiederte aufbrausend Herr Baldemar. »Ich verbiete Dir, an solche Schändlichkeiten meines erprobten Freundes zu glauben.«

»Auch für Lorsch soll er ein harter Bedränger sein.«

»Er ist Klostervogt und hält fest an seinen Rechten. Du aber sollst auf müßiges Gerede böser Zungen nicht hören. Du sollst vielmehr den Grafen achten, – ich will es; denn er ist achtungswerth.«

»Achtung läßt sich nicht gebieten, sie muß verdient werden, Vater! Abgesehen von des Grafen Leumund, flößt mir dessen Persönlichkeit höchst widerwärtige Empfindungen ein. Der Mann erscheint falsch, tückisch, verschmitzt. Kaum verbirgt er unter den spärlichsten Formen ritterlichen Anstandes den Bösewicht. Ich weiß nicht, weßhalb er in neuester Zeit mit einer gewissen Zudringlichkeit sich mir zu nahen sucht, – aber diese Zudringlichkeit erweckt mir Ekel. Abscheu gegen Irgendjemand kannte ich bisher nicht, – der Graf scheint dieses Gefühl mir einflößen zu wollen.«

Baldemar sah in sprachlosem Erstaunen seine Tochter an. Er gedachte seines verpfändeten Wortes, Editha mit dem Grafen vermählen zu wollen, gewahrte mit Schrecken deren lebhafte Abneigung, und schwere Besorgnisse über künftige Verwickelungen beschlichen ihn. Noch sann er auf eine passende Erwiederung, als schwere Sporntritte durch das Vorzimmer klirrten.

»Der Schritt des Burggrafen, dem ich nicht begegnen will,« sagte Editha, indem sie rasch sich erhob und in der anstoßenden Kammer verschwand.

Fast ungestüm betrat Bertolf das Zimmer. Eine dunkle Gluth bedeckte sein Gesicht und Zorn brannte in den wildflammenden Augen. Ohne ein Wort zu sprechen, reichte er dem Burgherrn die Hand.

»Was bringt Ihr, Graf?« frug Billungen, durch die Haltung Bertolfs beunruhigt. »Was geschah?«

»Eine verdammte Geschichte, – die Galle möchte mir auslaufen! Hört doch, – hört!«

Er begann, sein Begegnen mit dem Bürgermeister in Lorsch, seinen Plan und dessen Mißlingen zu erzählen.

»Ist das nicht verteufelt bitter?« fuhr er fort. »Mußte gerade der Tölpel von Greifenstein des Weges kommen? In Stücke möchte ich ihn reißen, den dummen, blöden Jungen, der sich in Händel mischt, die ihn nichts angehen. Denkt Euch, den Bürgermeister in unserer Gewalt, – wie müßte sich das stolze Worms unseren Bedingungen fügen! Wie hätten wir die übermüthigen Krämer in unserer Hand! – Und ich hatte es mir so herrlich schön ausgedacht! Der ganze Rath von Worms hätte herauf kommen und Euch Abbitte leisten müssen. Den Zamba hätten sie ausliefern und Euch dazu jede Summe zahlen müssen, die Ihr als Ehrensühne würdet gefordert haben. Ich selber hätte für mich ein so hübsches Lösegeld bestimmt, wie es die Freiheit des ersten Bürgermeisters einer so reichen Stadt heischt. Die Fehde war schnell abgethan, – adelige Ehre und adeliges Recht waren gesühnt, – – da kommt dieser fahrende Ritter und verdirbt Alles!«

»Hm, – hm! Höchst ärgerlich!« brummte Billungen.

Bei der halbgeöffneten Kammerthüre, hatte Editha jedes Wort verstanden. Schon der Name Sighards von Greifenstein goß eine liebliche Röthe über ihr Angesicht, dessen Rückkehr sie mit hoher Freude und dessen edle That sie mit Wonne erfüllte. Und jetzt erweckten ungerechte Urtheile und verächtliche Ausdrücke wider den Jugendfreund ihren Unwillen und ihre Entrüstung.

»Steinberg hat eine Rippe gebrochen, und so liegt mein tapferster Waffengenosse vielleicht Wochen lang darnieder,« fuhr Bertolf grimmig weiter. »Was so ein bartloser Junge anrichten kann! Erwürgen möchte ich den Racker, den Schafskopf! Nicht straflos soll er sich in unsere Fehde gemischt haben, – ich werde ihn züchtigen! Auch er leidet an dem Unsinn des jetzt geläufigen christlichen Ritterthums, das von rechtswegen nicht in Stahlrüstungen, sondern in Mönchskutten einhergehen soll, – für das Rosenkränze passender sind, als Waffen. Ich will ihn kuriren, will ihm mit dem Streitkolben das überspannte Zeug aus seinem hirnverbrannten Kopfe herausschlagen.«

Weiter kam er nicht. Hochaufgerichtet, das Angesicht von Gluth übergossen, die lichten Augen strafend und zürnend auf den Grafen gerichtet, erschien Editha unter dem Eingange. Bertolf verstummte betroffen, erhob sich und beugte tief Nacken und Haupt.

»Da sich Niemand eines Abwesenden annimmt, der in maßlos ungerechter Weise behandelt wird, so will ich es thun,« sprach sie mit fester Stimme. »Sighard von Greifenstein vollzog genau die Satzungen des Ritterthums, das jedem edlen Degen Schutz und Beistand für Schwache und Vergewaltigte zur strengen Pflicht macht. Wäre Greifenstein ohne Theilnahme für den Angefallenen vorbei geritten und hätte jenen alten Mann den Fäusten seiner Räuber hilflos preisgegeben, ich müßte ihn tief beklagen; denn er hätte sich als ächter Edelmann nicht bewährt und seine feierlich gelobten Ritterpflichten gebrochen. Da er jedoch so handelte, wie er handeln mußte, um achtungswürdig zu erscheinen und als ein würdiges Glied der Ritterschaft zu gelten, – und da er sein Leben einsetzte, zur Erfüllung beschworener Satzungen, so verdient er Lob und Bewunderung Aller, die fähig sind, adeligen Sinn zu schätzen. Demzufolge trifft Euer Schmähen nicht den hochgefeierten Helden, von dessen Waffenruhm das ganze Reich wiederhallt.«

Des Grafen Verlegenheit war peinlich. Obwohl er nicht jenem Geiste des Ritterthums huldigte, welcher Achtung und Verehrung der Frauen gebot, so konnte er sich doch gegenwärtig des überwältigenden Eindruckes nicht erwehren, den Edithas ungewöhnliche Schönheit selbst auf sein rohes Gemüth hervorbrachte. Wie ein zürnender Seraph stand sie vor ihm, und sein trotziger Sinn beugte sich vor ihrer Macht. Kaum hörte er, was sie sprach, so gewaltig fesselte ihn der Anblick einer Erscheinung, deren anmuthsvolle Hoheit ein edles Zürnen nicht verringerte.

»Meinen Dank, edles Fräulein!« sprach er. »Euer berechtigter Tadel überzeugt mich, daß Unmuth und Aerger über ein vereiteltes Unternehmen mich zu unschicklichen Aeußerungen fortrissen. Sighard von Greifenstein mußte wirklich thun, wie es geschah, um seinem Gelübde zu genügen. Indem ich jeden Vorwurf gegen den gefeierten Helden zurücknehme, versichere ich Euch meiner vollsten Uebereinstimmung bezüglich des Edelmuthes Greifensteins.«

»Bei ruhiger Ueberlegung der Sache, muß auch ich Editha beipflichten,« sagte Herr Baldemar. »Greifensteins Beistand wurde angerufen von einem alten, wehrlosen Mann, den starke Feinde überfallen hatten. Sighards Ablehnung der Hilfe würde ihm mit Recht den Schimpf feiger Gesinnung oder des Bruches ritterlichen Gelöbnisses zugezogen haben. Wenn der Bürgermeister von Worms zufällig unser Gegner ist, und Greifensteins tapfere Hand uns schädigte, so ändert dies an der Sache nichts. Fast bin ich stolz auf den kühnen Degen, welcher im Streite den Riesen Goliath niedergeworfen.«

Edithas weiblicher Scharfblick hatte Bertolfs Erklärung für das erkannt, was sie war, für eine leere, sein Unrecht beschönigende Ausrede. Sie verbeugte sich kalt und verließ das Zimmer.

Der Preuße kraute in den Haaren und schüttelte mißmuthig den Kopf.

»Hätte ich Eure Tochter in der Kammer gewußt und deren lebhafte Theilnahme für Greifenstein vermuthen können, meine Rede hätte weniger offen gelautet. Mit welchem Eifer sie des Helden sich annahm! Beinahe könnte man eifersüchtig werden.«

»Wenn sie einstand für Sighard, so ist dies natürlich,« erwiederte Billungen. »Ihr kennt ja unsere freundschaftlichen Beziehungen zur Burgfrau von Greifenstein. Außerdem mag Editha den Gespielen ihrer Kindheit noch nicht vergessen haben.«

»Lauter Umstände, die mein Werben gerade nicht fördern möchten,« versetzte Bertolf mit einem lauernden Blicke. »Vergessen wir die Bedingung nicht, welche eingegangen wurde, bevor ich eintrat für Euer Recht und Eure Ehre. Mit Wort und Handschlag habt Ihr Editha mir zugesprochen, – daran halte ich fest.«

»Mein Wort ist heilig, Graf! Kein anderer Werber wird meine väterliche Einwilligung erlangen. Auch habe ich mir angelegen sein lassen, Editha für Euch jene Hochschätzung einzuflößen, die Ihr verdient.«

»Dank, bester Nachbar! Ich hoffe, Editha wird einen Mann achten müssen, der sein ganzes Vermögen und auch sein Leben einsetzte, für den Ehrenhandel ihres Vaters.«

»Dies hoffe ich auch!« entgegnete Baldemar, allein die trübe Miene und der Gedanke an Edithas Urtheil über den Grafen, widersprachen seinen Worten.

Inzwischen war Editha nach ihrem Zimmer emporgestiegen. Ihre Entrüstung über Bertolfs boshafte Verdächtigung begleitete sie nach ihrem hochgelegenen Gemache. Und während sie dem geistesrohen Grafen zürnte, berührte sie schmerzlich die enge Verbindung ihres Vaters mit diesem Manne. Zorn und Schmerz würden sich aber in Schrecken und Entsetzen verwandelt haben, hätte sie geahnt, wie weit diese Verbindung bereits gediehen sei, – nämlich bis zur väterlichen Vergebung ihrer Hand an eben jenen Mann, für den sie nur Abneigung empfand.

Bald verdrängten angenehme Betrachtungen diese bitteren Gefühle. Da Frauen an den Waffenthaten der Männer lebhaften Antheil nahmen und den Sieger zu krönen pflegten, so beschäftigte jetzt auch Editha der Ruhm des heimgekehrten Helden. Innige Freude und Hochgefühl über Sighards gefeierten Namen durchdrangen ihre Seele. Und dann lenkten ihre Betrachtungen von den Thaten auf die Persönlichkeit des Ritters. Sie versuchte, ein möglichst getreues Bild seiner gegenwärtigen Gestalt und Gesichtsbildung zu gewinnen, indem sie sich ihn vorstellte, wie er vor drei Jahren, denn so lange hatten sich Beide nicht mehr gesehen, an Wuchs, Größe und Gesichtsformen gewesen. Damals war er ein blühender Jüngling mit goldenem Haar, von schlankem Wuchse und edlen Zügen. Gutmüthig war seine Gemüthsart, sein Herz fromm und lauter, sein Verstand klar, sein Wissen vielseitig, sein Temperament feurig und für alles Hohe begeistert. Sie zweifelte nicht, daß im Laufe der Jahre diese leiblichen und geistigen Vorzüge noch mehr sich entwickelten, was schon seine kühnen Thaten im Felde und sein hilfebereiter Arm bewiesen.

Diesen Betrachtungen folgte ein fast unabweisbarer Drang, nach Greifenstein hinüber zu eilen und Sighard zu begrüßen. Ohnehin hatte sie gestern schon für heute einen Besuch der einsamen Burgfrau beschlossen. Eben im Begriffe, zum Gehen sich zu rüsten, hinderte plötzlich eine Erwägung, die vom Reiche der Empfindung ausging, die Ausführung des Entschlusses. Sie fühlte, daß sie heute nicht um der Mutter, sondern um des Sohnes willen nach Greifenstein gehen würde, und dies geziemte sich nicht.

»Sighard wird ja der Form des Anstandes genügen und nicht säumen, herüber zu kommen,« dachte sie. »Mutter Hildegard wird ihm erzählen, wie oft ich bei ihr geweilt, sie getröstet in traurigen Stunden des Sehnens und düsterer Vorstellungen über mögliches Unglück. Auch von der liebevollen Theilnahme und Freundschaft meiner Aeltern wird sie ihm erzählt haben, – und dies Alles muß ihn bestimmen, uns heute schon zu besuchen.«

Sie spähte hinüber nach Greifenstein, dessen Zinnen gar freundlich in der Sonne leuchteten, als feierten sie die Ankunft des jugendlichen Burgherrn. Sie spähte nach jenen Punkten, wo der Weg in Lichtungen des Waldes hervortrat, ob sie den Nahenden nicht erblicke. Sie spähte vergebens. Den ganzen Tag weilte sie harrend und ausschauend am Fenster, – Sighard blieb aus. Und als die Abenddämmerung herniedersank und alles Licht erlosch, da legte sich auch über Edithas Gemüth ein Dämmer getäuschter Hoffnung.


 << zurück weiter >>