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Ein Mönchskapitel.

Nachdem Ella wieder zur Besinnung gekommen und die Augen öffnete, begegnete ihr Blick zwei anderen Augen von milder Bläue, die in besorgter Theilnahme auf ihr ruhten. Die sanften, blauen Augen gehörten zu einem Gesichte, dessen Gesammtausdruck Herzensgüte und Taubeneinfalt bildete. Zwei volle, runde Wänglein, lieblich geröthet und Kinderwangen ähnlich, harmonirten mit dem rosenfarbigen, kleinen Mund, der sich nur für liebevolle Worte öffnen zu können schien. Von der Stirne war wenig, vom Halse nichts zu sehen; denn ein weißes Tuch umschloß enge das Haupt und über dem Tuche fiel ein langer Schleier über den Rücken hinab.

Ella starrte einige Sekunden das Gesicht an.

»Wer seid Ihr? Wo bin ich?« frug sie, im Bette sich aufrichtend.

Ihr Auge forschte durch den weiten Raum, in dem viele Betten standen, so säuberlich rein, wie des Saales weiße Wände.

»Beruhige Dich, meine Schwester! Ich bin Bertha, eine Magd Christi im Frauenkloster allhier.«

»Ach, – ach Gott!« stieß Ella hervor, ergriff die kleine Hand des Mägdleins Christi und küßte dieselbe ehrerbietig. »Du mein Heiland, – nun kenne ich Euch! Ihr seid Bertha, die Herzogstochter, – die gute! Gott vergelt's Euch, was Ihr an mir gethan!«

»Hier esse, meine Schwester, Du bist schwach!« Sie breitete vor Ella ein Tüchlein über das Bett, und setzte darauf ein Brett mit einem Teller kräftiger Suppe.

Fast gierig griff das Weib nach dem Löffel und aß. Bertha stand lächelnd neben ihr, einen Becher Wein in der Hand.

»Das Süppchen wird Dich stärken, meine Schwester – ein köstliches Süppchen, von unserer ehrwürdigen Mutter Aebtissin selbst gekocht!«

Ella nickte beifällig mit dem Kopfe, ohne ihre Thätigkeit zu unterbrechen.

»Wir waren in großer Noth um Dich, meine Schwester, als sie leblos Dich herein trugen. Wir haben nach dem Bruder Arzt hinüber geschickt, und alle Klosterfrauen gingen zur Kirche, von dem süßen Herrn Jesus Dein Leben zu erflehen. Gott sei Dank, Du bist gerettet!«

»Es war nur eine Schwäche, eine lange Ohnmacht. Krank bin ich nicht; – aber Schrecken und Angst um meinen Hatto, – und auch Nüchternheit, – dieweil ich heute gar nichts und gestern kaum einen Bissen Brod gegessen habe, – dies Alles zusammen machte mich elend. Jetzt bin ich wieder frisch, – muß sogleich zum ehrwürdigen Vater Abt.«

Von Angst getrieben, schob sie das hochgethürmte Deckbett zur Seite.

»Gemach, liebe Schwester! Zum ehrwürdigen Vater willst Du? So geschwind geht das nicht. Wir müssen zuerst nachfragen, ob der ehrwürdige Vater zu sprechen, ob er überhaupt im Kloster anwesend ist.«

Die unvermutheten Hindernisse versetzten das Weib in große Unruhe.

»Ach Gott, wenn er nicht daheim wäre und mein armer Hatto derweil gehängt würde!« rief sie bestürzt aus.

Das kindliche Gesicht des Mägdleins Christi entfärbte sich bei den Worten.

»Gehängt? Du mein Jesus!«

»Ist das nicht schrecklich? Nur geschwind, laßt mich zum Vater Abt! Er allein kann meinen Hatto retten.«

Sie sprang aus dem Bette.

»Beruhige Dich, meine Schwester! Ich werde Alles besorgen, sogleich einen flinken Boten in das Kloster schicken. Inzwischen ordne Dein Haar, Deine Kleidung.«

Bertha glitt fast geräuschlos durch den Saal, aber so schnell, daß der lange Schleier in flatternden Faltenschlägen über der Fürstentochter emporwallte.

Hatto's Weib strich mit beiden Händen über das Haar, fuhr glättend und ordnend über das Gewand, und hüllte um das Haupt ein Tuch, aus dem ihr bleiches Angesicht ängstlich drängend hervorsah.

Die Klosterfrau kehrte zurück und geleitete Ella nach einer Stube, in der einige blanke Stühle und ein Tisch standen, an der Wand ein Crucifix hing und zierlich geschnitzte Heiligenbilder die Wandflächen belebten.

»Hier raste einige Augenblicke, meine Schwester!« sagte Bertha, einen Stuhl heranziehend. »Sogleich wird der ehrwürdige Vater hier sein.«

»Ist er im Kloster?«

»Gewiß! Er hat sich bereits nach Deinem Befinden erkundigen lassen.«

»Wenn ich nur die rechten Worte finde! Ach Gott! – wie mein Herz pocht!«

»Nur keine Scheu, meine Schwester! Du sprichst ja zu Deinem geistlichen Vater.«

Sie hielt lauschend inne.

»Eben kommt er, – ich höre auf der Stiege seinen Tritt,« sagte Bertha, trat zur Thüre und öffnete dieselbe.

Eine hohe Gestalt erschien unter dem Eingange, Propst Burkhard. Er trug die gewöhnliche Kutte der Mönche seines Ordens, ein langes Gewand von rauhem Tuche, steif wie ein Brett. Ein Strick, dessen Enden in derben Knoten herabhingen, war um die Leibesmitte geschlungen. An den nackten Füßen trug er Sandalen und um das glatt geschorene Haupt einen dünnen Kranz ergrauter Haare. Die Hagerkeit des Gesichtes gestattete einen Schluß auf den dürftig genährten Leib und verkündete zugleich die Aermlichkeit der Küche des heiligen Norbert. Die Erscheinung des Propstes, vom Volke aus alter Gewohnheit »Vater Abt« genannt, flößte Vertrauen und Ehrfurcht ein. Es begleiteten ihn zwei Mönche, genau so gekleidet, und auch so hager, wie er.

Ella war in die Kniee gesunken und hob die Hände flehend empor.

»Hilfe, ehrwürdiger Vater! Rettet meinen Mann, meine vier kleinen Kinder und mich!«

»Gott sei mit Dir, meine Tochter!« sprach sanft der Propst. »Stehe auf, setze Dich hieher zu mir und klage Deine Noth.«

Er rückte zwei Stühle und setzte sich ihr gegenüber. Die beiden Mönche standen neben der Thüre, unbeweglich wie Bildsäulen. Bertha hatte sich tief verbeugt und die Stube verlassen.

»Zuerst sage mir, liebe Tochter, wer Du bist und woher Du kommst.«

»Ich bin Ella, das Weib des Bauern Hatto in Auerbach,« antwortete sie befangen und bangvoll; denn sie sah den heiligen Mann und fürchtete sich, vor ihm den Frevel ihres Hatto aufzudecken.

»Aus Auerbach, – also ganz aus der Nähe,« sprach freundlich der Propst, in dem Bestreben, die Eingeschüchterte zu ermuntern. »Die Auerbacher gehören ja zu unseren Schäflein, fleißige, arbeitsame Leute und gute Christen. Bruder Bernhard ist euer Seelsorger, – nicht wahr?«

»Ja, Ehrwürdiger!«

»Nun sage, meine Tochter, welcher Umstand, oder welches Leid, Dich zu mir führt.«

»Ein gar großes – großes Herzeleid, ehrwürdiger Vater!« und sie begann, den Diebstahl und dessen Folgen zu enthüllen.

Der Propst hörte aufmerksam, ohne die Erzählende zu unterbrechen. Dann glitt ein schmerzlicher Zug über sein ascetisches Gesicht.

»Das Traurigste am Ganzen ist die Sünde, mit Absicht und mit Ueberlegung Gottes heiliges Gebot übertreten zu haben,« sprach er jetzt.

»Gewiß nicht, ehrwürdiger Vater, – gewiß nicht mit Absicht und Ueberlegung,« versetzte eifrig das Weib. »Aus Noth that er's, gehetzt von Juden und bethört von des Teufels Arglist. Wäre mein Hatto ein schlechter Mensch, er hätte den Schwur gethan; denn er konnte durch einen Schwur sich reinigen, weil's keine Zeugen ihm beweisen konnten. Mein Hatto aber sagte: – nein, lieber will ich sterben am Galgen, als meineiden! Darum seht, ehrwürdiger Vater, mein Hatto muß ja gut sein und rechtschaffen, weil er lieber sterben will, als vor Gott freveln.«

»Allerdings ein sprechendes Zeugniß für den christlichen Sinn Deines Mannes. Nehmen wir an, er bereue schmerzlich die böse That und sei geneigt, das gegebene Aergerniß durch frommen Wandel zu sühnen.«

»Das wird mein Hatto gewiß, ehrwürdiger Vater Abt! Und dreifach will er das gestohlene Roß ersetzen. Wie kann er aber durch Frommheit wieder gut machen, was er gefehlt, da sie ihn hängen wollen? Darum flehe ich, viel lieber Vater, rettet meinen Hatto! Gestattet nicht, daß sie ihn an den Galgen hängen.«

»Vermag ich dies, meine Tochter?«

»Gewiß! Unsere Ahnmutter hat gesagt: wo kein Kläger, da kein Richter! Darum gehe zum ehrwürdigen Vater Abt, hat sie gesagt, und bitte ihn ganz inständig, er möge dem Ritter Baldemar einreden, daß er beim Burggrafen die Klage nicht stellt. Baldemar wird hören auf das Einreden des ehrwürdigen Vaters, und Deinem Hatto ist geholfen.«

Ein sanftes Lächeln erhellte flüchtig das ernste Gesicht des Mönches und sein Haupt nickte beifällig.

»Am Einreden von unserer Seite dürfte es nicht fehlen, meine Tochter! Allein es fragt sich, ob Ritter Baldemar unserem Einreden Gehör schenkt.«

»Verzeiht, ehrwürdiger Vater, wenn ich sage, Ritter Baldemar ist aber doch kein Heide, wie der gräuliche Preuß' auf der Starkenburg,« versetzte das freimüthige Weib. »Baldemar ist ein Christ, der hört auf Gottes Stimme, welcher spricht aus seinen Dienern.«

Wieder lächelte Burkhard. Er dachte unwillkürlich an das glaubensstarke Weib im Evangelium, dessen Einfalt vom Welterlöser gerühmt wurde.

»Da Ihr so grundgütig meine Bitte erhört, ehrwürdiger Vater,« fuhr Ella ermuthigt fort, »so höret noch weiter, was mir gar sehr am Herzen liegt. Die Schöppen haben auf der Malstatt meinen Hatto für ehrlos erklärt, – und das ist noch ärger, als der Tod. Wir können in Auerbach nimmer bleiben. Fort müssen wir, aus den Augen der Leute, die uns verabscheuen, die uns ansehen, wie eine Schmach für das ganze Dorf. Darum wollen wir dem heiligen Märtyrer Nazarius, dem gebenedeiten Schutzpatron von Lorsch, uns schenken. Ich, mein Hatto, unsere Kinder, unsere Pferde und Kühe, unsere Schweine und Hühner, unser Haus, Hof und Land, – Alles schenken wir dem heiligen Nazarius. Da wir nun Eigenleute des Klosters Lorsch sind, so bitten wir Euch, ehrwürdiger Vater, uns einen Hof zu geben, auf dem wir hausen und Gott dienen können.«

Ella's Bitte betraf nichts Ungewöhnliches. Freie suchten oft Schutz und Abhängigkeit von Klöstern, weil unter dem Krummstabe gut leben war, die Eigenleute zur Klosterfamilie gerechnet und demgemäß behandelt wurden. Dennoch schien der Propst im gegenwärtigen Falle das Anliegen zu mißbilligen.

»Dein Streben, Dich und Deine Familie unter den Schirm des heiligen Nazarius zu stellen, ist zwar gut und löblich, meine Tochter! Ich kann jedoch in dieser Sache nicht entscheiden, ohne Rath und Beistimmung meiner Brüder. – Im Uebrigen sollst Du nicht vergebens den Beistand der Söhne des heiligen Norbert angerufen haben. Wir werden uns bemühen, Deinen Mann zu retten. Darum kehre getrost nach Hause zurück, bitte Gott um seinen Segen für unsere gemeinsame Angelegenheit und harre vertrauensvoll.«

Burkhard erhob sich. Ella kniete vor ihm nieder. Er gab ihr seinen Segen und verließ mit den beiden Mönchen die Stube.

Eine Stunde später rief das Glöcklein die Mönche nach dem Kapitelsaale. Die Thüren der Zellen öffneten sich, und durch die langen Gänge zog ein Rauschen anschlagender Gewänder. Kein Wort der lautlos wandelnden Gestalten unterbrach die Stille. Nur zu bestimmten Tageszeiten und in beschränktem Maße war das Sprechen innerhalb des Klosters gestattet, damit die geistige Beschauung nicht gestört werde. Und hochgespannt waren die Ansprüche an die Vollkommenheit des Klosterlebens. Die klösterliche Einsamkeit sollte sein eine Uebungsstätte der Seelen, – ein Netz zum geistlichen Fischfange, – ein Lager des Herrn der Heerschaaren, – ein Garten aller Wonne, – eine Lustwandelbahn Gottes. Die Ueberzeugung von der Flüchtigkeit und Vergänglichkeit aller irdischen Dinge sollte der Mönch keinen Augenblick verlieren. Darum schwebte stets vor dem Geiste des Ordensmannes der mahnende Spruch: Currit, fluit, fluit, labitur et evanescit, quidquid, unquam habere potest mundanus usus. Petr. Cellens. Ep. V, 13. Bei so ernster Anschauungsweise gab es natürlich für müßiges Gerede keine Zeit.

Nach dem Kapitelsaale schritten die schweigsamen Männer, einem gedehnten und schmuckreichen Raume. Starke Pfeiler, mit hervortretenden Halbsäulen, trugen das rundbogige Kreuzgewölbe. Wo die Gewölbe die Tragpfeiler berührten, bildeten die Capitelle der Halbsäulen abentheuerliche Figuren, mit vollendeter Kunst aus Stein gemeiselt. Alle diese Trägerfiguren drückten lebhaft, zuweilen komisch, durch Stellungen und Mienenspiel die Empfindung schwerer Lasten aus, die auf ihnen ruhten. Die Wandflächen zierten Frescomalereien, Darstellungen aus der heiligen Geschichte, ein Werk des prachtliebenden Abtes Heinrich. Obwohl die Frescen weit über hundert Jahre zählten, waren die Farben dennoch unverbleicht und frisch, als seien sie eben erst aufgetragen worden. Am oberen Ende des Saales erhob sich in einer Nische, über drei Stufen, der Altar, ein reich ornirter Steinwürfel, der auf zierlichem Aufbau ein Crucifix aus Elfenbein und zwei silberne Leuchter trug. Die Kerzen waren angezündet und warfen im Dämmer der Nische einen goldfarbigen Schein über das blendend weiße Altartuch. Die Worte der drei Canontafeln waren mit goldenen Buchstaben geschrieben und in schön geschnitzten Rahmen gefaßt. An den Wänden hin standen Bänke von Stein, in deren Mitte, über einem Auftritte von zwei Stufen, der Abtsstuhl sich erhob, ein zum Sitzen ausgehöhlter Stein. Der Fußboden bestand aus viereckigen, gebrannten Platten, belebt durch Adler, Greife und andere merkwürdige Vögel. Diese Platten gingen aus der großen Brennerei des Klosters hervor, wo auch Oefen, Ziegeln, Leitungsröhre und andere Dinge gefertigt wurden Als beim Eisenbahnbau von Bensheim nach Worms ein Sandhügel bei Lorsch abgetragen wurde, stieß man auf diese alte Fabrik des Klosters und förderte höchst interessante Funde zu Tage, von denen manche in das Museum zu Darmstadt wanderten..

In pünktlicher Ordnung waren die Mönche im Kapitelsaale erschienen, zwei und zwanzig Männer in verschiedenen Lebensaltern. Die Versammelten machten den Eindruck einer geistlichen Streitschaar; denn als Kriegsdienst, unter der Fahne Christi, wurde das Ordensleben betrachtet, – »in vita monastica militare,« nannten es die Mönche, ganz im Einklange mit dem Geiste ihrer streitbaren, emporstrebenden Zeit. Klosterfrauen und Mönche trugen nicht minder schneidige Waffen und schützende Wehr, wie der Ritter. Ihre Kriegszucht war die erwählte Ordensregel, – ihr Banner im Streite das Kreuz, – ihre Feinde die Augenlust, die Fleischeslust und die Hoffart des Lebens, – ihre Waffen Gebet, Beschauung und Abtödtung. Selbst die Bücher für den täglichen Gebrauch erinnerten an diesen heiligen Kriegsdienst. »Breviarium monasticum pro omnibus sub regula s. P. Norberti militantibus,« schrieben sie in großen Buchstaben auf die Decken ihrer Breviere. Wechselte der Edelmann seine Stahlrüstung mit dem Ordensgewande, so vertauschte er nur den irdischen Ritterdienst mit dem himmlischen, körperliche Waffen mit geistigen, vergänglichen Preis mit unvergänglichem. »Dominus N relictis parentibus et divitiis in claustro Laureshamensi arma assumit sacrae militiae,« – heißt es häufig in den lorscher Annalen und auch in den Annalen anderer Klöster.

Während die Mönche auf dem Boden niederknieten, schritt der Propst zum Altare und sprach mit lauter Stimme ein Gebet zum heiligen Geiste, Beistand und Erleuchtung für die bevorstehende Berathung zu erflehen. Dann ließ er sich auf seinem Stuhle nieder. Die Mönche saßen auf den Bänken, nach der Ordnung ihrer Aemter und ihres Alters. Dem Propste zur Rechten saß der Prior, Bruder Gerbod, ein Mann bleichen Angesichtes und kahlen Hauptes, die Folgen anstrengender Studien. Er war zugleich Magister der lateinischen und hebräischen Sprachen in der inneren Schule. Manche Stelle des römischen Geschichtschreibers Tacitus konnte er wörtlich citiren, und er that dies mit Vorliebe, weßhalb ihn die Mönche scherzweise Bruder Tacitus nannten.

Burkhard zur Linken saß der Kämmerer Poppo, hörigen Aeltern entsprossen; denn im Geiste der Kirche gibt es keine Entwürdigung der Menschen durch Leibeigenschaft. Auch der Hörige von Geburt vermag die höchsten geistlichen Würden zu erlangen, weßhalb Höriggeborene Aebte, Bischöfe, sogar Päpste wurden. Poppo war gesetzt über das Weltliche des Stiftes. Durch seine Hände gingen alle Einkünfte der Güter, Mühlen, Zinsen und anderer Erträgnisse. Er verwaltete die Gefälle der Spitäler und Schulen, und trug Sorge für das leibliche Wohlergehen aller Eigenleute der zahlreichen Klosterfamilie. Diese vielseitige Berufsthätigkeit mochte Poppo schwer fallen. Seinem Angesichte gebrach der milde Ausdruck beschaulicher Einkehr, es trug in seinen Falten vielerlei Kümmernisse und glich einem mit Ziffern beschriebenen Pergamentblatte. Kämmerer Poppo schien fortwährend im Rechnen begriffen, auch jetzt sah er starr nach der gegenüber liegenden Wand, wie Jemand, der ein schwieriges Rechenexempel zu lösen versucht Ad officium Camerarii pertinent omnes census et reditus monasterii, sive de villis, sive de terris, sive de molendinis, sive de aliis rebus quibuslibet, et ipse tempore statuto perquirat et recipiat. .

Dem Prior zur Seite saß Bruder Ermenold, gleichfalls Magister der inneren Schule. Ein weicher, fast melancholischer Zug lag in seinen Mienen; denn er empfand schmerzlich die eigenen Unvollkommenheiten und die Verkehrtheiten der im Argen liegenden Welt. Zur Betrachtung über sich selbst verpflichtete den Ordensmann die Regel. Die Gewohnheit aber, unablässig zu meditiren über sich selbst und die eigene Mangelhaftigkeit mit Gottes unendlicher Vollkommenheit zu vergleichen, sowie das beständige Streben, in seinem Entstehen das Böse zu ertappen und in seinen flüchtigen Formen zu belauschen, und dann mit glühendem Eifer nach dem unendlichen Gute, dem einzig Schönen zu ringen, – dieses fortgesetzte Sinnen und Trachten bildete in den Mönchen eine große Zartheit des Gefühls aus und schärfte in außerordentlicher Weise den inneren Blick. Feinfühligkeit und Zartheit des Gemüthes eignete aber in besonderer Weise dem Bruder Ermenold. Er vergoß Thränen über seine Fehler und trauerte beständig über die Thorheit Jener, die nicht das einzig Nothwendige suchen, nämlich das Reich Gottes und seine Gerechtigkeit. Wegen dieses hervorragenden Charakterzuges nannten ihn die Mönche gewöhnlich den »Trauernden,« mit Bezug auf die Worte Christi: »Selig sind die Trauernden; denn sie werden getröstet werden.«

Ein Gegensatz Ermenolds war dessen Nachbar, Bruder Anselm, noch jung an Jahren, mit heiteren Zügen und blühenden Wangen, trotz Wasser, Gemüsen und Fischen. Anselm war hospitularius, Gastbruder. Seinem Berufe gemäß hatte er in wohlwollender Weise Fremde zu empfangen, ihnen die Füße zu waschen, sie mit einem Mönchsgewande zu bekleiden, das sie, nach des Ordens Vorschrift, während des Aufenthaltes im Kloster trugen. Auch für Wohnung und Nahrung der Gäste, sogar für deren Unterhaltung, mußte er Sorge tragen.

So reihten sich nach links und rechts vom Sitze des Propstes die Mönche, sich alle gleich an Ehrwürdigkeit und Bescheidenheit, alle gebildet nach der Regel des heiligen Norbert, und doch wieder durch Charaktereigenthümlichkeiten verschieden.

Der Propst berichtete Hattos Diebstahl, dessen Folgen und Ellas Bitte, den Ritter Baldemar zu bestimmen, die Klage einzustellen.

»Ich frage nun die ehrwürdigen Brüder,« schloß er, »ob der Convent geneigt ist, oder gar sich verpflichtet fühlt, die Bitte des unglücklichen Weibes zu erfüllen.«

Bruder Gerbod, zugenannt Tacitus, hatte zuerst als Prior seine Meinung zu äußern. Er that dies mit jener Gründlichkeit, die zu allen Zeiten Männer der Wissenschaft kennzeichnet. Bis zu Tacitus stieg er hinauf und zeigte durch wörtliche Citate aus diesem berühmten Geschichtschreiber, daß auch die Edelsten der Heiden Menschenliebe, Barmherzigkeit und Erbarmen rühmten. Von Tacitus ging er über zu Christus und den Aposteln, durch viele Schriftstellen die Pflicht der Nächstenliebe, sogar der Selbstaufopferung für Verlassene und Hilflose unumstößlich beweisend. Aus den elf Hundert Jahren, die zwischen Christus und dem heiligen Norbert lagen, griff er ausgezeichnete Männer heraus und stellte sie vor, als Fürsprecher und beredte Anwälte Ellas. Endlich zum Ordensstifter, dem heiligen Norbert, gelangt, wurde sein Vortrag noch breiter und gründlicher. Sogar das Schäferglöcklein ließ er klingen, mit dem St. Norbert durch die Länder zog, die Gläubigen zusammenrufend, Liebe predigend, Friede stiftend und Barmherzigkeit übend.

»Demzufolge,« schloß der gelehrte Prior, »können wir die Bitte des unglücklichen Weibes unmöglich abweisen, ohne die Liebe zu verletzen, dem Geiste des heiligen Evangeliums zu widersprechen, der Regel unseres Ordens untreu zu werden, ohne sogar den Tadel edelsinniger Heiden zu verdienen.«

Beifällig nickten alle Mönchsköpfe, der Kopf Poppos, des Kämmerers, ausgenommen. Jetzt erhob er sich, wie zur Abwehr eines drohenden Unheils.

»Die Richtigkeit der Ausführungen unseres ehrwürdigen Bruders Prior anerkennend, darf ich, als Schaffner, doch nicht unterlassen, die Schattenseiten vorliegenden Handels zu berühren,« begann der Kämmerer Poppo. »Ritter Baldemar, obwohl Dienstmann unseres Stiftes, dürfte um so weniger geneigt sein, Gnade für Recht ergehen zu lassen, als er den bösen Einflüsterungen des unchristlichen Bertolf von Starkenburg Gehör zu schenken pflegt. Bertolfs Denkweise und heidnischer Sinn werden nicht unterlassen, diesen Handel, sobald wir uns einmischen, zum Nachtheile unseres Klosters auszubeuten. Ganz bestimmt müßte ich meine Zustimmung versagen, wenn aus dieser Sache Ausgaben für das Stift erwachsen; denn wir sind arm – sehr arm, insoferne die Einnahmen kaum die nothwendigsten Ausgaben decken. Wem wir diese Armuth verdanken, wißt ihr alle, ehrwürdige Brüder! Unser Einmischen in Baldemars Klage käme dem argen Grafen Bertolf höchst gelegen. Aus unserem Beistande und Bemühen für den Dieb Hatto würde Bertolfs Arglist eine Waffe schmieden gegen das Kloster. Er würde gegen uns den Vorwurf erheben, daß wir strafbare Frevler schirmen und seinem Gerichte entzögen. Kurz, er wird mit Vergnügen einen neuen Vorwand finden, seine Raublust zu befriedigen durch unersättliche Erpressungen. Demzufolge geht mein Rath dahin, Alles klüglich zu vermeiden, was jenem Sohne Belials zu neuen Bedrückungen erwünschter Anlaß werden könnte.«

Poppos Worte fielen auf unfruchtbaren Boden, wie das ausdrucksvolle Mienenspiel der Mönche deutlich bewies.

»Der ehrwürdige Bruder Kämmerer that nur seine Pflicht, wenn er gegen unmögliche Ausgaben sich verwahrt,« sagte der Propst. »Dagegen dürfen uns Feindseligkeit und Gewaltthat verirrter Menschen nicht abhalten, erkannten Pflichten zu genügen. Unsere Hilfe ist im Namen des Herrn! Wenn Gott für uns ist, wer mag wider uns sein? Die Feinde sannen Böses wider uns, Gott aber wandte es zum Guten. Aechte Söhne des heiligen Norbert fürchten nur Gott, keinen Menschen, – am wenigsten dann, wenn sich diese Menschen dem Willen Gottes und dem Geiste unseres Ordens entgegen stellen.«

In den letzten Worten des Propstes lag für Poppo ein scharfer Tadel. Der Kämmerer senkte zerknirscht das Haupt. Aengstliches Sorgen um Irdisches und Menschenfurcht hatten ihn bethört, Weltliches dem einzig Nothwendigen voranzustellen.

»Darf auch Nebensächliches in Betracht gezogen werden,« fuhr der Propst fort, »so bringt Hattos Rettung dem Kloster keinen Nachtheil, sondern Gewinn,« – er berichtete Ellas beabsichtigte Schenkung und die Ursachen zu derselben.

Poppos Sorgenfalten glätteten sich etwas und er konnte kaum den Augenblick erwarten, für gedachte Schenkung einzutreten.

»Ich lege auf die Schenkung kein Gewicht; wo höhere Gründe maßgebend sein müssen, darf irdischer Vortheil unser Votum nicht bestimmen,« schloß Burkhard.

Abermals erhob sich der Kämmerer.

»Klöster sind Asyle, Zufluchtsstätten für alle Bedrängten, in ihrem Rechte Unterdrückte, – von diesem Standpunkte betrachtet, abgesehen von allen übrigen Gründen, dürfen wir einer so frommen Gesinnung unsere Hilfe nicht versagen,« eiferte jetzt Bruder Poppo. »Seit Jahresfrist steht der Seehof ledig, Niemand von den Eigenleuten des Stiftes will ihn übernehmen, nicht einmal gegen zwei Ferkel, zwölf Eier und drei Malter Korn jährlichen Zins. Der unfruchtbare Sandboden schreckt Alle ab. Selbst der raubsüchtige Vogt Bertolf streckt nicht seine Krallen aus nach diesem erledigten Stiftsgute. Dort mag Hatto die Sünde seines Diebstahls büßen durch schwere Arbeit. Nebenbei wäre seine Schenkung für das Kloster eine große Wohlthat; denn schon sind wir bei Mangel und Noth angelangt.«

»Gegen die Belehnung Hattos mit dem Seehofe dürfte sich im Rathe der ehrwürdigen Brüder keine Stimme erheben,« versetzte Burkhard. »Auch die traurige materielle Lage unseres Klosters bleibe unbestritten. Schon die täglichen Bohnensuppen morgens, Bohnen zu Mittag, Bohnen zum Abend, beweisen unsere Armuth,« fügte er lächelnd bei. »Dessenungeachtet stimme ich nicht für Annahme der Schenkung, weil wir, nach der weisen Regel unseres Ordensstifters, die heilige Armuth bewahren und lieben sollen. Reichthum bringt selten Jenen Segen, die um Gottes Willen der Welt entsagten. Hiezu kommt das ausdrückliche Verbot des großen Papstes Alexanders III. an alle Gläubigen, welche Kinder haben, ihr Vermögen Klöstern zu schenken. Hatto aber besitzt vier Kinder. Sohin können wir die Schenkung nicht annehmen, ohne gegen die Verordnung des heiligen Stuhles zu verstoßen. – Wozu auch neue Errungenschaften an Geld und Gut? Unsere Armenhäuser, Spitäler und Schulen haben ihre eigenen, gesicherten Einkünfte, – und wir kamen noch nicht in die Lage, Hunger leiden zu müssen.«

Diese Erklärung des Propstes drohte, den einmüthigen Geist des Kapitels zu spalten. Poppo machte eine Bewegung des Unwillens und war nahe daran, Ruhe und Sanftmuth des Mönches an die häusliche Bedrängniß des Schaffners zu verlieren. Schon erhob er sich zu lebhaftem Widerspruch. Da kam Bruder Gerbod, der Prior, ihm zuvor.

»Unser ehrwürdiger Vater,« begann er mit einer entschuldigenden Verbeugung vor dem Propste, »hat die Constitution des Papstes Alexanders III. etwas ungenau angezogen. Ich will nicht bestreiten, daß jene päpstliche Vorschrift, bezüglich der Vermächtnisse an Kirchen und Klöster, allgemeine Geltung habe, obwohl dieselbe durch schwedische Gewohnheiten veranlaßt wurde. Dem Papste wurde nämlich berichtet, daß viele Schweden, in überwallender Frömmigkeit und ohne Rücksicht auf ihre Familien, Kirchen und Klöstern ihre Güter vermachten. Demzufolge verordnete Papst Alexander III.: Wer ein Kind hinterläßt, darf nicht über die Hälfte, wer zwei Kinder hat, darf nicht über ein Drittel seines Vermögens zu Gunsten der Kirche verfügen. Fährt man in dieser mathematischen Progression fort, so darf allerdings der Vater von vier Kindern der Kirche nichts schenken Cantu, B. VII, S. 65.

»Die Untersuchung, ob die erwähnte päpstliche Verordnung für Lorsch Geltung habe, oder nicht, gehört nicht zu den Obliegenheiten meines Berufes,« begann mit Lebhaftigkeit der Kämmerer. »Indessen meine ich, Armen dürfe nicht verwehrt sein, Almosen anzunehmen, – und wir sind arm; denn unantastbar sind Kleinodien und Kostbarkeiten unserer Kirchen und Bücherschätze unserer Bibliothek. Wir haben freilich Ländereien, Höfe, Mühlen, Wälder, Marktzölle zu Bensheim und Weinheim, allein nicht wir sind im Besitze der Erträgnisse. Die Pfalzgrafen, unsere schlimmen Nachbarn zu Heidelberg, und der Vogt von Starkenburg, nehmen fast Alles weg, und wir leben von den Brodkrumen, welche vom Tische dieser Räuber fallen. Wir klagen und führen Beschwerde, doch Niemand ist, der hilft. Seit vielen Jahren gab es keinen Kaiser im Reiche, keinen obersten Schirmvogt der Kirche und der neue Kaiser liegt beständig zu Felde, kaum vermögend, der Gesetzlosigkeit der Großen zu steuern. Dasselbe gilt von unserem Obervogt, dem Erzbischofe von Mainz, – er kann nicht, wie er möchte. So sind wir den Raubgelüsten unserer Nachbarn wehrlos preisgegeben, in Noth und schwere Bedrängniß gerathen. Fast können wir mit dem Abte Lupus sagen: »Wir sind in solcher Noth, daß wir kaum für zwei Monate Korn haben, unsere Brüder haben keine Kleider und sind gehüllt in Lumpen; wir sind genöthigt, unsere Gastfreundschaft gegen die Armen zu beschränken Lupi. Epist. XLII.

Die Mönche sahen auf ihre geflickten Kutten und betrachteten die Vierecke, Dreiecke und Kreise aus neuem Tuch auf den alten, abgetragenen Gewändern.

»Unterlasset nicht, anzuführen,« versetzte Burkhard, »was Lupus weiter sagt, – nämlich: ›Nicht, daß wir uns beklagen, weil wir nicht Haufen von Gold und Silber und andere kostbare Dinge haben, sondern nur, daß wir des Lebens Nothdurft entbehren müssen, wie Nahrung und Kleidung.‹«

»Nicht im Sinne der Klage berührte ich unseren Nothstand,« erwiederte Poppo, »sondern in dem Bestreben, unsere Würdigkeit und Bedürftigkeit des Almosens zu beweisen. Ich bitte das Kapitel, Hattos Schenkung anzunehmen.«

»Dürfen wir die vier Kleinen berauben?« frug im Tone sanften Vorwurfs Magister Ermenold, der Trauernde. »Dies sei ferne von uns!«

»Die Kinder werden zur äußeren Klosterfamilie gehören und keinen Mangel haben,« entgegnete Poppo.

»Wohl!« sprach Gerbod, der regelmäßig im Kapitel die Ansicht Ermenolds vertrat. »Ich erinnere jedoch an die erwähnte Constitution Alexanders III. Wäre dieselbe auch nicht in Deutschland promulgirt, so verpflichtet uns doch der Geist, in dem sie gegeben wurde, Hattos Schenkung ablehnen zu müssen.«

Beifällig nickten die Mönche.

»Es möge den ehrwürdigen Brüdern gefallen, mein Votum zu hören und zu erwägen,« nahm der Propst das Wort. »Wir bitten Baldemar von Billungen, gegen Hatto eine weitere Klage nicht zu erheben. Erlangen wir dieses Zugeständniß von dem christlichen Sinne des Ritters, dann überlassen wir Hatto den Seehof gegen sehr mäßigen Zins. Sein Gut in Auerbach nehmen wir in Verwaltung. Nach Verlauf einiger Jahre wird sich die unchristliche Verachtung der Bauern gegen den Dieb verflüchtigt haben, in der Voraussetzung, daß Hatto durch bußfertige Gesinnung und frommen Wandel das gegebene Aergerniß sühne. Dann mag Hatto mit Weib und Kindern und mit Allem, was er nach dem Seehofe brachte, wieder heimkehren. Uns aber bleibt vor Gott das Verdienst, eine verlorene Familie gerettet zu haben. – Ehrwürdige Brüder, gefällt Euch dieser Vorschlag?«

»Er gefällt!« antworteten einstimmig die Mönche, Poppo nicht ausgenommen.

»Wer übernimmt die Mission nach Auerberg?« frug der Propst.

Sofort erhob sich Ermenold und gleich nach ihm Gerbod, genannt Tacitus; denn beide Magister hielten enge zusammen.

»Gott segne Euer Bemühen, ehrwürdige Brüder!« sprach genehmigend der Propst.

Mit den Worten » Deo gratias!« schlossen die Mönche das Kapitel.

Wieder kniete Burkhard vor dem Altare und sprach laut ein Dankgebet. Sodann erhoben sich Alle von den Knieen und kehrten ebenso schweigsam nach den Zellen zurück, wie sie gekommen waren.


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