Autorenseite

 << zurück weiter >> 

Anzeige. Gutenberg Edition 16. Alle Werke aus dem Projekt Gutenberg-DE. Mit zusätzlichen E-Books. Eine einmalige Bibliothek. +++ Information und Bestellung in unserem Shop +++

Lorsch.

Bevor die Erzählung weiter schreitet, ist es nothwendig, Vergangenheit und damaligen Zustand der Abtei Lorsch flüchtig zu skizziren.

Lorsch wurde gegründet und reich mit Gütern begabt von Williswinda, einer Gräfin von Cancor, im Jahre 764. Erster Abt war der berühmte Chrodegang, Erzbischof von Metz, nahe verwandt mit dem Grafengeschlechte Cancor. Kaiser Carl, der Große, gerne in der Einsamkeit jenes Klosters von Staatsgeschäften ausruhend und sich geistig sammelnd, beschenkte mit Gütern und Rechten die gräfliche Stiftung. Lorsch wurde zugleich die Grabesstätte einiger Carolinger. König Ludwig, der Deutsche, wünschte daselbst bestattet zu werden, an der Seite der Königin Emma, seiner Gattin. Ludwigs Sohn, genannt Ludwig der Jüngere, baute zu Lorsch eine Gruftkirche für seine Aeltern, für sich selbst und seinen Sohn Hugo, – einen prachtvollen Rundbau, mit überragender Kuppel, ecclesia varia, bunte Kirche genannt. Ludowico, filio Ludowici, defuncto et juxta patrem apud Lauresham in ecclesia, quae dicitur varia, quam ipse hujus rei gratia construxerat, sepulto. Chron. Lauresham.

Auch ein Fürst, dessen ergreifende Lebensschicksale die Geschichte verzeichnet, Herzog Tassilo von Bayern, der Letzte seines Geschlechtes, fand in Lorsch seine Ruhestätte, nachdem er dortselbst durch ein strenges Mönchsleben auf den Tod sich vorbereitet. Wie der Chronist meldet, hatte es der weltentsagende Herzog im Bußkleide bis zum Geruche der Heiligkeit gebracht. Hoc eodem anno (788) Tassilo Bavariae dux a Carolo rege cum Theodone filio ingredi coenobium permissus ad Laurissense s. Nazarii haud procul Wormatia concessit illicque vitae reliquum sanctissime transigens atque miraculis illustris Sanctorum coetui conjungi et adscribi meruit. Bucel. in annal Bened. ad a. 788. p. 136.

In rauher, halbbarbarischer Zeit entstanden, wurde Lorsch in geistig veredelnder und volkswirthschaftlicher Beziehung eine Quelle des Segens für die Umgegend weithin. Was die frommen und fleißigen Benediktinermönche allenthalben gethan, das thaten sie auch in Lorsch. Der unabsehbare Urwald wurde gelichtet und gerodet Fruchtfelder entstanden und Bauernhöfe, Straßen wurden angelegt, Brücken und Mühlen gebaut, Sümpfe trocken gelegt. Die rohen Landesbewohner lernten von den Mönchen Ackerbau und Handwerke. Die ungeschlachten Sitten milderten die erhabenen Lehren des Christenthums, und deutsche Kraft, vormals nur im Dienste des Krieges und der Jagd, betrat die Bahn der großartigen mittelalterlichen Entwickelung. Auch den Weinbau, an den Vorbergen des wilden Odenwaldes, begründeten und pflegten die thätigen Mönche. Weiler, Dörfer und Marktflecken entstanden. Burgen auf den Höhen schirmten Land und Leute. – So war und blieb durch Jahrhunderte Lorsch ein belebender Brennpunkt, der weithin Gesittung, Wohlstand und Cultur ausstrahlte. »Aller gebildetere Ackerbau des Mittelalters ist vorzugsweise von den Klöstern ausgegangen; wie sie die Pflanzschulen geistlicher Bekehrung waren, so auch wirtschaftlicher Cultur. In den Klöstern stellte sich die erste feinere Arbeitsteilung ein. Man darf nicht übersehen, daß eigentlich bei jedem Volke die ersten Samenkörner der höheren Cultur, sowohl der materiellen, wie der geistigen von Priestern gestreut worden«. Dies sagt Wilhelm Roscher, in der Nationalökonomie eine unbestrittene Autorität, und alle Wissenden sagen es mit ihm. Dagegen besitzen Ignoranten und Fanatiker immer noch das klägliche Vorrecht, über Dummheit und Finsterniß des mittelalterlichen Mönchswesens zu schmähen.

Die Mönche von Lorsch führten durch Jahrhunderte regelmäßige Jahrbücher, und diese Annalen verbreiten Licht über manche dunkle Begebenheit deutscher Vergangenheit. Sie verfaßten zugleich wissenschaftliche Werke und schrieben fleißig griechische und römische Classiker ab. Die Bibliothek von Lorsch, gegenwärtig im Vatikan zu Rom, enthält sehr werthvolle, seltene, sogar einzige Handschriften. Fünf Bücher des römischen Geschichtschreibers Livius haben die Benediktiner von Lorsch der Nachwelt gerettet, ebenso einen Theil des römischen Geschichtsschreibers Ammianus Marcellinus. In der Einleitung zur Ausgabe des in Lorsch gefundenen Livius sagt Erasmus von Rotterdam im Jahre 1531: » Titus Livius, latinae historiae pater, jam quidem frequenta excusus est, sed nunquam antehac vel magnificentius vel emendatius, et si hoc parum est, quinque libris modo repertis auctus, quos in bibliotheca monasterii Laurissensis aut vulgo Lorsensis reperit Simon Grynaeus«.

Ohne die Mönche von Lorsch gäbe es nur einen verstümmelten Livius. Ohne die Mönche von Corvey gäbe es keinen Tacitus. Ohne die Mönche anderer Klöster gäbe es keinen Cicero, keinen Julius Cäsar, keinen Strabo, keinen Aristoteles, keinen Sophokles, überhaupt keinen griechischen oder lateinischen Autor. Alle wissenschaftlichen und poetischen Schätze des Alterthums verdankt man den Mönchen. Aus den Fluthen der Völkerwanderung, aus den Fäusten zerstörungswüthiger Barbaren und aus den gefräßigen Zähnen der Zeit, retteten die Mönche die classische Vergangenheit.

Die Werthschätzung der Bücher, von Seite der lorscher Mönche und ihrer Standesgenossen im Allgemeinen, war ganz erstaunlich. Sie schrieben dieselben mit farbigen Buchstaben, mit goldenen Initialen, zierten sie mit Bildwerken und reicher Ornamentik. Selbst auf die Einbände erstreckte sich ihre Sorgfalt; denn sie hüllten dieselben in Decken von Elfenbein, mit Gold und eingefügten Perlen, – » Evangelium scriptum cum auro pictum, habens tabulas eburneas,« berichtet der lorscher Chronist. Wie hoch damals werthvolle Bücher überhaupt geschätzt wurden, geht aus einer Bemerkung der lorscher Jahrbücher hervor. Durch den Grafen von Hennenberg war Abt Diemo (1125-1139) in einen Kampf mit dem Bischofe von Speyer verwickelt worden. Der unterliegende Abt mußte sehr bedeutende Kriegskosten zahlen, die er gewann aus dem Verkaufe von drei Büchern der lorscher Bibliothek. Ausgestattet waren diese Bücher mit Silber, Gold und kostbaren Edelsteinen, – » tres libros auro et argento gemmisque pretiosis exornatis,« sagt die Chronik.

Später kam die lorscher Bibliothek nach Heidelberg und dann nach Rom. Als nämlich Tilly im Jahre 1622 Heidelberg eroberte, machte er mit der lorscher Büchersammlung dem Papste ein Geschenk. So entging der Bücherschatz der sicheren Vernichtung in Heidelberg durch die Franzosen im Jahre 1689.

Wie alle Klöster von einiger Bedeutung, besaß auch Lorsch zwei Schulen, eine äußere und eine innere. In der letzteren wurden Knaben und Jünglinge für den geistlichen Stand herangebildet. Sie lernten alte Sprachen, Dichtkunst, Mathematik, Astronomie, Geschichte und die theologischen Fächer. Die Anfänger ausgenommen, verkehrten alle Schüler nur in lateinischer Sprache. Auch hierin bildete Lorsch von den übrigen Klöstern keine Ausnahme, das Studium fremder Sprachen war vielmehr in allen Klöstern herkömmlich. Abt Ulrich VIII. von St. Gallen hatte sogar einen Bruder Koch und einen Bruder Pförtner, die beide der lateinischen, griechischen und hebräischen Sprache mächtig waren. Hiebei wurde die deutsche Sprache keineswegs vernachlässigt, sondern weiter ausgebildet. Bereits im neunten Jahrhundert schrieb Mönch Rudpert eine deutsche Grammatik und hielt in deutscher Sprache wissenschaftliche Vorträge, – »Primus Barbaricam scribens faciensque saporam,« berichtet Eckehard IV. In lib. Benedict. 155

Der äußeren Klosterschule übergab der Adel seine Söhne, die nicht in den geistlichen Stand traten, zur Ausbildung. Sie lernten lesen, schreiben, rechnen, Geschichte, die Kirchensprache, und empfingen eine sorgfältige Erziehung.

Neben ihrer vielseitigen Berufsthätigkeit vergaßen die Mönche von Lorsch nicht die Armen und Kranken. Tägliche Almosenspenden waren herkömmlich, sogar Ordensgebot. Da sich die Klöster mit gleichen Verpflichtungen und Uebungen der Nächstenliebe über das ganze Reich ausbreiteten, so gab es damals keinen Hungertyphus und Pauperismus. Abt Heinrich von Lorsch (1153-1167) wurde für die Umgegend sogar ein zweiter ägyptischer Joseph. Unermüdlich thätig für den Landbau und sehr umsichtig in Bewirthschaftung der ausgebreiteten Stiftsgüter, füllte er mit dem Aerntesegen die Fruchtspeicher, und sammelte auf allen Höfen und in Dörfern der Abtei die Abgaben in den Zehntscheunen. Als nun Deutschland, nach einem Mißjahre, von Hungersnoth heimgesucht wurde, öffnete er die Vorrathshäuser unentgeltlich den Armen.

Für Kranke bestanden zu Lorsch zwei Spitäler mit reichen Stiftungen, eines für Männer im Kloster selbst, und eines für Frauen in dem nahe gelegenen Nonnenkloster. Ein Beweis von dem hohen Ansehen Lorsch's ist wohl der Umstand, daß der Dichter oder Sammler des Niebelungenliedes Königin Ute im Frauenkloster daselbst weilen und begraben werden läßt.

Da war der Frauen Ute ein Edelhof bereit
Zu Lorsch bei ihrem Kloster mit großer Herrlichkeit;
Dahin von ihren Kindern die Wittwe sich begab
Noch liegt in einem Sarge die hehre Frau dort zu Grab. Niebel. 1184.

Auch Siegfried, der Held der Niebelungensage, wird zu Lorsch beigesetzt.

Da sprach die Königin Ute: »Magst Du nicht bleiben hier,
Meine liebe Tochter, so sollst Du sein bei mir,
Zu Lorsch in meinem Hause; drum laß dein Weinen sein.«
Da gab ihr Antwort Kriemhild: »Wem ließ ich dann den Gatten mein?«

»Den laß doch hier bleiben,« sprach Frau Ute.
»Nicht woll' es Gott vom Himmel«, sprach wieder die Gute.
»Nein viel liebe Mutter, davor will ich mich wahren;
Denn er muß wahrlich mit mir selbst von hinnen fahren.«

Da schuf die Jammersreiche, daß man ihn auferhub,
Und also bald sein edles Gebeine dort begrub
Zu Lorsche bei dem Münster, mit würdiglicher Ehr;
In einem langen Sarge dort liegt der Ritter kühn und hehr.

Diese Vorliebe für Lorsch legt sogar den Gedanken nahe, daß der verdienstvolle Sammler und künstlerische Bildner des Niebelungenliedes ein lorscher Mönch gewesen.

Rückgang und Zerfall bedroht auch das Erhabenste und Großartigste auf Erden. Von diesem allgemeinen Gesetze war die Abtei Lorsch nicht ausgeschlossen. Das Streben mancher Kaiser, unwürdige Höflinge mit reichen Pfründen auszustatten, gab Lorsch nichtswürdige Aebte, schlechte Haushalter und Verschwender. Diese vergeudeten das Vermögen und brachten das altehrwürdige Stift der Auflösung nahe. Hiezu kam unter solchen Häuptern geistiger Niedergang, sittlicher Zerfall und Entartung der Mönche. Kaiser Friedrich II. mischte sich in die entstandenen Wirren und schenkte die Abtei dem Erzbischofe Siegfried von Mainz. Dieser entfernte die Benediktinermönche und übergab das Kloster einem jungen Orden, den Prämonstratensern. Anno Domini m cc XXXII unita est ecclesiae moguntinae dignitas ecclesiae laurissensis per Fridericum imperatorem hujus nominis secundum et Gregorium papam hujus nominis nonum cum omnibus suis pertinentiis procurante hoc Sifrido hujus nominis tertio sanctae moguntinae sedis archiepiscopo. Calend. lauresh.

Obwohl der Hohenstaufe das reich begüterte Stift der Mainzer Kirche schenkte, wahrte er dem Kaiser dennoch einen sehr bedeutenden Einfluß in die Klosterangelegenheiten. Er übergab nämlich die Schutzveste Starkenburg, kaum eine Stunde von Lorsch entfernt, seinem Getreuen Bertolf als Erblehen, mit allen Rechten, Erträgnissen und Pflichten eines Schirmvogtes über die Abtei. Bertolf war ein Preuße und noch Heide gewesen, dessen kühner Muth und glänzende Tapferkeit des Hohenstaufen Gunst erwarben. Bei der bekannten irreligiösen Gesinnung Friedrichs II., von dem viele Zeitgenossen behaupteten, er sei weniger Christ, als Türke, bildete Bertolfs Heidenthum kein Hinderniß, einen tapferen und verdienten Krieger in genannter Weise zu belohnen.

Beständig im Gefolge des Kaisers, und nach dessen Tode in die Kämpfe zwischen Ghibellinen und Welfen verwickelt, kam Graf Bertolf höchst selten nach Starkenburg. Die Mönche sahen den kriegerischen Herrn niemals im Kloster, und die Chronik erzählt von ihm weder Gutes, noch Schlimmes. Aber des Alten Sohn, auch Bertolf geheißen, zwar getauft, jedoch in heidnischem Aberglauben von der Mutter erzogen, wurde für Lorsch ein arger Zwingherr. Weit entfernt, das wehrlose Stift zu schirmen und dessen Angelegenheiten zu fördern, entzog er demselben erledigte Güter und Höfe, und quälte die Mönche auf alle Weise. In der Bereicherung durch Klostereigenthum fand er einen Sporn in dem Vorgehen Anderer, die zugriffen, wo sie konnten, namentlich die Pfalzgrafen bei Rhein. Die Wirren der kaiserlosen Zeit begünstigten dieses Raubwesen, und die ersten Regierungsjahre Rudolphs von Habsburg brachten keine Hilfe, weil die Bändigung des gesetzlosen Trotzes einiger Reichsgroßen alle Kraft des Kaisers forderte. Bei solchen Verhältnissen darf es nicht befremden, wenn Bertolf nicht allein Bereicherung auf Kosten Lorschs, sondern noch ganz andere Dinge anstrebte.

Das Volk, christlich gesinnt und gläubig fromm, verabscheute das heillose Treiben des Burggrafen Bertolf. Es nannte ihn spottweise »Wehrwolf«, oder auch den »Heiden«, den »Preußen«. Letztere Bezeichnung war nach damaliger Anschauung die schimpflichste; denn »Preuße« war nicht nur gleichbedeutend mit »Heide«, sondern auch mit »Räuber«, weil die in jener Zeit noch heidnischen Preußen das Rauben und Plündern mit Vorliebe betrieben. Ebenso hing am »Preußen« der Vorwurf undeutscher Abstammung, da bekanntlich die Preußen keine Deutschen, sondern Letten oder Slaven sind. Hiezu kam endlich noch jener allgemeine nationale Groll des deutschen Volkes gegen die Preußen, deren fortgesetzte Raubeinfälle in die Reichsmarken das Reich zu einer fast hundertjährigen Abwehr und zu blutigen Heereszügen zwangen. Sohin vereinigte sich Alles, den Klostervogt verhaßt zu machen.

Auch Unheimliches und Schauerliches knüpfte sich an den Namen Bertolf. Man sagte ihm nach, vielleicht mit Unrecht, er habe seine zweite Gattin, auf Anstiften seiner Mutter, in einen Thurm gesperrt und daselbst verhungern lassen.

Die Prämonstratenser in Lorsch ertrugen mit christlicher Geduld die Bedrückungen, Ungerechtigkeiten und Erpressungen ihres Vogtes. Ihr Ordensstifter, der heilige Norbert, hatte ihnen eine sehr strenge Regel vorgeschrieben, und die Norbertiner in Lorsch befolgten dieselbe gewissenhaft. Nächstenliebe, Demuth, Abtödtung, Weltverachtung, bildeten die Grundtugenden der Prämonstratenser. Aermlich war ihre Kleidung, kärglich ihre Nahrung. Nur bei Krankheiten durften sie Fleisch genießen, – Eier und Käse niemals. Sie lebten von Brod, Fischen und Gemüse in Wasser gekocht, fehlte das Gemüse, so aßen sie Feldkräuter und Baumblätter Hurter, Gesch. P. Innoc. III. B. IV. S. 141 ff..

Neben der Heiligung ihrer selbst, waren sie verpflichtet, das Evangelium zu verkünden, Unwissende in Glaubenslehren zu unterweisen, Buße zu predigen, Ketzer zu widerlegen und der Seelsorge, so ihnen dieselbe aufgetragen wurde, sich zu unterziehen. Diese Bestimmungen der Ordensregel machten eine wissenschaftliche Bildung nothwendig, weßhalb zu Lorsch gute Schulen fortbestanden und einige Mönche durch reiches Wissen glänzten.


 << zurück weiter >>