Autorenseite

 << zurück weiter >> 

Anzeige. Gutenberg Edition 16. Alle Werke aus dem Projekt Gutenberg-DE. Mit zusätzlichen E-Books. Eine einmalige Bibliothek. +++ Information und Bestellung in unserem Shop +++

Wahrer und falscher Adel.

Die Veste Auerberg gewährte einen Anblick, der von jenem des zierlich kühnen Greifenstein sehr verschieden war.

Um den etwa vierzehnhundert Fuß hohen Bergkegel zog eine hohe Ringmauer von ungewöhnlicher Dicke, deren Festigkeit Jahrhunderte überdauerte und heute noch Staunen erweckt. In kurzen Zwischenräumen sprangen Thürme aus dem Gemäuer hervor, durch ihre Schießscharten nach allen Richtungen den Mauerring bestreichend. Rings um die Höhe der Mauer lief ein Zinnengang, wo die Vertheidiger, durch die Brüstung der Mauerkrone geschützt, in großer Anzahl und aus gesicherten Stellungen ihre Wurfgeschosse und Pfeile gegen den Feind gebrauchen konnten. Ein Brückenthor führte in einen ungewöhnlich großen Hof. Dort erhob sich das Herrenhaus, Pallas genannt, ein dreistöckiger, weitläufiger Bau, von massivem Mauerwerk, mit zwei Thürmen an der nördlichen und südlichen Seite. Dieser Pallas bot ein sprechendes Bild von der Bauweise mittelalterlicher Burgen. Sein Inneres glich einem Labyrinthe von Zimmern, Kammern, Gängen und Speichern. Das Erdgeschoß enthielt Keller, Getreidekammern, Gewölbe für Fässer, Räume für Kufen und alle möglichen Hauserfordernisse. Im zweiten Stocke lagen die Wohnungen der Herrschaft, welche mit jenen des zahlreichen Gesindes in Verbindung standen. Der dritte Stock umschloß die Gemächer für Töchter und Söhne, nebst dem großen Gesellschaftssaale, den ein Gang mit der Kapelle verband.

Im Hintergrunde des Schloßhofes lagen Bäckerei, Küferei, Scheunen, Stallungen für Pferde und Kühe. Den Hof bevölkerte eine bunte Menge von Federvieh, zuweilen auch fette Einlegschweine, wenn dieselben für kurze Zeit der Haft entlassen wurden. Und so machte das Ganze den Eindruck eines wohlhabenden Adelssitzes, dessen Inhaber weit mehr Interesse für wirthschaftliche Pflege des zur Burg gehörenden Grundbesitzes, als für das Waffenwerk zu haben schien.

Obwohl nicht Eigenthümer von Auerberg, sondern Lehensmann des Stiftes Lorsch, fühlte sich Ritter Baldemar doch als unabhängiger Besitzer des reichen Lehens. Schon seine Urahnen saßen zu Auerberg, und die Familie Billungen gewöhnte sich im Laufe der Zeit daran, die Lehensgüter für Erbgüter zu halten, ein Fall, der nicht nur häufig vorkam, sondern auch in Wirklichkeit, bei kluger Benutzung der Zeitverhältnisse, Lehensgüter in Erbgüter verwandelte. Dies galt im Kleinen, wie im Großen. Auch die Grafen, Markgrafen, Pfalzgrafen und Herzöge waren ursprünglich nur Reichsbeamten welche vom Kaiser Lehen empfingen und hiefür zum Reichsdienste verpflichtet waren. Mit der Zeit aber wurden aus diesen Reichsbeamten selbstständige Fürsten, indem sie die Lehen in erbliche Grafschaften und Fürstenthümer verwandelten. – Die Billungen zu Auerberg dachten wohl nicht daran, das Eigen des Stiftes Lorsch in Familiengut zu verwandeln, gegen solchen Raub schützte sie der fromme Geist ihres Geschlechtes. Aber sie unterließen nicht, durch umsichtige Bewirthschaftung der Stiftsgüter, ihren Familienbesitz zu vermehren. Durch Kauf erwarben sie Land und Leute, und Seitenzweige der Billungen hatten sich im Odenwalde und am Rhein auf eigenem Boden niedergelassen. Baldemar selbst besaß einige Höfe, nebst Eigenleuten, Feldern, Wiesen und Wald. Hiezu kam in den Gemarkungen von Auerbach und Bensheim ein bedeutender Besitz an Weinbergen und Ackerland, so daß im Ganzen die Vermögensverhältnisse glänzend genannt werden konnten.

Als Gerbod und Ermenold die Höhe erstiegen, durchschritt Herr Baldemar erregten Gemüthes das Wohnzimmer, einen ziemlich schmucklosen, weiten Raum, groß genug, um einen Saal vorzustellen. Die weiß getünchten Wandflächen unterbrach kein Gemälde, keine Figur, das hübsche Crucifix ausgenommen, an hervorragender Stelle aufgehängt und geziert durch einen Strauß geweihter Kräuter vom letzten Palmsonntage. Zwei geräumige Wandschränke in der Mauertiefe, wie solche in fast allen Zimmern und Kammern der Burgen vorkamen, erquickten das Auge durch ihre geschmackvolle Schnitzerei; denn das Mittelalter pflegte Alles zu beleben und künstlerisch zu behandeln, sogar die gewöhnlichsten Dinge für den täglichen Gebrauch. An Stelle des fast allgemein herrschenden Kamines, erhob sich ein mächtiger Ofen aus gebranntem Thon, dessen Platten verschlungenes Rankenwerk in buntem Wechsel mit sagenhaften Thiergestalten zierten, – eine Schöpfung der Thonfabrik des Stiftes Lorsch. An jedem Fenster befanden sich zu beiden Seiten Steinbänke, getragen von Männlein mit gekrümmten Rücken, zuweilen in komischen Haltungen und fratzenhafter Verzerrung der Gesichter. In Mitte des Zimmers stand ein großer Tisch von Eichenholz, dessen Füße knorrige Aeste vorstellten, um die sich Schlangen und Drachen gewunden hatten. Um den Tisch standen Stühle mit hohen Rücklehnen und auf demselben ein zierlich geschnitzter Weinkrug mit silbernem Deckel, dessen Inhalt gegenwärtig dazu diente, die bittere Laune des Burgherrn zu beschwören.

Auf einer Fensterbank saß Frau Kunigunde, mit Handarbeit beschäftigt, eine hochgewachsene stattliche Dame, deren Züge immer noch schön genannt werden konnten. Sie trug dieselbe weiße Haube, wie Frau Hildegard von Greifenstein, aber nicht das einfache Kleid. Das Gewand Kunigundens war von werthvollem Stoffe, geschmückt durch Stickerei am Saum, sowie durch silberne Borten an der Halsöffnung und den Aermeln.

Den Burgherrn kleidete ein Haustalar, der ihm bis zu den Füßen hinab reichte, um die Leibesmitte durch einen Gürtel zusammengehalten. Fast jeden Augenblick trat er vor eines der südlichen Fenster und spähte gegen Starkenburg hinüber, zuweilen kopfschüttelnd und ärgerlich brummend.

»Wo bleibt nur der Graf heute?« sprach er unwillig. »Er hat doch zugesagt, in aller Frühe zu kommen. Sonderbar in der Welt: – so man die Leute nicht von Nöthen hat, sind sie gleich bei der Hand, – braucht man sie aber, dann bleiben sie aus.«

»Mir wäre lieber, Du brauchtest den Grafen niemals,« versetzte kurz Frau Kunigunde.

»Ja, – ich weiß, Du magst ihn nicht ausstehen, – glaubst auch an die Märchen über ihn, wie er sein zweites Weib habe verhungern lassen, wie er im Geheimen Götzen anbete, ihnen opfere, – und dergleichen Narrheiten. Meinestheils halte ich den Grafen für einen tapferen Degen, der in treuer Freundschaft lebt mit Freunden, und der keinen Feind fürchtet.«

»Märchen glaube ich nicht, Baldemar, wohl aber, was meine Augen sehen, oder vielmehr nicht sehen, und was glaubwürdige Zeugen verbürgen. So glaube ich an Bertolfs unchristlichen Sinn; denn niemals sahen ihn meine Augen bei religiösen Festen und Feierlichkeiten zu Lorsch, dessen Schutzvogt er ist. Auch hörte ich, wie er das Kloster bedränge, die Mönche auf alle Weise drangsalire, dieselben sogar zwinge, ihm eine Meute Hunde zu halten, – was Alles zusammen gewiß für keine fromme Gesinnung spricht. Wenn man ihm nachsagt, er hetze seine verkappten Reisigen auf fahrende Kaufleute und treibe Straßenraub, so will ich dies nicht glauben, weil solch ein Glaube uns zwingen würde, einem Ehrlosen das Haus zu verbieten.«

»Wie sagt die Schrift, Kunigunde? ›Richtet nicht, damit ihr nicht gerichtet werdet!‹ – Dem Stifte gegenüber hält der Graf strenge an Rechten und Vortheilen des Vogtes, – dies mag ihm kein Mensch übel nehmen. Dahin gehört auch die Hundegeschichte, – ein altes Herkommen. – – Ich fand den Grafen immer treu und fest in Ehren, – hiernach bildet sich mein Urtheil, nicht nach der Meinung des Volkes, welches den Preußen nicht leiden mag.«

»Widerwille und Abscheu der Deutschen gegen die Preußen sind gerechtfertigt; denn seit vielen Jahren berauben und brandschatzen die Preußen deutsche Grenzmarken.«

»Bertolf hat die Frevel seiner Stammesgenossen nicht zu verantworten.«

»Aber denken und streben mag er, wie seine Stammesgenossen.«

»Ich habe Beweise vom Gegentheil,« widersprach Herr Baldemar. »Was die Leute Böses über den Grafen leumunden, mögen sie dereinst vor Gott verantworten.«

Ein vielstimmiges Hundegebell im Burghofe, von dem kleinen krummbeinigen Dachs angefangen, bis hinauf zum gewaltigen Eberfänger, unterbrach das Zwiegespräch. Baldemar trat zum Fenster und schaute hinab.

»Zwei Väter aus Lorsch. Was mag dieser ungewöhnliche Besuch bedeuten? Etwa Kunde über Heidolf, den Dickkopf?«

Ein Zug des Widerwillens und lebhafter Abneigung glitt durch seine Züge. Auch Kunigundens Angesicht überschatteten trübe Empfindungen. Offenbar bildete Heidolf einen dunklen Punkt in der Familie.

Die Mönche traten ein.

» Pax huic domui, – Friede diesem Hause!« grüßte der Prior.

» Et omnibus habitantibus in ea, – und Allen, die darin wohnen!« ergänzte Ermenold.

»Willkommen, ehrwürdige Väter!« sagte Baldemar, den Gästen freundlich die Hand reichend.

Auch Frau Kunigunde trat heran zur achtungsvollen Begrüßung. Die Norbertiner verbeugten sich schweigend vor der Burgfrau.

»Seid Ihr zu Fuß herüber gekommen?« frug Billungen.

»Gewiß!« entgegnete Gerbod. »Ein sehr angenehmer Spaziergang durch Fluren und Wald.«

»Nur etwas weit und hoch, ehrwürdiger Prior!« meinte Baldemar, den es sichtlich drängte, nach dem Grunde des unerwarteten und seltenen Besuches zu forschen, hätte nicht die Sitte eine solche Frage verboten, bis den ersten Anforderungen der Gastfreundschaft Genüge geschehen. – »Gunde, das Beste aus Küche und Keller, – das heißt, nach der Regel des heiligen Norbert. Wein trinken die ehrwürdigen Väter nicht, auch kein Bier, – muß gestehen, die Regel ist etwas strenge.«

»Gewohnheit, edler Ritter!« versetzte lächelnd der Prior. »Ein Stück Brod und ein Becher Milch befriedigen vollkommen unsere Bedürfnisse.«

Frau Kunigunde verließ diensteifrig das Zimmer. Baldemar rückte Stühle. Die Gäste ließen sich nieder.

»Wir hatten lange nicht die Freude, einen ehrwürdigen Vater aus Lorsch hier zu sehen. Früher war dies anders. Die Benediktiner kamen oft herauf, wie ich mich aus meiner Kindheit noch erinnere.«

»Keine Gleichgültigkeit von unserer Seite,« erwiederte Ermenold. »Allein die Arbeit bindet, und die Arbeit ist groß, der Arbeiter hingegen sind wenige.«

»Ich weiß!« sagte kopfnickend der Burgherr. »Beständig sind einige Väter draußen in der Seelsorge in entlegenen Dörfern. In Lorsch sind Kanzel und Beichtstühle sehr anspruchsvoll, dafür aber auch die Wallfahrtstage und heiligen Feste wirklich großartig und erbaulich. Dazu kommen die Schulen, die Spitäler, die Metten Tag und Nacht. Muß gestehen, neben die Arbeiten der ehrwürdigen Väter hingestellt, komme ich mir vor, wie ein rechter Faulenzer.«

»Unser Bruder Kämmerer ist anderer Meinung,« entgegnete Gerbod. »Er findet die Stiftsgüter von Auerberg und deren Verwaltung immer in der besten Ordnung. Gott verlangt Treue und Gewissenhaftigkeit in jedem Berufe, mehr nicht.«

Frau Kunigunde kehrte mit zwei Mägden zurück, welche Speisen und Milch trugen. Das werthvollste Silbergeschirr der Familie wurde aufgestellt, als Beweis der Hochschätzung für die Gäste. Eine kunstreich ciselirte silberne Kanne enthielt das Getränke. Hiezu kamen zwei Teller und Becher von demselben Metall und gleich prachtvoller Arbeit. Eine silberne Schaale, von einem Zwerge auf dem Rücken getragen, der auf einem Baumstrunke saß, enthielt eine Scheibe gelben Honigs. Die Burgbäckerei lieferte einen Laib vortrefflichen Weißbrodes, der auf silberner Platte vorgesetzt wurde. Frau Kunigunde goß in die beiden Becher Milch, welche dick und fett hervorquoll. Die Mönche aßen Brod und tranken süße Milch, ohne den Honig zu berühren.

» Dulce lac, – eine köstliche Milch!« rühmte der Prior. »In Lorsch besitzen wir nichts dergleichen.«

»Das kommt von der Fütterung,« erklärte der landwirthschaftlich kundige Edelmann. »Unsere Milchkühe fressen nur duftiges, süßes Waldgras und gewürzreiche Kräuter. Das vielfach saure Gras der Klosterwiesen an der Weschnitz kann neben solcher Fütterung nicht aufkommen. Wünschen die ehrwürdigen Väter von der Burgmilch für den täglichen Trank, so ist leicht geholfen, – ich lasse jeden Morgen zwei Esel mit Milchkufen nach Lorsch gehen.«

»Zu viel Güte, edler Herr!« entgegnete Ermenold. »Wir können von Eurem Wohlwollen keinen Gebrauch machen. Das ist Milch für Könige, nicht für Mönche nach der Regel des heiligen Norbert. Außerdem ist uns der Genuß von Milch nur auf der Reise gestattet, nicht im Kloster.«

Herr Baldemar kraute im Haar und blickte fast scheu auf seinen Weinkrug, den er in Gegenwart dieser ascetischen Männer kaum zu berühren wagte.

»Wie geht es Heidolf?« frug Kunigunde.

»Er läßt die lieben Aeltern herzinnig grüßen und wünscht sich aus dem Kloster hieher versetzt,« antwortete Gerbod.

Dunkles Gewölk erschien auf Baldemars Stirne. Das Gewölk verdichtete sich rasch und jetzt begann es, zu blitzen und zu donnern.

»Hieher versetzt, – der Dickkopf, das Mondkalb!« rief er in auffahrender Heftigkeit. »Daraus wird nichts. Wir haben ihn dem heiligen Nazarius gleich nach seiner Geburt schon geopfert, und dabei bleibt es. Was sollten wir auch mit dem Verwachsenen hier anfangen? Zum Ritterdienste taugt er nicht. Hm, – den Helm möchte ich sehen, passend für seinen Dickkopf! Das gäbe ein Ungeheuer von einem Helm, – alle Welt würde lachen über die Mißgestalt in Wehr und Waffen. Also werde er ein guter Ritter in der Kutte. Für den Lehendienst zum Heerschilde des Stiftes habe ich noch zwei Söhne. Für Heidolf ist kein Platz hier. – – Verzeiht meinen Unwillen, ehrwürdige Väter! Heidolfs unheilbare Halsstarrigkeit erbittert.«

»Halsstarrigkeit liegt keineswegs im Widerstreben unseres Heidolf,« sprach sanft der Prior. »Er fühlt eben keinen Beruf für den Ordensstand.«

»Weil er ein Trotzkopf ist, der sich in Gehorsam nicht fügen will,« behauptete Billungen. »Die ehrwürdigen Väter sind allzu nachsichtig. Längst hättet Ihr mit Strenge gegen ihn verfahren und ihn tonsuriren sollen. Es wird des Klosters Schade nicht sein. Der Mönch Heidolf bringt dem Stifte Lorsch einen hübschen Weiler, mit zwanzig Morgen Ackerland und zehn Hufen Wiesen, nebst drei Eigenleuten. Darum läge es zugleich im Vortheile des Stiftes, den Trotz des Jungen zu beugen.«

»Irdische Vortheile dürfen uns nicht bestimmen, in einer so wichtigen, die persönliche Freiheit berührenden Sache,« erwiederte ernst der Prior. »Nach wiederholt eingeschärften Verordnungen der Päpste Clemens III. und Cölestins III. muß den Klosterschülern vollständig freie Wahl gelassen werden, ob sie in einen Orden eintreten wollen, oder nicht Als die päpstliche Verordnung nicht immer beachtet wurde, belegte die Kirche Alle mit dem Banne, die Jemand zum Eintritt in ein Kloster zwangen. Anathemati sancta Synodus subjicit omnes et singulas personas, tam clericos quam laicos, si quomodocumque coegerint aliquam virginem, vel viduam, aut aliam quamcumque mulierem invitam ad ingrediendum monasterium. Trid. sess. XXV, Cap. XVIII.

»Was Ihr da sagt, lautet sonderbar,« entgegnete Baldemar verwundert. »Wie mag es verboten sein, Kinder zur Frommheit anzuhalten, bei Widersetzlichkeit und bösem Willen durch Strafe sogar zum Rechten zu zwingen?«

»Unterscheidet gütigst, edler Herr!« versetzte Gerbod. »Allerdings haben Aeltern ein Recht, sogar die Pflicht, böswillige Kinder durch körperliche Strafen zum Guten zu nöthigen. Uebersehet jedoch nicht, daß der Eintritt in einen Orden durchaus keine Pflicht ist, die Gott irgend einem Menschen auferlegt; – sohin haben die Aeltern auch keine Befugniß, eine solche Pflicht von den Kindern zu fordern. Die Ordensgelübde gehören vielmehr zu den guten Räthen, die Jedermann befolgen mag, oder auch nicht. Opfer dieser Art müssen freiwillig sein, nicht gezwungen. Darum sündigen vor Gott jene Aeltern schwer, die ein widerstrebendes Kind zum Ordensstande zwingen.«

Der Burgherr machte große Augen. Er glaubte, ein gottgefälliges Werk zu vollbringen, indem er seinen Sohn, nebst Grundbesitz, dem Kloster schenkte, nun erfuhr er das Gegentheil, – eine beunruhigende Wahrnehmung für Billungens religiöse Gesinnung.

»Sodann möchte ich Eure Edlen erinnern, daß Ihr Heidolf ebenso viele Liebe schuldet, wie Euren übrigen Kindern,« nahm Ermenold in seiner milden Weise das Wort. »Ich möchte bitten und mahnen, jede unverdiente Abneigung gegen Heidolf zu unterdrücken, als eine Einflüsterung des bösen Feindes. In Wahrheit verdient der Jüngling Eure Liebe, nicht Euren Groll. Stets spricht er mit großer Sehnsucht von seinen viel lieben Aeltern, für die er täglich betet, in deren nächster Nähe zu weilen, er für das höchste irdische Glück erachtet. Und Heidolf ist älterlicher Gegenliebe vollkommen würdig. Gott dient er in Züchten, niemals übertrat er aus Bosheit in irgend einem wichtigen Punkte die Disciplin. Edel ist sein Charakter, edel sein Streben, das mit lebhafter Neigung auf den christlichen Ritterdienst gerichtet ist. Den dicken Kopf hat er nicht verschuldet, und es wäre thöricht, einen gutherzigen, adelig gesinnten Menschen wegen seines zufälligen Aeußeren zu verdammen, – und nicht blos thöricht, sondern auch ungerecht.«

Herr Baldemar blickte schweigend nieder. Im Grunde gutmüthig und von aufrichtiger religiöser Gesinnung, wenn auch sehr reizbar und zuweilen aufbrausend, saß er jetzt betroffen vor der Wahrnehmung, ein Ziel angestrebt zu haben, das verstößt gegen Gottes Willen und die Gebote der Kirche.

Noch tiefer wirkte die Rede des Mönches auf Kunigunde, deren Augen sich mit Thränen füllten.

»Gestattet mir deßhalb einen Vorschlag, edler Herr!« fuhr Ermenold fort. »Wir werden Heidolf durch Belehrungen und Vorstellungen über die hohen Vorzüge und Verdienste des heiligen Ordensstandes zu bewegen suchen, in denselben einzutreten. Wir werden ihm das beneidenswerthe Glück und die unvergleichliche Ehre zeigen, ein Ritter Christi zu sein nach der Regel des gebenedeiten Vaters Norbert. Beharrt er jedoch in seinem Widerstande, dann bitte ich, ihm den Austritt aus dem Kloster nicht zu wehren.«

»Ich bin es zufrieden!« versetzte Billungen nach flüchtigem Bedenken.

»Gott lohne Eurer Edlen!« dankte Ermenold. »Indessen hat nicht Heidolf unser Kommen veranlaßt, sondern etwas Anderes,« und er begann, Hattos Angelegenheit ausführlich zu berichten.

Baldemar folgte aufmerksam der Rede, wobei fast jeden Augenblick der Ausdruck seines Gesichtes wechselte. Besprach Ermenold den Diebstahl und dessen Folgen für Hatto, dann blickte der Edelmann finster, und rachsüchtig glühten seine Augen. Schilderte hingegen der Norbertiner in ergreifender Weise das Unglück der Familie, deren gesellschaftliche Vernichtung, das Klagen und Weinen der vier Kinder um den hingerichteten Vater, die rührende Gattenliebe Ellas, welche vor Schmerz nicht aß und nicht trank, und ohnmächtig in der Thorhalle des Klosters gefunden wurde, – dann glitt Theilnahme durch Baldemars Züge. Als nun aber Ermenold zum Schlusse kam, und Billungens Verzicht auf weitere Klage berührte, sowie Hattos erklärten Willen, das gestohlene Roß dreifach zu ersetzen, da verlor der Burgherr alle Fassung. Ungestüm, mit höhnischem Auflachen, sprang er vom Sitze.

»Ha, – ha! Mein Roß ersetzen? Ein Bauer will meinen Zamba ersetzen durch sein Geld? Ha, – ha! Laßt Euch sagen, Vater Ermenold, – alle Achtung vor Eurem heiligen Stande, – was Ihr aber mir da zumuthet, ist ehrlos!«

»Ehrlos?« wiederholte befremdet der Mönch.

»Ja, – ehrlos und gegen allen Adel! Wißt Ihr nicht, daß nach Rittersitte das Streitroß jedes Edelmannes ebenso geachtet werden muß, wie Wappenschild, Schwert und Wehr? Träfe mich vor dem ganzen Adel nicht verdienter Schimpf, würde ich von einem Bauer mein Streitroß straflos stehlen, sogar mit Geld bezahlen lassen? Nein, – nein, daraus wird nichts! Nicht Geld will ich, – meinen guten Zamba heische ich! Das Recht nehme seinen Lauf, – hängen muß der freche Dieb, der sich vergriffen am Ehrenpunkte eines Edelmannes! Klingenden Ersatz nehmen für mein Roß? Ha, – kein Tropfen adelig Blut müßte in meinen Adern fließen!«

Während er diese Worte in großer Aufregung hervorstieß, gestikulirte er heftig mit dem Arm und stürmte durch das Zimmer. Seine Gattin sah beschwörend von der Arbeit zu ihm auf und dann, wie um Nachsicht bittend, hinüber zu den Mönchen. Diese blickten ruhig vor sich hin. Kein Merkmal der hageren Gesichter verrieth Erstaunen, Mißbilligung oder irgend eine andere Gemüthsbewegung. Norberts strenge Regel hatte diese ascetischen Männer sich vollkommen beherrschen gelehrt. Außerdem waren sie zu sehr Menschenkenner, um nicht zu wissen, daß Billungens gegenwärtiges Benehmen keineswegs der Ausguß eines boshaften und rachsüchtigen Herzens sei. Die Gutmüthigkeit des Burgherrn war ihnen ebenso bekannt, wie dessen leicht entzündbare Empfindlichkeit und Abhängigkeit von Gemüthseindrücken, sowie dessen Beeinflussung durch Standesanschauungen seiner Zeit. Nicht Haß und Rache gegen den Dieb brachten ihn um alle Fassung, sondern irrige Anschauungen vom Geschlechtsadel und dem hiermit verbundenen Begriffe von Ehre. Während er noch seine Entrüstung ausschüttete, faßte Ermenold den Entschluß, die falschen Ansichten des Edelmannes zu berichtigen, in der Meinung, auf diesem Wege zugleich die erbetene Schonung für Hatto am sichersten zu erreichen.

Baldemars Jähzorn war schnell vorüber gegangen, wie eine finstere Wetterwolke, die unter Sturm, Blitz und Donner ihren dunklen Schoos entleerte. Jetzt trat er, fast beschämt, vor die schweigsamen, in bescheidener Ruhe dasitzenden Mönche.

»Verzeiht meine Aufwallung, ehrwürdige Väter! Es müßte wirklich kein Tropfen adelig Blut in meinen Adern fließen, könnte man solches Ansinnen gelassen ertragen.«

»Adeliges Blut fließt in keines Menschen Adern, so wenig irgend ein Mensch adeliges Fleisch, oder adelige Knochen hat,« versetzte lächelnd Bruder Ermenold.

»Wie, – so spricht ein Mann von altem Geschlechte?« rief Baldemar verwundert. »Ein Mann, dessen Vater ein Schenk von Erbach und dessen Mutter eine Gräfin von Katzenellenbogen gewesen, deren Stamm hinaufreicht bis zur Geburt unseres Herrn Jesu?«

»Ihr täuschet Euch, edler Herr! Um vier tausend Jahre weiter hinauf reicht mein Stamm, – nämlich bis zu Adam und Eva.«

»Wie soll ich das verstehen?« frug Billungen mit wachsendem Erstaunen. »Ihr läugnet doch nicht die Vorzüge der Geburt, den Adel des Geschlechtes?«

»Es gibt keinen Adel der Geburt und des Geschlechtes,« antwortete ruhig der Mönch. »Was man von angeborenen Vorzügen und Hoheiten, im Gegensatze zum Nichtadeligen behauptet, ist Alles pure Einbildung. Wenn ihr gütig erlaubt, will ich dies klar beweisen.«

»Gar neu und wunderbar klingt das!« entgegnete Baldemar, seinen früheren Platz am Tische wieder einnehmend. »Bin sehr gespannt und bitte um Aufschluß.«

Kaum hatte Ermenold seine Unterweisung begonnen, als sich die demüthige Haltung des Priors Gerbod in jene des gelehrten Tacitus verwandelte. Sein Haupt richtete sich hoch auf, seine Augen leuchteten und sein Mienenspiel verrieth den kritisch denkenden Magister. Ermenolds Erörterung war nämlich fast wörtlich einem Werke des größten Gelehrten jener Zeit entnommen, einer Abhandlung des heiligen Thomas von Aquin, die auch für die Nachwelt insofern Bedeutung hat, als sie die Anschauungen des christlichen Mittelalters über den wahren und falschen Adel enthält Sanct. Thom. Aq. opuscul. De eruditione principum. .

Der Burgherr folgte mit größter Aufmerksamkeit Ermenolds Worten, die sanft und anziehend dahinflossen, wie ein klarer Quell, der, die Sinne fesselnd, unter Felsgestein hervorrieselt. Auch Frau Kunigunde ließ die Nadel ruhen und folgte gespannt der neuen Mär.

»Glückselig das Land, dessen König ein Edelmann! spricht der weise Salomon. Hieraus folgt des Adels hoher Werth an Fürsten und Herren. Doch verkehrt ist die Ansicht Jener, welche den Adel im Geschlechte, in der Abstammung finden, sintemal gar manche Edelleute in Gesinnung, Worten und Werken durchaus nicht adelig erscheinen. Wer in adeliger Geburt den rechten Adel sucht, begeht viele Thorheiten, deren ich einige herzählen will. – Erste Thorheit ist, Jemand für adelig zu halten, weil dessen Vater von Adel gewesen; denn hiernach wäre Adel etwas Leibliches und auch der niedrigste Knecht der schändlichsten Laster dennoch adelig. St. Augustinus lehrt: ›Der schlechte Mensch ist ein Knecht ebenso vieler Herren, als er Laster hat.‹ Unsinnig daher und wider alle Vernunft, den gemeinen Sklaven eines tyrannischen Herrn, nämlich der bösen Leidenschaft, für frei und adelig zu halten.«

»Zweite Thorheit ist, wenn Jemand vermeint, an Gesinnung adelig zu sein, weil ein Anderer von Gesinnung adelig gewesen, nämlich sein Vater. Niemand ist doch weise, wegen der Weisheit seines Vaters, was sich klar am Sohne Salomons bekundet, der ein großer Thor gewesen, trotz seines höchst weisen Vaters.«

»Dritte Thorheit ist, in der Verschiedenheit des menschlichen Herkommens den Adel zu suchen. Wäre dies, so müßten vielmehr alle Menschen gleich adelig sein, dieweilen alle denselben Ursprung haben, nämlich aus Gottes Hand hervorgingen. Man liest nirgends, daß Gott Einen Menschen von Silber gebildet, von dem herkämen die Adeligen, den Anderen hingegen aus Lehm, von dem herkämen die Unadeligen. Vielmehr bildete Gott den Stammvater aller Menschen aus demselben Stoffe, sohin sind auch alle Menschen gleich nach ihrer Abstammung. Darum ruft aus der Prophet Malachias: ›Hat uns Alle nicht Ein Gott erschaffen? Weßhalb verachtet also Einer den Andern?‹ – – Außerdem weiß Jedermann, daß Gemeines und Edles derselben Wurzel entsprießt. Feines Mehl und grobe Kleie liefert dasselbe Weizenkorn, und doch sind Kleien nur gemeine Kost für Schweine, aus feinem Mehl hingegen wird edles Brod bereitet für Könige. Noch weiter: aus derselben Wurzel gehen hervor Dornen und Rosen. Ein edles Gewächs ist die Rose, süßen Duft verbreitend und durch Wohlgerüche die Sinne erquickend. Dornen hingegen sind gemeine Dinge, Alle stechend und verletzend, die sie berühren. So auch können von eben denselben Aeltern zweierlei Kinder entsprießen, gemeine und adelige. Eines erweist sich edel, ein Anderes hält sich gemein und niedrig. Das Eine duftet, gleich der Rose, durch edle Gesinnung und Art, wohlthuend für Alle, die ihm nahe kommen. Das Andere gleicht den Dornen und hört nicht auf, männiglich zu stechen und zu verletzen, zuletzt vielleicht gar, gleich den Dornen, in das Feuer geworfen zu werden.«

»Hieraus folgt, daß es einen angeborenen Adel nicht geben kann. Der einzige Vortheil adeliger Geburt besteht darin, daß der Geistesadel der Ahnen für die Nachkommen ein Sporn zu gleicher Sittenreinheit und Hochherzigkeit bildet. Darum lehrt St. Hieronymus: ›Ich sehe keinen anderen Werth oder Vorzug im Geschlechtsadel, als eine gewisse Nothwendigkeit für den Sprößling, von Edelsinn und Tüchtigkeit der Vorfahren nicht auszuarten.‹ – – Darum sagte ich, vermeinte Vorzüge des Geschlechtsadels seien thörichte Einbildungen und glaube, dies bewiesen zu haben,« schloß Ermenold.

»Das habt Ihr, Vater, – zu meiner Verwunderung habt Ihr es! Dennoch,« fügte er nachdenklich bei, »ist etwas hübsch und klar bewiesen, was ich entfernt nicht vermuthet hätte. Da Ihr nun den falschen Adel an's Licht gezogen, so laßt hören, was ächter Adel sei.«

»Der wahre und wirkliche Adel ist der Adel des Geistes,« antwortete der Mönch; »jener Adel, der da zieret Herz und Seele mit Tugenden, und nur in Verbindung mit diesem Geistesadel empfängt der Geschlechtsadel Werth. Der Seelenadel erzeugt die Freiheit von erniedrigender Knechtschaft der Sünden und Laster. Aller Roheit und Gemeinheit baar ist der Seelenadel, sowie aller Unehre und Treulosigkeit. In rechter Weise wirthschaftet er mit seinen irdischen Gütern, die er nicht braucht zu Ausschweifungen, die er vielmehr nach Gottes heiligem Willen in Güte und Barmherzigkeit für Arme und Nothleidende verwendet. Der wahrhaft Adelige meidet jede Unehre und Schande, vorab die größte Schande, das ist die schwere Sünde; denn sie übertrifft jede andere Schande und Entehrung. Felsenfeste Treue schmückt den Adeligen, darum hütet er sich gar ängstlich, gegen Irgendjemand treulos zu handeln, namentlich gegen Gott, seinen höchsten Herrn und König. Treulos aber handelt er gegen Gott, wenn er sich dessen Diensten entzieht, oder gar zu Gottes Feinden überläuft.«

»Des Adels höchste Würde aber ist Großmuth und Feindesliebe, denn also mahnet der Herr Jesu: ›Ihr sollet die lieben, welche euch hassen und jenen Gutes erweisen, die euch verfolgen, damit ihr Kinder eures Vaters seid, der im Himmel ist, und der regnen läßt über Gute und Böse.‹ Dieweilen nun die Kindschaft Gottes der höchste und lauterste Adel, darum wird ein ächter Edelmann großmüthig verzeihen. Und weil ich Euch für einen wahrhaften Edelmann halte, deßhalb bitte ich frohgemuth: verzeihet Hatto, handelt großmüthig an dem Missethäter, stehet ab von jeder weiteren Klage und Verfolgung.«

Diese plötzliche Wendung trieb eine dunkle Gluth auf Baldemars Gesicht. Verwirrt und betroffen starrte er den Fürsprecher an; denn auch ihm war ein altes Vorurtheil nicht fremd, das sich aus den Urwäldern des heidnischen Germaniens bis in die christliche Zeit fortgepflanzt. Der freie heidnische Deutsche pochte auf seinen Geschlechtsadel, verachtete den Sklaven und hielt Rache am Feinde für eine Ehrenschuld seines Standes. Das Christenthum, dessen göttliche Lehren gerade die entgegengesetzten Anschauungen verkünden, bekämpfte zwar beharrlich diese Standesvorurtheile, predigte mit Nachdruck die Gleichheit aller Menschen, und die Kirche übte ihre Predigt praktisch, indem sie auch den Leibeigenen zu den höchsten Würden erhob. Dennoch aber vermochte sie nicht, diesen heidnischen Wahn vollständig auszutilgen, dem auch Herr Baldemar unbewußt huldigte. Er glaubte, Hatto's Verfolgung und Vernichtung sei Ehrenpflicht, eine standesgemäße Sühne für beleidigtes adeliges Selbstbewußtsein. Nun zeigte ihm Ermenolds Unterweisung das gerade Gegentheil, nämlich wahrhaften Adel in großmüthigem Verzeihen. Anderseits erhob sich die natürliche Neigung, Böses mit Bösem zu vergelten, gegen die erkannte Wahrheit. Er gedachte der Frechheit des Bauern, am Stolze des Ritters, an seinem Streitrosse, sich vergriffen zu haben, und ein Sturm der widerstrebendsten Gefühle brach in der Seele des ohnehin reizbaren Mannes los.

»Ein harter Bissen, – wie mag ich ihn verwinden?« stieß er heftig athmend hervor, und die Merkmale des heißesten Kampfes traten in seine Züge.

»Uebe Nachsicht, Baldemar!« bat Frau Kunigunde. »Beweise den Adel Deiner Gesinnung.«

»Ha, – beim Himmel, – leichter fiele es, den stärksten Degen im Schwertkampfe zu bestehen, als Grimm und Rachegefühl in Schonung zu verwandeln!«

»Sehr wahr!« bestätigte der Prior. »Selbstüberwindung fällt härter, als der heißeste Waffengang. Darum adelt auch Selbstüberwindung mehr, als der glänzendste Siegesruhm der Wahlstatt. – Gott helfe Eurer Edlen zur Selbstüberwindung!«

Billungen biß die Zähne zusammen, und wie Krampf befiel es seinen Leib, sogar die lahme Rechte zuckte unter der Gewalt des Gemüthssturmes.

Da erhob sich Ermenold, ein waffenkundiger Ritter Christi im Kampfe wider den Bösen und dessen Anfechtungen. Er kniete vor Baldemar nieder, und hob Blick und Hände flehend zu dem Erregten empor.

»Mein viel lieber Bruder!« bat er innig und feierlich. »Im Namen Gottes, der gesagt: ›Seid barmherzig, damit auch euch Barmherzigkeit wiederfahre!‹ Im Namen unseres künftigen Richters, der gedroht hat: ›Mit demselben Maße ihr ausmesset, wird euch eingemessen.‹ Im Namen des ächten, lauteren Adels flehe ich inbrünstig, übet Nachsicht gegen Hatto! Schlaget tapfer nieder die arglistigen Anfechtungen des höllischen Geistes, wie gethan St. Michael, der gute Ritter Christi.«

Und jetzt begab sich Aehnliches mit Billungen, wie mit Hatto, da er in der Kirche den Meineid beabsichtigte, auf die Rede des frommen Richters vor ihm der Boden sich öffnete und wider ihn schauerliche Gestalten emporstiegen. Baldemar hörte die Beschwörung des Mönches, erschütternd für ein gläubiges Gemüth. Er sah vor sich den Knieenden und gewahrte, wie Lichtstrahlen aus den Augen des heiligen Mannes hervorbrachen, wie dessen Züge leuchteten und ein heller Glanz sein Haupt umgab.

»Stehet auf, ehrwürdiger Vater, stehet auf!« rief Billungen. »Ich thue, was Ihr verlangt. Bei Wort und Ehre, – ich werde nicht weiter klagen wider Hatto!«

»Gott sei Dank!« sprach Ermenold, indem er sich erhob. »Der grundgütige Gott wird Euer Edlen lohnen, was Ihr um seinetwillen gethan.«

Auch der Prior rühmte die Großmuth des Burgherrn.

»Laßt dies!« wehrte Baldemar. »Beim Himmel, nun ist mir leicht, da es überwunden! Auch kein Wergeld nehme ich von dem Bauer Hatto, – es sei ihm geschenkt. Worms gebe meinen Zamba heraus und Alles sei abgethan!«

Die Mönche verabschiedeten sich, von Billungen bis zum Burgthore geleitet.

»Danken wir Gott für diese große Gnade!« sagte Gerbod, indem sie eilig den Berg hinabstiegen. »Baldemars Kampf war furchtbar. Das ganze Ungestüm germanischer Naturgewalt, wie Tacitus dieselbe beschreibt, erhob sich in dem Ritter gegen Geist und Gebot christlicher Liebe. Aber Christus siegte auch hier. Wie sein göttlicher Geist waltet im ganzen Reiche, wie seine himmlische Lehre das Volksleben durchdringt und der ganzen deutschen Nation die Laufbahn ihrer Entwickelung vorzeichnet, – so wandelte er auch Billungens finsteren Anschlag des Hasses in lichtes Verzeihen christlicher Barmherzigkeit. Ja, Christus vincit, – Christus regnat, – Christus gubernat!«

»Und wie mag das arme, angsterfüllte Weib sich freuen, das im Gebete ringt vor Unserer Lieben Frau!« sagte Ermenold. »Eilen wir, die frohe Botschaft ihr zu bringen.«


 << zurück weiter >>