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Giraldi erzählt

Und es sprach nun dieser: »In meinen jungen Jahren, da ich in Ferrara, meiner Heimatstadt, die schönen Künste lehrte, habe ich solche Geschichten aufgeschrieben, wie Ihr sie erzählt, und habe sie um viele Jahre später in Druck gegeben unter dem Titel Hecatommithi, zwei Teile, jeder geteilt in fünf Dekaden, jede Dekade mit zehn Geschichten. Ich schrieb sie zum Ruhme unserer römischen Kirche und um den Geschmack des Publikums an einer Erzählungsgattung zu säubern, der durch die Freiheit, welche sich die Erzähler erlaubten, hinsichtlich der Moral schlecht geworden war. Man hat mir gesagt, daß meine viel gelesenen Geschichten durch die moralische Absicht, die ich mit ihnen verfolgte, was die Kunst des Stiles betrifft, zu kurz gekommen seien. Und ich will nicht bestreiten, daß mir das Geringfügige, als welches mir diese Gattung einer Literatur erschien, eine darauf zu wendende Mühe nicht lohnte. Ich glaubte dieser Gattung mein Talent um so mehr versagen zu können, als ich auf dem Gebiete der hohen Künste –«

Was derart Giovanbattista Giraldi Cinthio, Professor vieler Wissenschaften noch eine Weile lang sprach, mehr für sich selber wie es schien, da er leise und vor sich hin redete, das ging in dem Gemurmel verloren, das um die Tafel lief und erst verstummte, als Professor Giraldi eine Pause machte, um sich den Bart zu streichen. Dann fuhr er fort:

»Es wird davon noch zu sprechen sein. Mit größter Sorgfalt von ganz vortrefflichen Lehrern in allen Wissenschaften und Künsten unterrichtet, war ich mit einundzwanzig Jahren imstande, selber zu unterrichten und wurde Professor der Medizin in Ferrara. Bald darauf Professor der Philosophie. Und als mein Lehrer Calagnani starb, dozierte ich Rhetorik und die lateinische Literatur. Nicht nur dadurch stand ich dem Hofe nahe. Denn der Herzog Ercole ernannte mich, da ich noch nicht vierzig zählte, zu seinem Sekretarius, was ich bis zu des Herzoges Tode blieb – er starb, wie Ihr wißt, im Jahre 1558 – um mich aber auch unter seinem Nachfolger Alfonso II. großer Gunst zu erfreuen, was ich mir sowohl durch meine Kenntnisse, wie durch mein Wesen verdiente, das bewußt das eines vollkommenen Hofmannes war. Ich liebte es, lateinische Epigramme zu machen, aber ich gab es auf, als ich vernahm, daß sich auch der Herzog Ercole mit solchem beschäftigte. Ich fürchtete, ihm ein Nebenbuhler zu sein. Der Herzog zeichnete mich für diesen meinen Verzicht dadurch aus, daß er in meinem Hause erschien, als ich hier mit großer Festlichkeit meine Tragödie Orbecche aufführen ließ. Der Herzog liebte das Theater sehr. Ein reicher Freund hatte mir auf seine Kosten in meinem Hause ein solches errichtet und die Dekorationen gestellt. Andere Freunde spielten die Rollen. Flavio hieß der schöne Jüngling, aber nicht zu entscheiden war, ob dies dem alten oder dem neuen Schauspieler dieses Namens schmeichelte.

Im Verlaufe eines lächerlichen Streites, mit dessen Erzählung ich Euch nicht langweilen will und dessen Gegenstand die Beschuldigung eines gewissen Pegna, Privatsekretärs bei Alfonso, war, ich hätte in meiner Schrift über die Entstehung des Romans eine Arbeit dieses Pegna bestohlen, wurde mir der Aufenthalt in Ferrara verleidet. Ich nahm die Einladung Emanuel Philipps von Savoyen an, auf seiner Universität in Turin die Rhetorik zu lehren, was ich durch drei Jahre hindurch tat. Als die Jesuiten mit dem Unterricht an der Universität betraut wurden, entließ mich der Fürst in Gnaden und mit achthundert Goldgulden. Auf dem Heimwege nach Ferrara erreichte mich der Wunsch des Mailänder Senates, an der Universität in Pavia die schönen Künste zu lehren. Also begab ich mich dahin, wo ich mich bald meiner großen Verdienste wegen alles Ansehens erfreute. Und wäre sicher auch da geblieben, hätte mich nicht zunehmendes Alter und zumal die Gicht veranlaßt, in meine Heimat zurückzukehren, von der ich Ruhe und Heilung meiner Übel erwartete. Aber ich lebte nur drei Monate dieser Täuschung. Es ist von einem der hier versammelten Herren recht ungünstig über unsere Bemühungen zu einem Theater, zumal einem tragischen, gesprochen worden, und als der Verfasser von etlichen zehn Tragödien, deren einer die seltene Ehre zuteil wurde, im Jahre 1543 von den Aldi in Venedig gedruckt zu werden, bin ich in die schlimme Lage gedrängt, Partei zu sein, als ob jedes Wort, das ich für unser tragisches Theater spreche, für meine Beiträge dazu gesprochen schiene. Wir haben in unsern Geschichten den britischen Dichtern für ihr Theater den Stoff geliefert, den sie danach selber nicht zu besitzen schienen oder doch nicht hinreichend für das große Bedürfnis, das man in London für das Theater hatte. Ihr werdet, wenn ich Euch meine Geschichte von dem Mohren von Venedig erzähle, bemerken, daß jener Engländer aus meiner Geschichte eine Tragödie machte, zu der keiner von uns gerüstet gewesen wäre. Aber es unterliegt, will mir scheinen und wie es auch schon von einem von Euch bemerkt wurde, das Theater ganz den Bedingungen, die ihm sein Publikum setzt. Das unsere war nicht derart, daß es ein Theater nach jener englischen Art gutgeheißen oder Gefallen daran gefunden hätte.«

Hier warf Ser Grazzini dazwischen: »Wie es einer dieser Engländer in einem seiner Stücke sagte, war was man bei uns spielte eher Tanzposse als Stück. Und ein anderer, er hieß Marlow, läßt einen sagen, daß er, um seinen die Freude liebenden König Eduard zu zerstreuen, italienische Nachtmasken, süßen Sang, Spaß und lustige Schau wolle richten lassen. Seid versichert, daß nicht nur unsere Damen, sondern auch die noblen und gebildeten Herren sich mehr an Tänzen und Moresken in den Zwischenakten erfreuten als an den tragischen Akten. Weshalb galten unsere wenigen guten Komödien für nichts oder so wenig, daß man sie nie spielte? Weil sie ein Ernst und gar nicht lächerlich waren. Ein deutscher Dichter hat es gesagt, daß das sogenannte Lustspiel das eigentliche Trauerspiel sei. Unsere wahrhafte Tragödie, Messere Cinthio, heißt nicht Orbecche, sondern Mandragola.«

»Doch möchte ich Euch, Signore Grazzini, erinnern, daß wir bei unendlich vielen Komödien doch nicht den Sinn für das Komische besaßen, wie er jenen Engländern eigentümlich war, denn es fehlte uns so etwas wie eine gute Meinung über die Menschheit. Wir hatten nur eine schlechte, weil wir nichts als Schlechtes sahen. Wir hatten nur ein Gelächter, aber wir konnten nicht lachen. Die Grausamkeit in unserm Gefühl hatte ihresgleichen nur im rohen Geschmacke unseres Stadtbürgertumes. Ihr erinnert Euch, wie bei jenen Engländern das Komische ganz neben dem Tragischen steht, fast ineinander verwoben ist. Nun, Ihr wißt daß es der Florentiner Cecchi war, der den Plan einer solchen Gattung entwickelte, welche er die Farsa nannte. Sie sollte in ihren weitgezogenen Grenzen sowohl große Herren und Fürsten aufnehmen, was unsere Komödie nicht tat, als auch das gemeine Volk auf die Szene bringen, was die Tragödie bei uns nicht erlaubte. Die Farsa sollte nicht an bestimmte Motive gebunden sein, sondern Ernstes und Lustiges, Profanes und Geistliches, Städtisches und Ländliches, Rohes, Trauriges und Heiteres aufnehmen und sich weder um den Ort noch um die Zeit kümmern. Auch in der Sprache sollte die Farsa alle Freiheit haben. Aber es gab kein Publikum, das die Farsa wollte, und der gute Cecchi war kein Shakespeare, nicht einmal ein Marlow. Aber er hatte das so gelobte Land gesehen, in das jene Engländer zogen. Gebt mir, ich bitte Euch, nun noch ein kurzes Gehör für meine kunstlose Geschichte.

In Venedig lebte ein gar heldenmütiger Mohr, der für seine große Klugheit und seltene Geistesgegenwart im Kriege bei den Herren Venedigs, die wie man weiß in der Belohnung wertvoller Taten alle Staaten übertrafen, sehr beliebt war.

Es geschah nun, daß eine Dame von großer Schönheit, namens Desdemona, sich in den Mohren verliebte, nicht etwa aus Verlangen oder weiblicher Lüsternheit heraus, sondern seiner edlen Eigenschaften wegen. Auch der Mohr, von der Schönheit und vornehmen Gesinnung der Dame bezwungen, entflammte in Liebe für sie, und ihre Zuneigung zueinander wurde so gewaltig, daß sie heirateten, trotzdem die Eltern der Dame alles taten, sie zu bewegen, einen anderen Gatten zu nehmen. Sie lebten miteinander in so großer Übereinstimmung und Ruhe, daß sie sich nie ein schlimmes Wort gaben. Nun nahmen die Herren von Venedig einen großen Wechsel in der bewaffneten Macht vor, die sie in Cypern hielten, und wählten zum Kapitän und Befehlshaber der Soldaten, die sie dahin schickten, den Mohren, der sich über die zugedachte Ehre sehr freute, denn diese kam nur an erfolgreiche, edle und ergebene Personen. Trotz alledem war er nicht ganz zufrieden, wenn er an die große Entfernung und die Schwierigkeiten der Reise dachte, welche Bedenken Desdemona nicht verstand.

Diese Dame, welche kein anderes Gut auf Erden hatte, als den Mohren, und die sehr stolz war auf das Vertrauen, das ihr Gatte für seine Verdienste von einer so mächtigen und edlen Republik genoß, konnte kaum die Stunde erwarten, in der er sich mit seinen Soldaten einschiffte und sie war ärgerlich, den Mohren so unruhig zu sehen. Und so sagte sie eines Tages beim Mahle zu ihm:

›Was bedeutet es, mein Gemahl, daß Ihr seitdem die Signoria Euch ein so ehrenvolles Amt verliehen hat, so schwermütig seid?‹

›Die Liebe‹, antwortete der Mohr, ›die ich zu Euch hege, Desdemona, beeinträchtigt meine Zufriedenheit über die Ehre, die man mir erweist, so sehr, daß ich durchaus nicht weiß, was ich tun soll. Ob ich Euch mit mir nehme und Euch dadurch den Gefahren des Meeres aussetze oder Euch in Venedig lasse, um Euch nicht in eine üble Lage zu bringen. Das erstere wäre mir sehr unangenehm, das andere ließe mich selbst hassen, denn ich würde mein Leben lassen, ließe ich Euch hier‹.

Als Desdemona solches hörte, sprach sie:

›Ach mein Gemahl, was für Gedanken hegt Ihr? Warum erlaubt Ihr solch einer Geringfügigkeit, Euren Geist zu beunruhigen? Ich begleite Euch, wohin auch immer und wenn ich durchs Feuer gehen müßte. Gehe ich nicht über das Wasser mit Euch in einem sicheren und wohlausgerüsteten Schiff? Wenn es schier Gefahr und Plage geben soll, will ich es nicht besser haben als Ihr, und ich würde denken, daß Ihr mich gar nicht liebt, wenn Ihr mich in Venedig ließet, oder wenn Ihr glaubtet, daß ich mich lieber in Sicherheit sähe, anstatt mit Euch den gleichen Gefahren zu trotzen. Und darum wünsche ich, daß Ihr Euch auf diese Reise vorbereitet mit all der Fröhlichkeit, die Euren Eigenschaften zukommt.‹

Da nahm der Mohr strahlend glücklich seine Gattin in die Arme und sagte mit einem zärtlichen Kuß:

›Gott möge uns lange in dieser Zuneigung erhalten, mein Weib‹.

Und bald darauf traf er Vorbereitungen für die Abreise und bestieg mit seiner Frau und seinen Mannen eine Galeere. Sie setzten die Segel zum Winde und bei ruhiger See nahm man den Kurs auf Cypern.

In seinem Geleit hatte der Mohr einen Fähnrich von sehr stattlichem Aussehen, aber mit dem schlechtesten Charakter von der Welt; doch der Mohr liebte ihn sehr, hatte er doch keine Ahnung von seiner Bösartigkeit. Denn obgleich jener ein sehr schlechtes Herz hatte, verbarg er hinter lauten und stolzen Worten und durch sein Aussehen die ganze Schlechtigkeit und Feigheit seines Herzens, daß man ihn fast mit einem Hektor oder Achill vergleichen konnte.

Dieser Bösewicht hatte ebenfalls sein Weib mit nach Cypern genommen und da sie schön und ehrlich und eine Italienerin war, liebte die junge Frau des Mohren sie zärtlich und hielt sich immer mit ihr zusammen.

In der Kompagnie war auch ein Geschwader-Hauptmann, den der Mohr sehr schätzte und der oft in sein Haus kam, wo er mit dem Mohren und seiner Gattin zusammen speiste; und weil sie wußte, daß er ihrem Gatten teuer war, zeichnete sie ihn mit Beweisen ihres Wohlwollens aus, womit der Mohr einverstanden war.

Der verruchte Fähnrich, der sich weder Sorgen um die Treue seiner Frau machte, noch auch um seine Freundschaft und Ergebenheit dem Mohren gegenüber, verliebte sich heftig in Desdemona, und alle seine Gedanken kreisten um das Mittel, wie er sie besitzen könne; doch wagte er nicht seinen Wunsch zu offenbaren, weil er fürchtete, der Mohr würde ihn auf der Stelle töten, falls er es merkte. Er versuchte durch verschiedene Mittel und so heimlich er konnte, der Dame begreiflich zu machen, daß er sie liebe; aber sie, deren ganzes Herz dem Mohren gehörte, dachte weder an den Fähnrich noch an irgend jemand sonst und alles, was jener tat, um sie zu entflammen, half nichts. Der Fähnrich bildete sich ein, daß das daher käme, weil sie in jenen Hauptmann verliebt wäre und von da an dachte er an nichts anderes, als sich dieses letzteren zu entledigen, und seine Liebe zu der Dame wandelte sich in wütenden Haß.

Er überlegte sich, wie er seinen Plan wohl zur Ausführung bringen könne und es so wenden, daß, wenn der Hauptmann getötet und er selber nicht die Dame besitzen könne, auch der Mohr sich nicht mehr ihrer erfreuen solle. Er wälzte verschiedene Pläne, einen böser und schlechter als den anderen und beschloß, dem Mohren eine Beschuldigung wegen Ehebruchs zu hinterbringen und ihm zu sagen, daß der Ehebrecher der Hauptmann sei; aber da er um die einzigartige Liebe wußte, die der Mohr zu Desdemona hegte, und um die Freundschaft zu dem Hauptmann, verstand er leicht, daß, täuschte er den Mohren nicht mit großer List, es unmöglich sein würde, ihn das Eine oder Andere glauben zu machen. Aus diesem Grunde rechnete er richtig, daß er warten müsse, bis Zeit und Ort ihm Gelegenheit zu einer solchen Niedertracht böten.

Es verstrich nicht viel Zeit, als der Mohr den Hauptmann seines Kommandos entsetzte, weil dieser einen Soldaten mit seinem Säbel geschlagen und verwundet hatte. Desdemona zeigte sich sehr besorgt und versuchte einige Male, ihren Mann zu des andern Gunsten umzustimmen. Der Mohr erzählte dem bösen Fähnrich, daß sein Weib ihn so sehr um Gnade für den Hauptmann bäte, daß er wohl gezwungen wäre, ihn wieder in seinen Rang zurückzuversetzen. Da ergriff der Bösewicht die Gelegenheit, um die Ausführung seines Verrates zu unternehmen, und sagte:

›Desdemona hat vielleicht ihre Gründe, ihn gern zu sehen.‹

›Eh, warum?‹ fragte der Mohr.

›Ich will nicht,‹ antwortete der Fähnrich, ›die Hand zwischen Frau und Mann strecken, aber wenn Ihr selbst die Augen offen haltet, werdet Ihr es wohl von allein merken.‹

Der Mohr wollte ihn zum Weitersprechen zwingen; der Fähnrich wollte nicht weiter gehen, aber seine Worte hatten in die Seele des Mohren einen solchen Stachel geschlagen, daß er seine ganze Sorgfalt darauf verwandte, zu ergründen, was der Fähnrich mit seinen Worten gemeint haben könne, und er wurde ganz schwermütig.

Als ein wenig später seine Frau wieder versuchte, seinen Zorn gegen den Hauptmann zu zerstreuen, und ihn bat, nicht die Dienste und die Freundschaft so langer Jahre wegen eines so geringen Vergehens zu vergessen, zudem doch auch der Friede zwischen dem Hauptmann und dem Soldaten wieder hergestellt war, geriet der Mohr in Wut und sagte:

›Es ist seltsam, Desdemona, daß du dich so um jenen sorgst. Er ist weder dein Bruder noch dein Verwandter, um dich zu veranlassen, ihm so viel Wohlwollen zu schenken.‹

Ganz höflich und demütig erwiderte sie:

›Ich wollte nicht, daß Ihr Euch gegen mich erzürnt. Nichts anderes leitete mich, als der Kummer, Euch eines so teuren Freundes beraubt zu sehen, wie ich es von Euch selbst sagen hörte: er hat doch nicht ein so großes Verbrechen begangen, daß Ihr ihm solchen Haß nachtragen müßt. Aber Ihr Mohren seid natürlich so heftig, daß der mindeste Irrtum Euch zu Zorn und Rache reizt.‹

Bei diesen Worten wurde der Mohr noch wütender und schrie:

›Der gar nicht daran denkt, könnte es wohl erfahren. Ich werde solche Rache an den Beleidigungen nehmen, die man mir angetan hat, daß ich gesättigt sein werde.‹

Die Dame war ganz bestürzt über diese Worte, und da sie ihren Gatten ganz gegen seine Gewohnheit erzürnt gegen sich sah, sagte sie bescheiden zu ihm:

›Nichts anderes als ein guter Ausgang bewegte mich, mit Euch darüber zu sprechen; aber ich werde kein Wort mehr verlieren, damit Ihr nie wieder Gelegenheit habt, Euch über mich zu erbosen.‹

Als der Mohr sah, was für ein Drängen sein Weib zugunsten des Hauptmanns bezeigte, dachte er an die Worte des Fähnrichs, die sicher bedeuten sollten, daß Desdemona des Hauptmanns Geliebte sei. Ganz traurig ging er zu dem Fähnrich und versuchte, ihn zu offener Rede zu bringen. Der Fähnrich, auf den Untergang dieser armen Frau bedacht, ließ sich lange bitten, ehe er sich vom Mohren besiegt zeigte und sprach dann:

›Ich kann Euch nicht verhehlen, daß es mir großen Kummer macht, Euch Dinge zu enthüllen, die für Euch sehr schlimm sein werden, aber wenn Ihr wollt, werde ich es sagen; und auch die Sorge um Eure Ehre, Herr, treibt mich dazu, Euch ein Geständnis zu machen; und ich will weder einen Fehler in der Beantwortung Eurer Frage tun, noch einen in meiner Pflicht. Ihr müßt also wissen, daß Euer Weib aus keinem andern Grunde bekümmert ist, Euren Hauptmann in Ungnade zu sehen, als des Vergnügens wegen, das sie mit ihm teilt, wenn er in Euer Haus kommt. Sie wünscht nichts sehnlicher, glaubt es wohl, als sich zu zerstreuen, schon wegen des Überdrusses, der sie Eurer schwarzen Haut wegen befallen hat.‹

Diese Worte gingen dem Mohren in das tiefste Herz. Aber um ganz sicher zu sein, trotzdem er alles glaubte, was der Fähnrich gesagt hatte, und aufgereizt durch den Verdacht, der sich schon seiner Seele bemächtigt hatte, schrie er:

›Ich weiß nicht, was mich hindert, dir deine Lästerzunge auszureißen, die die Frechheit gehabt hat, meiner Gattin eine solche Gemeinheit anzuhängen.‹

Der Fähnrich darauf:

›Mein Kapitän, ich erwarte keinen andern Dank für meine gute Absicht, aber da mich zuvörderst die Pflicht und die Sorge um Eure Ehre getrieben haben, versichere ich Euch, daß die Sache sich so verhält, wie Ihr sie gehört habt, und wenn Euch die Dame unter der Farbe, Euch zu lieben, die Augen derart geblendet hat, daß Ihr nicht saht, was Ihr hättet sehen müssen, bedeutet das noch lange nicht, daß ich gelogen habe. In der Tat hat es mir der Hauptmann selbst gesagt, wie alle die, die kaum ihr Glück erfüllt bekommen haben und es schon allen anderen bekannt geben müssen. Und wenn ich nicht Euren Zorn gefürchtet hätte, hätte ich ihm mit einem Degenstoß die Belohnung gegeben, die er verdiente. Aber Euch das wissen zu lassen, was Euch mehr angeht als andere, bringt mir soviel Unangenehmes, daß ich wünschte, ich hätte geschwiegen; denn wäre ich ruhig geblieben, hätte ich mir nicht Eure Ungnade zugezogen.‹

Der Mohr sagte darauf ganz verstört:

›Wenn du mich nicht mit eignen Augen sehen läßt, was du mir erzählt hast, sei versichert, daß ich dir zeigen werde, wieviel besser es für Dich gewesen wäre, stumm geboren worden zu sein.‹

›Das hätte sich leicht verwirklichen lassen,‹ antwortete der Schurke, als er in Euer Haus kam; aber jetzt, da er aus einem unwichtigen Grunde, der in keinem Verhältnis zu seiner Tat steht, von Euch verjagt ist, wird das sehr schwer für mich sein. Ich zweifle nicht, daß er sich Desdemonas freut, jedesmal, wenn Ihr in Urlaub geht, nur muß er sich jetzt, wo er sich gehaßt weiß, mehr vorsehen als früher. Nichtsdestoweniger gebe ich nicht die Hoffnung auf, Euch das sehen zu lassen, was Ihr nicht glauben wollet.‹

Nach diesen Worten trennten sie sich. Der unglückliche Mohr, von diesem schmerzenden Pfeil getroffen, kehrte in sein Haus zurück in der Erwartung, des Tages, wo der Fähnrich ihm das zeigen würde, was ihn auf ewig unglücklich machen sollte. Der Fähnrich seinerseits war in großer Sorge; wußte er doch um die Keuschheit, die die Dame bewahrte. Und er verzweifelte fast, das Mittel zu finden, um den Mohren, das, was er ihm fälschlich erzählt hatte, glauben zu machen. Gezwungen zu suchen, fiel aber dem Schuft eine neue Gemeinheit ein.

Die Gattin des Mohren ging oft, wie gesagt, zu der Frau des Fähnrichs und verbrachte mit ihr einen guten Teil des Tages. Der Fähnrich bemerkte nun, daß sie immer ein Taschentuch bei sich trug, daß der Mohr ihr geschenkt hatte; es war auf maurische Art sehr fein gearbeitet und war beiden Gatten gleich teuer. Der Gedanke kam ihm, heimlich das Tuch fortzunehmen und so Desdemonas Ende vorzubereiten.

Er hatte eine kleine Tochter von drei Jahren, die von Desdemona zärtlich geliebt wurde. Eines Tages nun, als die Unglückliche in das Haus dieses Schurken kam, nahm er das kleine Mädchen in seine Arme und setzte es auf den Schoß der Dame. Der Verräter, sehr bewandert in Taschenspielerkünsten, stahl ihr dabei das Tuch aus dem Gürtel; er tat es so behutsam, daß sie nichts davon merkte. Als sie heimkehrte, hatte sie den Kopf voll anderer Gedanken und bemerkte nicht das Fehlen des Tuches.

Aber nach einigen Tagen, als sie das Tuch suchte und nicht fand, war sie ganz verängstigt; denn manchmal fragte sie ihr Gatte danach. Der Fähnrich, der seinen Augenblick gekommen sah, ging zu dem Hauptmann, und mit großer Tücke legte er das Taschentuch auf das Kopfende seines Bettes. Der Hauptmann bemerkte es erst am nächsten Morgen beim Aufstehen, wo es zur Erde fiel und er mit dem Fuß darauf trat. Er konnte sich nicht vorstellen, wie es dahin gekommen war; da er aber wußte, daß es Desdemona gehörte, wollte er es ihr zurückbringen. Er wartete, bis der Mohr sein Haus verlassen hatte, dann ging er an die Hintertür und klopfte. Das Glück, das der Verbündete des Fähnrichs zu sein schien, um den Tod der Unglücklichen zu bereiten, wollte es, daß der Mohr in der Minute zurückkam. Als er das Klopfen hörte, ging er ans Fenster und fragte gereizt:

›Wer klopft da?‹

Als der Hauptmann die Stimme des Mohren hörte, fürchtete er, in sein Unglück zu stürzen, wenn er gesehen würde und floh, ohne zu antworten. Der Mohr kam die Treppe hinunter. Als er die Tür geöffnet hatte, die auf die Straße führte, bemerkte er keinen Menschen. Ins Haus zurückgekehrt in schlechtester Laune, fragte er seine Frau, wer da unten geklopft hätte. Die Dame erwiderte der Wahrheit gemäß, daß sie es nicht wüßte. Der Mohr sagte darauf:

›Es schien mir der Hauptmann zu sein.‹

›Ich weiß nicht,‹ antwortete sie, ›ob er es war oder ein anderer.‹ Trotzdem der Mohr vor Wut schäumte, hielt er sich noch zurück und beschloß, nichts zu unternehmen, bevor er nicht mit dem Fähnrich gesprochen hatte, zu dem er sich sofort begab. Er erzählte ihm, was sich ereignet hatte und bat ihn, sich über den Hauptmann zu unterrichten in allem, was die Sache anlangte. Der andere, sehr zufrieden mit dem Lauf der Angelegenheit, versprach Gehorsam.

Eines Tages, als der Mohr sich an einem heimlichen Ort versteckt hielt, wo er gut beobachten konnte, ohne gesehen zu werden, unterhielt sich der Fähnrich mit dem Hauptmann, sprach aber mit ihm über alles andere nur nicht über die Dame und lachte, soviel er konnte. Er heuchelte Erstaunen, machte Gesten mit Kopf und Händen, als ob er Außergewöhnliches höre. Als sie sich getrennt hatten, suchte der Mohr den Fähnrich auf, um zu erfahren, was der andere gesagt habe.

Der Fähnrich ließ sich lange bitten, ehe er sprach:

›Er hat mir nichts verborgen. Er hat mir gestanden, daß er Euer Weib immer dann besessen hat, wenn Ihr fort wäret und ihm freie Zeit gelassen habt. Das letzte Mal habe sie ihm ein kleines Taschentuch geschenkt, daß Ihr ihr bei Eurer Vermählung überreicht habt.‹

Der Mohr dankte dem Fähnrich und war überzeugt, daß, wenn es wahr sei, daß seine Gattin das Tuch nicht hätte, er sicher sein könnte, daß der Fähnrich die Wahrheit gesagt habe.

Eines Abends nach dem Mahle, nachdem er sie lange beobachtet hatte, fragte der Mohr sie nach dem Tuch. Die Unglückliche, die vor dieser Frage in ständiger Angst geschwebt hatte, fühlte ihr Blut zum Herzen strömen, und um ihren Schreck zu verbergen, stand sie auf, eilte an ihre Truhe und tat so, als ob sie es suchte. Nach langem Wühlen sagte sie:

›Ich weiß nicht, wie es kommt, ich finde es nicht; vielleicht habt Ihr es?‹

›Wenn ich es hätte, warum sollte ich dich wohl danach fragen? Aber du wirst es ein andermal erfolgreicher suchen.‹

Und sich entfernend, überlegte er, durch welches Mittel er die Frau und den Hauptmann umbringen könnte, ohne daß man ihm den Mord zuschrieb. Da er Tag und Nacht von diesen Gedanken besessen war, konnte er es nicht verhindern, daß sie bemerkte, wie er nicht mehr derselbe wie früher war. Oft fragte sie ihn:

›Was betrübt Euch so sehr? Ihr, der Ihr gewöhnlich der glücklichste Mensch der Erde wart, seid jetzt so schwermütig wie nur möglich.‹

Der Mohr fand tausend Ausflüchte, aber sie ließ sich nicht beruhigen. Da sie wußte, daß es wohl keine Übeltat von ihr sein konnte, die ihn derart reizte, fürchtete sie, daß er ihrer überdrüssig geworden sei. Zuweilen sagte sie zu der Frau des Fähnrichs:

›Ich weiß nicht, was ich von dem Mohren denken soll; früher war er die reine Liebe zu mir, aber seit einigen Tagen ist er ganz anders geworden. Ich fürchte fast, in den Zustand geraten zu sein, daß man mich jetzt andern jungen Mädchen als Beispiel vorhalten kann, nicht gegen den Willen der Eltern zu heiraten. Ich glaube, daß durch mich die Frauen Italiens lernen werden, daß man sich nie mit einem Mann vereinigen soll, den die Natur und der Himmel verschieden von uns geschaffen haben. Aber da ich weiß, daß mein Mann ein guter Freund des Euren ist, und ihm seine Gedanken anvertraut, bitte ich Euch, mir zu helfen, falls Ihr etwas hört, was Ihr mir sagen könnt.‹

Sie sagte das alles unter heißen Tränen.

Die Frau des Fähnrichs wußte alles, denn ihr Gatte wollte sie zur Hilfe an dem Mord der Dame haben, sie aber willigte nicht ein. Aber den Zorn ihres Gatten fürchtend, wagte sie nicht, es der Dame zu offenbaren.

›Gebt acht,‹ sagte sie nur, ›daß Ihr Eurem Gatten keinen Argwohn über Euch gebt, und sucht mit aller Sorgfalt, daß er in Euch nur Liebe und Treue sieht.‹

›Aber das tue ich doch,‹ antwortete sie, ›nur nützt es nichts.‹

Der Mohr versuchte indessen so gut er konnte, sich davon zu überzeugen, was er nicht wahr haben wollte und er bat den Fähnrich, so vorzugehen, daß er das Taschentuch in des Hauptmanns Händen sähe. Obgleich dies dem Verräter sehr schwer sein würde, versprach er es, damit der Mohr sich vergewissern könnte.

Der Hauptmann hatte eine Frau bei sich, die auf Leinen die schönsten Stickereien machte. Diese Frau hatte das Tuch gesehen und als sie erfahren hatte, daß es der Frau des Mohren gehöre, der es auch zurückgegeben werden mußte, machte sie sich sogleich daran, es nachzusticken. Während sie arbeitete, bemerkte der Fähnrich, daß sie in der Nähe des Fensters saß und von den Vorübergehenden gesehen werden konnte. Da ließ er den Mohren das Tuch sehen und der beschloß nun, schon sicher, daß die ehrenhafte Dame schuldig war, gemeinsam mit dem Fähnrich sie und ihren Geliebten zu töten.

Nachdem sie über das Mittel gesprochen hatten, mit dem sie ihren Plan ausführen wollten, bat der Mohr den Fähnrich, derjenige zu sein, der den Hauptmann tötete und versprach ihm ewige Dankbarkeit. Der andere weigerte sich, eine solche Pflicht auf sich zu nehmen, die ihm sehr verwerflich und gefährlich schien, denn der Hauptmann war sehr vorsichtig und mutig; aber der Mohr bat ihn so dringend und gab ihm eine Menge Geld, so daß er einwilligte, es zu tun.

Fiorenzo di Lorenzo
Venezianische Jünglinge

Als nun eines Abends der Hauptmann aus dem Haus einer Dirne kam, mit der er sich eingelassen hatte, näherte sich ihm der Fähnrich, den Degen in der Faust, und begünstigt durch eine sehr dunkle Nacht, schlug er ihm den Degen um die Beine, um ihn zu Fall zu bringen. Der Unglückliche stürzte mit durchbohrtem Schenkel. Da warf sich der Fähnrich über ihn, um ihn zu töten, aber der Hauptmann, mutig und Blut gewöhnt, zog ebenfalls den Degen, verwundet wie er war, verteidigte sich und schrie:

›Ich werde ermordet!‹

Als der Fähnrich nun die Leute und auch Soldaten, die in der Nähe wohnten, herlaufen sah, machte er sich aus dem Staube, um nicht ergriffen zu werden. Plötzlich kehrte er um, und schien nun auch auf das Geschrei herbeizulaufen. Er mischte sich unter die andern und als er das verwundete Bein gesehen hatte, entschied er, daß, wenn der Hauptmann noch nicht tot wäre, er doch an dieser Wunde zugrunde gehen würde; er war sehr froh darüber, trotzdem aber heuchelte er Mitleid, als wenn der Sterbende sein Bruder wäre.

Am Morgen verbreitete sich die Nachricht des Ereignisses in der ganzen Stadt und kam auch Desdemona zu Ohren. Da sie ein sehr mitleidiges Geschöpf war und auch gar nicht daran dachte, daß ihr Unheil daraus erwachsen könne, bezeigte sie großen Schmerz über das Geschehnis. Als der Mohr das bemerkte, kam er auf einen sehr schlechten Gedanken, ging zu dem Fähnrich und sprach:

›Du sollst wissen, daß das Herz meines Weibes von so großer Trauer erfüllt ist über das Ungemach des Hauptmanns, daß sie beinahe toll ist.‹

›Wie könntet Ihr anders denken,‹ sagte der Fähnrich, ›war er doch ihre ganze Seele.‹

›Ihre ganze Seele,‹ antwortete der Mohr, ›nun, ich werde ihr die Seele aus dem Leibe treiben, denn ich würde mir nicht wie ein Mann erscheinen, befreite ich nicht die Welt von dieser Elenden.‹

Sie sprachen noch über dieses und jenes und ob es besser wäre, sie durch Dolch oder Gift, was ihnen aber nicht zusagte, umzubringen. Da beschloß der Fähnrich:

›Ein Mittel ist mir eingefallen, daß Euch befriedigen wird und aus dem keiner Verdacht schöpfen kann. Das ist es: Euer Haus ist sehr alt; die Decke Eures Gemaches hat viele Risse; nun könnte man Desdemona mit einem Sack voll Sand erschlagen; und damit man an ihr keinerlei Spuren sieht, lassen wir einen Teil der Decke herunterbrechen und zerschlagen ihren Kopf, als wenn ein Balken sie beim Herabstürzen getötet hätte. Auf diese Art wird niemand Verdacht gegen Euch hegen und jeder wird ihren Tod für ein Spiel des Zufalls halten.‹

Der Mohr genehmigte diesen grausigen Vorschlag.

Eines Nachts nun, als er mit ihr zu Bett lag – der Fähnrich hatte sich in einem Kabinett versteckt, das in das Zimmer führte – machte dieser, dem Plan folgend, ein verabredetes Geräusch. Der Mohr fragte sein Weib:

›Hast du das Geräusch gehört?‹

›Ich habe es gehört.‹

›Steh auf und sieh nach, was es ist,‹ befahl der Mohr.

Die unglückliche Desdemona erhob sich sogleich und sobald sie in dem Kabinett war, kam der Fähnrich hinaus und da er stark und energisch war, gab er ihr einen fürchterlichen Schlag in den Rücken mit dem bereitgehaltenen Sandsack; im Augenblick stürzte sie nieder und atmete kaum mehr. Mit der schwachen Stimme, die ihr noch blieb, rief sie den Mohren um Hilfe; aber der schrie, aus dem Bette steigend:

›Verruchtes Weib, nun hast du die Belohnung für deine Ehrlosigkeit: so behandelt man die, die vorgeben, ihren Mann zu lieben und ihm Hörner aufsetzen.‹

Die unselige Gattin hörte dies, und da sie ihr Ende herannahen fühlte – der Fähnrich hatte ihr noch einen Schlag versetzt – flehte sie die himmlische Gerechtigkeit zu Zeugen ihrer Unschuld an, denn die weltliche kam zu spät. Als sie Gottes Namen aussprach, löschte sie ein dritter Schlag aus und sie verendete unter den Händen des Fähnrichs.

Sie legten die Tote gleich auf das Bett und der Mohr und sein Komplize ließen die Decke des Zimmers herabfallen; dann schrie der Mohr um Hilfe und sagte, das Haus stürze ein. Auf sein Geschrei eilten Nachbarn herbei und das eingestürzte Dach abdeckend fanden sie die Dame tot unter den Balken. Alle Welt bezeigte großen Kummer, denn jeder hatte ihre Tugend erkannt. Am folgenden Tage wurde Desdemona zum größten Schmerze des Volkes begraben.

Gott, der in die Seelen der Menschen sieht, wollte nicht, daß ein solches Verbrechen ohne Sühne bleibt. Als der Mohr sich der Frau beraubt sah, die er mehr als seine eignen Augen geliebt hatte, wurde er von einer so rasenden Sehnsucht nach ihr gepackt, daß er sie, außer sich, in allen Ecken des Hauses zu suchen begann. Den Fähnrich dafür verantwortlich machend, daß er mit seinem Weibe alle Süßigkeit des Lebens verloren hätte, fing er so sehr an zu hassen, daß er ihn nicht mehr sehen konnte, und wenn er nicht Furcht vor der unverletzlichen Gerechtigkeit der Signoria gehabt hätte, hätte er ihn öffentlich getötet. Aber da er das nicht tun konnte, ohne sich bloßzustellen, nahm er ihm die Fahne fort und jagte ihn aus der Kompagnie. Da wuchs zwischen ihnen eine Feindschaft, wie sie größer nicht gedacht werden kann. Der Fähnrich, dieser schlimmste aller Verbrecher, strengte alle seine Kräfte an, um dem Mohren zu schaden. Als er den Hauptmann wiedergefunden hatte, der wieder hergestellt war und auf einem Holzbein lief, sagte er zu ihm:

›Die Zeit ist gekommen, wo du dich für deine Verwundung rächen kannst. Wenn du mit mir nach Venedig kommen willst, werde ich dir sagen, wer der Übeltäter gewesen ist; hier kann ich es dir aus verschiedenen Gründen nicht sagen, aber ich werde vor Gericht dein Zeuge sein.‹

Der Hauptmann, der noch schwer litt und nicht den Grund kannte, aus welchem er so leiden mußte, dankte dem Fähnrich und sie gingen zusammen nach Venedig zurück. Dort angekommen, entdeckte ihm der Fähnrich, daß der Mohr es war, der ihm sein Bein abgeschlagen hatte aus dem Verdacht heraus, er hätte mit Desdemona geschlafen, und aus demselben Grunde hatte er sie getötet, indem er das Gerücht verbreitete, daß die Decke seines eigenen Hauses sie erschlagen habe. Als der Hauptmann solches vernommen, klagte er den Mohren bei der Signoria an, sowohl des Beines wegen als auch wegen des Mordes am eignen Weibe, und brachte dazu den Fähnrich als Zeugen. Dieser bezeugte die Wahrheit des einen und andern, denn der Mohr habe ihm alles gestanden und hätte ihn dazu haben wollen, beide Verbrechen zu begehen; nachdem er Desdemona getötet hatte wegen seiner tierischen Eifersucht, habe er ihm die Art erzählt, auf welche er ihr den Tod gegeben. Nachdem die Signoria von der Grausamkeit gehört hatte, die sich ein Barbar gegen eine ihrer Bürgerinnen zuschulden hatte kommen lassen, ließ sie in Cypern Hand an ihn legen und gab Befehl, ihn nach Venedig zu bringen. Hier suchte man durch die Tortur die Wahrheit zu erfahren. Aber der Mohr ertrug mit großer Tapferkeit sein Martyrium und leugnete alles mit solcher Ausdauer, daß man nichts aus ihm herausbringen konnte. Er entging auf diese Weise dem Tode, aber wurde zu ewiger Verbannung bestraft, wo er von den Verwandten der Dame getötet wurde, wie er es verdiente.

Der Fähnrich begab sich in seine Heimat. Hier aber klagte er, treu seiner Gewohnheit, einen seiner Genossen an, daß der ihn einen Feind zu töten aufgefordert habe, der ein Edelmann war. Dafür wurde der andere gefangen und zur Tortur gebracht. Er aber leugnete die Wahrheit der Beschuldigung, worauf auch der Fähnrich in Ketten gelegt wurde; er wurde in der Folge auf eine Weise gemartert, daß ihm das Eingeweide aus dem Bauche hing. Aus dem Gefängnis entlassen starb er in seinem Logis eines elenden Todes. Auf solche Weise rächte der Allmächtige die Unschuld der Desdemona. Alles dieses wurde von des Fähnrichs Weib aufgedeckt, als dieser tot war.«


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