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Barberino erzählt

Es bedarf keiner großen Ausführlichkeit in der Erzählung meiner Lebensumstände und der Zeit, in der sie abliefen, um Euch zu beweisen, daß Ihr mir mehr Ehre als ich verdiene damit antut, mich an diesen erhöhten Platz in Eurer vornehmen Gesellschaft gesetzt zu haben und mir das erste Wort zu geben. Beides kommt dem glänzenden Freunde Giovanni um viel mehr zu als mir, der ich kaum jenes gelobte Land geschaut habe, in das Ihr unter seiner Führung zoget. Wie ihr gleich merken werdet, sowohl aus der kurzen Geschichte meines langen Lebens wie aus der Geschichte, die Ihr mir zu erzählen auferlegt.

Ein Jahr vor Dante sah ich das Licht der Welt, zu Barberino, wo auch mein Vater Neri di Rinuccio geboren war, im Val Delsa, nicht weit von Certaldo, wo unser verehrter Meister Boccaccio zur Welt kam. In Rom war zu diesem Jahre Urban der Vierte Papst, und drei Monate lang stand jener Schwanzstern am Himmel, der Manfred, dem Usurpator des Königsreiches beider Sicilien, so viel zu schaffen machte. Meine Eltern waren von bescheidener Herkunft, aber wohl imstande, mich was Rechtes lernen zu lassen, dem ich auch mit all meinen Kräften oblag. Aber strenger noch als mein guter Wille eifrig war der Vater, der mich oft damit zu strafen liebte, daß er mich unbekleidet für Stunden dem Anblick der Leute zur Schau stellte, und ich immer wieder die Mutter bat, unter Tränen, daß sie mich lieber unter Stockstreichen erröten lasse als unter der Schande. Als ich ins Alter kam, schickte man mich zum Lernen nach Florenz und hatte ich daselbst den großen Meister Brunetto Latini zum Lehrer. Ich lernte die sieben freien Künste und begann in Nachahmung der Provenzalen zu reimen, wie es damals allein guter Brauch unter allen feinen Geistern war, die sich in keinem andern Idiom als diesem ausdrücken wollten. Von Florenz begab ich mich nach dem ob seiner Schule berühmten Bologna, das öffentliche und kanonische Recht zu studieren. Da war Cino von Pistoia mein guter Freund, Genosse im Studium und in der Poesie. Trotzdem ich schon zweiunddreißig Jahre zählte, hätte ich gern noch weiter nichts sonst getan als gelernt, wenn mich nicht der Tod meines Vaters anders zu tun gezwungen hätte. Ich begab mich also nach Florenz und bot meine Dienste und Kenntnisse dem Bischof an. Aber dies ließ mir Zeit genug, um mich mit noch größerem Fleiße der Dichtkunst hinzugeben im Kreise gleichgerichteter Freunde, denn noch hatte Dante nicht das Exil aufsuchen müssen, und waren außer ihm Guido Cavalcanti und Dino Compagni meine Freunde, um aus vielen nur diese zu nennen. Ich war vierzig alt geworden und nahm ein Weib. Fünf Kinder schenkte sie mir in der Dauer ihres Lebens an meiner Seite. Aber meinen Hausstand errichtete ich in Padua, denn aus Florenz vertrieben mich die politischen Unruhen. Nur kurzwährend dachte ich meine Reise nach Frankreich, aber sie hielt mich mehr als vier Jahre lang fern meiner Heimat. Längere Zeit lebte ich in Avignon am päpstlichen Hofe Clemens des Fünften, in Burgund, in Paris. Am Hofe Philipp des Schönen sprach ich noch mit dem uralten Joinville, der seine Chronik schrieb. Im Jahre 1313 war ich wieder in Florenz und wurde Doktor der Rechte. Mein Weib war gestorben, und den Kindern eine Mutter zu geben nahm ich ein andres. Ich war nun öffentlicher Notar und dem gehörte alle meine Zeit. Unser Meister Boccaccio rühmte über ihr Maß meine Verdienste um die Rechtshändel, in denen ich den Bischof und die Signoria vertrat, aber es war deren Erfolg sicher weniger meinen Fähigkeiten zuzuschreiben als der großen Güte Gottes, die mich nie verlassen hat. Reichlich wurde mir die Liebe meiner Mitbürger zuteil und sie taten mir alle Ehren an. Vierundachtzig Jahre lang trug ich die Last des irdischen Daseins, als ich jener Pest erlag, die unser Meister Boccaccio in seinen hundert Erzählungen beschrieben hat. Ihr habt mir nun auferlegt, daß ich Euch auch eine Geschichte erzähle. Und da muß ich gleich sagen, daß ich deren so wie Ihr es später geübt habt keine aufgeschrieben habe. In meinen jungen Jahren, da tat ich es ja meinen Altersgenossen gleich, und wie Dante seine Beatrice und Cavalcanti seine Mondetta in Liedern feierte, die schöne Toulousanerin, der er auf seiner Pilgerschaft nach Sankt Jakob von Campostella in der Kirche von Daurade begegnete, so besang ich die Schönheiten und Tugenden der Madonna Costanza in manchen Canzonen und Balladen. Aber ich bin nicht unzufrieden damit, daß all dies leichtfertige Werk verloren und vergessen ging, das ich da nach dem provencalischen Beispiel in Reimen bildete. Da ich in das bedachtere Alter kam, wo die Leidenschaften uns mit den Zähnen zu verlassen beginnen, da sah ich mit einem besorgteren Blick auf die vermeinten Freuden, denen sich die Jugend hingibt, und Gefahren darin für all das, was unser besseres Leben ausmacht, das wir nicht anders denn zu dem Göttlichen hin zu richten haben. Und setzte in den Mußestunden, welche mir meine Tagesgeschäfte ließen, nochmals den Kiel aufs Pergament und gab den Versen, die ich schrieb den anlockenden Titel Zeugnisse der Liebe. Mit der Lockung dieses Titels hoffte ich, die jungen Männer in meine Falle zu bringen. Denn es sind nur Zeugnisse der Tugendhaftigkeit, von denen ich ihnen erzählte, wie auch in dem anderen Werke, das für die Frauen bestimmt war wie jenes für die Männer und das hieß Über die Erziehung und Lebensart der Frauen. Ein rechtes Vademecum sollte es werden für Frauen jeden Standes und in allen Lagen des Lebens, und gab darin eine Menge guter Beispiele, was Ihr so gütig seid Geschichten zu nennen. Aber es sind Moralitäten, liebe Freunde. Wie Ihr nun gleich sehen und wahrnehmen werdet aus dem Beispiel, das ich Euch von einigen jungen Nonnen erzählen will.

Man erzählte sich, daß es ehemals in Spanien ein Kloster gab, welches von einer heiligen Frau gegründet worden war, und wo, durch ihre Sorgsamkeit, zwölf Frauen von großer Armut als Nonnen Aufnahme fanden. Als die Gründerin gestorben war, bemächtigten sich mehrere Edelleute des Klosters und nachdem sie als Oberin eine tüchtige und kluge Frau an seine Spitze gesetzt hatten, brachten sie dort zwölf Fräulein unter, die ihre Töchter waren, jede achtzehn Jahre höchstens alt und von berauschender Schönheit; die Nonnen, die vorher dort waren, wurden hinausgejagt. Der Bischof, von dem sie abhingen, versuchte, sich dem zu widersetzen, aber vergebens; er mußte sich begnügen, den zwölf Nonnen eine Unterkunft zu geben. Zu den Edelfräulein aber sprach er: »Gott beschütze Euch und erleichtere Euch das neue Leben, das er Euch auferlegt, in dem Alter und der Stellung, in der Ihr Euch befindet.«

Die Väter, die mächtig und gefürchtet waren, hörten, daß ihre Töchter ein ehrbares Leben führten, und die Oberin selbst, welche die großen Schwierigkeiten ihrer Aufgabe einsah, hatte den lebhaften Wunsch, nicht so sehr in den Augen Gottes als in denen der Menschen ihre kleine Welt in gutem Ansehen zu regieren.

Ein Jahr verging so; die Frauen des Klosters erfreuten sich eines ausgezeichneten Rufes, aber heimlich und untereinander sorgten sie dafür, gut zu essen und zu trinken, sich das Haar zu strählen und schön zu machen, und dachten dabei kaum an ihre Gebete und an Gott, wie man es draußen beobachten konnte. Gott der Herr, der sich sehr wohl der Beleidigung entsann, die den armen Nonnen angetan worden war, und der die anderen sah, die unter dem Deckmantel eines guten Rufes ganz gleichgültig ihm gegenüber waren, rief einen Engel zu sich und sprach:

»Suche Satan und sage ihm, daß ich ihm die Vollmacht gebe über alle Mittel, die er für die besten hält, die Frauen dieses Ortes in Versuchung zu führen und es einzurichten, daß ihr schlechtes Betragen, so gut verborgen, allen Menschen offenbar werde.«

Satan benachrichtigte einen seiner Trabanten, mit Namen Rasis, dessen Scharfsinn er kannte, und übertrug ihm die Sorge für dieses Unternehmen.

Sofort gehorchte Rasis. Als alte Frau verkleidet begibt er sich ins Kloster und fragt nach der Oberin, der er erklärt, daß, unter dem Siegel der Verschwiegenheit, drei Töchter des Königs von Spanien in das Kloster eintreten wollen. Der König, fügt er hinzu, der die Töchter von einer Edeldame hat und wünscht, daß keine Seele etwas davon erführe, wird dem Kloster gute Einkünfte verschaffen und jeder der Bewohnerinnen einen reichen Schmuck schenken.

Andrea del Castagno
Giovanni Boccaccio

Die Oberin unterrichtete mit einigen Worten ihre Freundinnen, und nachdem sie sich mit ihnen ins Einverständnis gesetzt hatte, nahm sie den Antrag an.

Rasis nimmt darauf die Gestalt eines jungen Mannes an und, das Land durchsuchend, findet er drei junge Leute von dreizehn, vierzehn und fünfzehn Jahren, sehr schön und mit blonden Haaren, denen auf absehbare Zeit noch keine Spur von Bartwuchs drohte und sprach zu ihnen:

»Ich bin ein sehr reicher Mann und Sohn eines Königs. Ich liebe ein junges Mädchen, das in dem Kloster ist; da sie mein Land verlassen hat, bin ich ihr gefolgt, um sie zu besitzen. Ich will Euch reich machen. Laßt Euch die Köpfe rasieren und nach Art der Jungfrauen verschleiern, um Eintritt in das Kloster zu erhalten, wo sich die schönsten Mädchen dieser Erde befinden. Ihr könnt Euer Vergnügen mit ihnen haben und ich werde Euch belohnen. Ich werde eine alte Frau senden, die mich hereinläßt, und wir werden alle vereinigt sein. Wenn es mir aber nicht gelingen sollte hereinzukommen, werdet Ihr mir später öffnen.«

Man war bald einig und als Rasis jedem von ihnen dreihundert vertrocknete Blumen gegeben hatte, von denen jene glaubten, es seien ebensoviele Dukaten, fügte er noch hinzu:

»Verschließt das in einem Kasten; wenn ich zurückkehre, gebe ich jedem von Euch noch tausend. Unterdessen folgt Ihr der alten Frau, die Ihr am Rande des Flusses treffen werdet, und geht an das andere Ufer.«

Rasis, wieder als alte Frau, führt dann die drei jungen Leute bis zum Kloster. Dort angekommen, unterhält er sich mit der Oberin und zählt ihr viertausend Kiesel vor, die sie für die gleiche Menge Goldgulden ansieht; jedem von den Mädchen gibt er Strohringe an Stelle von goldenen, mit Steinen geschmückt, die sehr wertvoll schienen, und Grashalme, die wie köstliche Webereien waren; dann verlangte er, daß alles das eingeschlossen würde bis zu dem Tage, an dem die Erziehung der jungen Mädchen beschlossen wäre. Als seine Schützlinge herbeigeführt wurden, sagte er, er habe ihnen die Köpfe rasiert, wie ihr Vater es seit zwei Jahren gemacht habe, und sie in Männerkleidern mit sich geführt, damit das Geheimnis noch undurchdringlicher sei, und kein Mensch einen Anhaltspunkt für ihren Aufenthalt hätte. Sie müßten auch ihre Namen ändern, um dadurch zu verhindern, daß gewisse Edelleute aus ihrem Lande sie ausfindig machten, welche den ganzen Tag um das Kloster herumstrichen.

Die jungen Mädchen des Klosters zeigten sich höchlich erfreut über die Neuangekommenen, die sehr schön waren. Aber da das Kloster nur zwölf Zellen hatte, die von den anderen besetzt waren, sagte die Oberin zu der Alten:

›Solange die Mädchen bei uns bleiben, werden sie mit den andern zusammen schlafen.‹

›Ganz recht so und damit keine eifersüchtig werde, können sie abwechselnd bei allen Mädchen schlafen.‹

Alle stimmten diesem Vorschlage zu. Die Alte versprach, häufig wiederzukommen und verschwand, nachdem sie alle der Sünde des Fleisches geweiht hatte.

Die drei Nönnchen, denen die erste Nacht mit den drei neuen jungen Mädchen zugefallen war, merkten bald, als sie untereinander spielten, was die angeblichen Mädchen waren, und fragten erstaunt, wie sie das hätten machen können.

›Wir sind Kinder des Königs, sagten die drei, aber er hat uns von einer Verwandten, und da wir ihr sehr ähnlich sehen, fühlt er sich etwas bedrängt und deshalb hat er uns hierher gesandt.‹

Man brauchte die Nonnen nicht zu zwingen, und da die Burschen jede Nacht das Zimmer wechselten, geschah mit allen dasselbe und alle waren einstimmig in ihrem Urteil und beteuerten der Oberin, so wohlerzogene Mädchen hätte man noch nie gesehen.

Ich will Euch mit den anderen Reden und den häufigen Besuchen der Alten verschonen, und will nur noch erzählen, daß nach Ablauf von sechs Monaten alle Mädchen guter Hoffnung waren.

Sie vertrauten der Oberin an, was geschehen war. Diese, eine Frau von dreißig Jahren, machte den Mädchen die bittersten Vorwürfe und wollte sie und die Übeltäter vor den Augen der Eltern verbrennen lassen.

Sie fanden also keinen besseren Ausweg, als einen von den dreien zu der Oberin zu legen und die beiden anderen ins Bett der zwei Dienerinnen. Und am nächsten Morgen fanden sich auch diese drei in demselben Zustand wie die anderen.

Die jungen Leute sagten nun, sie wollten das Kloster verlassen, aber alle baten sie, noch zu verweilen und so blieben sie noch drei Monate, um im Augenblick, wo die Mädchen niederkommen sollten, zu gehen und zu sagen: »Der ganze Schatz gehört Euch.«

In dem Augenblick kam die Alte und die Nonnen sagten zu ihr:

»Eure Damen wollen fort. Sie sagen, diese Art Leben wollten sie nicht fortsetzen.«

Darauf die Alte:

»Das beste wäre, Ihr ginget mit Ihnen.«

Sie sahen nun nach ihrem Schatz, fanden aber nichts als Blumen, trocknes Gras, Steine und Strohhalme.

Sie konnten sich nicht erklären, was das zu bedeuten hätte, und sie einigten sich dahin, ihren Eltern die Nachricht zu senden, daß die drei fremden Fräulein allen Frauen, ohne deren Wissen, einen Trank verabreicht hätten, durch den sie jetzt noch schliefen. Inzwischen hätten sie die Koffer erbrochen und wären mit der ganzen Beute entflohen. Die Eltern kamen auf diese Schreckensbotschaft hin und wollten ihre Töchter sehen.

»Nein«, sagte die Oberin, »es ist viel besser, sie schlafen zu lassen.«

Die Oberin mußte viele Vorwürfe über sich ergehen lassen, bevor die Eltern wieder fortzogen. Ungefähr acht Tage später überraschten die Oberin und zwei der jungen Nonnen eine der Dienerinnen, die mit einem Diener im Bett lag, und sie erhoben ein großes Geschrei, aber die Magd sagte:

»Kann ich nicht auch einmal mit einem Knecht schlafen, nachdem Ihr lange Zeit dasselbe getan habt?«

Diese Unterhaltung deckte alles auf.

Die Diener und Leute des Klosters wurden ergriffen, und als sich der ganze Skandal verbreitet hatte, drang die Menge mit Gewalt ein. Sie fand die Frauen mit ihren gesegneten Leibern und steinigte sie, unterstützt von den Eltern. Einige verbrannten sofort die Oberin, begruben lebendig die Mägde und rösteten den Knecht. Dann suchten sie die zwölf armen Nonnen auf, die zuvor da gelebt hatten und gaben ihnen das Kloster zurück; diese wählten sich eine Äbtissin und lebten lange in Heiligkeit.

Die drei jungen Leute trafen auf dem Heimwege Rasis wieder in der Gestalt des jungen Mannes, als der er zum erstenmal zu ihnen gekommen war, und sie fragten ihn, warum er sie nicht besucht hätte.

»Ich war krank,« antwortete er, »und was habt Ihr dort gemacht?« Sie erzählten ihm alles, was vorgefallen war.

»Jetzt gebt mir meine Dukaten wieder«, sagte Rasis.

»Im Gegenteil, du mußt jetzt das Tausend vollmachen.«

Im Streite warf er den andern vor, sie hätten ihm nichts genützt und die andern ihm, er hätte ihnen nicht geholfen.

Und da sie auf der Brücke eines breiten Flusses standen und sich gegenseitig schlugen, ergriff sie Rasis und warf sie in den Fluß, wo sie ertranken.

So endete jeder seinen Taten gemäß.«


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