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Cornazzano erzählt

An der Art, wie der neapolitanische Sekretarius zum Danke für den Beifall seinen Federhut zog, schwenkte und wieder aufs kahle Haupt setzte, konnte man nicht nur den Hofmann erkennen, sondern auch den Schriftsteller, der als erster in dieser Runde sein Geschriebenes durch den Druck vervielfältigen hatte lassen, was jene Eitelkeit aufweckte, die denen eigen, die zu einem ihnen unbekannten Publikum sprechen. Aber mit nicht geringerer Eleganz zog ein anderer aus der Runde wie zum Gruße eines Gleichen seinen goldbetreßten Hut. Es war Messer Antonio Cornazzano aus Piacenza, der nicht ohne Selbstgefälligkeit den neapolitanischen Sekretär erinnerte, daß auch er der Herzogin von Calabrien, Ippolyta Visconti, gedient habe.

»Ich schrieb ein Gedicht an die allerheiligste Jungfrau, daß ich ihr widmete, und im Jahre 1455, da sie dem Herzog Alfonso angetraut wurde, unterrichtete ich sie im Tanze. Ich hatte über die Kunst des Tanzes ein Buch geschrieben, in Terzinen. Ich war jung. Die Liebe schenkte mir mit ihrem Glücke den ersten Reim, als ich sechzehn Jahre zählte. Mich von der Liebe zu heilen, die ich einem Engel weihte, schickte mich der Vater nach Siena auf die hohe Schule. Ich lernte da vieles und mit Fleiß, aber zu lieben schien mir auch jetzt wie sonst das wichtigste Studium. Ihr lacht, Messer Doni, denn Ihr erinnert Euch meiner hundert Sonette zum Lobe der Augen einer Geliebten und daß Ihr mich darüber verspottet. Ihr fandet, es sei da ein bißchen viel gereimten Wesens über eine einzige Sache gemacht. Ich fand es wenig in Betrachtung dieser Augen, die ich besang. Als ich im sechsundzwanzigsten Jahre meines Lebens an den Hof des Herzogs Francesco Sforza nach Mailand kam in mancherlei Diensten, die ich dem Herzog erwies wie auch seiner Gattin Bianca, so daß man mich zum Rate und zum Kanzler machte, da dankte ich doch wohl, daß ich so in Gnade stand, der großen Lehrerin Liebe vor allem. Denn es war mir die Aufgabe zuteil geworden, des Herzogs Liebesbriefe zu verfassen und Sonette in seinem Namen. Denn, wie ihr wißt, bereiten auch die Worte den hübschen jungen Frauen Vergnügen. Ich habe es durch zehn Jahre erfahren, da ich in des Herzogs Diensten stand.

Seine Taten feierte ich in meinem ersten großen Gedichte, der Sforzeida, was ich nur gleich sage, damit Ihr mich nicht all zu leichtfertigen Geistes beschuldigt. Daß ich nicht nur als Tanzlehrer der Infantin Ippolyta und als Liebesbriefdichter des Herzogs an dessen Hof gehalten wurde, dessen mag Euch Beweis sein, daß mich mein Herr mit der Gesandtschaft des Pietro da Pusterla nach Frankreich schickte zum König. Als ich heim kam, war mein großer Herr gestorben. Da begab ich mich nach Venedig und nahm Dienste unter dem berühmten Führer Bartolomeo Coleone. Ich half, die Flotte rüsten, welche die Republik nach Negroponte schickte, und die von den Türken genommen wurde. Dieses Jahr 1470 war ein schlimmes Jahr, denn die Republik wollte mich nicht auf ihrem Boden dulden. Doch hielt der mächtige Coleone die Hand schützend über mich, denn er liebte es, sich mit Gelehrten und Dichtern über die tiefsten Dinge des Denkens zu unterhalten. Ich habe das Leben dieses großen Feldherrn beschrieben, worin mich ein gutes Gedächtnis trefflich unterstützte. Als Coleone gestorben war, begab ich mich nach Piacenza, wo ich herzlich aufgenommen wurde. Als Gesandter kam ich bald nach Mailand, das ich ja gut kannte. Aber als ich in die Dienste des Ercole d'Este, Herzogs von Ferrara, treten konnte, tat ich es mit Freuden, denn das Leben an diesem Hofe stand ganz nach meinem Sinne. Ihr wisset, Messer Cinthio, wie glücklich wir da waren, in der Gesellschaft Bojardos, Strozzis und Guarinis! Hier konnte man wahrhaft dem Altern mit fröhlichem Herzen entgegensehen. Aus allen Ländern kamen sie an diesen Hof, an dem das Leben nur eine ununterbrochene Kette von Festen und Freuden schien, von Maskeraden und Turnieren, Schauspielen und Banketten. Hier lebte ich nach meinem Sinne so sehr, daß ich an keinen andern Ort mehr dachte. Die Geschäfte, die man mir gab, waren mit keiner Mühe verbunden und ließen mir Zeit, meinen Kopf nützlich zu machen, so gut ich konnte und wie ich es gelernt hatte. Da Ihr ja eine saftige Geschichte von mir erwartet, wie ich deren zur Kurzweil des Alters schrieb, das mit schwindender Kraft seinen Spaß an derlei hat, will ich Euch mit dem gelehrten Allerlei meines sonstigen Tuns nicht lange hinhalten. Wie Messer Pietro aus Arezzo schrieb ich inmitten der Freuden des Lebens ein Leben unseres Herrn Jesus Christus in Terzinen, einen Traktat in neun gereimten Büchern über die Kunst der Kriegführung, einen andern über das Regieren, – aber das Lob, das man diesen Hervorbringungen meines Geistes spendete, ist vergessen über das Vergnügen, das ich meiner Mitwelt mit meinen Canzonen bereitete, deren schönste ich für Donna Lucretia Borgia, die erlauchte Frau, dichtete, und über jenen Sprichwortgeschichten, die man drei Jahre nach meinem Tode im Jahre 1503 in Druck gab zu Mailand, recht hastig, wie mir scheint, um damit ein Geschäft zu machen.

Im Volke ist's beliebt, sich das Überdenken eines Vorgangs mit einem Sprichwort abzukürzen und ins rechte Lot zu stellen. Zu meinem und meiner Freunde Spaß ging ich dem nach, wie solche Sprichwörter wohl entstanden sein mochten. Ließ mich die Anekdote im Stich, erfand ich eine. Das ist alles. Und wie Ihr gleich sehen werdet, wenig genug. Ich sitze hier in Eurer werten Runde sicher mit dem geringsten Anspruch.

Ein etwas dummer Eifersüchtiger gab Anlaß zu einem häufigen Sprichwort. Oft kommt es vor, daß sich Männer, sprechen sie von ihrer Frau, als Leute erweisen, die sich um ihre Frauen nicht im mindesten kümmern und sie tun lassen, was ihnen gefällt, um nur ja ihretwegen keine Auftritte zu haben und am Ende gar selber in Lebensgefahr zu kommen. Von solchen pflegt man zu sagen: Lieber ein Geweih als ein Kreuz.

Da war ein Kaufmann, der eine schöne Frau sein eigen nannte. Nun sollte er eine Seereise antreten, und da er seiner Gattin nicht sicher war, weil sie von vielen geliebt und begehrt wurde, gedachte er etwas zu tun, damit sie nicht in Sünde fallen könne, selbst wenn sie wollte. Er ließ einen Gürtel nach der syrischen Art anfertigen, wie sie Semiramis wegen der Eifersucht ihres Sohnes erfunden hatte. Dieser Gürtel ließ der Dame nur eine so kleine Öffnung als sie für die natürlichen Bedürfnisse nötig hatte. Er legte ihn ihr um und behielt den Schlüssel bei sich, worauf er ruhig in die Levante zu reisen gedachte. Sie zeigte sich nicht im geringsten davon unangenehm beeindruckt, aber am Tage seiner Abreise sagte sie zu ihm: ›Mein lieber Mann, wie soll ich es denn machen, wenn ich vor Eurer Rückkunft entbinden muß? Denn ich fühle mich schwanger.‹

›Richtig,‹ antwortete er, ›mein liebes Weib, daran habe ich gar nicht gedacht.‹

Und er nahm ihr gleich den Gürtel wieder ab, als hätte er sein Mißtrauen verloren und überließ sie nunmehr guten Mutes ihrem eigenen Willen. Als er aber auf dem Wege zum Hafen war, um sich einzuschiffen, hörte er zwei junge Leute miteinander reden:

›Was für ein Kaufmann ist denn das, der dort geht?‹

›Das ist der und der.‹

›Oh, was für ein Geweih wird dem aufgesetzt werden, während er fort ist! Ich kann dir nur sagen, er hat ein Weib, das nichts verschmähen wird.‹

Da er diese quälenden und widerwärtigen Worte vernahm, ließ er den Kopf hängen und kehrte nach Hause zurück, indem er irgend einen Vorwand vorschützte. Im Geiste überdachte er alle Vorsichtsmaßregeln, von denen er gehört hatte und nahm endlich, zu Hause angekommen, ein Kreuz, befestigte es an einer Schnur und schlang diese um den Leib seiner Gattin, und zwar derart, daß das Kreuz gerade über die gewisse Stelle zu hängen kam. Dann sprach er zu ihr: Nun reise ich beruhigt. Das müßte schon ein ketzerischer Verräter sein, der dem Kreuze zu trotz vorbeiwollte.

Und im Herzen sicher, daß sich, auch wenn sein Weib hundertmal im Tage für hundert Burschen die Schenkel öffnete, doch jeder aus Scheu vor dem Kreuz abkehren würde, verpflichtete er seine Frau mit einem Eide, es nicht vor seiner Rückkehr abzulegen.

Vergnügt, nun endlich ganz sicher zu sein, machte er sich von neuem auf den Weg zum Schiffe.

Als er ungefähr sechs Meilen zur See zurückgelegt hatte, da ein guter Wind die Segel schwellte, traf er in einer Barke zehn Fischer und Schiffer, lauter junge und verwegene Burschen in knappen Jacken. Als er sie in der Nähe sah, erkannte er in ihnen Bekannte und Freunde seines Hauses, und so grüßte er sie freundlich:

›Meine Brüder und lieben Freunde, ich empfehle Euch mein Haus und Madeluzza.‹ So hieß seine Gattin.

Und sie riefen wie aus einem Munde: ›Geht nur, Messer, zur guten Stunde, macht Euch keine Sorgen! Madonna zu dienen, soll uns kein Kreuz auf den Weg hindern.‹

›Oh weh,‹ schrie er, ›Ihr Schurken!‹

Mehr sagte er nicht, aber im Herzen dachte er bei sich: Diese Leute sind schlimmer als Hunde und Ketzer. Das ist nichts nütz gewesen, das Kreuz über die Höhle zu hängen. Sie haben ja geschworen, sich nicht daran zu kehren. Alles scheinen sie zu wissen, was ich getan habe.

Über diesen Gedanken gab er Befehl, den Mast umzulegen und die Segel zu reffen, indem er vorgab, etwas für seine Reise sehr Wichtiges daheim vergessen zu haben. Und so kam er wieder zurück, von wo er ausgegangen war. Angelangt traf er seine überraschte und verdutzte Frau.

›Madeluzza, wundere dich nicht. Ich bin nur heimgekehrt, um dir das Kreuz wieder abzubinden. Denn mit ihm bist du in größerer Gefahr als ohne es. Gewisse Fischer und Schiffer haben mir geschworen, daß sie um deiner Liebe willen hierherkommen und dir das Kreuz hineinrennen würden. Ich habe hundertmal weniger Angst vor dem Geweih als vor dem, was mir von diesen Leuten droht und darum ist mir ein Geweih lieber als ein Kreuz.‹

Und er hieß sie, sich auf den Rücken legen, und löste ihr das Kreuz. Dann setzte er die Reise fort, und seine Frau ihre gewohnte Lebensweise. Diese Geschichte lief rasch im Lande herum und legte den Grund zu dem Sprichwort.«

Der Beifall wollte Messer Cornazzano nicht mit diesem einen Sprichwort entlassen. Also erzählte er ein zweites.

»Der Erzbischof der Romagna, Andreasso da Cingoli hatte eine Schwester, eine sehr schöne Person, aber recht lüstern nach den Leckerbissen der Liebe. Als er sich eben vornahm, sie zu verheiraten, ging sie mit einem Liebhaber durch. Nachdem er sie wieder zurückerhalten hatte, beschönigte er, um ihr auch weiter noch die Aufnahme in eine angesehene Familie zu ermöglichen, ihre Flucht, indem er vorgab, sie hätte einige Zeit in einem gewissen Kloster verbracht. Und wieder machte er Versuche, das Schwesterlein zu vermählen. Aber sie brannte ihm ein zweites Mal durch und auch ein drittes Mal. Zuletzt mit einem Kirchenvorsteher. Da der Erzbischof den Mann exkommunizierte, bei dem sie sich aufhielt, bekam er sie wieder zurück, und nun versuchte er es, sie mit milden Strafen zu bessern. Sie ließ sich aber dadurch nicht hindern, ein viertes Mal zu entweichen, und ging nun durch viele Hände, ehe man sie wieder einbrachte. Und viele Bannflüche wurden in der Kathedrale geschleudert, viele Exkommunikationen ausgesprochen, bevor man ihrer habhaft werden konnte.

In Gegenwart der nächsten Anverwandten und einiger würdiger Kleriker ließ sich der Erzbischof seine Schwester vorführen. Alle überschütteten sie mit Vorwürfen und hielten ihr vor, mit welcher Schande sie sich bedecke, und wie wenig Ehre sie ihrer Familie mache und dazu gab man ihr noch einige kräftige Verwünschungen. Das Mädchen hörte alles an, ohne sich einschüchtern zu lassen, blickte den Erzbischof fest ins Gesicht und sagte:

›Mein Herr und Bruder, darf ich etwas entgegnen?‹

›Sag was du willst,‹ entgegnete der.

›Nun denn, wenn ein Frauenzimmer einmal zweie gehabt hat, dann können sie hundert Teufel nicht abhalten, daß sie bis auf hundert kommt.‹

Alle Anwesenden mußten diese Worte hören, und der Erzbischof schüttelte sich vor Lachen, daß ihm der Kopf zwischen den Schultern verschwand. Dann gab er den Auftrag, zur Predigt zu läuten, nachdem er noch vorher befohlen hatte, die Dame, seine Schwester in Freiheit zu setzen. Und als sich die Männer und Frauen in der Kirche versammelt hatten, stieg der Erzbischof auf die Kanzel und begann:

›Meine Herren und Huren! Der Anlaß zu meiner heutigen Predigt ist dieser. Ich habe wegen der Flucht meiner Schwester eine Anzahl von Bürgern und Soldaten exkommuniziert. Da ich nun meine Schwester ihrer Sünden wegen tadelte, hat sie mir coram omnibus geantwortet: Wenn ein Frauenzimmer erst einmal zweie gehabt hat, können sie hundert Teufel nicht abhalten, daß sie bis auf hundert kommt. Ich hebe daher die Exkommunikation aller, die das Mädchen genossen haben, auf, und sage von nun an: Wer daran ist, den segne der heilige Petrus und er möge es ihm gut anschlagen lassen. Aber seht nun, meine lieben Zuhörer, worum es sich eigentlich handelt. Bevor ich Bischof geworden bin, bin ich auch Beichtvater gewesen, und niemals hat mir ein Dirnlein über zehn Jahre alt nicht gebeichtet, mindestens zwei nicht gehabt zu haben. Ihr, Ihr Weiber, Ihr seid alle Huren, wir Männer sind alle Hahnreie. Was mich betrifft, so will ich mich darum nicht weiter scheren, denn wer daran ist, dem gesegne es der heilige Petrus.‹

Und mit diesem frommen Wunsch stieg der Erzbischof von der Kanzel. Das Wort jedoch blieb in aller Mund und hat sich erhalten.«


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