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Masuccio erzählt

Als der Franziskaner seine Geschichte beschlossen hatte, mischte sich in den Beifall der Wunsch, er möge noch eine andere Geschichte erzählen. Aber Fra Giovanni sprach mit großer Bescheidenheit:

»Unter solchen Meistern sitzend steht es mir wahrhaftig nicht zu, Euch mit meinen recht simplen Geschichtchen zu langweilen. Wenn solches auch Eure Höflichkeit nicht zugeben wird. Was ich da mit Kanzonetten verziert auf dem Kastelle erzählte, geschah meinen Kummer zu kürzen und eine Freundin zu unterhalten, der ich in Liebe zugetan und die es mir mit Liebe lohnte. Gebt einem andern das Wort, ich bitt Euch, und laßt mich lieber hören als sprechen. Was meint Ihr, Messer Masuccio?«

Und der Angeredete sagte:

»Ihr könnt es gut laut sagen, Messer Doni, was Ihr Euerm Nachbar ins Ohr flüstert, – daß ich nicht einmal den Ser Boccaccio nachzuahmen imstande gewesen wäre und daß meine Grammatik ihre Schwächen habe, meine Syntax keine Ordnung zeige und die Figuren meiner Sprache roh wären. Denn alles dieses ist ganz richtig von Eurem kritischen Scharfsinn erkannt, und doch ist's nicht richtig. Meine Sprache ist mir eigen, sei sie wie immer auch verscheuert und kindlich. Ich hab sie Keinem nachgemacht, und hatte kein andres Ziel, als was ich sah mit allem mir gegebenen Geschick wiederzugeben. Als wir uns wieder unserer Muttersprache bedienten, die wir so lange für das Lateinische aufgegeben hatten, da war sie für viele von uns nur ein gar künstlicher Vorwand zu Sonderlichkeiten. Das ahmte alles den Meister Giovanni nach oder den Petrarca, – fragt bei ihnen, und sie werden die ersten sein, die darüber lachen. Hätten wir es nicht wie Messer Sacchetti gehalten, der, was er hörte, aufschrieb so wie es gesprochen wurde, unsere Muttersprache wäre gar arm geblieben. Und was Ihr einem Florentiner erlaubt, das werdet Ihr wohl einem Neapolitaner aus Salerno nicht verbieten. Schön schreiben nach dem Codex einer Academia, das wollte ich mit Nichten, auch wenn ich's gekonnt hätte. Die Sprache diente mir, nicht ich diente einem wesenlosen Idealbild oder einem Spielzeug von einer Sprache. Ihr wißt, daß ich jede meiner fünfzig Geschichten einem Zeitgenossen, Mann oder Frau, gewidmet habe, eine dem König Ferrante von Neapel selber, unter dessen Herrschaft ich lebte. Nicht oder ein wenig nur, um der Eitelkeit, von der keiner frei ist, zu dienen, tat ich dies. Den Garten Italiens nannte man mein Land, und es fehlte ihm, weiß Gott, auch der Gartengott Priapus nicht. Aber ich mußte sehen, daß die ihm heimlich dienten, das Kleid der Kirche trugen und daß sie unter der Heuchelei dieses Kleides betrogen und stahlen und plünderten. Und daß sie zu ihren ganz gemeinen Zwecken das Wesen von Heiligen annahmen und spanisch Wunder wirkten, der eine, indem er das Kleid des heiligen Vinzenz zeigte, der andere das Bild des heiligen Bernardino, ein dritter die Zügel von Capistrans Esel. Und gingen mit einem Kerl, der sich blind stellte oder auf den Tod krank und ganz plötzlich inmitten der Menge geheilt wurde, da er die Kutte des Betrügers anrührte oder die Reliquie, die er trug. Da schrie dann alles Wunder! Wunder! und läutete die Glocken und setzte ein Schriftstück darüber auf. Oder es geschah, daß einer in der Kirche den Prediger einen Lügner nannte, aber da wand sich der Ankläger auch schon von einem Dämon besessen auf dem Boden, und der Prediger heilte ihn, trieb den Dämon aus und schloß also die niederträchtige Komödie. Da gab es zwischen Franziskanern und Dominikanern keinen Unterschied, waren Spitzbuben alle beide. Und da teilte sich die Menge in die Streite und Verfolgungen der beiden, füllte damit die Plätze und Höfe. Die Nonnen gehörten allein den Mönchen. Und hatte eine Beziehungen zu einem aus der Laienwelt, so wurde sie verfolgt und eingesperrt. Aber Mönch und Nonne feierten Hochzeit und Bankett. Und brachten die Nonnen kleine Mönchlein zur Welt, wenn sie zu abortieren nicht vorzogen. Man brauchte nur in den Kloaken der Klöster zu suchen und fand da Kindergebein genug, so viel wie unter Herodes zu Bethlehem. Ich hab das alles mehr als einmal gesehen und den Finger daran gelegt. Und davon ein Wissen geben war mir wichtiger als schön zu schreiben. Und heftete ich so vor jeden Bericht einen hellen Namen, daß dessen Träger die Sache aufs Gewissen gebunden bekäme. Ich war gar laut, aber in Neapel hat man ein schlechtes Gehör. Der Adel bei uns glaubte, die Adeligkeit bestünde darin, im Nichtstun zu leben und hohe Einkommen zu vergeuden. Und ich will nichts von der grausamen Gleichgültigkeit des Königs Ferrante sagen, denn das Licht, das sein Vater Alphons von Arragon entzündet hat, konnte er nicht mehr auslöschen. Nun, dies sind große Worte von einem, der nichts als fünfzig Geschichten geschrieben hat, ungehobelt, roh und so wie ihm das Maul stund. Geschichten, so wenig mit der Schönheit der florentinischen Geschichten vergleichbar wie das weniger gesittete Leben, das wir da unten im Süden lebten, mit den feineren Sitten Eurer Städte im Norden, so wenig wie unsere Arragonesen aus Spanien vergleichbar mit Euren Mediceern. Nein, mein lieber Doni, was unsere Geschichten betrifft, müßt Ihr nicht die Kunst, die große der Dichter, von ihnen fordern. Wir unterhielten die uns zuhörten und immer mehr Volkes seit der Erfindung des Mannes in der Stadt am Rhein, wir reizten auf, wir brachten zum Lachen, und das war genug.

Masuccio, wie man mich nannte, da ich, ein Kind noch, bei dem Namen blieb, der Thomas, der ich war, aus der Sorrentiner Familie der Guardato. Wir hatten einen Turm auf blauem Azur im Wappen. Mein Vater Luigi war Staatssekretär bei Raimondo Ursino, dem Herzog von Amalfi und Fürsten von Salerno. Ihr müßt wissen, daß unter den Arragonesen aller Pomp und Adel ihrer spanischen Heimat in unser Land kam. Denn wie die Sonne, wofür sich Ferrante halten konnte, unser König, liebte er es, daß Gestirne um ihn kreisten, und so gab es Fürsten von Salerno, von Tarent, von Bisignano, Herzöge und Marchesen, Großwürdenträger und Großseneschale und Admirale. Messer Pontano, der dies alles gleich mir gesehen, kann's Euch beschreiben, wie es hoch herging an unserm Hofe. Da gab's ein Bankett, das kostete zweihunderttausend Dukaten und waren tausend Gäste geladen. Nirgendwo kleidete man sich prächtiger und war ein größerer Aufwand an Gold und edlen Steinen. Doch um von meiner geringen Person zu erzählen, da Ihr es so wünschet, so folgte ich meinem Vater nach und war Sekretarius bei dem Fürsten Roberto Sansovino und dem Sohne Antonello, der ihm nachfolgte. Ich nahm ein Weib, das mir vier Kinder gebar. Einer wurde Abt, der andere Dominikaner, der dritte Arzt, was ich am liebsten sah, und die Tochter, meine Caracciola, wurde Ehrendame bei der Herzogin von Calabrien. Viele, die ich in meiner Tätigkeit kennen lernte oder denen ich Dienste erwies, zeichneten mich mit ihrer Freundschaft aus, und ganz besonderer Gunst erfreute ich mich von Ippolyta, der Herzogin. Als sich im Jahre 1485 die neapolitanischen Barone und Herren gegen den König Ferdinando verschworen, da hatte ich den Dienst schon aufgegeben und lebte abseits von allen Geschäften. Anders wäre es mir vielleicht wie meinem Freunde Antonello Petrucci ergangen, der im Dienste mein Nachfolger war. Er wurde im Jahre 1487 mit einigen andern revoltierenden Baronen zu Castelnuovo geköpft. Nun, ist ein Tod wie jeder andere. Unser großer Freund Pontano hat mir die Grabschrift geschrieben, mit nicht größerem Ruhme als ich wert war, da er von mir sagte: nobilis ingenio, natu quoque nobilis, idem et doctis placuit principibusque viris, und meine dicta jocis lobte. Nun hört ein solches dictum und laßt Euer Ohr nicht erröten.

Ich will Euch erzählen, daß in der Zeit, da der König Don Ferdinand, sein Andenken sei gesegnet, unter seiner ruhigen Regierung die Herrschaft des Königreiches Castilien hatte, in Salamanka, der alten und edlen Stadt, ein junger Klosterbruder lebte, Meister Diego de Revalo genannt, ebenso bewandert in der Thomistischen Lehre wie in der der Scotistischen Gegenpartei. Er war würdig, vor allen anderen erwählt und ausgezeichnet zu werden, nicht mit magerem Lohn, sondern um an den würdigen Lehrstühlen der berühmten Universität der Stadt zu unterrichten; und von dort verbreitete er sein im ganzen Königreiche bekanntes Wissen zu seinem Ruhm weiter. Hin und wieder gestalteten sich sogar seine Predigten derart, daß sie für ihn selbst nützlicher und einbringender waren, statt nichts, als gottesfürchtig zu sein.

Da er jung, hübsch genug und den Flammen der Liebe sehr zugänglich war, wurde er eines Tages mitten in der Predigt von der Schönheit einer jungen Frau gefesselt; es war Donna Catarina, die Gattin eines der ersten Ritter der Stadt, genannt Messer Roderigo d'Angiaja. Meister Diego hatte sie kaum erblickt und schon gefiel sie ihm so außerordentlich, daß Gott Amor, als er ihm sein Traumbild vorspiegelte, sein schon getroffenes Herz in Liebesschauern erzittern ließ. Als er von der Kanzel herunterkam, begab er sich sofort in seine Zelle, und alle theologischen Vernunftgründe und sophistischen Argumente beiseite schiebend, dachte er nur an die junge Frau, die seine Gedanken nicht mehr losließ. Trotzdem er den hohen Rang der Dame kannte, trotzdem er wußte, wessen Gattin sie war und in was für eine tolle Unternehmung er sich verwickelte, und er sich immer und immer wieder gelobt hatte, keine Katastrophe heraufzubeschwören, sagte er doch wieder zu sich:

›Da, wo die Liebe ihre Kräfte gebrauchen will, sucht sie nicht die Gleichheit des Blutes; wenn das notwendig wäre, würden die hohen Prinzen keine Raubzüge in unseren Gegenden unternehmen. Die Liebe muß uns das Recht zugestehen, auch Höhergestellte zu lieben, erlaubt sie doch den Großen, sich zu den tieferen Regionen herabzulassen. Diese Wunden, die Amor uns schlägt, empfängt man nicht wissend, sondern zufällig, und da der allgewaltige Herr mich unbewaffnet gefunden hat, konnte ich mich gegen die Pfeile, gegen die es ja auch sonst keinen Widerstand gibt, nicht verteidigen, und so bin ich ehrlich besiegt. Ich bin sein Opfer; komme was da wolle, ich werde die schreckliche Schlacht liefern, und wenn der Tod mir beschieden ist, wird meine Seele, abgesehen davon, daß ich mit Qualen gehen würde, von hier ziehen, stolz, daß sie es gewagt hat, so hoch zu greifen.‹

Ohne auf sein warnendes Gewissen zu hören, nahm er ein Blatt Papier, und unter tiefen Seufzern und heißen Tränen schrieb er der Dame seines Herzens einen zierlichen und gewandten Brief; er rühmte erst ihre mehr himmlische als irdische Schönheit und fügte hinzu, er sei derart erfüllt davon, daß er nur ihre Gnade oder den Tod ertragen könne. Er wüßte wohl, daß er nicht würdig sei, eine Audienz bei einer Dame in solcher Stellung zu erlangen, aber er bäte, ihm aus Mitleid Gelegenheit zu geben, geheim mit ihr zu sprechen, oder ihn wenigstens als ihren Diener anzusehen, weil er es selbst gewählt hätte für die einzige Herrin seines Lebens. Als er dann nach vielen blumenreichen Worten den Brief geschlossen und oft geküßt hatte, gab er ihn einem niedrigen Geistlichen und sagte ihm, zu wem er ihn bringen sollte. Der Kleine, der schon ähnliche Dienste geleistet hatte, versteckte den Brief in einer geheimen Falte seines linken Ärmels und ging dorthin, wie man es ihm befohlen hatte. Als er an dem Hause angekommen war, traf er die reizende Dame im Kreise ihrer Frauen und nachdem er sie respektvoll gegrüßt hatte, sagte er zu ihr:

›Mein Meister läßt sich Euch empfehlen und bittet Euch, ihm etwas feines Mehl für Hostien zu geben. Hier in diesem Briefe könnt Ihr alles Weitere lesen.‹

Die Dame, die sehr klug war und schon eine Ahnung von dem Inhalt hatte, als sie die Epistel sah, nahm und las sie. Trotz ihrer großen Tugendhaftigkeit sah sie doch ohne Mißfallen, daß dieser Mann in Liebe für sie entbrannt war; hielt sie sich doch für schöner, als alle andern Frauen. Sie freute sich beim Lesen, da sie wie alle ihre Mitschwestern zu gleicher Zeit die Erbsünde und die angeborene Leidenschaft besaß, zu glauben, daß ihr Ruf, ihre Ehre und ihr Ruhm nur darin bestehen, geliebt und hofiert zu werden, ihre Schönheit rühmen zu sehen, wie sie es auch höher schätzen, für schön und lasterhaft, als für tugendhaft und häßlich zu gelten.

Da sie, mit Recht, die Mönche verabscheute, beschloß sie, nicht nur dem Meister in keiner Weise zu Gefallen zu sein, sondern ihm auch keine höfliche Antwort zu erteilen. Sie wollte dennoch dieses Mal ihrem Mann nichts sagen, und nachdem sie diesen Entschluß gefaßt hatte, wandte sie sich an das Mönchlein, und sagte ohne eine Spur von Erregung zu ihm:

›Bestelle deinem Meister, daß der, der nach seinem Gutdünken über mein Mehl verfügt, es ganz für sich haben will; er soll sich also anderswo danach umtun. Ich habe auf seinen Brief keine andere Antwort zu geben. Wenn er, trotz allem, eine solche will, soll er mir Botschaft senden, und wenn mein Gebieter zurück sein wird, werde ich sie ihm so geben, daß er seinen Vorschlag zurücknimmt.‹

Als der Meister diese harte Antwort erhalten hatte, bezeigte er doch nicht weniger Glut. Im Gegenteil, seine Liebe und sein Verlangen wurden nur noch mehr entflammt, und um das Unternehmen nicht aufzugeben, begann er, da das Haus dem Kloster benachbart war, ihr mit soviel Aufdringlichkeit den Hof zu machen, daß sie sich weder am Fenster noch in der Kirche zeigen konnte, noch vom Hause fortgehen, ohne daß der unerträgliche Meister nicht dauernd in ihrer Nähe gewesen wäre. Natürlich bemerkten das nicht nur die Leute in diesem Viertel, sondern ein großer Teil der Stadt wurde davon in Kenntnis gesetzt. Die Dame sah, daß sie es ihrem Gatten nicht länger mehr verbergen konnte, und sie fürchtete, daß, wenn er es von andern erführe, er sie nicht mehr für eine ehrbare Frau halten würde. Sie entschloß sich also, als sie eines Nachts an der Seite ihres Mannes lag, ihn über alles aufzuklären. Der Ritter, der sehr ehrenvoll und sehr eifersüchtig war, geriet in einen derartigen Zorn, daß wenig fehlte, daß er im selben Augenblick Feuer und Schwert an das Kloster und seine Insassen gelegt hätte; aber als er sich ein wenig beruhigt und seine Gattin wegen ihrer Ehrbarkeit gelobt hatte, befahl er ihr, dem Meister das Versprechen zu geben, ihn in der folgenden Nacht zu sich zu lassen, wie es ihm gefiele, so daß er auf einen Schlag seine Ehre rächen könne und den Verdacht der Untreue von seiner vielgeliebten Gattin abwälzen; daß übrige wäre seine Sache. Obgleich das, was der Dame sehr unangenehm war, geschehen mußte, wenn sie des Gatten Wunsch erfüllte, versprach sie, ihm den Gefallen zu tun. Als das Mönchlein wiederkam, um mit neuen Kunststücken zu versuchen, sie zu erweichen, sagte sie zu ihm:

›Empfiehl mich deinem Meister und sage ihm, daß die Liebe, die er für mich empfindet, die Tränen, die er unaufhörlich vergießt, mein Herz so sehr gerührt hätten, daß ich schon mehr die Seine geworden bin, als ich mir selbst noch gehöre, und ein glücklicher Zufall will es, daß Messer Roderigo heute auf dem Lande übernachten muß; wenn es drei Uhr geschlagen hat, soll dein Meister heimlich hierher kommen, und ich werde ihn nach seinem Wunsche empfangen. Jedenfalls lasse ich ihn bitten, davon weder zu einem Freund noch Bekannten zu sprechen, da es eine zu heimliche Angelegenheit ist.‹

Der kleine Mönch entfernte sich überglücklich und machte seinem Herrn diese reizende Mitteilung; der war überaus zufrieden mit dieser Lösung, nur erschien ihm die Zeit bis zum Stelldichein unendlich lang. Als die Stunde herannahte, parfümierte er sich reichlich, um nicht den Duft des Mönches an sich zu haben; und da er sich überlegt hatte, daß sein Atem wohlriechend sein mußte, damit er Erfolge hätte, füllte er sich mit feinen und delikaten Leckereien voll. Er zog seine gewohnten Kleider an und ging zu dem bekannten Haus; da er die Tür offen fand, trat er ein und wurde von einer kleinen Magd, wie ein Blinder tastend, in den Saal geführt. Dort angelangt, dachte er die Dame zu finden, die ihn freudig begrüßen würde, aber statt ihrer traf er den Ritter mit einem treuen Diener an, die ihn ohne Umstände ergriffen und erwürgten.

Nach vollbrachter Tat hatte der Ritter doch einige Gewissensbisse, seine mächtigen Arme durch einen Priestermord besudelt zu haben; aber da er einsah, daß Vorwürfe zu nichts führten, er außerdem auch an seine Ehre dachte, und den Zorn des Königs fürchtete, schien ihm am besten, den Leichnam fortzuschaffen und in das Kloster zu bringen.

Der Tote wurde dem Diener über die Schulter gelegt und so erreichten sie den Klostergarten, in den sie mühelos eindrangen und wo sie ihn an dem Ort niederlegten, wo die Mönche ihre Bedürfnisse verrichteten. Wie üblich, befand sich nur ein einziger Sitz in gutem Zustand, die anderen waren alle zerfallen, wie es gewöhnlich in klösterlichen Behausungen der Fall ist, die mehr Diebeshöhlen gleichen als Wohnstätten von Dienern des Herrn. Sie setzten ihn so hin, als ob er beschäftigt wäre und gingen in ihr Haus zurück. Der Meister war so gut gesetzt, daß es wirklich schien, als ob er seinen Leib von den Überflüssen seines Körpers befreite.

Gegen Mitternacht mußte ein anderer junger und verwegener Mönch diesen Ort aufsuchen, um ein natürliches Bedürfnis zu befriedigen, und mit einem Kerzenrest bewaffnet eilte er an den Ort, wo der tote Meister Diego saß. Ohne ein Wort zu sagen, zog der andere sich zurück als er den Meister dort sah, denn er glaubte ihn ja lebendig; es herrschte nämlich zwischen den beiden als Folge einiger klösterlicher Eifersüchteleien und Streitigkeiten ein wilder Haß. Er ging also beiseite und wartete, daß der Meister das beenden würde, was er selbst gern täte; aber als er eine lange Zeit ausgeharrt hatte und Meister Diego keine Anstalten traf, den Ort zu verlassen, er aber mehr und mehr von seinem Bedürfnis gequält wurde, dachte er:

›Beim Worte Gottes, der bleibt unbeweglich, ohne Rücksicht auf mich und will mir nicht den Platz überlassen, um mir seine Feindschaft und seine bösen Absichten zu beweisen. Aber er irrt sich, ich werde so lange ich irgend kann warten, und wenn ich ihn in seiner Hartnäckigkeit verharren sehe, werde ich ihn, ob er will oder nicht, zu entfernen wissen, obgleich ich ja auch einen anderen Ort aufsuchen könnte.‹

Der Meister, der schon längst Anker auf einer harten Klippe geworfen hatte, rührte sich nicht. Der Priester konnte sich nicht länger mehr halten und schrie:

›Es gefällt Gott nicht, daß du mir solch einen Schimpf antust und ich keine Rache habe.‹

Und er näherte sich mit einem großen Stein, den er ihm mit solcher Wucht vor die Brust warf, daß er nach hinten fiel, jedoch ohne daß ein Glied sich regte. Der Mönch, dessen Gewissen sich wegen des harten Stoßes zu rühren begann, und der den Meister sich nicht bewegen sah, fürchtete, ihn mit seinem Stein getötet zu haben; nachdem er noch ein wenig gewartet hatte und nicht wußte, was er denken sollte, ging er näher, besah ihn bei Licht und als er bemerkte, daß er tot war, hielt er sich bestimmt für den Mörder. Er wurde sehr traurig; er fürchtete, daß er durch ihre Feindschaft verdächtigt Gefahr um sein Leben liefe und wollte sich aufhängen. Aber, nach einigem Überlegen, hielt er es für besser, den Leichnam aus dem Kloster zu bringen und ihn auf die Straße zu legen, um jeglichen Verdacht von sich abzulenken. Als er sich an die Arbeit machte, fiel ihm ein, wie öffentlich und unehrenhaft der Doktor Donna Catarina den Hof gemacht hatte und er sagte sich:

›Wo könnte ich ihn wohl besser hintragen, um den Verdacht von mir fern zu halten, als vor die Tür Messer Roderigos? Er wohnt nicht weit von hier und man wird sicher glauben, daß er ihn getötet hat, als er ihn bei seiner Frau überraschte.‹

Daraufhin, ohne noch weiter zu überlegen, nahm er den Toten auf seine Schultern und trug ihn vor die Tür, durch die, einige Stunden vorher, der Leichnam hinausgetragen war. Er legte ihn dort nieder, ohne daß ihn jemand gesehen hatte, und ging ins Kloster zurück. Was er eben getan hatte, schien ihm für seine Sicherheit zu genügen. Trotzdem glaubte er, es wäre klüger, sich unter irgend einem Vorwand aus dem Kloster zu entfernen; er begab sich sofort in die Zelle des Hüters und sprach zu ihm:

›Mein Vater, da ich vorgestern kein Saumtier hatte, war ich gezwungen, den größten Teil unserer Kollekte in Medina zu lassen bei einem unserer Betbrüder; ich will nun mit Eurem Segen die Lebensmittel holen und die Stute des Klosters mitnehmen, und werde, wenn es Gott gefällt, morgen oder übermorgen zurück sein.‹

Der Hüter gab ihm nicht nur seine Einwilligung, sondern belobte ihn noch wegen seiner Vorsorge, und der Mönch erwartete nur noch die Morgenröte, um abzureisen, nachdem er die Stute aufgezäumt und seine Angelegenheiten geordnet hatte.

Messer Roderigo, der die Nacht nahezu ohne Schlaf verbracht hatte, gemartert von dem Gedanken an seine Tat, schickte, kaum daß der Tag angebrochen war, seinen Diener aus, um ihn auskundschaften zu lassen, ob der Tote schon gefunden worden sei und was die Mönche über das Abenteuer sagten. Der Diener wollte dem Befehl nachkommen, aber er stieß auf Meister Diego, der auf der Torschwelle saß, als ob er eine theologische Ansprache gehalten hätte. Er erschrak heftig, denn er wußte ja schließlich, daß Tote nicht herumzugehen pflegen, kehrte auf der Stelle um, rief seinen Herrn und, da er nur mühselig sprechen konnte, zeigte er ihm den Körper Diegos und wo man ihn hingelegt hatte. Der Ritter erstaunte sehr über dieses Ereignis und seine Angst wuchs. Aber er war von seinem Recht überzeugt und erwartete guten Mutes, was da kommen sollte; doch wandte er sich an den Toten mit den Worten:

›Du wirst also immer die Qual meines Hauses sein, aus dem ich dich nicht lebend und nicht tot habe verjagen können? Aber dem zum Trotz, der dich hierherführte, wirst du dorthin zurückkehren nur auf dem Rücken eines Tieres, wie du selbst nur ein Tier auf dieser Welt warst.‹

Nach diesen Worten befahl er seinem Diener, ihm aus dem Pferdestall eines Nachbarn einen Zuchthengst zu holen, den dieser dort für die Bedürfnisse der Stuten und Lasttiere der Stadt hielt, und der die Rolle der Eselin von Jerusalem spielte. Der Diener ging sofort hin und brachte den Hengst mit Sattel, Zaum und allem anderen, was dazu gehörte. So, wie der Ritter es beschlossen hatte, wurde der Meister auf das Pferd gesetzt, und nachdem sie ihn gut festgemacht hatten, gaben sie ihm eine Lanze und die Zügel in die Hand, als ob er in die Schlacht ziehen wollte. Dann führten sie ihn vor die Klosterkirche und als er dort angebunden war, begaben sie sich in das Haus zurück.

Als die Zeit zum Aufbruch gekommen war, stieg der Mönch auf seine Stute und ritt aus dem ersten offenen Klostertor hinaus; aber als er den Meister in der beschriebenen Weise davorstehen sah, befiel ihn eine solche Furcht, zumal Diego ihn mit seiner Lanze mit dem Tode zu bedrohen schien, daß wenig gefehlt hätte und er entseelt zu Boden gestürzt wäre, da er sofort den Gedanken faßte, daß die Seele, die er getötet, zweifellos wieder von dem Körper Besitz ergriffen hatte mit der Aufgabe, ihm überallhin zu folgen, wie daß der Aberglaube gewisser Dummköpfe ist. Von dem Gedanken erstaunt und entsetzt, wußte er gar nicht mehr, welchen Weg er nehmen sollte, als der Hengst die Stute gewittert hatte und, sein eisenhartes Werkzeug anspannend, sie anspringen wollte.

Die Furcht des Mönches hatte noch nicht nachgelassen, aber als er wieder ein wenig zu sich gekommen war, wollte er seinen Weg fortsetzen auf dem Rücken seiner Stute, die dem Hengst ihr Hinterteil zukehrend, anfing zu laufen. Der Mönch, der nicht der beste Reiter der Welt war, mußte fallen, und um nicht ein zweites Ausschlagen zu erleben, preßte er dem Tier die Sporen in die Flanken, und indem er sich mit beiden Händen an dem Sattel anklammerte, nachdem er vorher die Zügel gelockert hatte, ließ er dem Tier freien Lauf. Die Stute fühlte schmerzhaft die Sporen in ihren Flanken; sie war gezwungen, führerlos zu laufen und rannte in die erstbeste Gasse. Der Hengst sah seine Beute entfliehen, zerriß wütend die Fessel und machte sich an die Verfolgung. Der arme Mönch hörte seinen Feind hinter sich und sah ihn, als er den Kopf wandte, mit der Lanze vorneweg in der Haltung eines sehr entschlossenen Kämpfers. Die zweite Angst verjagte vollends die ursprüngliche und immer weiter flüchtend, fing er an um Hilfe zu schreien.

Die Sonne war inzwischen aufgegangen. Auf sein Geschrei und den Lärm der beiden durchgehenden Pferde hin ging jeder ans Fenster oder stürzte an die Haustür, und alle fingen nach einem Moment des Erstaunens an, zu lachen, als sie diese eigenartige und befremdende Jagd der beiden Klosterbrüder zu Pferde sahen, von denen einer nicht weniger tot schien als der andere. Die führerlose Stute, bald hier, bald da, raste durch die Straßen, wie es ihr gefiel, während hinter ihr der Hengst seine wilde Verfolgung nicht aufgab. Mehr als einmal war der Mönch nahe daran, von der Lanze verwundet zu werden. Die Menge lief ihnen mit Hurra, Pfeifen und Heulen nach und rief von allen Seiten:

›Verteidige dich, fasse ihn.‹

Einer warf mit Steinen, der andere schlug den Hengst mit einem Stock und jeder bemühte sich, sie aufzuhalten, nicht so sehr aus Mitleid für die Ausreißer, als um zu wissen, wer sie seien, denn die Schnelligkeit des Laufes machte ein Erkennen unmöglich.

Bei der Verfolgung kamen sie an eines der Stadttore, wo sie angehalten und der Tote und der Lebendige zusammen ergriffen wurden. Als man beide zur großen Überraschung jedes einzelnen erkannt hatte, wurden sie zu Pferde zum Kloster zurück gebracht, wo der Hüter und die Mönche sie mit unaussprechlichem Schmerz empfingen. Sie begruben den Toten und wollten den anderen mit Ruten auspeitschen lassen. Er war schon gebunden, wollte aber diese Qualen nicht erdulden und gestand sogleich, den Doktor aus den bekannten Gründen getötet zu haben; aber er fügte hinzu, daß er wahrhaftig keine Ahnung habe, wie die Leiche auf das Pferd gekommen sei. Auf dieses Geständnis hin wurden ihm die Rutenschläge erlassen; man warf ihn in den Kerker; später wurde er vor den Bischof der Stadt geführt, um seiner heiligen Würden entkleidet und sofort dem weltlichen Podestaten ausgeliefert zu werden, der ihn als Mörder richten sollte, wie es die Gesetze verlangten.

Zufällig war König Ferdinand in diesen Tagen nach Salamanka gekommen und man erzählte ihm die Geschichte. Trotzdem er ein sehr weiser Fürst war und aufrichtigen Kummer über den Tod des berühmten Meisters empfand, wurde er von der Komik des Falles besiegt und lachte derart darüber mit seinen Herrn, daß er sich kaum aufrecht halten konnte.

Als der Tag gekommen war, an dem man zu der unverschuldeten Verurteilung schreiten mußte, dachte Messer Roderigo, der ein vortrefflicher Edelmann und Günstling des Königs war, daß sein Schweigen der Grund zu einer großen Ungerechtigkeit sein würde und er beschloß, wenn es sein mußte, zu sterben, ehe er verschwieg, was wirklich vorgefallen war. Er ging zum König, der inmitten seiner Barone und einer großen Menschenmenge war und sprach zu ihm:

›Das strenge und ungerechte Urteil, das gegen den unschuldigen Klosterbruder ausgesprochen ist, zwingt mich, Euch die Wahrheit zu entdecken. Und wenn Eure Majestät dem Manne, der Meister Diego gerechter Weise getötet hat, Gnade widerfahren lassen will, werde ich ihn kommen und genau erzählen lassen, wie sich alles zugetragen hat.‹

Der König, der ein sehr kluger Herrscher war und sehr wünschte, die Wahrheit kennen zu lernen, gewährte freimütig die erbetene Gnade. Also erzählte der Ritter, in Gegenwart des Königs und aller Versammelten Punkt für Punkt die Geschichte, vom Beginn der Liebe des Meisters zu seiner Gattin, von den Briefen und Botschaften, die er ihr gesandt hatte und allem andern, bis zu dem fatalen Ende. Der König, der schon die Aussage des Mönches erhalten hatte, die mit der Erzählung sehr übereinstimmte, und der Messer Roderigo als einen rechtschaffenen und ausgezeichneten Ritter kannte, schenkte ihm ohne weitere Prüfung Glauben. Wenn er an die Fremdartigkeit des Falles dachte, erstaunte er immer mehr, konnte sich aber auch eines Lachens nicht erwehren. Da er nun die Urteilsvollstreckung verhindern wollte, ließ er den Hüter und den Mönch kommen und erklärte ihnen vor allen Leuten, wie sich die Sache zugetragen hatte. Dann befahl er, den unschuldig Verurteilten sofort in Freiheit zu setzen; der Mönch ging im Bewußtsein seiner geretteten Ehre glücklich ins Kloster zurück. Messer Roderigo wurde noch außer der erhaltenen Gnade sehr gerühmt wegen der Art seines Verhaltens in diesem Abenteuer.«


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