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Die romantische Liebe

In der antiken Welt liebt nur die Frau, nicht der Mann. Der Mann entzieht sich diesem passionellen Gefühl durch die Flucht, wenn es ihm in einer Frau nahekommt. Vergeblich bemüht sich Calypso, Ulysses zurückzuhalten, und die alte Literatur ist voll verlassener Frauen: Dido, Ariadne, Medea, Phädra. Sie verschwärmen sich in Monologen. Die einzigen Liebesgedichte der Antike, die ein stärkeres Gefühl ausdrücken als das sinnlich-leibliche Verlangen, wofür das sogenannte Hohe Lied ein Beispiel, sind Gedichte einer Frau und um eine Frau: die Verse der Sappho an ihre Geliebte.

Mit dem leiblichen Besitz der Frau hat der Mann sein Ziel erreicht, und seine Liebe ist meist zu Ende. Mit der Hingabe der Frau an den Mann beginnt für die Frau erst die Liebe. Für den Mann eine partikulare Funktion seines Lebens, ist für die Frau die Liebe das Gefäß, in das sie ihr ganzes Leben schüttet. Die Ausgestaltung der Liebe in seelische Tiefen und Höhen ist allein das Werk der Frau, die ihr ganzes Leben daransetzt. So sind die Variationen der Liebe, als von der Frau bestimmt, jeweilig abhängig von der Stellung, welche die Frau in der menschlichen Gemeinschaft einnimmt.

In der ritterlichen Minne des XII. Jahrhunderts hat die Frau gegen den Mann die erste Position ihrer Liebe erobert: sie fordert und erhält den Dienst des Mannes, außerhalb der normierten Ehe, die nur die Unterordnung kennt. Zwischen Ehegatten kann die Liebe nicht sein, entscheiden die Liebeshöfe.

Gegen die Dauer eines Liebesgefühles beim Manne remonstriert als letzte herrische Geste die Renaissance der Don Juan, um dafür von den Frauen, die sich mit den himmlisch-kirchlichen Mächten verbunden haben, in die Hölle befördert zu werden. Was ja nicht ausschließt, daß sie seiner im heimlichsten Gebete gedenken und von ihm zu träumen wünschen.

Aber gegen die Hölle siegt der Mann des folgenden Zeitalters milderer Sitten, indem er die Frau überzeugt und dafür gewinnt, daß das Spiel der Liebe, das jouir, größere Annehmlichkeiten biete als die Leidenschaft der Liebe. Das achtzehnte Jahrhundert kennt, übt und will nichts als das Vergnügen mit allen Garnierungen des Geistes, den es in den Dienst dieses Vergnügens zieht. Die Unsicherheit des Besitzes, der um die Mitte des Jahrhunderts lebhaft zu wechseln beginnt, macht sich im Erotischen merkbar. Casanova gewinnt ebenso mit seiner Börse wie mit seiner Statur. Aber Rousseau, dem weder das eine noch das andere zur Verfügung stand, muß bei jenen Frauen sein Glück suchen und finden, denen die Gefühle, die Sentiments, von größerer Wichtigkeit sind als die Sinne. Von nun ab ist die Liebe als Leidenschaft etabliert. Gleichzeitig mit der Romantik auftretend und ihren Wortschatz gebrauchend, heißt diese Liebe als Leidenschaft auch schlechthin die romantische Liebe. Die Liebe, die nur genießt und nicht Leiden schafft – der frivole Stil –, wird als Nicht-Liebe entwertet.

Mit dieser ausschließlichen Betonung des Gefühlsmäßigen, Leidenschaftlichen ist ein neuer und ein durchaus weiblicher Modus aufgestellt, dem sich der Mann fügt; diesem Modus folgt auch bald die Mode und popularisiert ihn. Das neunzehnte Jahrhundert wird in seiner Liebeshaltung und Schätzung, in seiner Praxis und seiner Theorie ganz von den Dictamina der Frau abhängig.

Das in seiner Zusammensetzung, nicht in seinen Auswirkungen, sehr komplexe Phänomen der romantischen Liebe wird, was für sie sehr charakteristisch ist, in den literarischen Kreisen am sichtbarsten. Denn nicht nur sie zu erleben gilt es, sondern auch sie in die Öffentlichkeit zu stellen. Man gibt ihr das Dekor, die Szene und das Wort. Man wird durch eine große Leidenschaft berühmt. Man kommt zu einer großen Leidenschaft durch den Ruhm. Man liebt beispielhaft für die Nachwelt. Man sitzt Pose nicht nur für den Geliebten, sondern auch für die kommenden Zeiten. Die George Sand, von der Balzac sagt, daß sie eine sehr kühle, ganz zerebrale Natur war, schreibt in einem an Tiraden reichen Liebesbrief an Musset: Nie wird die Welt etwas von unserer Liebe verstehen – sie weiß, daß man einmal die Vorhänge vom Bette wegziehen wird. Womit sich diese Liebe zur großen Leidenschaft schminkt, ist interessanter als der unzweifelhaft vorhandene Rest an wirklicher sinnlicher Liebe. Madame de Staël las als junges Mädchen die Clarissa des Richardson und sagt, daß die Entführung der Clarissa durch den verbrecherischen Helden das große Ereignis ihrer Jugend war. Als sie nach der Restauration nach England kam, fand sie in einem fünfundzwanzigjährigen jungen Lord, was diese Corinna entzückte: lyrisches Genie und öffentlichen Skandal. Die schöne Madame Récamier eroberte Byron mit drei Schlägen ihres Fächers, die derbe und bejahrte Staël mußte schon ihre Seele drangeben. Aber Byron fand das Opfer nicht hinreichend. Sie spricht in Folios. Ihre Werke entzücken mich. Sie auch ... für eine halbe Stunde, bemerkte er. Erst in der Giuccuoli fand er die seiner romantischen Liebe würdige Partnerin.

Das Musterbeispiel der romantischen Liebe, bis in die Details dokumentarisch belegt und verdeutlicht, gibt das Paar Musset und George Sand. Die beiden leben zusammen sechs Monate in Paris, ohne daß ihre Liebe von ihnen besondere Auszeichnung erfährt: es ist ein Liebespaar wie alle andern. Dann geschieht etwas, das als Zeichen der romantischen Erkrankung dieser Liebe zu werten ist: man wechselt die Dekoration, geht nach Venedig, verspricht sich davon neue Emotionen. In Venedig taucht der Dritte auf: bei Tag weint die Sand an der Schulter Mussets, des Nachts seufzt sie an der Brust des Arztes Pagello. Balzacs, des Zeitgenossen, Zeugnis, daß die ihrer selber wenigst sicheren Frauen die für die Liebe unsinnlichsten Frauen seien, ist aus der Sand gewonnen, die an ihren Leib nicht denkt und ihn hingibt im Augenblick der sentimentalen Exaltation, während die sinnlichen Frauen den Wert ihres Leibes kennen und nicht bloß so nachgeben. Aber die Unsinnlichkeit der Sand und die Anwesenheit und das Mitspiel eines Dritten würden diese Liebe noch nicht als romantische Liebe auszeichnen. Auszeichnend ist vielmehr die romantische Konzeption. Die Romantik gab dem Leidenschaft gewordenen Trieb ein Recht auf seine Freiheit gegen die offenkundige Tatsache, daß der Trieb die größte Tyrannei ausübt und daß alle menschliche Tendenz dahingeht, diese Tyrannei zu brechen, zu einem Kompromiß zu zwingen, einem jeweiligen wechselnden gesellschaftlichen Ideal der Form der Liebe zu entsprechen. Immer an die wie das Leben selber unzerstörbaren physiologischen Tatsachen gebunden, wandeln sich die Formen der Liebe in der größten Mannigfaltigkeit ab in immer neuen Maskierungen des elementaren Triebes, wie solche Masken die mentale und sittliche, die ästhetische und religiöse Haltung der Menschen erzeugt.

Die Romantik leugnete diese langsame und kunstvolle Kristallisation der Formen. Sie kassierte die Bedingungen der Liebe und damit diese selber. Sie kassierte die sozialen Bedingungen, indem sie sich, bis ins épater le bourgeois, von der Gesellschaft und deren Sitten und Bräuchen löste. Und sie kassierte die physiologischen Bedingungen, indem sie den Instinkt exaltierte, sich ihm frenetisch hingab. Was die Antike als Krankheit floh oder den Frauen überließ – Paris ist in der Ilias ein Held ohne Adeligkeit –, das, was das Mittelalter als Folge einer Zauberei oder eines Fluches ansah, suchte und feierte die Romantik als die intensivste Offenbarung. Solche Verzehrung durch die Leidenschaft zu erleben, war die Sehnsucht der romantischen Liebespaare, die, vom Beispiel Mussets und der Sand verleitet, ihren ephemeren Liebesaffären des Instinktes die seltene und heftige Passion aufschminkten. Die romantische Liebe wurde Mode gegen alle Schwierigkeiten ihrer Realisierung. Denn ihrer Dauer fehlen zwei Bedingungen: die höchst ausnahmshaft nur auftretende physiologische Spezialisation, welche Verliebte im Zustande dauernder sexueller Spannung läßt, und die Bedingung der sozialen Widerstände, welche die Romantik von ihrer Idee der Liebe durchaus fernhält. So existiert die romantische Liebe nur von Anstrengungen der Imagination, die sich der Realisierung entzieht. Es bleibt nur der Ausweg der Verzweiflung übrig; man liebt nicht die Geliebte oder den Geliebten, sondern – die Liebe. Diese Liebe sieht vom geliebten Objekt ab und wird narzisstisch. Diese Liebe ist nur mehr ein Mittel, durch das sich ein Geschöpf die ästhetische Repräsentation seines eignen Ich im Zustande höchster Bewegtheit gibt. Indem sie ihn quälte und betrog, füllte, wie Musset sagt, die Sand genau die Rolle aus, die er von ihr verlangte. Aber als sich das Paar trennte, das eigentlich nie in der Liebe vereinigt war, beschuldigte es nicht ihr romantisches Ideal der Liebe, sondern Musset die Sand, die Sand den Musset.

Der romantische Irrtum im Reiche der Liebesgefühle war, eine Gefühlsweise, die nichts als einen zeitlich bedingten Modus darstellt, für naturgegeben zu halten. – Aber auch der Glaube an das Absurde hat seine Stelle in der Evolution.


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