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Die Prinzessin von Cleves

Marie-Madelaine de la Vergne war kein hübsches Mädchen, als sie, dreiundzwanzig Jahre alt, im Jahre 1655, den Grafen Jean-François Motier de la Fayette heiratete aus alter auvergnatischer Familie. Ihre Nase, scharf und dünn, versprach kein besonders verliebtes Temperament, aber ließ eine intelligente und tüchtige Frau vermuten, die nicht leicht zu behandeln ist. Der Gatte besaß nichts weiter Liebenswertes. Es war die Vernunftehe eines Mädchens mit wenig Vermögen und einer etwas schlecht berufenen Mutter. Der Vater früh gestorben. Das Paar zog auf das Landgut in der Auvergne. Es vergingen ein paar Jahre. Und auf einmal ist die Gräfin La Fayette in Paris installiert, Pariser Luft zu atmen, wie sie sagt. Herr de Larochefoucauld ist täglicher Gast. Von Herrn von Lafayette hört man nichts. Man nahm immer an, er sei gestorben und Madame Witwe. Erst in den achtziger Jahren des vorigen Jahrhunderts zerstörte der Fund einiger Dokumente die etwas pappgoldne Legende, die sich um die Witwe gelegt hatte. Herr von Lafayette starb nämlich erst im Jahre 1683, drei Jahre nach dem Tode von Madames Freund, dem Herrn Larochefoucauld; er schoß zumeist den Hirsch im wilden Forst, kam aber auch zuweilen nach Paris, wo er bei seiner Frau abstieg. Madame de Sévigné fand nichts dabei. Die sittlicheren Biographen von 1675 entrüsteten sich, daß sie achtundzwanzig Jahre verheiratet und nicht Witwe gewesen, als sie die Besuche Larochefoucaulds empfing. Das Fräulein von Scudery, die in ihren Briefen, aber nicht in ihren Romanen, eine scharfe Zunge hatte, schrieb an Bussy: Herr von Larochefoucauld und Frau von Lafayette haben einen galanten Roman gemacht, der wundervoll geschrieben sein soll. Sie sind nicht mehr in einem Alter, etwas anderes zusammen zu machen. Das ist übertrieben, denn Madame war dreißig und Larochefoucauld einundfünfzig. Aber man kann auch in diesem Alter sehr alt sein, wenn man zu gescheit ist. Von Larochefoucauld ist es anzunehmen, daß er eine interessante Freundschaft nicht durch eine Liebe riskieren wollte, in der er nicht mehr als ein Held erschienen wäre. Und Frau von Lafayette, die Mutter zweier Söhne, die sie der Ehe, nicht der Liebe dankte, war von ihrer kühlen Natur unterstützt weder für die Stürme der Leidenschaft geneigt, noch für die Lächerlichkeit einer schwächlichen Parodie solcher Stürme. Wie viel mehr war das, was sie dafür hatte! Auch das Schreiben unter den durchdringenden Augen des Freundes. 1678 schrieb sie die Princesse de Clèves – er ist der erste moderne Liebesroman.

Als die schönste Person am Hofe wird Madame de Clèves von dem vollendetsten Mann des Königreiches, Herrn von Nemours, geliebt. Der bisher in vielen Liebschaften siegreiche und kühne Mann wird schüchtern, weil er liebt, zum erstenmal liebt. Er verbirgt seine Liebe, aber Madame de Clèves errät und teilt sie. Sie hat Angst vor ihrem Herzen, daß es erliege, und um sich vor dieser Gefahr zu schützen – sie ist eine heroisch Schamhafte –, teilt sie ihrem Gatten mit, daß sie Herrn von Nemours liebe und Angst vor ihm und vor sich habe. Der Gatte hat die schöne Rolle: er ist weise und sublim. Unter der racinischen Grazie des Buches leben noch die heldischen Tugenden Corneilles und der Fronde. Aber es kommt zu einer Unklugheit und Indiskretion des Herrn von Nemours, der Gatte glaubt sich betrogen und stirbt daran. Ohne ihren Fanatismus der Wahrheit hätten drei Menschen glücklich sein können und der Gatte am Leben bleiben.

Der erste moderne Liebesroman ist, so tief und bewegend auch immer, etwas gegen die Liebe geschrieben. Gegen die Leidenschaft der Liebe. Es werden die Grenzen gezogen. Der Roman ist ein: so sollte es sein, nicht ein: so ist es. Das tatsächliche ist immer irgendwie das Gemeine. Wie der Umstand, daß Herr von Lafayette vom Totgesagtsein aufersteht, zuweilen nach Paris kommt, unter dem gleichen Dach mit seiner Frau schläft und dem Herzog Larochefoucauld beim Frühstück die Hand schüttelt. Und sogar die Gemeinheit begehrt, den Liebhaber zu überleben. Vielleicht die noch größere Gemeinheit, über das seltsame Paar, seine langnäsige Frau und den gichtgeplagten Amant, zu lachen, wenn er Abschied nimmt, um wieder in seine Wälder zurückzukehren. Die Fiktion des Romanes nimmt es auf sich, wie in Dichtung und Wahrheit in das Ungeordnete und Unvornehme der Tatsachen Ordnung zu bringen.

Der Roman der Frau von La Fayette, die eine kluge Frau, aber keine femme savante war, stellt sich gegen die Lebensauffassung eben dieser femmes savantes und ihres männlichen Anhangs von Libertins, gegen die Libertinage, worunter man unter dem vierzehnten Ludwig eine Haltung des Geistes verstand, der an nichts glaubte, aber das nicht zu laut sagte. Die Damen waren alle ein bißchen Venus Urania, was nicht hinderte, daß sie zuweilen auch eine recht schlechte Reputation hatten, was ihr Liebesleben betrifft. Man nahm die Nachrede zu leicht, weil man mit mehr oder weniger gutem Gewissen sich keiner Schuld bewußt war. Da spricht Bernier, den man den hübschen Philosophen nannte, mit Saint-Evremond über die Abtötung der Sinne und sagt: Im Vertrauen, ich würde es Madame de Sablière nicht sagen und nicht einmal Fräulein von Lenclos, die ich vom höheren Orden halte, aber die Enthaltsamkeit von den Vergnügungen der Liebe halte ich für eine große Sünde. Frau de la Sablière war inzwischen in das Alter gekommen, wo Frauen geliebt werden müssen, um jung zu bleiben. Sie wurde nicht mehr geliebt – die Frömmigkeit nahm sie auf.

Die von einem heroischen Tugendideal begrenzte Leidenschaft der Prinzessin von Clèves ist Nachklang aus der Zeit der Fronde, der ja der beratende Freund, Herr von Larochefoucauld, angehört hatte in seiner goldenen Jugend, da er, siebzehnjährig an den Hof des dreizehnten Ludwig kommend, begeistert ist von dem Plane Buckinghams, die Königin zu entführen, nach Brüssel zu bringen und um sie eine Partei gegen Richelieu zu bilden. Er hat, gereift und gealtert, den Pessimismus des Grandseigneurs, der sich weder um den Nutzen noch um die Logik seiner bitteren Betrachtungen kümmert. Die Leidenschaften und Laster, welche die Tugend nachbarlich umlagern, durchdringen sie auch im praktischen Leben – das zeigt er in seinen Maximen, diesem pessimistischen Rosenkranzbeten. In dieser geistigen Atmosphäre ist die Prinzessin von Clèves entstanden: aber die Frau läßt die Analyse der Tugend nicht weiter gehen, als es ihr als Frau genehm ist. Sie hat ein Ideal, das sie mehr liebt als die morose Verständigkeit ihres Freundes, der die Realisierbarkeit dieses Ideals bezweifelt. Sie schreibt, zum Beweise, den Roman.

Madame de La Fayette schrieb nach dem Tode ihres Freundes keine Romane mehr. Sie wirft sich in die Politik und die Geschäfte, und es gelingt ihr, so außerordentlich tüchtig und gewandt ist sie, sogar Louvois zu bändigen, einen Mann und Minister, den einzuschüchtern nicht leicht war. Sie hatte zwei Söhne, deren einer Militär, der andere Abbé war. Der Abbé brauchte Benefizien, der Soldat ein Regiment. Beides zu erringen gelang der Mutter. Der jüngere Sohn ist mit einundzwanzig Jahren Oberst; nun ist es die Aufgabe der Mutter, ihm Rekruten zu verschaffen. Der Oberst hat Skandale in seiner Straßburger Garnison, wo er die Bürger verprügelt und kleine Mädchen schändet. Auf Betreiben der Mutter unterdrückt Louvois die Untersuchung, und der kleine Oberst bleibt Oberst in Straßburg. Er hatte eine einflußreiche Mutter. Diese energische und verschlagene Frau hat nie daran gedacht, eine Prinzessin von Clèves nach dem Leben zu porträtieren. Sie war geschickt und aufrichtig. Sie sagte es selber mit ihrer vernünftigen ruhigen nasalen Stimme: Hat man denn gewettet, vollkommen zu sein?


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