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Der venezianische Karneval

In der robusten venezianischen Männerrepublik hatten die Frauen kaum eine Rolle. Es gab die Klöster, unter deren schönen Insassinnen sich Louis XVI. seine Spioninnen aussuchte, und gab die von Aretino belehrten Kurtisanen, deren Preisliste hübsch gedruckt den Fremden zugesteckt wurde. Das änderte sich im achtzehnten Jahrhundert völlig. Die Frau tritt in den Mittelpunkt des Lebens. Es geht mit der alten Republik zu Ende.

Der Teufel scheint in diese Frauen gefahren, deren würdevollen Ernst noch Addison rühmt, ein halbes Jahrhundert zuvor. Jetzt wissen sie alles, können alles, mischen sich in alles, intrigieren im Café, im Bett, selbst auf dem Bidet, wie Barbaro chansonniert:

Le parla de politica
Al casin, al café
Sul leto e sul bidé ...

Zum Unterschied von Paris waren alle diese Frauen von glücklichster Unbildung. Aber so aufgeweckt, wie der Abbate Chiari sagt, daß sie von ihren Liebhabern im Handumdrehen das Alphabet lernten. Doch sie schrieben an ihre Freunde Briefe wie Küchenmägde. Über ihre Träume, die Schmerzen ihrer Niederkunft, das Unleidige ihres neuen Korsetts, das sie drückt, über die Dienstboten. Aber sie sind voll kindlicher Natur in ihren Hauptsachen, welche die Liebe betreffen. Diese reale Welt ist ihre phantastische Welt. Man sagt, die Venezianer hätten zwei Seelen, eine fürs Lachen, die andere fürs Weinen – die meine ist hauptsächlich fürs Lieben, schreibt die Renier-Michiel. Die Gondel dieser süperben Kinder fährt immer nach Cythere. Auf ihrer Uhr schlägt nur die Schäferstunde. Oder zur Frühmesse, wenn sie nach durchschwärmter Nacht zufällig an einer Kirche vorbeikommen. Denn man ist immer ein bißchen fromm geblieben, wie man es immer gewesen war. Man kokettierte ja nicht, wie in Paris, mit der Vernunft. Auch in der Liebe nicht. Sie nimmt nicht ab, sondern fliegt fort. Sie hat keine Dauer, sondern beginnt neu mit einem andern. Sie ist flüchtige Laune, buntfarbige Illusion, ist ein süßer Schauer über die Haut der Seele und des Leibes, ist die Spinnerin der Freuden. In diesem Venedig machte der junge Goethe seine ersten Liebeserfahrungen, die nicht sentimental waren und die ihn beglückten.

Wie, von künstlicher Hand geschnitzt, das liebe Figürchen,
Weich und ohne Gebein, wie die Molluska nur schwimmt!
Alles ist Glied, und alles Gelenk, und alles gefällig,
Alles nach Maßen gebaut, alles nach Willkür bewegt.
Menschen hab' ich gekannt und Tiere, so Vögel als Fische,
Manches besondre Gewürm, Wunder der großen Natur;
Und doch staun' ich dich an, Bettine, liebliches Wunder,
Die du alles zugleich bist, und ein Engel dazu.

In diesem Venedig des achtzehnten Jahrhunderts zersetzt sich die Liebe nicht mit einer Diskussion über die Liebe. Man hat keinerlei schlechtes Gewissen dabei, denn die Liebe ist geheiligtes und evidentes Gesetz. Ancilla zeigt sich dem Präsidenten de Brosses verkleidet als Venus von Medici. Als Edelmann verkleidet trifft die Nonne aus Murano Casanova bei dem Standbild des Colleone. Zwei Nonnen, Äbtissinnen ihres Klosters, gehen mit Dolchen aufeinander los wegen des Abbé de Pomponne. Der junge Graf Carlo Cozzi sitzt am Fenster seines Palazzo Verse schreibend. Im Fenster eines Hauses ihm gegenüber erscheint eine eben vermählte Frau, singt und näht. Ihre Brust zeigte den Mai. Ihre Arme waren rundlich

und sehr schön ihre Hände. Er lächelt ihr zu, und eine Woche später hält der Graf auf einer Insel vor der Stadt die junge Frau in den Armen, in nichts als einen rosenfarbenen Mantel ist sie gehüllt. Für diesen Karneval der Liebe, der in den casini heimliche Feste feiert oder in den calli Serenaden singt oder sich im dämmrigen Schatten der kleinen Gärten von San Biagio umarmt, ist es nichts als eine kleine Sünde. Und die Verdorbenheit hat die unschuldigsten Augen. Es ist kein Unterschied zwischen Nonne und Tänzerin, Kurtisane und Straßenmädchen, Patrizierin und irgendeiner. Sie sind einander ganz gleich in ihrer seelischen Struktur. Darum haben sie alle dasselbe Abenteuer. Ein Renier heiratet eine Zirkustänzerin, ein Marcello ein Mädchen von der Straße, ein Venier eine Kutscherstochter. Es ist eine weitverbreitete Meinung in Italien, daß die Gatten nicht zu lieben verstehen, schreibt Carlo Gozzi, der scharfäugige Beobachter dieser seiner Welt, an seinen Freund Massimi. Wie auch sonst und überall hat der Gatte etwas anderes zu tun, als der Geliebte seiner Frau zu sein. Vielleicht ist er auch selber anderswo in der Liebe beschäftigt. Aber es galt im achtzehnten Jahrhundert als lächerlich, bürgerhaft und vom schlechtesten Stil, sich auffallend mit seiner Frau zu zeigen. In Venedig war das noch lächerlicher als in Paris. Und da setzt die Rolle des Cavaliere servente, des Cicisbeo ein. Er ist weder Liebhaber, noch Freund, noch Diener der Frau, hat aber von allen diesen drei Funktionen etwas. Den Gatten bekommt die Frau, den Cicisbeo wählt sie sich. Oft verpflichtet man sich ihn durch einen Kontrakt wie den Arzt und den Beichtvater. Der Cicisbeo bietet den Arm, reicht die Hand, trägt die Handschuhe, das Taschentuch, den Sonnenschirm, den Mantel, den scaldino, das Hündchen. Er holt in der Kirche das Weihwasser für die Dame aus dem Becken mit seinen Fingerspitzen. Er überreicht das Gebetbuch. Er ruft den Gondelführer. Er wartet am Pharao mit Geld auf, wenn seine Dame ihre letzte Zechine verloren hat. Er schützt die Dame auf der Straße vor gemeinem Volk. Er ist der Schützer ihrer Ehre, berät sie in schwierigen Fällen, verteidigt sie gegen sich selbst und gegen andere, verscheucht ihr die Fliegen, unterhält sie mit Geschichten und in guter Laune. Dafür darf der Cicisbeo seine Dame besuchen, wenn sie zu Bett liegt, aufsteht, Toilette macht. Er darf sie im Negligé oder im Deshabillé sehen. Keinerlei Geheimnisse bleiben ihm verborgen, weder des Hemdes noch der Seele. Er darf die Mouchen anbringen, deren Kunst und Ausdruck er versteht. Er hat das Recht zu allen Handreichungen bei der intimen Toilette. Es vergeht kein Tag, wo ich nicht die Ehre habe, die Schnüre eines Korsetts zuzuziehen, prahlt der Marquis in Goldonis Dama prudente. Kommt der Gatte dabei ins Schlafzimmer, hütet er sich, sich durch Eifersucht lächerlich zu machen. Er ist glücklich darüber, daß seine Frau einen ergebenen Cavaliere servente besitzt, und verläßt den Raum mit reizender Bescheidenheit. Der Cicisbeo hat auch ein Recht auf die gewissen halben Hingaben, die oft süßer sind als die ganzen und jedenfalls echter. Mehr verlangt er nicht, wenn er gut erzogen ist.

Denn das Cicisbeat ist galante Haltung, zärtlicher als Freundschaft, weniger banal als Liebe. Eine elegante Korrektur des Instinktes hat es einer genannt. Eine amoureuse Freundschaft, die ein sehr delikates Vergnügen befriedigt und sich nicht aus Pflicht respektiert, sondern aus höchster Galanterie. Das, was sie sich nicht gönnt, ist höchstes sinnliches Raffinement. Da kommt der derbe Advokat Costantini aus Mailand nach Venedig und erklärt, er glaube lieber, daß Esel fliegen als daß zwei gesunde Leute verschiedenen Geschlechts nebeneinander leben, ohne von einer Laune erfaßt zu werden. Aber da hat ihn schon das Cicisbeat gefangen, und er dient einer Dame. Es ist ihm nicht zu entgehen, denn, wie der Abbate Chiari berichtet, gab es keine Händlerin, keine Coiffeuse: ohne Cicisbea: Lieber blieben sie ohne Brot als ohne cavaliere servente. Die Damen von Qualität besitzen sogar mehrere Cavaliere, und die Gegenwart des Freundes macht die Donna oft kühler als sie ist oder gibt ihr den Mut, den sie besitzt und vor dem sie sich ein bißchen fürchtet.

Venedig war nie venezianischer gewesen als in diesem seinen freiesten Jahrhundert vor dem Ende der Republik. In diesem Venedig sublimierte Carlo Gozzi das alte grobe Maskenspiel, gab Goldoni den Italienern ihr nationales Theater. Tönte die süßeste Musik mit Marcello, Buranello und den vier Hospitalen. Guardi und Canaletto malten es in seinem glitzerndsten Lichte. Da Ponte atmete hier seine Jugend, die ihn dann für Mozart den Bestraften Lüstling schreiben ließ. Und hier kam Casanova zur Welt. Es war eine Welt en miniature, aber eine Welt.


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