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Ehe und Liebe

Die Ehe ist nicht natürliche Keimzelle der Staatsbildung, sondern die ehelichen Vorschriften sind eine verpflichtende Ordnung, welche zum Ziele hat, das geschlechtliche Leben und die Situation der Kinder einer bestimmten Reglementierung zu unterwerfen innerhalb einer schon vorher existenten sozialen Gruppierung. Diese Reglementierung entspricht nicht einem Instinkt – der ja nur zum Geschlechtsakt führt – sondern einem zum Brauche gewordenen staatlichen Zwang. Die staatliche und nach ihr auch die kirchliche Autorität hat ihr Hauptinteresse an den Kindern, ihrer Zugehörigkeit, ihrer Zahl und ihrer Aufzucht.

Bis auf heute kümmert es die Kirche und auch den Staat nicht, ob sich die Eheschließenden im individuellen Sinne dieses Wortes lieben. Weshalb die Kirche auch in der Nichtliebe keinen Grund einer Trennung der Ehe sieht. Sie anerkennt nur einen einzigen Grund einer Trennung: die Nichtvollziehung der Ehe. Eine Ehe, welche keine Anstalten trifft, Kinder zu zeugen, erscheint der strengen kirchlichen Logik als keine Ehe. Sie kennt das Anarchische der individuellen Liebesgefühle.

Durchaus gegen ihren Willen ließ sich die Kirche eine weibliche Gottheit in der Madonna abringen, gab hier einem traditionellen Laienempfinden nach. Aber nur dem Mütterlichen gab sie in dieser Gottheit Raum, alle sündige Liebe wurde durch die Unbeflecktheit der Empfängnis eliminiert. Die Frau hat Kinder zu gebären, nichts weiter. Der jungfräuliche Stand ist der bessere, aber die Welt muß sich weiter zeugen – ganz nahe gerückt an die Erbsünde, an den Fluch, der aus dem Paradiese treibt, ist diese hingenommene physiologische Tatsache, und die Ehe genügt, das Geschlecht bis zu dem Tage zu erhalten, welcher als der Jüngste einmal anbrechen wird. Wo nur die Lust die Geschlechter zueinander führt, ist diese Lust Sünde und vom Bösen.

Die Kirche hat den Begriff der fleischlichen Sünde dem Menschen keineswegs gegen seine Natur aufgezwängt. Die Tatsache der sinnlichen Leidenschaft haben die Alten unter verschiedenen Namen als eine schwere Krankheit erkannt und beschrieben, als eine Art Behexung. Die Wollust aller Kreaturen ist gemengt mit Bitterkeit – das hätte auch ein von der sinnlichen Leidenschaft gepeinigter Grieche aus der Zeit des Perikles sagen können; es ist nichts spezifisch Christliches in diesem Satz; die Kirche hat ihn nur in ihrer Frühzeit für großes Orchester gesetzt, wofür die Antike mit ihrem sehr schwach entwickelten Dualismus der Welt keinen Anlaß hatte, denn ihre Erdsüchtigkeit war weit größer als ihre Jenseitssüchtigkeit, ihre Todesfurcht größer als ihre Sterbenssehnsucht.

Aber da sich das Dasein der Liebe in der Welt nicht leugnen ließ, sie sich auch durch ihre Verdammung als sündhaft nicht vertreiben ließ, kam es in den periodischen Schwächen der Kirche zu diesen Sentimentalismen, welche der Ehe auch die Liebe als Mitgift vindizierten, wenn nicht gleich bei der ehelichen Wahl, so als ein sicheres Produkt des Paktes, als ein zu erwartender Effekt aus dem ehelichen Zusammenleben. Und es ist nicht daran zu zweifeln, daß oft eine Liebe in der Ehe wurde –, meist eine leidenschaftslose Liebe. Erst im neunzehnten Jahrhundert kam es auf, daß man aus Liebe heiratete und die Anschauung wurde herrschend, daß die Liebe zu ihrem Ziele die dauernde Vereinigung in einer Ehe habe. Die früher für eine Eheschließung maßgebenden Motive sozialer, gesellschaftlicher und wirtschaftlicher Natur wurden zwar in der Regel nicht gänzlich ausgeschaltet und spielen auch bis heute noch ihre Rolle, aber sie kamen in der Anschauung und auch sehr oft in der Praxis an die zweite Stelle. Die erste Stelle nahm, und das nicht nur immer vorgeblich, wie von antibürgerlichen Kritikern der heutigen Ehe behauptet wird, die gefühlsmäßige Beziehung der Eheschließenden, die Liebe ein. Denn die große Labilität der modernen Ehe geht auf diesen Umstand zurück, daß sie sich eben auf einem so Labilen, wie es ein Affekt ist, meist gründet: diesem Gefühl in einer Ehe Dauer zu geben, stellt sich oft als Täuschung heraus.

Sich über das gelinde Feuer der ehelichen Liebe lustig zu machen, um zum Preise der leidenschaftlichen Flammen Kantaten zu singen, ist ein beliebtes Thema lyrischer Jugendlichkeit, die weder die Flamme noch das Feuer kennt. Es entspringt solche Unterwertung der ehelichen Liebe einer Überwertung des erotisch Passionellen. Die Beziehungen der heutigen Menschen zueinander werden immer flüchtiger, augenblickshafter. Das macht sich auch im Erotischen merkbar, insofern jede erotische Spannung zwischen den Individuen verschwindet, da jede sexuelle momentane Begierde um ein geringes sachlich zu stillen ist.

Die erotische Spannung ist aber nur in der relativen Dauer einer sinnlich-geistigen Beziehung möglich, und die Verbundenheit in einer Ehe begünstigt die sexuelle Entspannung zum Vorteil der in ihr engagierten Individuen. Die eheliche Verbundenheit krümmt den allzu scharfen Stachel der sinnlichen Leidenschaft und rettet das Individuum, dem in der Leidenschaft der Verlust droht, für die höheren Werte der Sozietät. Aber in der sexuellen Entspannung liegen diese Möglichkeiten einer erotischen Spannung und Beziehung nur dann, wenn nicht Eigenliebe zu einer Ehe geführt hat, die in ihr nichts als das Mittel zur Befriedigung von Bedürfnissen und Erfüllung von Zwecken sieht, die außerhalb jeder Liebe, also auch der Ehe liegen. So wird sie nichts als ein sozialwirtschaftlicher Zweckverband, der eine Form entlehnt hat und sich bemüht, diese Form nach außen zu wahren. Es hat sich daraus ein weitläufiges System der Heuchelei entwickelt, charakteristisch für die Bürgerlichkeit des neunzehnten Jahrhunderts. Diese Heuchelei hat in den beiden großen Romanciers aus der ersten Hälfte des Jahrhunderts, Stendhal und Balzac, ihre bedeutenden Darsteller gefunden.

Heute, schreibt Balzac, wird die von ihrem Mann verlassene Frau, auf eine magere Pension reduziert, zu einer Sache: sie ist weder Frau, noch Mädchen, noch überhaupt was Bürgerliches. Im achtzehnten Jahrhundert verheiratete man das Mädchen meist schon mit sechzehn Jahren. Um irgend zu gelten in der Gesellschaft, mußte sie Frau sein. Dies hat sich vom Beginn des neunzehnten Jahrhunderts ab fundamental geändert.

Da gibt es ein Erziehungsbüchlein von Bouilly: Geschichten für meine Tochter. Diese Tochter ist bereits das Junge Mädchen des neuen Jahrhunderts, das nicht mehr zur Liebe erzogen wird, sondern zu einer vernünftigen Mischung von Pflichten und Sentimentalitäten. Diese Erziehung sucht mit allen Mitteln ein engelhaftes, frommes, nur den Tugenden ergebenes, resigniertes, bescheidenes und gehorchendes Wesen herzustellen, das einerseits in Träumen, andererseits in Pflichten lebt, die zu erfüllen sie bereit ist gegenüber jedem Manne, der sie heiratet. Für dieses neue Junge Mädchen etablieren sich Gouvernanten und Erzieherinnen, von denen Stendhal sagt: Viele dieser alten Weiber, die in ihrer Jugend die leichten Sitten Frankreichs von Napoleons Herrschaft übten, dürften sich im Grunde ihres Herzens über die Grausamkeit lustig machen, die sie als Erziehung den jungen Mädchen auferlegen, die im Jahre 1826 sechzehn Jahre zählen. Das Produkt dieser Erziehung beschreibt die gesuchteste dieser Erzieherinnen, Madame de Genlis: Aglae, von einer geistvollen und frommen Tante erzogen, hat den Geist eines Engels, plaudert hinreißend, ohne schwatzhaft zu sein, schreibt wie ein Engel mit einer süperben Schrift und orthographisch wie ich. Sie ist geschickt, zeichnet gut und spielt Piano vom Blatt wie Frau Tourterelle. Diese selbe Madame de Genlis unterrichtet nun, wie sie ankündigt, nicht mehr zwei Personen verschiedenen Geschlechts gleichzeitig, und gibt Anweisungen für eine definitive moralische Bibliothek, in der auf der einen Seite die männlichen, auf der andern die weiblichen Autoren untergebracht und beide durch einen kleinen Zwischenraum dezent getrennt sind.

Das ganze neunzehnte Jahrhundert hindurch – und länger noch in den Milieus der Provinz – bleibt dieser Typus des Jungen Mädchens dominierend, dessen wesentlichen Charakter, die körperliche Integrität, man mit den Worten umschreibt, die nicht jene Brutalität besitzen wie das Wort Jungfräulichkeit, das auszusprechen man sich scheut. Der Typus ist eine Schöpfung des Mannes dieser Zeit, der für seinen schwierig erworbenen und ihm als höchstes Gut erscheinenden Besitz legitime Erben in der Ehe wünscht, Kinder, die mit aller Garantie von ihm stammen. Dies zu erreichen, ist er für alle Mittel zu haben, welche die Erfahrung als solche, die die Jungfräulichkeit erhalten, erwiesen hat. Dem Wunsch des Mannes, daß das Mädchen, das er zur Gattin nähme, diesem seinem Ideal entspreche, folgte vom Mädchen her, das ja geheiratet sein wollte, restlose Erfüllung. Und damit war, durch die Erbfolge, die Bildung der großen bürgerlichen Vermögen gesichert. Mit dem Verfall dieser Vermögen, der zu Beginn des zwanzigsten Jahrhunderts einsetzte und sich in den Weltkriegen vollendete, beginnt auch der Typus des Jungen Mädchens sich zu ändern: es entflieht einer Zucht, die das ehemals sichere Ziel der standesmäßigen Heirat nicht mehr garantiert. Da aller andere Besitz unsicher geworden ist, ist es auch der Besitztitel des Mannes auf die Frau. Sie spürt die Hand des Herrn nicht mehr. Wird immer mehr eine Freigelassene. Sie verliert ihr meist nur nominelles Sklaventum, bei dem sie herrschte. Sie stürzt sich ein bißchen verzweifelt in ihre Freiheit.


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