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Die böse Lust

Ein Herr im Schäferkostüm, den man gerade noch Tirsis nannte, wirft sein Maskengewand ab, und ist der Wolf. Dieses Ereignis heißt Les Liaisons Dangereuses.

Im April 1782 erschienen die ersten zweitausend Exemplare dieses Romans, und schon im nächsten Monat mußte die gleiche Anzahl gedruckt werden. Noch zu Lebzeiten seines Verfassers Choderlos de Laclos sind nicht weniger als fünfzig Nachdrucke erschienen. Es war zunächst das, was man einen Skandalerfolg nennt. Niemand glaubte an die versicherte moralische Absicht des Verfassers, weder die offizielle Kritik, noch die inoffizielle. Die Marquise de Coigny, Lauzuns Geliebte und Lignes Korrespondentin, empfing Laclos nicht mehr, wie Tilly in seinen Memoiren mitteilt. Madame Riccoboni war in ihrer Würde als Französin und Frau beleidigt, und Marie Antoinette ließ ihr Exemplar des Buches ohne Rückentitel einbinden. Daß man das Buch nicht verbot, entrüstete einige hypokrite Zeitgenossen. Aber verboten und zur Vernichtung verurteilt wurde der Roman erst im November 1823, wo er dieses Schicksal mit den Werken von Montesquieu, Voltaire, Rousseau, Beaumarchais, Vauvenargues, Larochefoucauld, ja sogar mit Fénélons Télémaque teilte.

Zwischen Boucher und Boilly gab es kaum einen Maler, der nicht die Bascule, die Liebesschaukel, gemalt hat, und die Literatur dieser Zeit beschrieb die Liebe nicht anders denn als ein solches Schaukelspiel, bei der von einem zum andern ein wippendes Brett führt, das auf des Hahnreis Rücken balanciert. Des Spieles Zweck und Ende ist immer, daß oben einer ins Gleiten kommt und dem Kavalier unten in die offenen Arme rutscht; die Kleider geraten ein bißchen in Unordnung, man schreit ein bißchen, aber es klingt wie Lachen. Die Zuschauer und auch der Betrogene klatschen Beifall, und schon schaukelt ein neues Paar, da das andere sich in der Laube verlor, an deren Eingang Hymen die Fackel senkt.

Zuerst meint man auch bei den Liaisons Dangereuses, man sähe der frivolen Bascule zu und es spänne der Autor eine Intrige um ihrer selbst willen. Aber da fällt ein Wort, man sieht eine Bewegung, einen Zug im Gesicht, und was erst das übliche Spiel schien, ist ein Kampf. In den Liaisons treten nicht mehr die erotischen Figurinen auf, deren Fäden der Autor zieht, sondern die erotischen Charaktere des Zeitalters, die Intellektuellen, die Naiven, die Sentimentalen. Was immer nur als ein heiteres, witziges Spiel zwischen Damen und Herren en pastel gezeigt wurde, das offenbart sich als ein böser Kampf der Geschlechter. Wo diese Menschen auch immer ihren Weg zur Liebe nehmen mögen, ob sie die intellektuelle Perversion des Verführers leitet oder die Sinnlichkeit oder das Herz – keinem von ihnen ist die Liebe jenes égarement, das man sonst in dieser Zeit nur suchen und immer finden sah, allen ist sie eine Leidenschaft die tötet oder düpiert.

In diesem Roman der letzten Aristokraten, der physisch verminderten Rasse, wie sie zwei Jahrzehnte später de Maistre nennt, ist Frau von Tourvel, ein Opfer des Verführers Valmont, die einzige, die – ihr Adel ist Beamtenadel jüngsten Datums – zur Bourgeoisie gehört, zu der neuen Kaste, die in den Dingen der Liebe ein fatales Erbe antrat, für das sie sich bei Rousseau vorbereitet hatte. Das Bürgertum hatte in der ehelichen Treue allein seinen Rückhalt; eine Tugend, die man zum ganzen Inhalt der Liebe und diese damit sentimentalisch machte. Die Liebe ist hier ein außerordentliches Gefühl mit sinnlichen Begleiterscheinungen, von denen man nicht spricht und von denen man so tut, als wüßte man nichts davon. Wie dem Werther, dessen schöne Schwester sie ist, wachsen der bürgerlichen Präsidentengattin Frau von Tourvel aus dem Kampfe ihrer sinnlichen Natürlichkeiten, die man nicht mehr bekennt, mit dem bürgerlich gewordenen Ideal der Treue – als welches die Liebe schlechthin ist – übermenschliche Kräfte und jene Grausamkeit gegen sich selbst, die sie Schmerz und Tod mehr lieben machen als das um Ruhe und Ehre verkaufte Vergnügen ihrer Sinne. Was er in allen bisherigen Romanen, was er in der geläufigen Anschauung dieser Zeit nicht war, das wird der Ehebruch in der bürgerlichen Heldin der Liaisons: eine Tragödie.

Auch der Charakter der Verführung ist verändert. Die Verführung ist in Valmont und Frau von Merteuil eine Kraftentfaltung des Willens und Verstandes, die um ihrer selbst willen genossen wird und sofort einem andern Ziel der Verführung sich zuwendet, wenn das eine erreicht ist. Diese beiden wollen in der Lust noch vom Genuß ihres Genusses wissen und sich weder von den Gefühlen noch von den Ekstasen der Sinne und ihre Bewußtheit bringen lassen. Ich bin sicher, schreibt die Merteuil, käme mir jetzt die Laune, dem Chevalier den Abschied zu geben, er wäre verzweifelt, und nichts amüsiert mich so wie ein verzweifelter Liebhaber. Selbstverständlich sind die Sentimentalen und Naiven die Opfer der Intellektuellen, die weit mehr Register spielen. Die naive Volanges wird das Opfer Valmonts, der von sich sagen kann: Mittel, eine Frau zu entehren, habe ich hundert, habe ich tausend gefunden. Der Ton liegt auf dem entehren, was die Lust zur bösen Lust macht. Danceny, der naive Bräutigam des Fräuleins von Volanges, wird das Opfer der Merteuil, die von sich sagt: ... meine Grundsätze, die habe ich mir selber geschaffen, und ich kann wohl sagen, ich bin mein eigenes Werk, und die dem Mädchen den Rat gibt: Geben Sie doch acht darauf, wie Sie schreiben. Sie müssen doch einsehen, daß Sie, wenn Sie jemanden schreiben, für den schreiben und nicht für sich, Sie müssen also weniger trachten, ihm das zu sagen, was Sie denken, als das, was dem Briefempfänger gefällt.

Und es ist selbstverständlich, daß die Intellektuellen das Opfer ihrer selbst sind. Ich weiß nicht, weshalb mir nur mehr das Bizarre gefällt, bemerkt am Ende Frau von Merteuil. Und Valmont sagt: Ich bin wütend, wenn ich mir vorstelle, daß dieser Danceny ohne jedes vernünftige Denken, ohne jedes Urteil, ohne sich nur die geringste geistige Mühe zu machen, sondern nur ganz blödsinnig dem Instinkt seines Herzens folgend, ein Glück findet... Das Ende ist Müdigkeit, Überdruß, Ekel und vielleicht Verzweiflung. Das Pathos gehört ganz den edlen Gefühlen. Die naiven Opfer sterben mit einem himmlischen Seufzer auf den Lippen, die Intellektuellen mit der Grimasse eines Fluches.

Die Liaisons kamen auf den Index der infamen Bücher, trotzdem der Autor dieses machiavellistischen Traktates von der Liebe die moralische Absicht seines Werkes nicht nur im Vorwort betont. Man darf an der ehrlichen Absicht Laclos' nicht zweifeln, darf hinter seiner Versicherung keine Ironie suchen und muß es mit Laclos als die gerechte Strafe hinnehmen, daß Valmont im Duell, Frau von Merteuil an den Blattern stirbt – man braucht das nicht symbolisch so zu deuten, daß die Dummheit des Zufalles das Kalkül des Verstandes zuschanden macht.

Laclos schreibt zwei Jahrzehnte später seiner Frau, daß er eine unfreiwillige Muße benutzen wolle, einen schon längst bedachten Roman auszuführen, der als das sittliche Gegenstück zu den Liaisons das Glück der ehelichen Liebe darstellen würde. Es ist nichts davon aufgeschrieben worden als diese Absicht. Von dem innern Leben dieses Mannes weiß man nichts, und die Schicksale seines äußern Lebens, die allein man kennt, machen sein inneres Leben nur noch rätselhafter. Es gibt über ihn ein ganz kurzes und bestes Urteil in einem Polizeibericht: Homme de génie, très froid et très fin.

Laclos wurde in Amiens als Sohn eines vor kurzem geadelten Sekretärs der Intendanz 1741 geboren, in einem kultivierten Milieu. Er wählte die militärische Karriere und trat beim Artilleriekorps ein. In der Revolution bekommt er durch die Verwendung Ségurs eine nebensächliche Stelle als Sekretär im Hause des Herzogs von Orléans. Seine Rolle bleibt hier so dunkel wie die Rolle, die sein Herr spielte. Die Zeit sagt, er sei die Seele der Partei Orléans gewesen. Laclos hatte das Malheur, für den falschen Herrn zu arbeiten.

Aber der ihm befreundete Danton will die Intelligenz des ehemaligen Offiziers nicht verlieren und setzt Laclos ins Kriegsministerium. Der Sieg bei Valmy, von dem Goethe, der die Kanonen der Schlacht donnern hörte, die neue Zeit datierte, ist ein Erfolg Laclos'. Der ihn beim Sturze der Orléans nicht vor dem Gefängnis rettet. Es bleibt rätselhaft, daß er der Guillotine entgeht. Vielleicht hat ihn Robespierre aufgespart als später zu nutzenden Vertrauten in den Geheimaffären des Hauses Orléans. Die Gegner Laclos' behaupten, er danke seine Rettung dem Umstand, daß er Robespierre die Reden ausgearbeitet habe. Aber gerade dann hätte ihn der Unbestechliche ganz bestimmt unter das Messer gebracht.

Möglich, daß Laclos bei Bonapartes Staatsstreich eine Rolle spielte. Wahrscheinlich, daß er Napoleons Bedeutung erkannt hat und es ihm am besten erschien, unter ihm aus seinen überlegenen Kenntnissen und Fähigkeiten etwas zu machen. Er wird General, macht die Campagne am Rhein, dann in Italien mit. Er will sich gerade nach Ancona einschiffen, da stirbt er in Tarent 1803. In der Politik nicht über die Intrige hinausgekommen, als Soldat trotz Napoleons Gunst unfähig, sie zu nützen, denn er kommandiert immer nur Reserven, liegt der Ruhm dieses rätselhaften Mannes allein auf einem Buche, das er selber längst vergessen hat. Überrascht schreibt er seiner Frau 1802, daß man in einer Gesellschaft die Liaisons gekannt, von ihnen gesprochen, den Autor ausgezeichnet habe.

Auf einige Briefe der entsetzten, aber bewundernden Madame Riccoboni hat gleich nach dem Erscheinen der Liaisons Laclos geantwortet. Mit Sätzen wie diesen: Nicht im entferntesten dachte ich daran, das Laster der Frau von Merteuil mit einigen Hübschheiten und Nettigkeiten herauszuputzen ... Wer möchte die Wahrheit des Alltags zu leugnen wagen? ... Belustigung habe ich nicht prätendiert ... Überall, wo ein Weib zur Welt kommt mit aktiven Sinnen und einem für die Liebe unfähigen Herzen, mit Geist und einer gemeinen Seele, die böse ist und deren Bösheit Tiefe ohne Energie besitzt, da gibt's eine Frau von Merteuil. Wenn ich sie auf französisch anzog, so nur, weil ich überzeugt bin, daß man die Wahrheit nur nach der Natur darstellen könne. Darum zog ich das Gewand vor, das ich unter meinen Augen habe ... Die sanfte Frauenschriftstellerin wendet ein, daß man nicht nur die Natur betrachten, sondern eine Wahl treffen müsse, denn nicht alles in der Natur sei hübsch, und der Maler müsse auswählen. Laclos antwortet, daß der Maler das Recht habe, den Vesuv zu malen, ohne sich dem Vorwurf auszusetzen, daß er die Natur verleumde. Da gibt es Frau Riccoboni auf, aber versichert, daß sie nie die Verurteilung, welche Herr Laclos von der Welt erfahre, teilen werde. Sie verzeiht ihm, entschuldigt ihn sogar, soviel sie kann. Donna Elvira verflucht den Verführer und schließt ihn in ihr Gebet.


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