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Die kleinen Meister des frivolen Stils

Das Rokoko schuf das Phänomen des Literaten, aber keinen Dichter. Die Literaten, oft Meister ihres Genres, zeigen die Welt des Rokoko, wie sie sich gerne gesehen hätten. Was sich oft sehr geschickt hinter realistischen Details verbirgt. Diese ganze Belliteratur ist immer dabei, die Abgründe, die solches Leben aufreißt, entweder zu unterschlagen oder mit Rosen auszufüllen, wenn auch nur papiernen.

Es hieße die Figuren fälschen, wollte man hier von Diderots Bijoux indiscrets sprechen oder von den paar frivolen Verserzählungen Voltaires. Das waren Launen, welche sich große Herren erlaubten. Wollten daran auch nicht erinnert sein. Es ist in dieser Darstellung auch der bedeutende literarische Name so unwichtig wie die bedeutende literarische Leistung nicht den Ausschlag gibt. Sondern der mehr stoffliche Charakter einer Literatur als Beispiel für einen bestimmten erotischen Stil des Lebens. Der populärste Name und der Letztgekommene in der Reihe steht nicht ohne Grund am Anfang dieser Auswahl kleiner Meister: der des Bürgers Louvet. Denn gerade er bestätigt das Fiktive dieser Literatur. Der Faublas und seine Abenteuer sind nichts sonst als ein Spiel der Laune und einer Phantasie, die sich an Situationen ergötzt. Sie sind ein rasch gesprochener Epilog zu dem etwas herzlosen, an falschen Gefühlen reichen, doch zuweilen anmutig leichten Theaterstück, das sich um 1785 die Liebe nannte – rasch und schnell gesprochen und oft mit einer sich überschlagenden Stimme, denn der Vorhang, der aus Eisen und eine scharfe Schneide hat, kam schon aus den Soffitten, da Faublas seine letzten Worte sagte.

Alles, worin sich die Gesellschaft um 1780 gefiel, läßt Louvet noch einmal in der rosigsten Beleuchtung sehen: die Mechanik der Geste, die schon grimassenhaft wie von Leichen ist, denen er mit sehr viel Schminke eine unheimliche Lebendigkeit gibt. Deutlich wird aus diesen Abenteuern, wie die Formen zu leeren Konventionen erstarren, Art zu ihrer Parodie, Wesen zu Snobismus.

Dieser Louvet, der sich vor der Revolution de Couvrai nannte, war ein kleiner Buchhandlungsgehilfe, als er mit sechsundzwanzig Jahren die Schelmenstücke seines Faublas erfand, um sich Geld damit zu verdienen. Was ihm auch gelang. Er zog als ein vielgelesener Autor in ein kleines Häuschen nach Nemours, wo er mit seiner Jugendgeliebten lebte, die mit ihrem Mann in Scheidung lag. Er heiratete sie 1793 und nannte sie nach seiner empfindsamsten Romanheldin Lodoiska. Er war ein so zärtlich-romanhafter Gatte, daß sich Lodoiska mit Opium vergiftete, als Louvet, nach vierjähriger Ehe und erst siebenunddreißig Jahre alt, starb. Sie wurde übrigens gerettet und lebte ihrem Kinde.

Der nächste in der Popularität ist der jüngere Crébillon. Aber sonst in größtem Abstand vom kleinen Buchhandlungsgehilfen zu nennen. Sagte doch Heine, um seine Hochschätzung auszudrücken, daß er vor dem Schreiben immer den Crébillon lese. Wer nur das vielübersetzte Sopha kennt, wird erstaunt sein, denn dieses so beliebt gewesene Buch ist recht langweilig. Aber in den zwei kurzen Dialoggeschichten Le Hasard au Coin du Feu und La Nuit et Le Moment schuf er das Modell einer witzigfrechen höchst naturalistischen Komödie, von dem die Boulevardkomödie noch heute lebt. Crébillon, das ist so sehr Bezeichnung für die frivole Erzählung des achtzehnten Jahrhunderts geworden, so sehr ein Gattungsbegriff, daß man kaum meint, der Mann dieses Namens habe wirklich gelebt. Aber es gab dieses Namens sogar zwei, den Vater Prosper Jolyot, der Tragödien schrieb, und den Sohn Claude-Prosper, der lustige Sachen verfaßte, weshalb und aus andern Gründen der Vater ihn nicht mochte. Die beiden Crébillons hausten – der Vater war mit siebenundvierzig Jahren Witwer geworden – zusammen in höchst dürftigen Verhältnissen auf einem Speicher der Rue Saint-Jacques. Da dichtete der Alte den tragischen Idoménée und schrieb der Junge seine Geschichten von lasterhaften Abbés, wollüstigen Frauen, kleinen Hunden, verliebten Offizieren, kräftigen Lakaien, Boudoirs, Salons, Terrassen und Pavillons – eine Welt, die er nicht kannte, aber liebte. Der alte war ein dicker kleiner Herr, der Junge ein hochaufgeschossener, langnasiger, sehr anmaßender Bursche, dessen Witz saß. Duclos fragte einmal den Vater Crébillon, welches seiner Werke er für sein bestes halte, und der Tragödienschmierer sagte: Sicher ist, daß dies da mein schlechtestes Werk ist, und zeigte auf den Sohn. Seien Sie nicht so stolz, Papa. Warten Sic ab, bis bewiesen ist, daß alle Ihre Werke von Ihnen stammen, was eine Anspielung auf das Gerücht war, daß es ein Karthäusermönch wäre, der dem Alten die Tragödien schrieb. 1742 erschien das Sopha. Der geringe Erfolg der späteren Bücher, die, wie Grimm sagt, dieser junge Mann von fünfzig Jahren veröffentlichte, ließ eine geistvolle Frau sagen, daß ihr nichts so sehr die Sterilität dieses Autoren bewiesen habe wie seine Fruchtbarkeit.

Aber Crébillons nicht geringe Intelligenz gab ihm seine Aufgabe, als er die Welt kennenlernte Er hat sie in drei Geschichten vortrefflich gelöst, als ein subtiler Analytiker des weiblichen Herzens und seiner Dialektik. Die Frauen der Regentenzeit liebten es, ihren Liebestätigkeiten die Aufenthalte und Verzögerungen durch ein Räsonnieren zu geben, das ihnen die Lust erhöhte in einem höchst spirituellen Vorher und Nachher. In den Lettres de la Marquise, dem Hasard du Coin du Feu und in La Nuit et le Moment hat Crébillon dieses Raffinement subtilster Komplikationen um ein Nichts wiedergegeben mit sehr großer Verve, mit Witz und nicht ohne Einsichten in die tiefern Zusammenhänge: Célie verliebt sich in den Grafen, der aber in erster Liebe zu einer Freundin Céliens, der Marquise, engagiert ist. Célie ist pikiert über diese Dauerhaftigkeit einer Liebe. Sie bringt den Grafen zu dem Geständnis, daß er nicht immer unempfindlich gegenüber Céliens Reizen gewesen war, er habe sie unglücklicherweise nur nie frei gefunden, wenn er frei war, oder umgekehrt. Célie treibt ihn ein bißchen weiter. Sie möchte, daß er ihr seine Liebe gestehe. Aber der Graf möchte das wohl gern zeigen, aber nicht sagen. Célie gibt als die Schwächere nach und akzeptiert das vorgeschlagene Arrangement. Sie gibt nach, ohne daß der Graf das magische Wort gesprochen hat, der Graf behält seine Marquise und vergnügt sich mit Célie. Aber da die Marquise ein bißchen erstaunt ist, Célie ohne Liebhaber zu sehen, nimmt diese einen als Fassade, und der Graf gibt gern zu, daß diese Fassade ihre Gefahren hat. Die Marquise findet ihren Freund zärtlicher als je, wenn auch ein bißchen erschöpft. In La Nuit et le Moment dringt des Nachts auf dem Lande Clitandre in das Zimmer der Schloßherrin Cidalise, bei der er zu Gast ist. Cidalise ist gerade bei ihrer Nachttoilette. Man ist ein bißchen erzürnt, geht aber schließlich zu Bett. Clitandre setzt sich zu ihren Füßen auf den Bettrand. Eine Stunde vergeht, es ist kalt, er bittet um ein kleines, etwas wärmeres Plätzchen. Er erhält es – soll Cidalise schreien? Wer würde ihr glauben, daß Clitandre sich in ihrem Schlafzimmer ohne ihre Zustimmung aufhält? Cidalise sieht das ein, aber Clitandre müsse sich ganz ruhig verhalten. Es vergehen hundert Seiten des Buches in dieser diffizilen Situation, ohne daß was anderes geschieht, als daß Clitandre Geschichten erzählt, die manchmal von einem kleinen Seufzer Cidalisens unterbrochen werden. Denn Clitandre will, daß sie ihn seines Wortes entbinde. Aber er triumphiert erst auf Seite 131. Und hier ist man in der Mitte des Buches. Mit Unterbrechungen, die sich verstehen, erzählt Clitandre nun seine Liebesaffären, wobei ihm Crébillon seinen Geist leiht, der mit vielem Erlebten vertraut die Geheimnisse seiner Zeitgenossinnen aufdeckt. Wie sie die Liebe betreiben, um ihre Langeweile zu vertreiben. Jamais les femmes n'ont mis moins de grimaces dans la société; jamais l'on n'a moins affecté la vertu. On se plait, on se prend. S'ennuie-t-on l'un l'autre, on se quitte avec tout aussi peu de cérémonie. Revient-on à se plaire? On se reprend avec autant de vivacité que si c'était la première fois qu'on s'engageait ensemble. On se quitte encore, et jamais on ne se bouille ... Die Vorurteilslosigkeit dieses Zeitalters in Sachen der Liebe kann man nicht besser ausdrücken, als Crébillon tut: Man lebt in der großen Welt, man langweilt sich da, man sieht Frauen, die sich auch ihrerseits nicht amüsieren; man ist jung, die Eitelkeit gesellt sich der Langeweile. Wenn es nicht immer ein Vergnügen ist, eine Geliebte zu haben, so ist es doch mindestens immer eine Art Beschäftigung. Da die Liebe oder was man so nennt unglücklicherweise das ist, was den Frauen am meisten Spaß macht, finden wir sie nicht immer unempfindlich gegenüber unseren Bemühungen ... Diese Unbefriedigtheit des Gefühles, diese außerordentliche Leere des Herzens, von der alle die kleinen Erzähler dieser Zeit Kunde geben, hat die Frauen in Rousseau ihr Glück finden lassen. Sie hatten das Vergnügen bis auf das letzte erschöpft, und auch mit dem Geiste war da nichts mehr zu holen.

Quid rides? De te fabula narratur Was lachst Du? Von Dir ist die Rede. ist das Motto eines kleinen Büchleins aus der satirischen Boudoirliteratur der Zeit. Es ist eine Persiflage des Abbé de Pouponville, Ange-Rose-Farfadet de Pouponville, Lieblings der Grazien, Blüte der Schöngeister, Perle der Petits-Maitres, Coqueluche der Frauen, Elixier der Galanterie usw. Der Herr Abbé von Pouponville kam hinter einer Theaterkulisse zur Welt als das Kind eines Püppchens der Oper und des himmlischen Chevalier von Muscoloris, Herr auf Pomador, d'Ambresée und andern Örtern. Er war so hübsch, so zierlich, daß es ein Entzücken für seine Amme war. Er wurde geherzt, geküßt, gehätschelt, geschleckt, beinah aufgefressen. Er machte seine Studien mit unglaublicher Raschheit: die Lektüre der Angola, der Bijoux Indiscrets, des Sopha, der Matinées de Cythère und anderer orthodoxer Bücher brachten ihm so viel Theologie bei, als er zu seinen Triumphen im Bette nötig hatte. Mit einem Spitzenkragen von der besten Modistin, einem wunderbaren Teint, einem Flötenorgan, einem frischen Inkarnat auf den Lippen, einem nach allen Regeln applizierten Schönheitspflästerchen unter dem linken Auge – welche Tugend konnte einem Sturm mit solchen Waffen standhalten? Wenn der Abbé nach einem galanten Tête-à-tête auf die Kanzel stieg, sah er aus wie ein adonisierter Cherub. Den Text wählte er in den wollüstigen Gegenden des Hohen Liedes, was eine köstliche Predigt verhieß. Alle Damen von Bonton liefen zu ihm. Die Moral, die er ihnen debütierte, war die der Dichter und Romanciers mit einer leichten Nuance von Geistlichkeit pikant zubereitet. Er malte alles in Miniatur, auch die Sünde und die Hölle. Und so sagten auch alle die kleinen verliebten Frauen beim Hinausgehen: Dieser Pouponville predigt doch wundervoll! Dieses Organ! Und diese Gesten! Ganz weg ist man davon! Wenn er alle Tage predigte, die Theater wären leer. Aber das Predigen wurde ihm verhängnisvoll. Ein Zugwind – eine Tür war schlecht verschlossen – nahm ihm auf einmal die Stimme. Eine Falte, die er auf seinem Spitzkragen bemerkte, verursachte ihm Vapeurs, die ihn todkrank machten. Er fiel in eine Ohnmacht. Und um sein Unglück voll zu machen, fühlte ihm ein Trottel von Arzt den Puls, angezogen, wie man es vielleicht zu Zeiten des Hippokrates sein konnte: schwarzes Habit und ohne Spitzen! Diesen Zug letzter Verkommenheit und Niedertracht konnte er nicht vertragen: es hob sich ihm das Herz, und der Abbé von Pouponville hauchte seine elegante Seele aus.

Dem Buche, aus dem sich die heute populäre Vorstellung vom Rokoko ihre Dokumentierung geholt zu haben scheint, fehlt natürlich nicht ein Kapitel Pensées Detachées. Darin etwa die Sätze wie dieser: Was ein göttlicher Arzt dieser Pamoisier! Er hat mein graues Windspiel und meinen Amazonenpapagei kuriert. Ich will ihm ein kostbares Bijou schenken: das Porträt meiner letzten gestrigen Geliebten.

Von den Lebensumständen des Verfassers der besten Erzählung dieser Zeit, Godard d'Aucourt, weiß man nur, daß er ein sehr glücklicher Mensch gewesen sein muß. Er hat in Thémidore die Geschichte seiner Jugend erzählt, mit einer Dedikation an Fräulein Duthé, das um 1770 bestbezahlte Freudenmädchen. Eine ironisierende Epistel, in welcher der Sechzigjährige seine Schriften, vor dreißig Jahren geschrieben, unter das Protektorat dieser Dame stellt, das sie nötig hätten, denn die Zeiten seien seit seiner Jugend so geändert: Nicht ohne Bewunderung, Mademoiselle, erblicke ich die Höhe, zu der Sie und Ihre Kolleginnen in diesen Zeiten gekommen sind. Wir leben Gott sei Dank nicht mehr in diesen barbarischen Tagen, wo die Tugend im Schatten der Wälder herrschte: die süße Duldung hat, unter dem Namen der Freiheit, Ihren weitläufigen Verlangen die Karriere eröffnet; Ihr triumphiert, göttliche Bezauberinnen, und Eure verführerischen Reize haben das Gesicht Frankreichs geändert. Ihnen und Ihren Freundinnen, reizende Duthé, dankt man diese glückliche Revolution in unseren Sitten; Ihnen allen gebührt der Ruhm, und Sie freuen sich seiner ... Als ich im Frühling meiner Jahre diese Narreteien aufschrieb, die ich Ihnen widme, billigte ich sie auf das lebhafteste. Damals hätte ich Ihnen eine Würdigung mehr nach Ihrem Geschmack zuteil werden lassen. Es gibt so viele Dinge, die man mit zwanzig Jahren besser macht als mit sechzig; aber heute bezahle ich Sie besser: das ist immerhin auch was. Ich muß ja zugeben, in meiner Jugend waren alle die schönen Frauen keine Vestalinnen, aber damals ging das, was der Vulgus eine anständige Frau nennt – verzeihen Sie mir die Albernheit –, noch auf dem Bürgersteig und gab den Ton an. Wir waren blöde genug, Ihrem Wagen zu folgen, und zufrieden damit, Sie im geheimen anzubeten, ja wir hatten nicht einmal die Idee, uns für Sie zu ruinieren! Da Sie selber nicht die Vortrefflichkeit Ihres Standes erkannt hatten, trauten Sie sich auch nicht an den hellen Tag. Aber heute, wo die bequeme Duldung den Vorhang aufgezogen hat, den Sie damals ängstlich zusammenhielten, heute verdrängen Sie mit Ihrer festlichen Bedeutung die opulenteste Frau; das nenne ich wahrhaft mit Riesenschritten eilen. Seit dieser glücklichen Revolution hält Sie kein Hindernis mehr auf. Der ins Lächerliche gedrehte Hymen wagt kaum, sich zu zeigen. Aber Sie sieht man zu jeder guten Tageszeit im Wagen Ihrer Liebhaber, Sie tragen deren Farben in der Livree Ihres Personals, oft die Diamanten seiner Frau und immer deren Vermögen. Ihre kleinen Häuser erstehen überall aus den Trümmern der großen Häuser, und sie bilden durch ihr Zahl in den Vororten der Hauptstadt und auf den Boulevards eine Art Gürtel, einen Wall, der die Stadt blockiert und Ihnen die Herrschaft über sie sichert. O Jahrhundert voll Geschmack, voll Delikatesse, voll Ehre und feiner Unterscheidung!

Mit solcher gar nicht erbosten Ironie kritisiert ein Sechzigjähriger, der seine Jugend gehabt hat, die Sitten seiner Zeit, die er nicht mehr ganz billigt. Das Quartett à la mode: der alte Gatte, die von ihm ausgehaltene Tänzerin, der wieder von der Ausgehaltenen ausgehaltene Zuhälter und die junge Frau, die sich gelangweilt einem Roué wie Richelieu hingibt, wenn nicht einem Lakaien – die Musik dieses Quattuors hat nicht den Beifall des alten Herrn Godard d'Aucourt. Das Genie des Rokoko lag in der Musik von Gluck, Mozart und Haydn. Die Revolution schrieb ihm das Totenlied: Die Marseillaise


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