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Archaische Landschaft

Chloe, das griechische Mädchen, kannte nicht jene die Kindheit und die Mutterschaft trennende Zeit, die wir in Europa die Jugend nennen. Immer ist es die zwölfjährige Braut, von der die griechischen Lyriker der Anthologie sprechen. Diese Zwölfjährige ist dem Leibe und der Schönheit nach Frau, aber geistig ein Kind seines Alters. So war es in Athen und Korinth. So ist es noch heute in ganz Vorderasien und auf den glücklichen Inseln des Stillen Meeres; archaische Landschaften, wo der Frühling nicht so spät kommt wie in unseren Breiten, wo auch die Liebe früher kommt als bei uns, wo das Mädchen seine erste Leidenschaft erst nach dem Abschluß ihrer geistigen Erziehung erlebt. Shakespeares Rosalinde kann beim Lesen des ersten Liebesbriefes philosophisch reflektieren: Love is merely a madness. Aber das arabische Mädchen von dreizehn Jahren wird, kindlich, wie es ist, von der Liebe sagen, daß sie süß wie der Honig sei. Unter deiner Zunge ist Honig und Milch, heißt es im Hohen Lied, und so bleibt es in jedem arabischen Liede.

Die Liebe des klassischen Arabien hat durchaus pastoralen Charakter. Dichter denken an die jungen Mädchen des blumigen Yemen oder des schattigen Libanon oder des schweigenden Nils. Nicht für dieses junge Mädchen gibt der Koran seine berühmte Sure über den Anstand der Frauen, denn das arabische Mädchen trägt nur ein Hemd, und oft auch dieses erst nach seiner Verheiratung. Die Strenge richtet sich nicht gegen das junge Mädchen, denn man hielt es nicht für fähig, einen Fehler zu begehen – die frühe Heirat ließ ihr keine Zeit dafür. In der archaischen Landschaft ist kein Schamgefühl, das sich unter verhüllenden Stoffen bemerklich zu machen sucht. Aus dem Lande zwischen Hedschas und Yemen, der Wiege der arabischen Dichtung, berichtet 1790 Bruce: Die Frauen gehen nackt wie die Männer. Die verheirateten Frauen tragen oft eine Art Schurz um die Hüften. Aber manche tragen auch gar nichts. Mädchen jedes Alters gehen immer nackt. Denn das nackte oder kaum bekleidete arabische Mädchen hat vor dem Manne nichts zu verbergen. Ihre Jungfräulichkeit schützt sie, die Furcht vor dem Vater und die vor Gott. Das arabische Mädchen kennt den Verführer nicht.

Kais Ebn el Mullauah Ebn Muzahem, den man auch Magnun Beni Amer oder kürzer noch Magnun Leïla nannte, lebte im ersten Jahrhundert der Hedschra. Islamitische Zeitrechnung. Sein letzter Beiname heißt der verrückt ist von Leïla. Und wie er zu diesem Beinamen kam, erzählt der Historiker des Faut El Uafiat:

Eines Tages kam Kais Ebn Mullauah auf seinem Kamel an einer Gruppe Frauen vorbei, unter denen sich Korcima und auch Leïla befand, und da sie ihn sehr schön fanden, baten sie ihn, abzusteigen und bei ihnen zu verweilen; er tat es und opferte selbst ein Tier, um ihnen und Leïla, die er liebte, Ehre zu erweisen. Da kam auch Manazel vorbei, und da verließen jene, welche Kais bewundert hatten, diesen für den neuen Ankömmling. Dies beleidigte Kais sehr. Aber andern Tages kam Kais doch wieder denselben Weg vorbei und traf Leïla, sie war in Gesellschaft ihrer Nachbarinnen; und diese Frauen fragten Kais: Wollt Ihr mit Frauen plaudern, die Euch nicht den Manazel vorziehen? Er blieb bei ihnen. Leïla, die in den Dichter verliebt war, versuchte es, ihn zu prüfen, um zu wissen, ob in seinem Herzen wäre, was in ihrem war. So sprach sie einmal mit ihm, dann entfernte sie sich von ihm. Darüber erschien ein anderer Jüngling. Leïla rief ihn und sprach ihm leise eine Weile ins Ohr, dabei sah sie den Dichter an und merkte, wie bleich er geworden war. Nun wußte sie von seiner Liebe und sagte zu ihm: Jeder von uns tut vor den Leuten gleichgültig gegen den andern, und doch begehren sich unsere Herzen. Unsere Augen erklären, was wir wollen. Es ist eine verborgene Liebe zwischen uns. Als er diese Worte hörte, kam den Dichter eine Ohnmacht an. Seitdem liebten sich die beiden. Kais, wie von Sinnen vor Liebe, zog sich in die Einsamkeit zurück, blieb nackt und sprach mit niemand außer jenen, die ihm von Leïla erzählten; und nur, wenn er von ihr sprach, schien er wieder zu Vernunft gekommen. Die von seinem Stamme wollten ihn mit Leïla verheiraten, aber deren Vater war dagegen und gab sie einem andern. Von dem Tag an wuchs des Kais Narrheit. Man berichtet, daß er einmal, als er an dem Gatten Leïlas vorbeikam, der sich gerade an einem Feuer wärmte, diesen in Versen gefragt hat, ob er Leïla geküßt und besessen hätte. Und auf die höhnische bejahende Antwort des Gatten griff Kais Glut aus dem Feuer und drückte sie in schweigender Verzweiflung zwischen seine Hände, bis diese knisterten

Das Bukolische der arabischen Liebespoesie sucht keine neuen Vergleiche, es repetiert verehrungsvoll die von den Alten geschaffenen, und der Reichtum seiner Sprache bedarf des schmückenden Beiwortes so wenig wie der nackte Körper des Kleides.

Der arabische Dichter, der arabische Mann liebt und besingt nicht die von der Wollust ermattete Frau. Er liebt und besingt das jungfräuliche Mädchen, die Gazelle, die flüchtige, oder die Lanze, die man ergreift. Es ist ein kriegerisches Frauenideal, das er verehrt, das mit den kleinen schwarzen Schwertern ihrer Wimpern reizende, das sich mit dem schwarzen Schlangengelock ihres Haares verteidigende Mädchen von dreizehn Jahren. Der Kampf steht höher als der Sieg.

Die Liebe löst das Mädchen aus dem freien Leben mit den Altersgenossen und -genossinnen ihres Stammes – nun verbirgt sie sich mit dem Geliebten. So übersteigert ist diese Diskretion, daß fast nie ein Dichter den wahren Namen des von ihm geliebten und besungenen Mädchens nennt. Nur der närrische Kais tat es dann, als Leïla einen andern heiratete. Erst dann.

Die Leidenschaft, die sich um nichts der Neugier preisgibt, verfeinert ins Außerordentliche den Ausdruck des Gefühls und dieses selber. Ein Dichter aus der Schule des Ebn el Farid schreibt den Vers: Ich frage, wo sie ist, und sie ist in mir. Wie ins Nichts-als-Zärtliche sich die Liebe dieser kriegerischen Bukoliker steigert, sagt ein Vers des Ebn el Rumi: Bringt die Umarmung wirklich näher als der Kuß?

Als die ersten Kreuzritter ins gelobte Land kamen, hatte die arabische Dichtung ihren höchsten Glanz erreicht und schon überschritten. Es war kein sonderlich zivilisierter Adel, der um das Kreuz auszog und nicht dieses, aber Kenntnis einer Kultur gewann, die nicht ohne Frucht bleiben sollte. Aus sarazenischem Erlebnis, aus provençalischem Blute, das es aufnahm, entstand die erste ost-westliche Stilform der Liebe, die Courtoisie. So blieb die Essenz arabischen Ursprungs erhalten, als unter den letzten Abassiden Mongolen und Türken die arabische Kultur ins Grab schaufelten.


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