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XIV.
Ein Kampf um Leben und Tod.

Als Pedro und Hans das Haus verließen, hatten sie in der Eile Braun nicht bemerkt, der eben die Barerstraße heruntergebummelt kam. Dieser aber hatte die beiden schon seit langem Gesuchten sofort erkannt.

Jetzt oder nie wieder! dachte Braun und beschleunigte sofort sein Tempo, um die beiden nicht aus den Augen zu verlieren.

Er drückte seinen Hut tief in die Stirne, damit er eintretenden Falles von ihnen nicht sofort erkannt würde. Er hielt sich stets etwa hundert Schritt hinter ihnen. Ein einziges Mal hatte sich Pedro umgesehen, Braun aber hatte sofort eine Wendung gemacht, als ob er die Straße überqueren wollte, damit Pedro sein Gesicht nicht sehen könne.

Als sie sich immer mehr der Dachauerstraße näherten, wurde der Verkehr von Passanten stets lebhafter, so daß Braun jetzt folgen konnte, ohne fürchten zu müssen, daß er erkannt werde.

Dort begegnete er auch einem ihm bekannten Kriminalschutzmann, welchen er sofort zu sich heranwinkte, ihn in wenigen Worten von allem verständigte und sodann ersuchte, ihm Beistand zu leisten, den dieser auch sofort zusicherte. Braun machte ihn nun sogleich darauf aufmerksam, daß die beiden Verfolgten vor nichts zurückschrecken würden, nur um ihre Freiheit zu behalten; es könnte sich dabei also um ihr Leben handeln.

Jetzt bogen Pedro und Hans in einen Hausflur ein. Mit ein paar Sprüngen war Braun so nahe gekommen, daß er sehen konnte, wie die beiden im Treppenflur verschwanden. Er folgte ihnen leise nach und blieb dann lauschend stehen. Er hörte nun, wie sie in den zweiten Stock kamen, dann in den dritten; leise schlich er in den zweiten Stock hinauf. Jetzt wurde eine Tür rechts im vierten Stock geöffnet und dann krachend zugeschlagen.

Jetzt saßen sie fest.

Er trat wieder auf die Straße, verständigte den ihn begleitenden Kriminalpolizisten und rief noch einen in nächster Nähe postierten Schutzmann herbei. Sämtliche drei begaben sich jetzt hinauf in den vierten Stock. An der Tür rechts war ein kleines Schildchen angebracht. »Frau Marie Lang« las Braun. Es war dies wohl die Wirtin. Er schellte. Sie mußten kurze Zeit warten, hörten aber bald, wie schlürfende Schritte sich näherten. Die Tür öffnete sich und in dem Spalt stand eine kleine dicke Person. Braun machte ihr mit einer Handbewegung ein Zeichen, daß sie schweigen solle, und fragte:

»Sind ihre Zimmerherren zu Hause?«

»Ja! Eben sind sie gekommen!«

»Wir wollen sie sprechen. Wo befindet sich ihr Zimmer?«

»Gleich hier!« Die Frau zeigte auf eine Tür.

Braun pochte. Seine beiden Begleiter hielten ihre Waffen bereit, falls es zu Tätlichkeiten kommen sollte.

Aber nichts regte sich. Es blieb alles ruhig. Abermals klopfte Braun, und zwar diesmal ziemlich stark. Die im Zimmer Befindlichen rührten sich nicht. Jetzt erst drückte Braun auf die Türklinke, um zu öffnen. Die Türe aber war verschlossen.

Die Wirtin rief nun auch noch, indem sie an die Zimmertür klopfte:

»So öffnen Sie doch, ein Herr will Sie sprechen.»

Wiederum eine totenähnliche Stille. Braun hörte ein leises Geräusch wie das Öffnen eines Fensters.

»Rasch die Türe eindrücken, sie wollen auf das Dach entfliehen!« rief er flüsternd seinen Begleitern zu.

Drei Körper stemmten sich mit der Last ihrer Leiber gegen die Tür; ein kurzer Widerstand, dann ein Krachen – und die Tür sprang auf – –

Als Pedro und Hans in ihrem Zimmer angekommen waren, hatten die beiden sofort ihre Taschen von den gestohlenen Sachen entleert. Hans holte eine kleine Reisetasche herbei, in die sie die Sachen eiligst verpackten.

»Nun aber rasch fort, sonst versäumen wir schließlich noch den Zug!« sagte Pedro.

»Die Arbeit wird bald erledigt sein,« meinte Hans hierzu.

»Auf wie hoch schätzt Du denn alles?«

»Wir lösen mindestens 2-300 000 Mark dafür ein!«

»Dann hat sich das Wagnis ja sehr gelohnt!« fügte Pedro lachend hinzu.

Sie hörten jetzt, wie geklingelt wurde.

»Wer mag das sein?« fragte Hans und horchte.

»Wahrscheinlich kommt irgend ein Besuch zur Hausfrau.«

»Pst! Still! Ich höre reden. Sie unterhandeln. Ich kann kein Wort verstehen. Das kann kein Besuch sein.«

Mehrere leise Tritte näherten sich ihrer Zimmertür.

»Ist sie verschlossen?« flüsterte Hans fragend Pedro zu.

Dieser nickte zur Bestätigung.

Ein Pochen wurde hörbar.

Die beiden regten sich nicht; auch nicht auf ein erneutes abermaliges Pochen.

»Das ist Polizei!« flüsterte Pedro erbleichend.

»Fort, zum Fenster hinaus!« gab Hans zur Antwort.

Pedro war sofort an das Fenster getreten, hatte mit einem Rucke die Fensterflügel geöffnet und sich über die Brüstung geschwungen. Hans dagegen hatte rasch das Köfferchen zugeschlossen und nahm es in der einen Hand mit sich, als er sich gleichfalls hinausbeugen wollte. Pedro hatte bereits mit beiden Händen die Dachkante gefaßt, als plötzlich unter lautem Krachen die Türe aufsprang und Braun und seine beiden Begleiter in das Zimmer hereinstürmten.

So schnell es nur möglich war, zog sich Pedro auf das Dach empor. Hans wollte ihm folgen. Da er aber nur eine Hand zur Verfügung hatte, warf er den Koffer rasch auf das Dach und wollte dann mit beiden Händen die Dachkante ergreifen. In der Eile und Aufregung aber griff er daneben, verlor das Gleichgewicht, wankte und stürzte mit einem gellenden Aufschrei in die Tiefe hinunter.

Braun, der sofort an das Fenster gesprungen war, sah, wie der Körper auf dem Steinpflaster aufschlug. Im ersten Augenblicke war er wie gelähmt; dann aber kam ihm zum Bewußtsein, daß Pedro nun abermals entkommen könne. Dies verlieh ihm sofort wieder die Besinnung. Er sprang jetzt ebenfalls auf die Fensterbrüstung, ergriff die Dachkante mit den Händen und schwang sich hinauf.

Pedro lag nahe am Rande des Daches. Er sah, wie Braun nach der Rinne griff. Durch den Absturz seines Genossen aber war er so überrascht, daß er gar nicht daran dachte, seinen Todfeind und Verfolger an dem Emporklettern zu verhindern. Fast apathisch wartete er, wie Braun näher an ihn herankroch.

Erst als dieser ihn schon mit den Händen ergreifen konnte, erwachte wieder der Drang nach Freiheit und der Selbsterhaltungstrieb in ihm. Das Dach war vollständig flach. Mit einem raschen Blick hatte sich Pedro überzeugt, daß alle Häuser miteinander in Verbindung standen und dachte, durch eine Flucht über alle die Dächer den Verfolger allmählich irre zu führen und zu verlieren.

Wie von einer Natter gestochen sprang Pedro empor. Ebenso rasch aber war Braun ihm gefolgt, dessen scharfer Blick die Bewegung des Verbrechers sofort erkannte. Die Arme Brauns hatten den Körper Pedros umklammert und zu Boden gerissen. Jetzt entstand zwischen den beiden ein furchtbares Ringen. Pedro kämpfte für sein Leben und seine Freiheit, Braun für seine Pflicht. Braun sah, wie sie jetzt nahe am Rande des Daches lagen. Noch eine Wendung und beide stürzten unfehlbar in die Tiefe. Mit allen ihm zur Verfügung stehenden Kräften drückte Braun sich auf Pedro, um eine weitere Wendung, die den Tod zur unmittelbaren Folge haben mußte, zu verhüten. Aber die Kräfte Pedros waren den umklammernden Armen des schmächtigen Detektivs überlegen. Ein gewaltiges Aufbäumen Pedros folgte und – in demselben Augenblick wurden beide von den inzwischen gleichfalls angekommenen Begleitern Brauns zurückgerissen.

Jetzt war jeder weitere Widerstand Pedros vergeblich. Bald lag er gefesselt auf dem Dache. Durch eine auf den Boden des Hauses führende Dachluke wurde der Abstieg bewerkstelligt, und auch der noch auf dem Dache liegende Koffer wurde mitgenommen.

Braun übergab nun Pedro den beiden Beamten zur Bewachung und befahl ihnen, zunächst mit dem Gefangenen in dessen Wohnzimmer zu bleiben. Er selber stürzte die Treppe hinunter, um zu sehen, was aus Hans geworden wäre.

Auf der Straße hatte sich inzwischen eine Menge von Personen um den Abgestürzten angesammelt, welche von unten aus den Kampf auf dem Dache verfolgt hatte. Braun untersuchte Hans. Dieser hatte sich beim Absturz den Schädel zertrümmert und war sofort tot geblieben.

Der Detektiv ließ sofort einige Schutzleute herbeirufen, die für die Fortschaffung der Leiche Sorge tragen sollten. Dann erst begab er sich wieder in das Zimmer Pedros in den vierten Stock hinauf, woselbst ihn seine Begleiter seinen Anordnungen gemäß mit dem Gefangenen erwarteten.

Jetzt erst kam ihm das Schreckliche seiner Lage, in der er geschwebt hatte, zum Bewußtsein. Nun erst sah er die gähnende Tiefe vor sich, in die er unfehlbar hinabgestürzt wäre, wenn seine Begleiter nicht zur Hand gewesen wären. Es wurde ihm schwarz vor den Augen, alles flimmerte um ihn, so daß er sich setzen mußte. Bald aber hatte er sich wieder erholt. Dann dankte er zunächst seinen wackern Mithelfern.

Pedro saß totenbleich auf seinem Stuhle. Er gab auf keine der von Braun an ihn gestellten Fragen Antwort. Dieser ließ sofort die Taschen des Gefangenen durchsuchen, man fand aber nur ein mit Banknoten angefülltes Portefeuille, jedoch keine Legitimationspapiere, Notizen oder ähnliches.

Nachdem auch der Koffer und die noch auf dem Tische liegenden Schmucksachen zusammengepackt worden waren, wurde eine Droschke herbeigeholt und Pedro in Brauns und der Kriminalpolizisten Begleitung zum Polizeigebäude geschafft.


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