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III.
Die Brasilianer.

Der 18. Juli war ein glühend heißer Sommertag. Die Neuhauserstraße, in der für gewöhnlich der größte Personenverkehr herrschte, war an diesem Nachmittage gegen drei Uhr wie ausgestorben. Die Sonne brannte auf die Straße nieder, daß die Luft in dieser Gluthitze flimmerte. Nur ab und zu sah man einen Passanten, der im Schatten der Häuser entlang schlich. Elektrische Trambahnwagen rasselten durch die Straßen und das schrille Glockenzeichen gab der Führer des einzelnen Wagens nur mechanisch, weil er es eben so gewohnt war. Nötig wäre es ja nicht gewesen, da sich ihm kein Hindernis die ganze Straße entlang in den Weg stellte.

Wo waren wohl die vielen Leute, die sonst immer diese Straße belebten? Die Mehrzahl hatte sich wohl zurückgezogen in den feuchtfröhlichen Winkel eines Bierkellers, wo sie unter schattigen, Kühle spendenden Bäumen eine Maß nach der andern die Kehle hinabfließen ließen und so ihr Äußeres und Inneres erfrischten. Ein anderer Teil stand vielleicht bis zum Halse in dem kühlen Wasser irgend einer Badeanstalt, um auf diese Art Schutz vor den sengenden Sonnenstrahlen zu finden.

Vor dem Hotel »Hamburger Hof« stand an der Einfahrt ein Kellner an die Wand gelehnt und sah träumerisch vor sich hin. Die Serviette war seiner Hand entfallen, doch schien er das gar nicht bemerkt zu haben. Vielleicht sah er im Geiste vor sich eine frisch schäumende Maß Bier, während in seinen Ohren die fröhlichen Weisen einer Kellerkapelle summten. Offenbar war es etwas sehr Angenehmes, womit sich seine Träume beschäftigten, denn sein Mund lächelte.

Um so unangenehmer aber mußte es wohl für ihn sein, als er durch das Rütteln und Rasseln eines vorfahrenden Fuhrwerks aufgeschreckt wurde. Eine Droschke hielt vor dem Eingange, aus welcher ein junger, etwa dreißigjähriger Herr stieg, dem ein etwa gleichaltriger Diener nachfolgte; während der Herr den Droschkenkutscher bezahlte, hatte der Kellner mit einer affenartigen Geschwindigkeit die Serviette wieder vom Boden aufgerafft und empfing die das Hotel nunmehr betretenden Gäste mit einer Anzahl von Bücklingen. Der Herr ließ sich sofort zwei zusammenhängende Zimmer anweisen. Flink und geschäftig eilte der Kellner voran in den ersten Stock des Hotels hinauf. Langsam und gemächlich folgte ihm der Fremde. Etwa drei Schritte hinter ihm kam der Diener nach. Beide hatten kein Gepäck bei sich.

Der Kellner wies ihnen Zimmer Nummer 13 und 14 an. Hierauf wandte sich der Herr an den Kellner und sagte mit etwas fremdartiger Betonung:

»Es werden morgen, vielleicht auch erst übermorgen meine Koffer kommen, von Frankfurt. Lassen Sie diese sofort auf mein Zimmer schaffen. Verstanden!«

»Zu Befehl, Euer Gnaden!« Wiederum folgte diesen Worten eine Anzahl tiefer Bücklinge.

»Gut!« begann nun der Fremde wieder. »Bringen Sie uns jetzt Bier und Speisekarte. Auch das Fremdenbuch. Wir wollen lange hier bleiben.«

Nachdem der Kellner noch unzählige Rumpfbeugen ausgeführt hatte, verschwand er aus dem Zimmer.

Der Fremde setzte sich hierauf auf ein im Zimmer stehendes Sopha. Der Diener, der ihm nachfolgte, warf seine Dienermütze in eine Ecke des Zimmers und sagte:

»Na hör' mal, Pedro – Pedro, ein verdammt ekliger Name – wie lange soll ich denn noch in dieser Zwangsjacke stecken?«

»Du wirst es wohl noch ein paar Tage aushalten können!«

»Nur mit Not!«

»Gedulde Dich! Nicht länger als höchstens zehn Tage. Bis dahin, denke ich, sind die 50 000 Mk. einkassiert.«

»Hoffentlich!«

»Was glaubst Du denn Hans? Wird wohl der Brief schon in den richtigen Händen sein?« Der Fremde, mit Pedro Angesprochene, redete jetzt vollständig ungezwungen und fließend, und es war von einem fremdländischen Accent nichts mehr zu bemerken.

»Sehr wahrscheinlich!«

Es schwiegen nun beide.

Anscheinend war der angebliche Diener wohl ein guter Freund des Pedro, der nur für vorübergehende Zeit als Diener gelten mußte. Der Fremde selbst hatte schwarzes Haar und schwarzen Schnurrbart. Seine dunkeln Augen zeigten einen lebhaften Glanz; um die Mundwinkel lag stets ein Ausdruck von Überlegenheit und Geringschätzung. Auf der Stirn zeigte sich eine leicht gerötete Narbe. Der Diener Hans war ein blonder Lockenkopf mit schönen, blauen Augen, die so naiv und unschuldsvoll aussahen, als könnten sie überhaupt gar nichts Schlechtes sehen. Er hatte gleichfalls einen Schnurrbart, jedoch von blonder Farbe, auch einen Anflug von Backenbart.

Der Kellner trat bald darauf wieder ein und brachte eine Speisekarte, sowie unter dem Arme schleppend ein ziemlich umfangreiches Fremdenbuch. Dieses legte er dem Fremden vor, öffnete es, zog ein Schreibzeug aus seiner Tasche und reichte dann Pedro die Feder zum Einschreiben. Dieser las aufmerksam die Einträge, die vorher gemacht worden waren, und schrieb hierauf:

»Pedro Serrao, Rentner, Rio de Janeiro (Brasilien). Ein Diener.«

Hierauf klappte der Kellner das Buch wieder zu und überreichte die Speisekarte. Prüfend überflog Pedro den Inhalt und sagte dann:

»Willst Du Rehbraten, Hans?«

»Gern, Herr!« war die Erwiderung.

»Dann servieren Sie zwei Rehbraten mit Gemüse. Bringen Sie aber vorerst Bier! Verstehen Sie mich?«

»Gewiß, mein Herr!« dienerte der Kellner, packte wieder alles zusammen und verschwand.

»Ich bin tatsächlich gespannt, wie die Sache wohl enden wird!« sagte Hans.

»Vorzüglich! Ich garantiere!« antwortete Pedro.

»Mir sehr, sehr angenehm!«

»Das glaube ich!« sagte lachend Pedro. »Aber mit unseren Geldern sieht es verflucht miserabel aus. Ich habe kaum noch fünfzig Mark.«

»Allerdings sehr, sehr betrübend!«

»Nur stille! Ich habe so eine Ahnung, als brächten die nächsten Tage Geld.«

»Oho!«

»Du hast doch die Koffer in Frankfurt kreditwürdig gepackt?« fragte jetzt Pedro.

»Da, glaube ich, wäre jede Frage überflüssig. Ich möchte die Koffer bei dieser Hitze nicht schleppen. So schwer müssen die sein!«

»Das ist gut!«

Der Kellner trat wieder ein und stellte zwei Glas Bier auf den Tisch und wollte sich dann entfernen.

»Lieber Freund, gedulden Sie sich!« rief ihm Pedro nach, trank das eine Glas auf einen Zug leer und gab es dann dem Kellner wieder, der sich damit entfernte.

»Herrgott, das erfrischt!«

»Weißt Du, was für eine Zimmernummer ich habe?«

»No!«

»13!«

»So!«

»Das bringt Unglück!«

»Ich weiß!«

»Dann wäre es besser, ich ließe uns zwei andere Zimmer anweisen!«

»Warum nicht?«

»Es ist doch von Vorteil für uns.«

»Wieso?«

»Nun, muß es denn uns Unglück bringen! Es bringt wohl Unglück, aber jemand anderem.«

Nun schwiegen die beiden.

Nach kurzer Zeit fragte Hans: »Wenn aber die Gesellschaft die Summe nicht bezahlen will?«

»Warum soll sie es nicht?«

»Weil der Kopf fehlt!«

»Lächerlich!«

Inzwischen hatte der Kellner ein frisches Glas Bier gebracht.

Pedro fragte ihn: »Ist der Direktor zu sprechen?«

»Nein!« war die Antwort.

»So! Ich gedenke einige Monate hier zu bleiben. Setzen Sie alles, was ich kommen lasse, auf die Rechnung und legen Sie diese mir alle vierzehn Tage vor. Können Sie die Sache ordnen? Meine Koffer müssen morgen ankommen! Lassen Sie diese dann von der Bahn abholen. Sie kommen von Frankfurt.«

Pedro reichte dem Kellner ein Dreimarkstück hin, das dieser sofort zu sich steckte und dabei gleich einem Taschenmesser zusammenklappte.

»Ich werde alles aufs beste besorgen, Euer Gnaden! Sie dürfen sich vollständig beruhigen und auf mich verlassen!«

»Gut!«

Der Kellner verließ das Zimmer wieder.

Lachend wandte sich hierauf Hans an Pedro und sagte: »Diesmal war ich das kreditwürdige Objekt. Na, wenn die Koffer 'mal ankommen werden, dann pumpen sie mindestens einen Monat lang!«

»Sehr gut für uns!« gab Pedro zur Antwort und fuhr fort: »Aber Du, Hans, ich hätte bereits wieder einen Auftrag für Dich!«

»Rentabel?«

»Sehr!«

»Also los!«

»Es ist vor uns ein Jude abgestiegen. Bankier, wohl sehr reich! Nathan Rosenstengel! Mit Frau und Tochter. Erkundige Dich näher!«

»Gewiß!« gab Hans zurück und fragte dann:

»Was gedenkst Du zu tun?«

»Das weiß ich selbst noch nicht! Das werde ich schon sehen!«

Der Kellner erschien jetzt wieder, mit ihm ein Piccolo. Beide servierten das bestellte Essen und entfernten sich schleunigst wieder, nachdem der Kellner sich vorher noch nach etwaigen Wünschen des Herrn erkundigt hatte.

Die beiden setzten sich hierauf an den Tisch und verzehrten mit größtem Appetit den delikat zubereiteten Rehbraten. Während der Mahlzeit wurde fast kein Wort gesprochen, nur ab und zu fiel eine Bemerkung über das Mahl und die vortreffliche Zubereitung.

Als sie alles verzehrt hatten, schellte Hans dem Kellner, der auch sofort erschien und die Reste fortnahm. Als der Kellner das Zimmer wieder verlassen hatte, griff Hans nach seinem Glas und rief: »Prosit!«

»Prosit!« nickte ihm Pedro zu und fragte dann: »Was wollen wir leben lassen?«

»Nicht lange besonnen,« antwortete dieser darauf, »Monnard soll leben und die 50 000 Mk. daneben!«

Beide tranken ihr Glas leer.

Pedro lächelte hierauf und sagte: »Ich danke! Aber nicht zu laut! Man sagt, Wände hätten Ohren.«

»Aber keinen Kopf!« gab Hans schlagfertig zurück.

Pedro lächelte wieder und schellte abermals, um ein neues Glas Bier bringen zu lassen.


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