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XIII.
Ein gewagtes Unternehmen.

Im Erdgeschoß des Eckhauses Borer-und Briennerstraße befindet sich ein Juwelierladen, dessen Auslagen stets prächtige Schmuckgegenstände und eine große Anzahl eingefaßter Brillanten und sonstiger Edelsteine zeigen. Es steht zumeist eine große Menge von Passanten vor den Schaufenstern, die die Pracht der mannigfaltigen Kostbarkeiten bewundert.

An einem Septemberabend standen auf der gegenüberliegenden Straßenseite zwei Passanten, die unablässig die Umgebung und das Haus betrachteten. Es waren dies unsere alten Bekannten Pedro und Hans. Sie hatten sich nicht verändert und Pedro trug sich genau so wie bei seinem Erscheinen im Hamburger Hof; ebenso Hans. Nur zeigte die Stirne Pedros nicht die Narbe.

»Hast Du alles genau aufgezeichnet?« fragte Pedro.

Hans nickte bejahend.

»Du glaubst also, wir könnten es morgen mittag besser ausführen als nachts.«

»Sicher!« gab Hans hierauf zur Antwort. »Wir haben entschieden bessere Chancen. Verüben wir den Streich nachts, dann hat man am nächsten Morgen die Tat entdeckt. Wenn wir aber am Sonntag nachmittag den Einbruch ausführen, dann haben wir als Vorsprung den ganzen Nachmittag, den Abend, die Nacht und die ersten Morgenstunden.«

»Das allerdings! Aber wird man nicht aufmerksam werden?«

»Sicher nicht! Das Haus ist ja wie ausgestorben. Bei schönem Wetter machen die Leute Spaziergänge, da bleibt niemand zu Hause. Außerdem arbeiten wir so geräuschlos, daß man es unmöglich durch die Wände hören kann.«

»Auch von der Straße aus können wir nicht bemerkt werden.«

»Nein! Bei einer solchen Hitze läuft niemand in den Straßen umher. Und die in den Eisenläden befindlichen Gucklöcher schaden uns weniger als bei Nacht. Während nachts jeder vorbeipatrouillierende Schutzmann hineinsieht, kümmert sich am Tage kein Mensch darum. Wer denkt denn, daß am Tage in einen Juwelierladen eingebrochen wird?«

»Jedenfalls aber wird dies unser letzter Streich hier sein!«

»Leider, denn hier haben wir viel erbeutet.«

Im Juwelierladen wurden eben die Rollläden zugezogen. Es war bereits acht Uhr und Geschäftsschluß.

»So, jetzt acht geben!« sagte Pedro.

Hans nahm ein Blatt Papier aus der Tasche, auf welchem sich mit Bleistift gezeichnete Pläne und Notizen befanden. Er machte hierauf in seinen Zeichnungen Punkte.

»Erledigt?« fragte Pedro.

»Ja!«

»Dann können wir wieder gehen?«

Hans antwortete darauf nicht weiter, sondern ging in die Briennerstraße voran.

Am nächsten Tage – es war ein Sonntag – näherten sich die beiden wiederum dem Juweliergeschäfte. Die Rollläden waren geschlossen. Beim Vorübergehen sah Pedro wie zufällig in den Laden durch die angebrachten Gucklöcher und sagte dann:

»Es ist alles erhellt. Das ganze Lokal kann man übersehen.«

»Schadet nichts,« war die Erwiderung.

Die beiden hatten scheinbar nichts bei sich, lediglich Pedro trug einen Schirm.

Sie begaben sich durch den Hauseingang in den rückwärts gelegenen Hof. Dort zeigte Hans auf ein offenstehendes Abortfenster des ersten Stockes und sagte:

»Dort hinein!«

Vom Boden aus führte an diesem Fenster vorbei ein Blitzableiter zum flachen Dache des Hauses. Nachdem sich nun beide nach allen Seiten prüfend umgesehen hatten, ob sie nirgends beobachtet wurden, kletterte Hans zuerst den Blitzableiter hinauf und zwängte sich durch das Fenster in den Abort. Bald folgte ihm Pedro nach.

Beide lauschten. Aber nichts regte sich. Hans schlich den Gang zur Aborttür vor und horchte. Alles war still. Dann erst öffnete er leise die Tür und sein Blick spähte umher, ob sich irgend etwas zeige, was auf Anwesenheit von Menschen schließen lasse. Dann huschte er, gefolgt von Pedro, der die Aborttüre ebenso leise wieder schloß, über den Wohnungsgang zu einer Vorratskammer, die etwa drei Türen weiter rechts lag.

Kaum hatten sie diese betreten und die Türe wieder geschlossen, da hörten sie, wie aus einer Wohnungstüre sich ein Geräusch näherte, gleich den Tritten einer Person. Schon konnten sie den schlürfenden Gang in der nächsten Nähe der Vorratskammer hören. Hans sah Pedro fragend an.

Dieser aber biß die Lippen zusammen und zog ein Messer aus der Tasche, das er stichbereit hielt. Aber die Tritte entfernten sich wieder, sie hörten eine Tür zuschlagen, dann war wieder alles still.

»Wohin jetzt?« fragte Pedro flüsternd.

»Folge mir nur!«

Die Vorratskammer war vorn angefüllt mit verschiedenen Eßwaren. Im Hintergrund aber standen ein paar Reisekoffer und hingen mehrere Kleider. Zwischen diesen und den Fenstern, die gleichfalls auf den Hof mündeten, war ein Zwischenraum von etwa 1 Meter Breite und 2 Meter Länge. Hier kauerten sich beide nieder.

Falls jetzt jemand in die Speisekammer trat, um etwas zu holen, so wären sie gar nicht bemerkt worden.

»Was jetzt?«

»Hier unten ist die Garderobe der im Geschäft Angestellten,« gab Hans zur Antwort.

»Müssen wir hinunter?«

»Ja!«

Im Flüstertone führten sie dieses kurze Gespräch. Pedro zog nun aus seiner Tasche einen sogenannten Zentrumbohrer, der dazu benutzt wird, um ein kreisrundes Loch anzubohren.

»Ist er scharf?« fragte Hans.

»Er bohrt selbst Eisen an.«

»Arbeitet er leise?«

»Etwas Geräusch macht schließlich jeder.«

»Gut! Machen wir einen Dämpfer.«

Hans zog sein Jackett aus. Pedro setzte den Bohrer an und stellte ihn so, daß das dadurch gewonnene Loch höchstens einen Durchmesser von fünf Zentimetern bekam. Als er ihn festgestellt hatte und nur noch zu drehen brauchte, legte Hans das Jackett so über die Hände und den Bohrer, daß Pedro bei der Arbeit zwar nicht gehindert wurde, aber auch gar kein Geräusch zu hören war.

Pedro hatte nur ein so kleines Loch angebohrt, damit das Aufschlagen der abbröckelnden Mauerstücke keinen zu großen Lärm verursache.

Die Arbeit ging rasch vorwärts.

Pedro hörte mit Bohren auf. Man hatte nur dumpf und ganz schwach das Geräusch von auffallendem Sand und Steinchen gehört.

»Fertig?« fragte Hans.

»Ich glaube.«

Hans zog das Jackett wieder fort und nun zeigte es sich, daß das Loch durch den Fußboden und die Decke des Erdgeschosses hindurch führte, so daß man bereits in die Garderobe hinuntersehen konnte.

»Gut so?« fragte Pedro.

»Ich glaube, es reicht.«

Hans nahm den Schirm zur Hand, drehte ihn möglichst dünn zusammen und steckte ihn durch das gebohrte Loch. Der Schirm, der keine Schließfeder oben hatte, klappte durch einige rasche Drehungen von selbst auf. Jetzt setzte Pedro den Bohrer wiederum an. Diesmal aber war es ein Loch von 20 bis 30 cm Durchmesser.

Abermals wurde durch Überwerfen des Jacketts das Geräusch des Bohrers gedämpft. Pedro bohrte, Hans hielt den Griff des Schirmes fest. Die nunmehr abfallenden Brocken fielen jetzt alle in den aufgespannten Schirm, so daß nicht das leiseste Geräusch zu hören war.

Bald war auch dieses Loch fertig. Hans leerte den Schirm.

Jetzt wurde neben diesem noch ein zweites gleich großes Loch gebohrt und dann die Verbindung zwischen beiden durchgedrückt.

So, jetzt war eine Öffnung geschaffen, durch welche sich ein Mensch leicht hinunterlassen konnte.

»Jetzt die Leiter!« raunte Pedro.

Hans zog aus der Tasche eine fest zusammengerollte Strickleiter aus dünnem, aber festem Stahldraht. An dem einen Ende der Leiter waren feste, starke Haken, welche Hans fest in den Boden eindrückte und dann die Leiter in den Raum hinunterfallen ließ.

»Lassen wir das Zeug oben liegen?« fragte Pedro und zeigte auf Schirm und Zentrumbohrer.

»Ja, wir brauchen sie doch nicht mehr!«

»Glaubst Du?«

»Nach dieser Ausbeute dort unten auf keinen Fall mehr.«

Hans stieg jetzt voran die Leiter hinab. Als er unten auf dem Boden stand, folgte Pedro nach.

Sie befanden sich jetzt im Garderobenraum. Es war dies eine kleine, schmale, vollständig leere Kammer. An der Wand waren einige Kleiderhaken angebracht. Die in den Hof gehenden Fenster waren vergittert. Hans ging nun an die Tür und öffnete diese. Sie war nicht verschlossen. Sie sahen jetzt in den hellbeleuchteten Ladenraum.

Hans zog nun aus der Tasche ein schwarzes Heftpflaster, schnitt es mit dem Messer in vier Stücke, bedeutete Pedro hier zu warten, legte sich sodann platt auf den Boden und kroch nach den Schaufenstern vor. Dort angekommen, befeuchtete er das Pflaster und verklebte die Stelle des Glasfensters, durch die man in den Innenraum sehen konnte. Dasselbe Manöver wiederholte er bei den drei übrigen Gucklöchern.

Als er damit fertig war, winkte er Pedro näher zu kommen. Dieser trat jetzt auch ein und die beiden machten sich nunmehr an die Plünderung.

»Die Sachen sind alle eigenartig und wunderbar gearbeitet,« sagte Pedro, während er eine Schachtel Ringe zu sich steckte.

»Für uns kein Vorteil!« antwortete Hans. »Wir werden alles Gold einschmelzen müssen. Die Brillanten bringen wir überall an.«

»Wir müssen doch fast für 100 000 Mk. Wertsachen in die Hände bekommen.«

»Zu wenig! Zu wenig! Der Streich ist mehr wert. Nimm auf alle Fälle nur Sachen mit Brillanten. Die andern Steine haben nicht so viel Wert.«

»Ich möchte nur, der famose Braun sähe uns jetzt bei der Arbeit zu,« meinte lachend Pedro.

»Ich bin immerhin froh, wenn wir die Stadt glücklich hinter uns haben. Wir haben es hier doch etwas toll getrieben.«

»In wenigen Stunden führt uns der Schnellzug nach der Schweiz und dann holt uns kein Braun mehr ein.«

Hans sprengte eben mit der Messerklinge ein Kästchen auf, das nur ungefaßte Diamanten enthielt.

»Herrlich!« rief er halblaut. Der Anblick hatte ihn derart überrascht, daß er fast die Umgebung vergaß.

Pedro näherte sich und sagte sodann: »Das ist ja allein schon ein Vermögen.«

Nachdem sie die vollständige Plünderung durchgeführt hatten, drängte Hans zum baldmöglichen Aufbruch.

»Auf dem alten Wege?« fragte Pedro.

»Es gibt keine andere Möglichkeit!« war die Antwort.

»Vorwärts dann!«

Bald standen sie wieder in der Vorratskammer im ersten Stock.

»Jetzt vorsichtig, damit wir unbemerkt in den Abort zurückkommen,« flüsterte Hans.

»Wenn sich aber jemand darin befindet?«

»Verdammt!« brummte Hans. »Daran habe ich nicht gedacht!«

»Können wir nicht leise zur Korridortür und so auf die Treppe hinausgelangen?«

»Das ist gewagt.«

»Frisch gewagt.«

»Ist auch halb verloren,« unterbrach Hans.

Hans öffnete einen nur geringen Spalt der Tür und horchte. Als sich nichts regte, traten beide hinaus. Da sie Gummischuhe trugen, war selbstverständlich nicht das leiseste Geräusch wahrnehmbar.

Schon standen sie an der Korridortür. Wenn sie jemand aus der Wohnung kommen sah, waren sie verloren; ebenso, wenn die Tür nicht ohne Geräusch schloß. Hans wollte zögern. Jedes Zaudern aber konnte sie verraten.

Er öffnete sehr vorsichtig. Kein Laut. Alles blieb still!

Jetzt standen beide auf der Treppe und atmeten erleichtert auf. Sie waren in Sicherheit.

Als sie die Treppe hinunterstiegen, hätte wohl niemand in ihnen Einbrecher vermutet. Bald waren sie auf der Straße.

»So, jetzt nur noch schnell in die Wohnung, alles gepackt, dann fort!« sagte Pedro.

»Endgültig!« fügte Hans bei.

Rasch schritten sie dahin in der Richtung nach der Dachauerstraße zu.


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