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VIII.
Eine kostspielige Verlobung.

Die nächsten Tage verbrachten die beiden fast nur in Gesellschaft der Familie Aronstein, und es wurden gemeinsame Ausflüge in Münchens Umgebung unternommen. Die Kosten bestritt dabei immer Vater Aronstein, der es sich als Ehre anrechnete, die Freunde bewirten zu dürfen. Abends dagegen wurden bekannte Münchener Konzerte oder Variétés besucht. Wladimir machte nun der Tochter in Gegenwart der Eltern den Hof und warb förmlich um ihre Gunst. Er verstand es aber, die Entscheidung immer wieder zu verzögern und hinauszuschieben.

Als die Freunde wieder einmal allein beisammen waren, sagte David:

»Na, so ein prächtiges Leben haben wir doch lange nicht mehr geführt!«

»Das stimmt wohl!« erwiderte Wladimir darauf. »Schade, daß die Sache nun bald zu Ende sein wird!«

»Zu Ende? Warum?«

»Ja, glaubst Du, ich kann die Sache eine Ewigkeit so fortsetzen. Das Mädel dringt täglich in mich, ich soll bei ihren Eltern anhalten.«

»Na, so tu' es doch!«

»So! Was aber dann?«

»Dann läßt Du Dir von dem Alten eine anständige Summe auszahlen, und dann wird verduftet.«

»So gar einfach ist die Sache nicht!« brummte Wladimir.

»Ich hab' eine Idee,« rief nun David aus.

»Solche hast Du ziemlich oft!«

»Diesmal mußt Du noch aushalten. Und jetzt befehle ich Dir, in allen Punkten mir zu gehorchen.«

»Meinetwegen auch!« knurrte Wladimir.

»Gut! Du verläßt das Zimmer nicht, bis ich Dich selbst herbeihole.«

»Warum? Gerade für heute ist eine wunderbare Partie nach dem Starnberger See geplant.«

»Sorge Dich nicht! Ich hole Dich schon. Aber vorerst verläßt Du diese vier Wände nicht!«

»Was das werden soll begreife ich nicht.«

David gab ihm hierauf keine Antwort mehr, sondern verließ das Zimmer und suchte die Familie Aronstein auf. Er wurde sofort mit Fragen bestürmt, wo sein Freund geblieben sei. Er entschuldigte ihn und fragte dann Aronstein, ob er mit ihm allein sprechen dürfe. Vater Aronstein und David begaben sich in den Rauchsalon des Hotels. Dort setzten sie sich in eine abseits gelegene Nische.

Dann begann David:

»Herr Aronstein, ich komme jetzt zu Ihnen als Freund Wladimirs. Er weiß nichts davon, daß ich mit Ihnen spreche, und ich bitte Sie, ihm ja nichts davon mitzuteilen.«

»Aber natürlich werd' ich nichts sagen!« versicherte Aronstein. »So reden Sie nur, was ist geschehen?«

»Graf Wladimir hat gestern seine Brieftasche verloren. Als er abends schlafen ging, hatte er es erst bemerkt.«

»Ah, da hat er jetzt wohl kein Geld! Das hat doch nichts zu sagen! Wie viel benötigt er? Ich strecke es ihm ja gerne vor.«

»Nicht nur das! Lassen Sie mich zu Ende reden,« begann David wiederum. »Sie werden wohl auch schon bemerkt haben, – es ist ja mir auch nicht entgangen, daß er sich für Ihr Fräulein Tochter interessiert.«

»Wie? Für meine Tochter? Der Herr Graf für meine Tochter?« Vater Aronstein spielte den Überraschten.

»Ja!«

»Aber das ist doch nicht möglich!«

»Ich weiß es bestimmt!« versicherte David lächelnd. »Er schreibt jetzt eben nach Hause, damit ihm sämtliche Papiere geschickt werden und eine entsprechende Summe Geldes. Er hatte nämlich beabsichtigt, Sie bei dem heutigen Ausflug um die Hand Ihrer Tochter zu bitten und Sie zugleich zu ersuchen, heute abend die vorläufige Verlobung zu feiern. So nur entre nous. Er wollte Ihrer Tochter, so viel er mir erzählte, ein Brillant-Kollier, daß er bei Hofjuwelier Thomas sah, zum Geschenke machen. Durch diesen Zwischenfall wurde sein Plan vereitelt. Er ist deshalb vor Mißmut krank. Da ich ihm nun am nächsten stehe, würde ich ihm gerne helfen, aber ich bin leider nicht in so günstiger Vermögenslage.«

»Ah, ich verstehe! Da wollen Sie ihm das Geld vorstrecken!« rief nun Aronstein aus.

»So ist es! Von einer dritten Person nähme er ja nichts an; er will ja auch das Mahl aus seiner Tasche zahlen!«

»Der Herr Graf ist ein Ehrenmann! Ich weiß! Was aber benötigen Sie?«

»Nun, das Kollier, das er als Verlobungsgeschenk kaufen wollte, kostet mehr als 10 000 Mk., dazu kommt das Festmahl und anderes 15 000 Mark werden wohl reichen. In längstens drei bis vier Tagen sind ja alle seine Papiere und Gelder hier.«

Aronstein nahm sofort aus seiner Tasche ein Checkbuch und sagte, während er einen Check ausfüllte:

»Ich lasse Ihnen 20 000 Mk. anweisen. Das wird auf alle Fälle genügen!«

Dann reichte er David den Check hin, den dieser zu sich steckte, und sich dann dankend entfernte, mit dem Versprechen, sich gegen zehn Uhr mit seinem Freunde zu dem geplanten Ausfluge nach Starnberg einzufinden.

David fuhr nun gleich per Droschke zur Filiale der Deutschen Bank und ließ sich den Check auszahlen. Nach kaum einer Stunde trat er wieder in das Zimmer, in welchem er seinen Freund Wladimir zurückgelassen hatte. Dieser lag auf dem Divan und paffte Zigaretten.

»Was ist los?« fragte Wladimir, als sein Freund mit solcher Hast in das Zimmer hereinstürmte.

David entgegnete nichts darauf, sondern legte nur die 20 000 Mk., die er in Banknoten ausbezahlt erhalten hatte, auf den Tisch und blickte Wladimir an. Als dieser das Geld sah, sprang er sofort empor und rief: »Mensch, woher hast Du das Geld?«

»Auf der Straße sicherlich nicht gefunden!«

»Das gestehe ich gerne zu! Vielleicht von Aronstein?«

»Natürlich!«

»Kerl, wie hast Du den wieder angeschwindelt! Was hast Du denn gesagt?«

David erzählte unter Lachen die ganze Unterredung mit Aronstein. Als er den Bericht beendet hatte, riet er Wladimir, diesen Ausflug noch mitzumachen. Er, David, würde ihn dann einmal bei seiner Verlobten ablösen, und dann könne er mit den Alten sprechen. Abends, wenn sie zurückgekehrt wären, würden sie noch verduften.

Zur Vorsorge, falls der alte Aronstein vielleicht nachfragen sollte, bestellte David hierauf ein größeres Mahl, das abends neun Uhr im kleinen Saal serviert werden sollte. Er fügte dabei hinzu: »Legen Sie dann morgen dem Herrn Grafen unsere gemeinsame Rechnung, das Mahl mit eingeschlossen, vor. Er will gleich bezahlen!« Hierauf suchte er wieder seinen Freund auf.

Als Aronstein von dieser Unterredung seiner Frau und seiner Tochter Emma Mitteilung machte, da war Frau Dora sichtlich gerührt und sagte:

»Nun soll ich bald das Teuerste verlieren.«

»Warum das Teuerste?« versetzte Vater Aronstein darauf. »Ich werde ihr vorerst 300 000 Mk. Mitgift geben. Wie kannst Du vom Teuersten sprechen? Hätte der Graf Schulden und wär' er kein Ehrenmann, müßt' ich 500 000 Mk. geben; das ist noch ein Gewinn von 40 Prozent.«

Ehe die Freunde später zu dem geplanten Ausflug eintrafen, fragte Aronstein im Hotel nach, ob für heute abend ein Mahl bestellt sei. Es wurde dies auch mit dem Zusatz bejaht: »Für Herrn Grafen Borodinowsky.« Sofort nach dieser Mitteilung kehrte Aronstein zu seiner Frau und Tochter zurück und sagte freudig: »Sollte man es für möglich halten? Meine Tochter, die Emma Aronstein, wird Frau Gräfin Borodinowsky! Habe mich eben erkundigt. Das Mahl ist schon bestellt worden.«

Gegen zehn Uhr trafen auch Wladimir und David ein. Gemeinsam fuhren sie nach dem Bahnhof und dann mit der Bahn nach Starnberg. Während der Bahnfahrt begann David verabredungsgemäß ein längeres Gespräch mit der Tochter, und diese Gelegenheit benutzte Wladimir, um bei den Eltern um die Hand ihrer Tochter anzuhalten. Wiederum spielten die Eltern die Erstaunten und konnten kaum das Glück fassen. Als hierauf die Tochter davon verständigt wurde, errötete sie und sagte nur ein schüchternes »Ach ja!« mit demütigem Augenniederschlagen, als die Mutter sie fragte, ob sie dem Grafen Wladimir angehören wolle. Wladimir bat dann, es möchten ihm die Schwiegereltern verzeihen, daß er bereits für heute abend ein Mahl bestellt habe und ersuchte um die Erlaubnis, bereits heute abend ganz unter sich die Verlobung feiern zu dürfen. So nebenhin machte er noch eine Bemerkung von einem kleinen Geburtstagsgeschenk.

In Starnberg angekommen wurde eine Rundfahrt um den See unternommen. Mit einer etwas süßlichen Miene schlenderte Wladimir mit seiner Verlobten Arm in Arm auf dem Verdeck hin und her. David dagegen widmete sich ausschließlich den Schwiegereltern. Vater Aronstein drückte ihm wiederholt die Hand als Zeichen seiner Dankbarkeit und Huld, und lächelnd ließ sich das David gefallen.

Vater Aronstein ließ dann einige Flaschen Pommery bringen, die gemeinsam auf das Wohl der Neuverlobten geleert wurden. Nur zu rasch verging der Tag und etwa gegen sieben Uhr abends dampften sie wieder nach München zurück, woselbst sie in kurzer Zeit ankamen. Vor dem Hotel bat Wladimir die Verlobte und die zukünftigen Schwiegereltern, sich um neun Uhr im kleinen Saal einfinden zu wollen.

Wladimir und David begaben sich dann auf ihre Zimmer.

»So, jetzt heißt es aber abrüsten!« lachte Wladimir.

»Was denn? Wir haben doch nichts. Das Geld ist wohlverwahrt in der Tasche.«

»Jedenfalls müssen wir die »Kreditwürdigkeit« mitnehmen.«

»Das ist natürlich!«

Es betrat nun jeder sein Zimmer.

Etwa zehn Minuten später verließen Wladimir und David, jeder ein kleines Päckchen in der Hand, das Hotel und fuhren in einer Droschke davon.

Schlag neun Ahr betraten Vater Aronstein, die Mutter und Emma, alle in ihren besten Kleidern, den kleinen Saal. Diener huschten bereits hin und her. Die Angekommenen waren etwas erstaunt, daß Graf Wladimir und David noch nicht anwesend waren. Vater Aronstein dagegen meinte, sie hätten sich vielleicht beim Juwelier verspätet. Es vergingen fünf Minuten, zehn Minuten; niemand kam. Die Kellner, die zu servieren hatten, wurden bereits unruhig.

»Herr Aronstein!« rief jetzt von außen eine Stimme.

»Hier! Was soll es denn?« Aronstein trat hinaus; ihm folgten Frau und Tochter. Ein Telegraphenbote überreichte ihm ein Telegramm und entfernte sich dann wieder.

»Ein Telegramm?« Fragend sah sich die Familie Aronstein an.

»Es wird doch meinem Wladimir nichts zugestoßen sein?« fragte schüchtern die Tochter.

»So öffne doch!« drängte Frau Dora.

Vater Aronstein öffnete es und las:

»Herzlichen Dank für die 20 000 Mark. Auf Nimmerwiedersehen! Der Exbräutigam.«

Emma stieß einen Schrei aus und sank in die Arme ihrer Mutter. Diese besänftigte und tröstete sie und sagte:

»Sei still und tröste Dich! Ich bin froh, daß ich Dich wieder besitze. Du mein Teuerstes.«

»Teuerstes!« fuhr Vater Aronstein auf. »Du sollst recht haben. Es sind 20 000 Mk. Ich dachte schon, ich hätt' sie glücklich angebracht.« Dann murmelte er vor sich hin: »So eine Verlobung wünsch' ich mir nicht oft!«


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