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IV.
Erfolglos.

Langsam schlenderte Braun den Weg vom Polizeigebäude in die Vorstadt hinaus, zur Wohnung des Hauptzeugen Lotter. In seinem Gehirn wälzte sich Gedanke auf Gedanke. Was er schon mit aller Sicherheit für unerschütterlich wahr gehalten hatte, das hatte dieser eine Brief vernichtet. Das Datum des Poststempels hatte er nochmals mittels einer Lupe geprüft, aber es hieß immer: »Vormittag zwischen 7 und 8 Uhr.« Es war aber vollständig ausgeschlossen, daß der Mörder um diese Zeit bereits wieder in Frankfurt war.

So viel er über die Sache auch nachdachte, der Verdacht blieb immer auf diesem Pedro Serrao haften. Nur dieser hatte an dem Morde Monnards ein Interesse, denn nur auf diese Weise konnte er die Versicherungssumme erheben. Und war es denn nicht möglich, daß einer von den beiden, entweder der Herr oder der Diener, vorausgereist war, während der andere, um sicher zu gehen, den Brief besorgte und dann erst nachkam. Er fand diese Möglichkeit sogar sehr wahrscheinlich. Jedenfalls konnte die Aussage des Zeugen Lotter allein Klarheit schaffen. Dieser mußte die beiden sehen und dann könnte er bestimmt sagen, welcher von den beiden der Mörder war.

Wenn er aber keinen als den Täter wiedererkannte? Mußten es gerade diese sein! Konnte nicht auch irgend ein fremder Bursche die Tat begangen haben? Aber warum nahm er dann den Kopf mit? Dieselbe Frage konnte er auch bei dem Brasilianer aufwerfen. Er fand nirgends eine befriedigende Lösung.

Schon war er über die Reichenbach-Brücke geschritten und in der Vorstadt angekommen, als ein neuer Überführungspunkt ihm plötzlich einfiel. Schlug aber auch dieser fehl, dann mußte er in dieser Richtung die Verfolgung fallen lassen.

Nach kaum etwa zehn Minuten betrat er das Zimmer des Zeugen Lotter, der natürlich sehr erstaunt war, als der Detektiv schon wieder zu ihm kam, nachdem er doch mittags bereits über zwei Stunden lang verhört worden war. Um so mehr war er überrascht, als ihm Braun mitteilte, daß er ihm folgen solle; man habe zwei Personen als die vermutlichen Täter in Verdacht. Diese müsse er sich ganz genau ansehen, ob einer von ihnen der von ihm beobachtete Mann sei.

Die beiden gingen zusammen wieder der Altstadt zu.

Unterwegs stellte Lotter verschiedene Fragen über den vermutlichen Täter, und auf welche Weise man so rasch seine Spur gefunden habe. Er erhielt jedoch auf keine seiner Fragen eine Antwort. Sie hatten den Weg bis zur Neuhauserstraße in ziemlich raschem Tempo zurückgelegt, so daß sie schon nach etwa einer Viertelstunde vor dem Hotel anlangten. Hier fragte Braun den am Eingang stehenden Portier, ob bei ihnen zwei Fremde aus Brasilien eingetroffen wären, ein Herr und ein Diener. Der Gefragte bestätigte dies und nannte die Zimmer Nr. 13 und 14. Braun bedankte sich für die Auskunft und ging dann mit Lotter wieder weiter, nach dem Karlstor zu.

Auf dem Wege erklärte ihm Braun, was er zu tun habe, und wie er sich verhalten müsse. »Es sind zwei Personen, von denen einer vermutlich den Mord begangen hat. Sie gehen mit mir in das Zimmer und kümmern sich gar nicht um das, was ich spreche. Sie sehen sowohl sich den Herrn, den ich als Serrao anspreche, genau an als auch seinen angeblichen Diener. Sie machen dabei nicht die leiseste Bemerkung. Bleiben Sie ganz ruhig, auch wenn Sie den Mörder erkennen. Haben Sie mich verstanden? Es kommt sehr viel auf Ihr Verhalten und Ihre Aussage an.«

Am Karlstor kehrten die beiden wieder um und begaben sich in das Hotel. Als sie im ersten Stock ankamen, fragte ein Kellner, was sie hier wünschten. Braun sagte, er wolle Herrn Serrao sprechen. Der Kellner führte sie bis an das Zimmer und bemerkte dann: »Ich werde anfragen, ob der Herr zu sprechen ist.«

Er öffnete die Türe und rief in das Zimmer hinein: »Euer Gnaden, ein Herr wünscht Sie zu sprechen.«

Darauf hörte Braun eine Stimme von innen rufen: »Ah, das wird Fritz sein! Fritz, komm nur 'rein!«

Braun biß die Lippen zusammen. Fritz war der Vorname Monnards. Sollte dieser Serrao wirklich keine Ahnung haben von dem, was geschehen war?

Braun betrat nun das Zimmer, während Lotter ihm nachfolgte. Der Kellner schloß die Tür hinter ihnen. Pedro stand am Fenster und rauchte eine Zigarre. Sonst war niemand im Zimmer. Als Pedro sah, daß ein Fremder statt des anscheinend Erwarteten erschien, entschuldigte er sich sofort und sagte, er hätte den Besuch eines Freundes erwartet.

»Des Herrn Monnard vielleicht?« fragte Braun.

»Allerdings!« antwortete darauf Pedro, der ein offenbar erstauntes Gesicht machte, »aber was wissen Sie davon?«

»Mein Name ist Braun, Detektiv.«

»Sehr erfreut!« gab Pedro zurück. »Aber was verschafft mir die Ehre?«

Braun sah ein, daß er den ihm Gegenübergestellten nicht überraschen konnte; er war schon nahe daran, zu glauben, daß er einen Irrtum begangen habe und machte nur noch einen, den letzten Versuch, ihn zu überrumpeln.

»Monnard ist in der Nacht vom 16. auf den 17. Juli ermordet worden!«

»Was! Ermordet! Das ist ja unmöglich!«

Das Entsetzen und Erstaunen zugleich, das man auf dem Gesichte Pedros wahrnahm, war so echt, so natürlich, daß es unmöglich erlogen sein konnte. Braun mußte sich selbst zugestehen, daß dieser Mann unmöglich der Mörder sein konnte.

Pedro äußerte in lebhaften Worten sein Bedauern für seinen Freund. In der liebenswürdigsten Weise lud er darauf die beiden ein, doch Platz zu nehmen und bat dann um nähere Mitteilung über die Mordtat.

Bereitwillig erzählte nun Braun die Tatsachen und fügte dann, wobei er Pedro scharf beobachtete, hinzu: »Die einzige günstige Nachricht, die ich Ihnen geben kann, ist, daß man den Mördern so ziemlich auf der Spur ist.«

»Das sollte mich sehr freuen,« sagte Pedro darauf, »er war nämlich mein bester Freund. Zwar war er etwas leichtlebig, größtenteils auf meine Kosten, na, schließlich war er dafür auch der Freund!«

»Sie erleiden dadurch wohl einen bedeutenden Schaden?« fragte nun Braun weiter.

»Nein! Gar nicht! Er hatte mir seine Lebensversicherungspolice als Pfand gegeben, die ich ja versetzen kann!«

»Jetzt können Sie diese verkaufen, denn Monnard ist tot!«

»Mir wäre es lieber, Monnard lebte noch!«

»Das will ich gerne glauben!« bestätigte darauf Braun, der nicht mehr den geringsten Zweifel an der Unschuld Pedros hegte. Er hätte jetzt nur noch gern den Diener gesehen, um auch diesen dem Zeugen gegenüberzustellen. Er dachte schon darüber nach, auf welche Weise er ein Erscheinen des Dieners bewirken könne, wurde aber dieser Aufgabe überhoben, als Pedro wie entschuldigend zu ihm sagte:

»Sie verzeihen doch, wenn ich Hans holen lasse und ihm die Schreckensnachricht mitteile. Hans ist nämlich mein langjähriger Diener und ich stehe mit ihm auf ziemlich vertrautem Fuße.«

»Gewiß! Bitte lassen Sie ihn nur rufen!«

Pedro schellte, und als gleich hernach ein Kellner erschien, befahl er ihm, sofort Hans herbeizuholen.

Bis der Diener kam, erzählte Pedro verschiedene gleichgültige Dinge von seinem Freunde, daß er mit diesem studiert habe, dann mit ihm mehrere Jahre auf Reisen gewesen sei, bis er vor etwa zehn Jahren ständig nach Rio de Janeiro übergesiedelt wäre, während Monnard bald in Berlin, Wien und München lebte.

Pedro war ein angenehmer Erzähler. Er plauderte so harmlos, daß auch der leiseste Zweifel beseitigt wurde.

Dieses Gespräch wurde schließlich durch das Eintreten des Dieners unterbrochen, der gleich nach dem Eintreten fragte:

»Sie haben mich rufen lassen?«

»Ja!« erwiderte Pedro. »Es ist etwas Entsetzliches passiert. Monnard ist gestern ermordet worden.«

Das Entsetzen des Dieners schien nach diesen Worten ebenso natürlich wie das seines Herrn.

Braun sah ein, daß er sich diesmal sehr geirrt hatte und entfernte sich bald darauf, indem er notwendige Dienstgänge vorschützte.

Vor seinem Abgehen bat ihn Pedro noch, ob er nicht gelegentlich in seinem Bureau nach dem weiteren Verlaufe der Angelegenheit nachfragen dürfe, was ihm Braun auch gestattete, jedoch mit der Bemerkung, daß dies nicht zu häufig der Fall sein dürfe.

Nachdem sich Pedro für diese Liebenswürdigkeit noch vielmals bedankt hatte, begleitete er selbst beide zur Türe hinaus.

Braun ging mit Lotter die Treppe hinunter. Ehe beide noch den Toreingang verlassen hatten, sagte Lotter:

»Von den zweien war es keiner.«

Braun sah ihn an: »Wissen Sie das bestimmt?«

»Jawohl!« gab hierauf Lotter zur Antwort.

»Ein Irrtum ist also vollständig ausgeschlossen?«

»Ja! Es ist keiner von beiden!«

»Gut!«

Hierauf trennte sich Braun von dem Zeugen. Während Lotter kopfschüttelnd nach Hause ging, begab sich Braun trotz der ziemlich späten Abendstunde noch in sein Bureau.

Im Laufe des Gesprächs hatte Pedro Serrao die Bemerkung fallen lassen, daß sie sich im »Leipziger Hof« in Frankfurt aufgehalten hatten. Dorthin beschloß nun Braun zu telegraphieren. Er war fest entschlossen, alles zu tun, was ihm möglich sei. Er glaubte jetzt allerdings, daß die Ankunft des Pedro lediglich Zufall sei und er in keiner Weise mit dem Morde in Verbindung stehe, aber er wollte auch jeden Schein der Nachlässigkeit vermeiden.

In seinem Bureau füllte er ein amtliches Telegrammformular aus:

»An Hotel ›Leipziger Hof‹, Frankfurt a. M. Wann und wie lange hielt sich in Ihrem Hotel der Rentner Pedro Serrao aus Rio de Janeiro auf? Reiste er allein ab oder in Begleitung seines Dieners? Sofort Drahtantwort. Diese Bezahlt. Polizeidirektion München.«

Er begab sich hierauf mit dem Telegramm selbst auf die in nächster Nähe gelegene Hauptpost und gab es persönlich auf. Dann setzte er sich auf eine der Bänke und wartete die Rückantwort selbst ab.

Wer war der Mörder? Alle seine Eventualfälle waren zunichte gemacht worden. Er mußte nun wieder von neuem zu suchen beginnen, um irgend einen Anhaltspunkt zu finden, der auf die Spur des Täters führen würde. Er ließ alle Einzelheiten, alle Mitteilungen, auch den Inhalt sämtlicher Briefe in Gedanken nochmals an sich vorübergleiten, aber es fand sich nirgends auch nur der leiseste Verdacht. Das wichtigste und bedeutendste war entschieden das Verschwinden des Kopfes.

Trotzdem für das Auffinden desselben eine namhafte Belohnung ausgesetzt war, war und blieb der Kopf verschwunden. Dies war an dem Fall Monnard das Geheimnisvolle. Braun, der sonst regelmäßig fast noch am Tatort selbst Einzelheiten wahrnahm, die auf die Person des Täters schließen ließen, war hier vollständig ratlos. Er erinnerte sich jetzt wieder, daß die Bänder der Schuhe rasch und eilig zugebunden waren. Was aber nützte das? Monnard war Junggeselle; er war eben zu phlegmatisch, die Bänder durch jede einzelne Öse zu ziehen.

Etwa eine halbe Stunde hatte er vor sich hingeträumt, da wurde auch schon das Antwort-Telegramm aus Frankfurt gemeldet. Mit atemloser Spannung folgte Braun dem Ticken des Apparates, der auf dem schmalen Papierstreifchen längere und kürzere Striche und Punkte zeichnete. Bald darauf hatte er auch schon die Depesche in Händen.

»An die Polizeidirektion, München. Serrao kam am Morgen des 16. Juli hier an und reiste am Morgen des 18. Juli mit seinem Diener nach München ab. Hotel ›Leipziger Hof‹, Frankfurt a. M.«

»Also vollständig schuldlos!« murmelte Braun vor sich hin und kehrte jetzt erst nach Hause zurück.

Inzwischen verflossen die nächsten acht Tage, ohne daß sich in dem Verfahren Monnard auch nur das Geringste geändert hätte. Tag für Tag verging. Braun hielt Vernehmung auf Vernehmung ab. Er las alle Schriftstücke doppelt und dreimal durch, nahm wiederholt die Wohnung in Augenschein und ließ das Haus von oben bis unten durchsuchen. Aber es wurde nicht die geringste Spur weder von dem Täter noch von dem verschwundenen Kopfe gefunden.

Je größer und umfangreicher die Akten des Falles Monnard wurden, um so geringer wurde die Hoffnung, den Mörder zu entdecken.


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