Otto Julius Bierbaum
Pankrazius Graunzer
Otto Julius Bierbaum

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XXIX.
Einige Briefe des Herrn Pankrazius Graunzer an seinen Freund Peter Kahle, genannt die fröhlichen Briefe Septembris.

München!

Lieber Peter!

Deine Nicht und ich, ihr Onkel, haben beschlossen, über München nach London zu fahren, – aus Gründen der deutschen Kolonialpolitik. Wir wären nämlich, wenn die Regierung Seiner Majestät nicht Helgoland gegen ein Stück Afrika eingetauscht hätte, nach Helgoland gefahren, aber seitdem dieses Eiland für den Rest seiner glorreichen Tage dem Deutschen Reiche einverleibt worden ist, hat es die Vorzüge, die es in puncto Standesamt besaß, eingebüßt und ist auch in dieser Hinsicht so regelrecht deutsch geworden, da wir schon Old England selber aufsuchen müssen, wenn wir in all' unserer Papierlosigkeit heirathen wollen.

Und das wollen wir.

Ei freilich! Was sollten wir sonst wollen? Ewig kann ich unmöglich als Gymnasiallehrer Dr. Peter Kahle aus Pommern mit seiner Nichte Sophrosyne ebendaher die Welt durchwandern, und was würden Hansjörg und Christine sagen, wenn ich mit einer ledigen Brigitte auf Kiebitzhof angezogen käme?

Also: London!

Aber vorher: München!

Erstens möchte ich dem furchtbaren Kunstgelehrten gerne unter Dankesthränen einmal um den Hals fallen, daß er mich aus der Hauptstadt Biermaniens fortgegrault hat, da ich sonst kaum auf die Idee gekommen wäre, an den Ammersee zu gehen, und dann war es auch Brigittens Wunsch, einmal auf »Minga« zu fahren, bevor es in die Fremde geht. Die Oberbayern sind nämlich gar sehr in ihre Haupt- und Residenzstadt verliebt, und Brigitte ist nicht weit von der Meinung entfernt, daß sie auf der ganzen ihr bevorstehenden Reise doch nichts sehen werde, das mit München einen Vergleich auszuhalten im Stande wäre.

So viel ist sicher: gemüthlicher wird's nirgends sein, und es wird mir nicht leicht sein, von hier aufzubrechen.

Uebermorgen geht's fort! Die Rundreisebillets sind schon gekauft und Brigitte hütet sie wie einen Ehekontrakt.

Beneidest Du mich nicht? Oder hast Du noch immer feierliche und moralische Bedenken? Ich komme Dir wohl noch immer bedenklich spanisch Don Juanisch vor?

Hast Du eine Ahnung!

Wäre Brigitte eine wirkliche Sophrosyne und ich ein wirklicher Kahle-Peter, wir könnten nicht vernünftiger sein. Und das ist es ja eben: was wir begehen ist kein Lieutenantsstreich, obwohl wir höchst heiter und über die Maßen lustig sind. Es steckt ein köstlicher Ernst hinter und in uns beiden, und daß auch diesen Ernst Brigitte hat, das macht mich so glücklich, denn das giebt mir die Gewähr, daß wir uns nicht eines Tages auf der Sandbank der Enttäuschung finden werden.

Ich entdecke täglich neue Seelenherrlichkeiten in ihr, Herrlichkeiten, die mir um so kostbarer sind, als ich der Erste bin, der sie erblickt. Sie sind unberührt, unverbraucht. Meine Aufgabe wird es sein, sie zu erhalten und zu pflegen. Gott behüte mich davor, daß ich an ihnen herumkorrigire, daß ich auf dieses Neuland, das voll aller Kraft treibender Natur ist, zu schnell und zu beflissen Kultur aufpfropfe.

Mit einer unglaublichen Sicherheit nimmt diese feingefühlbegabte Natur Alles in sich auf, was ihr an innerer und äußerer Kultur zuträglich und gemäß ist. Jeden Tag staun' ich auf's Neue, wie sie sich in neue, schöne Formen schmiegt, ohne an Frische und Ursprünglichkeit einzubüßen.

Du siehst: ich habe genug zu thun, denn vor mir spielt sich ein Entwickelungsschauspiel vom höchsten Reize ab, und, übrigens, auch ich mache eine heilsame und gute Mauserung durch. Wie sich Brigitte mir nähert auf ihre Art, nähere ich mich auf meine Art Brigitten. Ars amandi und Metamorphosen, – ich erlebe Beides in einem Zuge. Vergiß nicht, Deine Sekundaner, wenn Du Ovidium Nasonem mit ihnen traktirst, darauf aufmerksam zu machen. Gott, wie hätt' ich mich auf die ledernen Lektionen präparirt, hätt' ich das damals gewußt.

Aber das ist das Pech des menschlichen Lebens, daß man auf die besten Hintergründe der Dinge meist immer erst dann stößt, wenn es zu spät ist. Pix vel maxima!

Deine Nichte und ich,

wir sind
Deine Graunzers.

* * *

London!

Lieber Peter!

Wenn Dir einmal ein Arzt eine Kieselsteindouche empfehlen sollte, so fahr' nach London. Nicht anders ist mir zu Muthe, als wie wenn ich Tage lang in einem Brausebade von Kieseln wäre.

Diese Stadt der Massenhaftigkeit ist etwas Unerhörtes. Das ist keine Stadt, das ist ein Kropf von Menschen, eine Schilddrüsenerweiterung der Erde. Geduckten Kopfes lauf' ich in diesem Menschenwirricht herum, und hielte mich nicht Brigitte aufrecht, ich würde davonlaufen.

Wir sind jetzt vier Tage hier und müssen noch zehn Tage bleiben. Das ist die einzige Bedingung, die man hier zu Lande denen stellt, die im Namen Ihrer Majestät zusammengethan sein wollen.

Gar nichts Schriftliches wird verlangt?

Nein, gar nichts Schriftliches.

»Wenn der Beamte aber doch ein Papier verlangen sollte?...!« fragte ich einen Engländer.

»So schlagen Sie ihn einfach nieder«, erwiderte er entrüstet.

Das ist das Land, in dem das feierlich abgegebene Wort hochgeachtet wird. Wer freilich gelogen hat, wird um so nachdrücklicher auf's Maul geschlagen.

Das paßt so in den Styl des Ganzen, der etwas durchaus Grades, Großes hat.

Ich muß sagen: anheimeln thut mich's nicht, aber Respekt zwingt mir's ab. Diese Engländer bilden sich nicht ohne Grund was darauf ein, daß sie Engländer sind.

Wenn doch in Deutschland so viel Charakter steckte, wie in diesem perfiden Albion! Ich mein: Gesammtcharakter, wie er sich in allen Erscheinungen des öffentlichen Lebens, der Sitte, der Kunst, der Manieren ausdrückt. Selbst die Heuchelei hat hier Charakter, der imponirt. Selbst das Elend, wie es sich geradenwegs zum Verbrechen ausschwillt, hat Charakter. Daher denn hier eine Kunst im Wachsen ist, eine Kunst nicht bloß für Museen, sondern für's Leben, vor der ich mit Andacht stehe.

Trotzdem, um Gottes willen! möchte ich nicht hier leben. Und das hängt eben auch mit dem ausgesprochenen Sonderwesen des Englischen zusammen. Man muß Engländer sein, um sich hier glücklich zu fühlen. Bei uns dagegen fühlt sich alle Welt wohl, weil wir ein Allerweltswesen haben. Wir sind halt complaisante Leute.

Dies, damit Du nicht denkst, Brigitte und ich thun nichts als Schnäbeln.

Wir grüßen Dich
Pankrazius und Brigitte.

* * *

London, den 25. September.

Lieber Peter!

Nun sei beruhigt! Die skandalöse Situation, daß ich mit Deiner Nichte Sophrosyne die Welt durchwand're, hat ein Ende, denn:

Laß Dir den Tag, diesem großen Tag der Graunzer vom Kiebitzhof, schildern! Ich benutze dazu die paar Minuten, die uns noch übrig bleiben vor der Abreise. Brigitte packt die Koffer und singt dazu:

A Dearndl geht um Holz in Wald
Gar zeitli in der Fruah,

und die Sonne blitzt auf ihrem Eheringe, den ich... aber das gehört schon zur Schilderung der Kopulation.

Wir begannen den Tag mit eifrigem Studium.

»Noch einmal, Brigitte, noch einmal! Also: I do solemnly declare...!«

»I do solemnly declare...«

»Nicht deklahre! Dekläre! Also: I do...«

»I do solemnly declare, that I know not of any lawful impediment, why I Brigitte Graunzer...«

»Oh, Du Schaf, Du Schaf, Du blührieselweißes Schaf! Nix Graunzer! Wie heißt Du?«

»Brigitte Graunzer heiß i!«

»Ich bitte Dich um Gottes Willen, mach' keine Witze in dieser ernsten Stunde! Es geht um die Wurscht! Also: brav sein: why I Brigitte...«

»Why I Brigitte Oberalmer may...«

»Nicht: mai! Mä!«

»Also: may not be joined in matrimony to my lieber Aff'...«

»Willst Du gescheidt sein, Bedenkliches!... Be joined in matrimony to...«

»To Pankrazius Graunzer, – muß ich denn Graunzer auch in Englisch sagen?«

»Gott behüte mich, nein, das sag' Deutsch, voll und wohllautend mit einem langhin säuselnden au!«

»Gell, ich kann's scho! Paß auf, jetzt sag' i's nochmal: I do solemnly declahre...«

»Kläre!«

Und so noch eine halbe Stunde. Dieses alte, brave Standesamtenglisch hat seine Mucken, wenn weder der Lehrer, noch die Schülerin Englisch kann.

Daher kam's, daß wir ein Bischen mit der Angst von Abc-Schützen zum Office fuhren. Unser Zeuge, ein liebenswürdiger junger Landsmann Namens Möder, Sekretär bei dem hiesigen Vertreter einer großen deutschen Zeitung, erwartete uns und stellte uns dem zweiten Zeugen vor, dem Thürhüter des Office, der ein einträgliches Geschäft daraus macht, als Trauzeuge zu fungiren, und in seinem schwarzen Bratenrock ganz würdig aussah.

Noch würdiger sah freilich der Deputy Registrar Henry Hulford aus, der uns bis zum Beginne der feierlichen Handlung auf's Anmuthigste damit unterhielt, daß er uns Schmeicheleien über Deutschland sagte und nachträglich ein Pfund Kopiaturgebühren eintrieb.

Das gab den ersten Zwischenfall.

Ich hatte nämlich nur zehn Schillings im Portemonnaie, und Brigitte trug unser Vermögen in einem Saffianledertäschchen auf der Brust.

Unmöglich, das hier zu produziren! Also wurde sie feierlich hinausbegleitet, verschwand hinter einer Thür, um nach kurzer Zeit sehr würdig mit einer Pfundnote wieder zu erscheinen.

Sehr würdig, aber doch ein wenig aus dem inneren Gleichgewicht gebracht, wie sich später zeigen sollte.

Bis Schlag 12 Uhr, als um welche Zeit die Handlung bestimmt war, wurde gewartet, dann, als der letzte Schlag der Uhr im Verklingen war, wurden die Thüre des Amtszimmers und das Thor des Hauses geöffnet, um Allen, die Einspruch zu erheben gewillt waren, freien Eintritt zu ermöglichen.

Ich schloß eine Sekunde die Augen und begruselte mich mit der Einbildung, daß die freundliche Schwiegermama erschiene und im unverfälschten Schwabbayrisch erklärte: »I moag itten!« Aber wie ich die Augen wieder aufmachte, war schon des Deputy Registrars Würde dabei, die Fragen an uns zu richten, und ich erhob mich zu der wohleinstudirten Erklärung »I do solemnly....«

Gut ging's.

Nun kam Brigitte daran. Und siehe: sie begann sehr schön. Sie vermied die Klippe der »Kläre« und schiffte um das Riff des »Mai«, aber da fiel es dem galanten Deputy Registrar ein, zart in die Hände zu klatschen und »Bravo!« zu lispeln, und das war der Bescheidenheit Brigittens zu viel. Vorher roth vor Aufregung, war sie jetzt violett vor Beschämung und las das Ende ohne jede Rücksicht auf die Tücken der englischen Aussprache Buchstabe für Buchstabe so, wie jemand, der einen englischen Text deutsch liest. Der phonische Effekt war grausam, und ich erschrak nicht wenig. Aber der liebreiche Beamte erklärte: auch das sei Englisch, und die Hauptsache, nämlich ihren und meinen Namen, habe sie richtig ausgesprochen.

Das war der zweite Zwischenfall.

Der dritte fügte sich mit unanständiger Eile an, nachdem wir auch den gefährlichen zweiten Satz hinter uns hatten: I call upon these persons here present to witness that I (P. G. und B. O.) do take thee (B. O. und P. G.), to be my lawful wedded wife (oder husband).

Jetzt sollte ich nämlich Brigitten und Brigitte sollte mir den Ehering anstecken.

Vorzüglich! Aber, um aller Heiligen, hol' mich doch... wo sind die unseligen Ringe?

Ich tastete mich von oben bis unten ab und that wie die Ratze im Liede der Studenten im Faust, ich fuhr in alle Löcher. Peinliches Gefühl! Höchst unangebrachte Armbeweglichkeit des Bräutigams. Angstvolle Brigittenaugen. Gelassenes Warten des stets würdigen präsidirenden Gentlemans.

Endlich! In der oberen Westentasche! In dieser verfluchten, eigens für Eheringe bestimmten Westentasche! Gottlob!

Daß ich ihr den Ring durchaus auf den Daumen stecken wollte, rechne ich schon gar nicht mehr als Zwischenfall.

Nun noch eine kleine Formalität; auch nicht ganz leicht, und ich hatte mit Angst auf sie gewartet; richtig: der Zeuge-Thürhüter, bisher unbeweglich, zusammengesunken auf seinem Stuhle, spaltete plötzlich sein Gesicht durch eine von Ohr zu Ohr gehende Lippengrinslinie, erhob sich, schritt langsam und wohlwollend auf mich zu, gratulirte mit einem unendlich schmelzenden Gefühlston in der Stimme und reichte mir die Rechte. Das war der Augenblick, vor dem ich gebebt hatte, denn es galt, dieser Hand drei Schillinge zu appliziren und sie gleichzeitig mit herzlicher Wärme zu drücken.

Wohl mir! Es gelang! Mister Humpshley zeigte sich sehr geübt und virtuos, erwiderte den Druck meiner Hand, daß ich das Porträt Ihrer Majestät vom Prägebild des obersten Schillingsstückes auf meine Hand übertragen erhielt, und begab sich voll Würde zur Thür hinaus.

Als wir das Gleiche thun konnten, waren wir sehr froh, und wir werden sehr froh sein, wenn wir nun heute Abend in Queensborough das Schiff nach Vlissingen betreten werden. Denn ich sehne mich schrecklich danach, Brigitten den Kiebitzhof und dem Kiebitzhof Brigitten zu zeigen.

Das ist unser letzter Brief aus London.

Wir sind

Deine Graunzers,
Gutsbesitzerseheleute.

* * *

Kiebitzhof am 30. September.

Lieber Peter!

Christiane ist in Brigitte verliebt, Hansjörg ist in Brigitte verliebt, alle Pferde, Kühe und Schafe sind in Brigitte verliebt, ich bin in Brigitte verliebt, der ganze Kiebitzhof ist in Brigitte verliebt.

Resolut ist sie, sag' ich Dir! Schade, daß es die Tante nicht mehr sehen kann.

Auch die Zeit des Leidens, die wir miteinander durchgemacht haben (sie war etwas bittrer, als Du es vielleicht aus meinen Briefen hast ersehen können), ist ihr gut angeschlagen. Sie fühlt es selbst mit ihrer wunderbaren Gabe der unbewußten Erkenntniß durch das Herz, wie sie durch die Übel, die wir zusammen aushalten mußten, erst eigentlich reif und inwendig fertig geworden ist, und wir singen Dank unserm Leiden, das uns die Liebe der Anderen beschert hat:

Du und ich, wir zwei Beiden,
Wir wissen, was Leiden,
Wir wissen, was Lieben und Leiden heißt.
Wir haben's erfahren:
Mit Haut und mit Haaren
Hätte gern uns die Liebe der Andern verspeist.

Nun wir uns gerettet
Und weich uns gebettet
In Ruhe weit ab vom Gelärme der Welt,
Nun wollen wir warten
Den blühenden Garten,
Den Lieben und Lachen in Früchten erhält.

Jetzt braucht nur noch Prinz Peter zu kommen (den Peter soll er heißen), und unser Glück ist voll.

Dein

Pankrazius,
der Ehemann.

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