Otto Julius Bierbaum
Pankrazius Graunzer
Otto Julius Bierbaum

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V.
Eine parlamentarische Standrede des Herrn Pankrazius Graunzer an sich selber. Handelt von einem sehr wichtigen Entschluß und darf durchaus nicht überschlagen werden.

Verehrtester! Wir haben nicht oft das Vergnügen, einerlei Meinung zu sein, aber darin werdet Ihr mir, dessen bin ich sicher, beistimmen, daß es so nicht fortgehen kann.

Die Situation, in der wir uns befinden, ist unerquicklich im höchsten Grade, und es wäre, parlamentarisch zu reden, ein Zeichen von mangelhafter Intelligenz, wenn wir nicht darauf sännen, Mittel und Wege zu finden, wie wir dieser bedränglichen Situation ein Ende bereiten und sie durch einen Zustand ablösen, der unserm Befinden zuträglicher, unserer Entwicklung heilsamer und des Namens Graunzer würdiger ist. (Zustimmung auf allen Seiten.)

Es ist keine Frage, daß ein Etwas in uns rumort, das auf den Umsturz der bestehenden Verhältnisse hintreibt, und das wir, in Ermangelung eines bestimmteren Ausdrucks, Sehnsucht nennen. (»Sehr richtig!« links, in der Herzgegend. »Unsinn! Langeweile!« im Gehirnszentrum.) Diese Sehnsucht nun, – woraus entspringt sie? Fürchten Sie nicht, daß ich vorhabe, Sie durch lange und eingehende Untersuchungen über den Grund dieser p. p. Sehnsucht zu langweilen. Ich begnüge mich, ganz kurz die Behauptung aufzustellen, daß diese Sehnsucht die Folge eines gewissen Unbefriedigtseins ist.

Es muß etwas faul sein im Staate Graunzer, sonst hätten wir diese bedenkliche Unruhe nicht in unserm Innern! (Oho! im Gehirnszentrum.)

Nun denn, mein Lieber: Was ist faul?

Ich schmeichle mir damit, eine Antwort auf diese nicht ganz leichte Frage zu haben, aber ich muß bitten, daß Ihr mir die Aussprache dieser Antwort gestattet, ohne mir nach Eurer üblen Angewohnheit über's Maul zu fahren.

Die Fäulniß, an der wir leiden, und an der wir zu Grunde gehen werden, wenn wir nicht schleunigst antiseptisch eingreifen, das ist die Zwecklosigkeit unseres ganzen gegenwärtigen Dahinlebens, der Mangel an einem fest und freudig begriffenen Ziele. Wir vegetiren, Verehrtester, aber wir leben nicht.

Also wir noch in Berlin saßen und Bücher registrirten, – nun wohl: Das war kein schöner Zweck und kein hohes Ziel; aber wir hatten uns darein gefunden, wir hatten abgeschlossen mit allem Anderen, wir hockten, nicht sehr dekorativ vielleicht, aber doch mit einer gewissen raumausfüllenden Sicherheit im Mittelpunkte unseres kleinen Kreises, dessen Pflichten wir erfüllten, und der uns immerhin eine gewisse, auch spärliche Zufriedenheit bereitete. (Melancholische Zustimmung.)

Nun hat sich das geändert. Wir sind aus unserm Bücherkreise herausgelockt und in eine viel schönere, viel frischere, viel reichere Welt gesetzt worden. Das gütige Schicksal, unsre liebe Tante Ulrike, hat uns die unverdiente Ehre angethan, ums zum Herrn und Besitzer eines zwar nicht sehr großen, aber sehr schönen, sehr geordneten, sehr ergiebigen und völlig schuldenfreien Gutes zu machen. Wir sind keine Bücherfresser mehr, wir sind ein Gutsbesitzer! (Bravo auf allen Seiten.)

Aber! Aber! –: Füllen wir unsern Platz auch wirklich aus? Haben wir uns unseren neuen Pflichten, so wie es sich geziemt, angepaßt? (Pause.) Euer Schweigen antwortet mit mir: Nein!

Nein! Wir haben das nicht gethan! Wir sind ein Bibliothekar a. D., der sich besuchshalber auf einem Gute aufhält und überflüssig macht, aber wir sind kein Gutsherr!

Ich will gar nicht davon reden, daß wir von der Landwirthschaft nichts verstehen. Das ist erklärlich und entschuldbar. Aber wir haben auch nicht den rechen Eifer, etwas zu lernen. Wir bummeln auf unserm schönen Gute herum und halten Maulaffen feil. Wir langweilen uns, wo wir arbeiten sollten. Wir machen uns zum Gespötte nicht bloß von Philemon und Baucis, den wackeren Zweien, Hansjörg und Christiane, sondern wir sind auch ein schlechtes Beispiel allen unseren Leuten bis herunter zu Traugott, dem Kuhjungen.

Und warum das? An sich sind wir doch kein Nichtsnutz, kein Faulenzer! Beweis: Dieses Bummeln bedrückt uns, diese Langweile liegt uns schmerzhaft auf Seele und Leib.

Also warum?

Ich will es Euch sagen, auf die Gefahr hin, daß Ihr mir die sauersten Aepfel eures Graunzerschen Geistes an den Kopf werft: So ein Gut, das Einem gehört, ist keine Bibliothek, in der man von Amtswegen sitzt. So ein Gut, das Einem gehört, muß Einem in die Seele wachsen, muß Einem sehr lieb und innerlich eigen werden, sonst ist man entweder Schmarotzer oder Tagelöhner auf ihm. In der Bibliothek ist man im Grunde geistiger Tagelöhner, auch wenn man sein Stückchen Pergament mit Liebe beackert, und diese geistige Tagelöhnerei auf einem Spezialgebiete mag recht wohl einen ganzen Menschen auszufüllen, zumal wenn er von ganzem Herzen und ganzer Seele und ganzem Gemüthe Spezialist ist, was zuweilen vorkommt, so wunderlich es klingt. Aber beim Landbesitz giebts solcherlei Spezialliebe nicht, abgesehen von der industriellen Landwirthschaft, die uns nichts angeht. Hier gilt es, im Ganzen liebevoll aufzugehen, ein Bauer zu werden, der seinem Hofe gehört, wie der Hof ihm.

Dazu aber, Graunzer, gehört, ein Ding, das uns fehlt, und das wir uns anschaffen müssen. Dazu gehört, ich kann mir nicht helfen, eine Eigenthumsperspektive in die Zukunft. (Unruhe auf allen Seiten.)

Ihr ahnt, was ich meine? Ihr schüttelt Euch vor Entsetzen, aber ich muß es Euch noch deutlicher sagen: Dazu gehört die Aussicht, daß auch nach uns das Gut unser gehört, daß wir das Gut auch für eine Fortsetzungen unsres Selbst bebauen. Kurz und gut: dazu gehört, daß wir einmal einen Sohn haben müssen. (Tumult auf allen Seiten. Der Redner verschwindet unter einem Regen von Pfuirufen und faulen Aepfeln.)

Und wenn Ihr mich eine Stunde lang bepfuit und mit faulen Aepfeln bewerft, – keiner dieser Aepfel kann so sauer sein, wie der, in den ich biß, als ich diese Nothwendigkeit erkannte, die ich laut nochmals aussprechen muß: Graunzer, wir müssen einen Sohn haben!

Das ist im letzten Grunde die Sehnsucht, die uns peinigt. Wir sind unbefriedigt, weil wir nicht mit ganzer Liebe in unserem neuen Wirkungskreise aufgehen, und wir gehen nicht mit ganzer Liebe in ihm auf, weil er, als der natürlichste und also primitivste aller Wirkungskreise, die Familie zur Voraussetzung hat. (Stürmischer, gellender Ruf: »Pfui Teufel! Ein Weib! Da haben wir's!«)

Ja, Graunzer, es ist wahr: es wird sich nicht umgehen lassen, daß wir zu diesem Zwecke ein Weib nehmen. (Ohrenbetäubender Lärm.)

Aber nur zu diesem Zwecke! Ich verwahre mich mit Entschiedenheit dagegen, daß ich Nebengedanken habe, denn darin bin ich völlig eins mit Euch: ich denke nicht an all' das verworrene Zeug, das gemeinhin den Zweck der Erzeugung eines Erben verschleiert. Aber es giebt schlechterdings kein anderes Mittel, zu unserm Zwecke zu gelangen. So jammervoll es ist: wir brauchen eine Frau dazu. (Beklommene Pause.)

Ich erlaube mir, den Antrag zu formuliren, den ich für angenommen ansehe, wenn sich kein ausdrücklicher Widerspruch erhebt: Wir beschließen, Zwecke Erlangung eines männlichen Erben eine Frau zu nehmen, der wir uns aber bündigst vorher zu erklären verpflichten, daß wir von all' dem nicht zu unsern Anschauungen passenden Brimborium ausdrücklich absehen, das man für die Eingehung einer Ehe als Voraussetzung anzunehmen pflegt. Tritt der Effekt, auf den es erst ankommt, nämlich die Geburt eines Knaben, innerhalb zweier Jahre nicht ein, soll die Ehe augenblicklich aufgelöst werden. (Dumpfe Pause.)

Da sich kein Widerspruch erhebt, erkläre ich den Antrag für angenommen und werde das Weitere veranlassen.

* * *

Nachschrift: Ein wundervolles Mittel, über böse Gemüthsqualen wegzukommen, dies Farciren seiner Unbehaglichkeit. Ich möchte wissen, ob das andern Leuten auch so geht.

Aber die Farce ist ernsthaft! In einer Woche gedenke ich auf Freiers Füßen loszureisen. Oh, Tante Ulrike!

P.

am 15. März (diesen Tag will ich mir hell lila anstreichen, als in der Farbe, die die frauenzimmerlichste und mir fatalste ist.)


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