Otto Julius Bierbaum
Pankrazius Graunzer
Otto Julius Bierbaum

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XX.
Herr Pankrazius Graunzer trinkt in München Bier, sieht sich Bilder an, fühlt sich wohl und berichtet über all' dies seinem Freunde Posser in Nürnberg.

»So Du nach München kommst, Mann aus Berlin, ziehe Deine Stiefel aus und wirf sie hinter Dich, denn siehe: hier ist gelobtes Land.

Thu' von Dir was berlinisch ist, Mann, und sorge dafür, daß Deine Seele blau-weiß werde, das ist: fröhlich.

Du sollst nicht auf den Straßen rennen und Deine Nachbarn anstoßen mit spitzigen Ellenbogen, sondern sollst fein behäbig Deines Weges wandern und keine Eile haben.

Sollst auch nicht schnarren mit Deiner Stimme und Quetschlaute lassen aus Deinem Munde, wie die jungen Lieutenants thun, die von der Garde sind, sondern sollst reden wie ein Mensch, und zwar nicht in der Fistel und nicht zu laut und nicht zu viel. Denn so Du sprichst, kannst Du nicht trinken.

Denn also spricht das Münchner Kindl: Mei Ruah mecht' i!«

Das Heil ist eingekehrt beim Augustiner, mi Possere! Kein Zweifel: das beste Bier trinkt man heuer im Augustinerkeller.

Ich würde das nicht mit solcher Bestimmtheit behaupten, wenn ich nicht die Meinung ganz Münchens auf meiner Seite hätte. In diesem Punkte darf man sich auf das Urtheil der Menge verlassen. Besonders hier, wo in punkto Bier durch Generationen ein Urtheil gezüchtet worden ist.

Dieses Bier ist werth, besungen zu werden. Es hat richtigen Schmelz. Nur die besten Verse Goethes lassen sich damit vergleichen. Es giebt keine bessere Synthese von Kraft und Geist, als sie der Augustiner-Bräumeister hier geleistet hat. Respekt!

Ich sitze jeden Abend im buschigen Augustinerkeller und unterhalte mich mit dem Maßkruge. Erschöpfendere Diskussionen sind nie abgehalten worden. Der Geschlagene bin aber immer ich. Wenn ich auch Anfangs ein Bischen aufmucke, am Ende neige ich mich doch stets dem erleuchteteren Geiste, der aus Malz und Hopfen ist.

Es ist der Münchner Geist, der daraus spricht, der Geist der Lebfrische, der Sinnentüchtigkeit, der Geist, der hier sogar die Philister erträglich macht.

Aus diesen Maßkrügen kann man was lernen, und wenn ich das nöthige Geld dazu hätte, ich gründete Ferienkolonien für die Berliner und ließe einen jeden der wackeren Reichshauptstadtbürger, vom Thiergartenviertel bis zur äußersten Müllerstraße, einen Maßkrugkursus hier durchmachen. An Schneidigkeit und Schnoddrigkeit (ominöse Allitteration!) würden sie freilich einbüßen, aber sie würden an Liebenswürdigkeit und Lebenskunst zunehmen.

Lebenskunst, – das ist's. Wie für alle Künste, so ist auch für sie eine gewisse innerliche Naivität, ein gewisses Naturburschenthum, das aber recht wohl kultivirt sein kann, die Voraussetzung. Man muß sich vor Allem seiner Natur nicht schämen. Man muß den Muth seiner selbst und die Lust an sich selber haben. »So bin ich; ich kann nicht anders; ich werde mir schon selber helfen! Amen!«

Lebenskünstler von diesem etwas groben Schrot und Korn findet man hier mehr als anderswo, und deshalb findet man hier mehr als anderswo Lebensfreude und Lebenskraft. Das ist der Grund, weshalb es den Fremden hier so wohl gefällt. Sogar die Durchschnittsreiseengländer bekommen hier etwas Menschenähnliches.

Dabei ist es doch nicht eigentlich das spezifisch deutsche Wesen, das Einem hier so lippenroth entgegenlacht. Davon ist nur ein Theil hier zu finden. Es ist schon was Südlicheres hier lebendig, was Romanisches. Aber Romanenthum ohne Gezappel, wie es andererseits Germanenthum ohne zuviel innere Schwerfälligkeit ist. Eine gute Mischung.

Es ist ein wahres Glück, daß das die Hauptstadt der deutschen Kunst ist, – zum Mindesten ist es sehr gut, daß Berlin das nicht ist. Es steckt hier sowohl an Natur wie an Kultur mehr als dort. Selbst Menzel, wie famos er auch ist, hat doch was preußisch Verkrüppeltes, während hier selbst der kleinste Pinselmann und das kleinste Pinselmädchen was Frisches, gerade Gewachsenes hat. Nur das Intime, die Kunst des Lauschens fehlt. Das ist mehr die Sache des Mitteldeutschen und des deutschen Nordrandländers.

Franz Stuck, das ist der Typus dieser münchnerischen, dieser romanisch-germanischen Kunst. Italienischer Geschmack und deutsche Tatzigkeit, Sinn für's Dekorative, aber doch ab und an 'mal eine Prise von Idee, – nur Innerlichkeit sucht man vergebens, jenes Inwendige der Kunst, das ihr Tiefstes und Höchstes ist. Der viel deutschere Uhde hat das, dieser unmünchnerischste aller Münchner Künstler, dieser wunderbare Meister des Schlichten, der ohne Illuminationseffekte und ohne stilistische Ateliergymnastik groß ist, aber noch größer wäre, wenn ihn die sächsische Unruhigkeit nicht am Kragen hätte.

Ich komme in's Kunstgeschreibe und verleugne die gute Erziehung, die mir der Maßkrug im Augustinerkeller gegeben hat. Er wird mich heut' Abend schön anfahren dafür, aber ich kann mir nicht helfen.

Ich will, wenn ich von Kunst rede, ja auch nicht nörgeln und will keine Proklamationen erlassen. Mir ist die Kunst nur Auslöserin von Empfindungen und Gedanken, wie es alles Gute, Kräftige ist. Ich erhebe nicht den Anspruch, daß meine Gedanken die richtigen, daß meine Empfindungen die allein wahren sind, aber ich finde, daß ich meinen Dank der Kunst gegenüber nicht besser zum Ausdruck bringen kann, als indem ich das von mir gebe, was sie in mir aufgedeckt hat. Ein sehr spärlicher Dank, – gewiß, aber ein armer Teufel hat bloß sein »Vergelt's Gott!« Und ein Schelm ist bekanntlich, wer mehr giebt, als er hat. Es giebt aber ziemlich viele solcher Schelme, zumal unter den Kunstschreibern.

Der Haupteindruck, den ich hier von der zeitgenössischen Kunst habe, ist der: es wird wieder mal was, »es regt sich was im Odenwald.«

Die bildenden Künstler haben in außerordentlich kurzer Zeit einen außerordentlich weiten Weg zurückgelegt. Erstens haben sie die Kunst des persönlichen Sehens wieder gewonnen, dann die Kunst des persönlichen Ausdrucks, und jetzt sind sie drauf und dran, unter die Dichter zu gehen, dorthin also, wohin jeder wirkliche Künstler gehört, der nicht bloß Fingerfex ist.

Und welch' ein Reichthum in dieser Welt der neuen Kunst, – von Liebermann bis Klinger, von Uhde bis Boecklin...

Freund, wär' ich ein Künstler, ich spräche heute mit dem alten Hutten: Die Geister werden wach, es ist eine Lust zu leben. Ja, ich spreche sogar so, obwohl ich kein Künstler bin. Ich armer, lahmer Schlachtenbummler auf der Wahlstatt der Kunst freue mich doch unbändig, wie lustig hier gefochten wird und wie sich die Siegeszeichen thürmen. Auch für uns Nichtkombattanten fällt Vieles und Köstliches ab. auch unser Leben gewinnt an Licht und verklärter Bedeutung durch das, was hier gewonnen wird. Auch wir werden, wenn auch nur anschauend, aus dem Alltag erhoben, denn uns erhebt die Mitfreude, daß Geschöpfe unserer Art im Stande sind, noch einmal Leben, noch einmal Natur zu schaffen, ein neues Leben, eine neue Natur, diejenige, in der Menschen die Herrgötter sind.

Du siehst, ich bin nicht faul, mir überallher Material zu holen, aus dem ich mir ein Kapellchen der Lebensfreude bauen kann.

Dies aber sei Dir gesagt: eine Priesterin, die darin zu celebriren hätte, suche ich nicht mehr! Ich finde: es ist hübscher so, mit seinen Göttern alleine zu sein. Es heißt: Taceat mulier in ecclesia. Da es aber den Weibern schwer fällt, stille zu sein, lassen wir sie lieber draußen.

Grüß' mir die Wittib!

Ich bin Dein                
Pankrazius.


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