Otto Julius Bierbaum
Pankrazius Graunzer
Otto Julius Bierbaum

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XXVII.
Herr Pankrazius Graunzer versucht, hinter sich selber herzugehen und die Aehren zu lesen, die aus dem brevario Brigittae fallen, giebt es aber als unfruchtbar auf und ermannt sich statt dessen zu einem wichtigen Entschlusse.

Ich glaube, wir befinden uns gegen Ende des Juli. Es ist eine himmlische Hitze, und die Sonnenstrahlen quirlen die Luft, daß sie wie's Wasser im Klostopfe wallt.

Ich sitze gut auf meinem Balkon zwischen den Weinranken. Unten muht Gerschle-Pepis Kuh; ganz ferne, irgendwo, donnert's, als wäre es des Kuhmuhs Echo; drüben auf Andechs blitzt ein Fenster in der Sonne.

Sitzt wohl ein kluger, alter Benediktiner dahinter und sinnirt behaglich in die Landschaft hinab und denkt sich: Schabt mir die Glatze!

Gestern war ich drüben.

Was das schön war!

Erstens, weil's überhaupt schön ist, und zweitens, weil ich mein Brevier mithatte.

Ich lese sonst nicht gerne draußen. Nur den Vogelweiden-Walther und das Brevier – die beiden können die Konkurrenz der Natur aushalten. Denn sie sind selbst Natur.

Das Brevier noch mehr als der Walther. Denn das Brevier ist Brigitte. Nein: bloß ein Theil von ihr. Ach, bloß ein ganz, ganz kleines Theilchen, – ein paar Briefe.

Sie schickt sie mir mit einem kleinen Mädelchen, die ich, nicht sehr zart, die Rotznaspost nenne und die durch diese Botengänge noch zur Kapitalistin werden wird. Denn ich gebe ihr, – Liebe macht generös, – für jeden Brief einen großen Nickel.

Ein ganzer Haufen von den Briefen liegt vor mir.

Ich mag sie nicht chronologisch ordnen. Anordnen, – das paßt nicht zu ihnen. Es sind Feldblumen, die man nicht an Drähte spießt und zu Bouquets maltraitirt.

Wenn ich mit ihnen spazieren gehe, mach' ich's so: Ich nehme sie, wie sie mir gerade in die Hände kommen, und stecke sie in die rechte Brusttasche. So. Nun los. Welchen werd' ich zuerst greifen?

Und ich fange an, auszurathen. Das ist eine gute Vorübung, der ich obliege, so lange ich in der Nähe menschlicher Wohnungen bin.

Dann aber, sobald ich rings um mich nichts sehe, als Wiesen, Felder und Himmel: dann der Griff in's Glücksrad und stehen geblieben und gelesen...

Jeder gelesene Brief kommt in die linke Brusttasche, und wenn diese voll, die rechte aber leer ist, wende ich mich um und trete den Rückgang an, während dessen die Briefe wieder langsam von links nach rechts wandern.

Daß ich mich dabei nicht selten verlaufe, – was Wunders? Ach, ich verlauf' mich immer, – in den Himmel.

* * *

Ich möcht's 'mal versuchen, hinter mir selber herzugehen bei einem solchen Spaziergang, 'mal die Aehren zu lesen, die ich habe fallen lassen, mir 'mal selber zu erzählen, wie schön es gewesen ist, das Wandern mit dem Breviario Brigittae.

Was fiel mir gestern zuerst in die Hand, da oben, hinter Skt. Georgen?

Ah, der da war's:

»... Wenn ich in der Früh aufwache, so denk ich gleich an Di und kann mich ärgern, weil es mir von Dir nicht träumt hat. Aber gar nicht, nicht mal bloß sehen, gar nichts. Komm, nehm mich und halt mi recht fest in Deinen starken Armen. Hast Du mich lieb? Ja! Ich küß Dich so, daß Du todt bist, und dann küß ich Di wieder lebendig. Nein, ich küß Dich nur, bis Du schlafst. Gell? – – –

Wenn Du kommst, so nimmt Dich Miezi und tragt ich überallhin...«

Ach, Du Aff', Du, schreibst es hin und weißt gar nicht, wie wahr es ist! Wo hast Du mich schon überallhin getragen!

Dann, hinter der Kapelle mit dem Weidenbaum, kam mir der in die Hand:

»Ein kleiner Spatz sitzt vor meinem Fenster und schaut zu mir rein. Grüß Di Gott, Spatzei, ich liebe Dich! Prr fliegt er weg, nauf zum Gerschle-Pepi-Haus. I glaub, der Spatz warst Du!

Nicht böse sein, daß ich so dummes Zeug schreib! Es ist mir aber immer besser, wenn ich das Gesindel los bin.

Und da sitzt auf einem Male wieder einer da, aber ein ganzer kleiner jetz, und piepst jämmerlich und fiercht sich, daß er 'runter fallt. Ich glaub 's is a junger.

Ach, mir ist so schwerherzig, Du. Ich hab Dich so lieb.«

—   —   —

Merkwürdig, diese Briefe, so lieb sie mir sind, wenn ich sie sehe, – sie verändern sich, wenn ich sie abschreibe. Plötzlich sehen sie dann kahl und dürftig aus.

Umgesetzte Pflanzen!

Warum thu' ich es überhaupt?

Will ich mir vielleicht über etwas klar werden?

Ueber Brigitte? Ueber mich? Ueber uns beide?

Ach! Das Blatt mag ich dreh'n und wenden wie ich will: es zeigt nur den einen Text:

Und wenn Du die Welt abliefest im Kreise
Und liefest die Kreuz und Quer,
Du fändest in Nord, Süd, Osten und Westen
Keine die besser wär',
Sie ist die Eine, Dir vorbestimmte,
Daß sie das Werkzeug sei,
Daß Du das Wunder mit ihr verübest:
Eins und Eins ist – Drei.

Und siehe: damit bin ich wieder zu der Fahne zurückgekehrt, unter der ich auszog, ein Weib zu suchen: der künftige Junker des Kiebitzhofes lacht mich an mit Brigittens braunen Augen.

Oh, was das für ein Lachen ist!

Es ist, als wäre all' meine Seele nichts als ein Lächeln der Zuversicht und Begnadung.

Das ist es, wodurch meine Liebe sich von der zutappenden Liebe der Jahrjungen unterscheidet: in mir ist nicht bloß der Wunsch, zu besitzen; in mir ist auch der Wunsch, zu schaffen.

Darum ist etwas von Schwarmgeisterei in meiner Liebe, und in manchen Augenblicken komm' ich mir gar supranaturalistisch vor – – – – – – – – – – – – – – – – – – – – – –

Hm... Ja, ja... Arme, liebe, kleine Brigitte, was Du für einen auspergamentirten Bua hast. Es ist doch eigentlich stilwidrig – – – – – – – – – – – – – – – – – – – – – – – – –

Wie? Unsinn! Ich wäre wahrhaftig im Stande und machte im letzten Augenblick Dummheiten aus Mitleid, diese dümmsten Dummheiten.

Gottlob, daß ich Jemand habe, der es versteht, mir den Text zu lesen mit Augen, die in jedem Nebel einen Lichtkern finden.

* * *

Aber es ist Zeit, zu handeln. Gott hat mir ein Korn geschenkt, das bald geschnitten sein will. Ich wär' ein schlechter Bauer, wollt' ich es auswachsen lassen, das arme, liebe, ungeduldige, goldige Korn.

Auf, Fauste, in's Reich der Mütter!


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