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XI.
Heirat und Ende

Neuen Aufschwung nahm das Schaffen, wie das Schuldenmachen Balzacs nach seiner Rückkehr aus Rom in seine Klause von Passy, die zu Beginn unseres Jahrhunderts in ein bescheidenes Balzacmuseum umgewandelt wurde. Das Haus lag inmitten eines ziemlich steilen Abhanges zwischen zwei Straßen und gewährte durch seinen doppelten Zugang Balzac die wiederholt benutzte Möglichkeit, durch die Rue du Roc zu entwischen, wenn übereifrige Gläubiger sich in der Rue Basse nicht abweisen ließen, oder durch die Rue Basse (heute Rue Raynouard) das Weite zu suchen, wenn ihm allzu beflissene Gerichtsboten in der Rue du Roc Zahlungsbefehle aushändigen wollten. Auch sonst war vorgesorgt, daß seine Abgeschiedenheit Neugierigen und Zudringlichen unzugänglich blieb. Wer nicht nach Madame Brugnol fragte – so hieß Balzacs Wirtschafterin, die nach ihrer Herkunft aus einer Gebirgsgegend in seinen Briefen den Beinamen »la montagnarde« führt –, fand taube Ohren. Zur Wohnung gehörte ein Gärtchen, unter dessen dichtbelaubte Bäume Balzac bei warmem Wetter die Wanne schieben ließ, um ungescheut im Freien die vom Arzt vorgeschriebenen Bäder zu nehmen. Sein Hauseigentümer Grandmain half ihm mit gastfrei vergönnten Kämmerchen aus, wenn er seine für den kommenden Wohnsitz des Ehepaares bestimmten, leidenschaftlich gemehrten Prunkmöbel, Gemälde, das ganze von ihm spaßhaft sogenannte Königreich der Bricàbracquerie in seinen engen, überfüllten Zimmern nicht mehr unterbringen konnte. Grandmain, der in der Umgebung von Paris eine kleine Landwirtschaft betrieb, gab Balzac auch willig Bescheid auf manche Fragen, die den Erzähler bei der Niederschrift seines lang vorbereiteten Romans » Les paysans« beschäftigten.

Schon während seines Genfer Aufenthaltes hatte der Dichter mit Hanski davon gesprochen, nach dem »Landarzt« in zwei folgenden Werken die Sendung des Landgeistlichen und die Stellung des Großgrundbesitzers zum Vorwurf zu wählen. Der »Curé de village« hatte 1839 die erste Aufgabe behandelt. Die »Paysans«, die er in der Widmung an seinen Anwalt Gavault als das belangreichste aller von ihm in Angriff genommenen Bücher hinstellte, sollte dem Landvolk seiner Zeit den Spiegel vorhalten. Diese Bauernschaft seiner Tage hat nach Balzacs Ansicht den Kopf Robespierres und zwanzig Millionen Arme. Das Zerschlagen der Latifundien, die Aufteilung der Kirchengüter durch die französische Revolution hat die Gier der Menschen gereizt: in den »Paysans« soll man das Nagetier sehen, den Kleinbauern, der im Bunde mit dem Kleinbürger ein Joch Grund und Boden in hundert Fetzen zerstückelt: ein unsoziales Element, das eines Tages die Bourgeoisie verschlingen wird, wie die Bourgeoisie den Adel aufgesaugt hat. Wiewohl Balzac wenigstens von Vatersseite zweifellos Bauernblut war, geht er hart ins Gericht mit dem Landvolk. Er gedenkt nicht des vielberufenen Wortes von La Bruyère, daß die den Boden bearbeitenden, mehr Tieren als Menschen gleichende Geschöpfe verdienen würden, von dem Brot zu essen, das nur ihren Mühen zu danken ist. Ihm geht nicht das Erlebnis des jungen Rousseau durch den Sinn, der auf der Wanderung hungrig bei einem Bauern einspricht, der ihm elendes Gerstenbrot auftischt und erst nachdem ihm der Fremdling Vertrauen einflößt, mit Wein, Schinken, Pfannkuchen bewirtet, doch, als Rousseau zahlen will, jedes Entgelt mit Schrecken zurückweist, aus Angst vor den grausamen Steuereintreibern, die ihn zugrunde richten würden, wenn sie nicht glaubten, daß er bettelarm sei: ein Eindruck, der in Rousseau den Keim zu seinem unauslöschlichen Haß gegen die Quälgeister des gepeinigten Volkes legte. Balzac ist auch unberührt von der volksfreundlichen Stimmung, die George Sands Idyllen durchzieht, so lebenstreu sie sonst den Menschenschlag ihrer Heimat nicht nur mit Honigfarben malt. Eine übelberatene Philanthropie habe, so meint Balzac, den Neid der Armen gegen die Begüterten genährt, statt ihn zu beschwichtigen: unabsehbare Gefahren drohen durch die Entfesselung der bösesten Instinkte des Proletariats. Das predigt Balzacs Roman »Les paysans«, der in der Tat Mercadets Bezeichnung gemäß »un sermon social« ist.

In dieser verallgemeinernden Nutzanwendung einseitig und anfechtbar, sind »Les paysans«, als Einzelfall betrachtet, eine außerordentlich lebendige, glaubhafte Darstellung der Bauernschaft in einem burgundischen Landstrich. Ein General Napoleons, Montcornet, der bei Aspern Heldentaten vollbracht hat, wird, obwohl sein Stammbaum auf Pariser Handwerker zurückgeht, der Gemahl einer wunderschönen, einem altadeligen Geschlecht entsprossenen Frau, mit der er auf einem prächtigen Schloßgut als großer Herr zu hausen sich anschickt. Die Hoffart, mit der er einem aus der Kutte gesprungenen, durch Bauernbewucherung Millionär gewordenen, zum Maire bestellten Hallunken Rigou begegnet; der Jähzorn, in dem er den früheren, auf Unterschleifen betretenen Verwalter Gaubertin mit der Reitpeitsche züchtigt und davonjagt; die Strenge, mit der sein Waldhüter Wilddiebereien und Holzfreveln nachgeht, bekommt ihm übel. Im »Dorfparlament«, der Schenke zum Grand-I-vert (hiver), die ein Tagedieb und die liederlichen, gegen Geld oder Gegendienste zu jeder Gefälligkeit bereiten Weiber seiner Familie allem Gesindel offen halten, rüsten jung und alt zu immer neuen Raubzügen gegen die Felder, Weinberge, Jagdgründe des Generals. Und rachsüchtig schmieden Gaubertin und Rigou Anschläge zur Vertreibung Montcornets, wie sie verruchter und erfolgreicher nicht in geheimen Konseils von Fouché und Talleyrand ersonnen werden könnten. Angestiftet durch diese unsichtbaren, ungreifbaren Rädelsführer beginnt ein Bauernkrieg, in dem der »Tapezierer« (so wird der General als Sohn eines Ebenholztischlers allerorten zum Gespötte gemacht) ärger gehetzt wird als in seinen gefährlichsten Feldzügen; sein rechtschaffenster Forstwart wird erschossen und dieser Mord bleibt ungesühnt, weil niemand die Täter entdeckt oder verrät: dem General selbst bedeutet aber ein Wegelagerer, der ihm wiederholt aufgelauert, als alter Soldat habe er Montcornet bisher geschont; andere Aufpasser würden ihn unbedenklich niederknallen; seines Bleibens sei nicht im Lande. Ein Ratschlag, den in diplomatischen Formen auch der Unterpräfekt wiederholt, dem diese von Montcornets Widersachern geschürten Unruhen Verdrießlichkeiten im Ministerium bereiten. Ratlos und verzweifelt gibt der General den Kampf auf, froh, Schloß und Landbesitz mit Schaden loszuwerden. Triumphierend teilen Rigou und Gaubertin die Beute unter sich und andere Käufer, so daß die parzellierte Herrschaft bald der Musterkarte eines Schneiders gleicht.

Balzacs Bauernköpfe gehören zu seinen besten Bildnissen: ein scheinheiliger alter Spitzbube, der mit seinem nicht weniger scheinheiligen Enkel bei der Jagd nach einer gar nicht vorhandenen Otter einen der gewitztesten Pariser Menschenkenner, den Literaten Blondet, stundenlang narrt und um ausgiebige Schmerzensgelder prellt, ist ebenso unvergeßbar, wie der in jeder Bedeutung des Wortes überfaule Kneipenwirt Tongard mit seinem Allerweltsweib und seinen, solchen Eltern nachschlagenden, Gendarmen und Wilderern gleich willfährigen Töchtern. Rigou setzt Balzac selbst ein Ehrenmal: »Erinnern Sie sich mancher in früheren Szenen gemalten Geizhälse? Einmal der Provinzgeizige Grandet, der geizig ist, wie der Tiger grausam ist; dann der Wucherer Gobseck, der Jesuit des Goldes, der dessen Macht auskostet und die Tränen des Unglückes nachschlürft, um zu schmecken, auf welchem Erdreich so gute Tropfen gediehen; dann Baron Nucingen, der den Geldschwindel zur Höhe der Weltpolitik erhob. Nun haben die menschlichen Gefühle und zumal der Geiz so verschiedene Nuancen in den verschiedenen Kreisen unserer Gesellschaft, daß noch ein Geiziger im Amphitheater der Sittenstudien zur Schau übrigblieb: Rigou, der egoistische Geizige, das will sagen voll Zärtlichkeit für seine Genüsse, dürr und kalt für jeden anderen, kurzum der geistliche Geizige, der Exmönch, der Mönch geblieben ist, um den Saft der Zitrone des Wohllebens auszupressen und weltlich geworden ist, um das Gold der Weltkinder zu erraffen.« Nicht minder einzig als dieses Bild in Lebensgröße ist das vielköpfige Gruppenbild »der ersten Gesellschaft von Soulanges«: hier sitzt jeder satirische Hieb, hier ergötzt jeder humoristische Strich, der Männern und Frauen den Character indelebilis aufprägt. Die Schloßbewohner, der Haudegen Montcornet, den seine Frau wie einen Unmündigen gängelt und nach seinem Tod durch den Literaten Blondet ersetzt, dieser Literat Blondet und der Abbé sind künstlerisch nicht weniger sorgsam porträtiert, so daß Théophile Gautier in seiner Balzacstudie 1858 die »Paysans« mit triftigem Grunde eines der größten Meisterwerke Balzacs nennen durfte: ein Urteil, das um so bemerkenswerter ist, als Gautier, zur Zeit der ersten Veröffentlichung dieses Werkes in Girardins »Presse« Feuilletonredakteur des Blattes, 1845, erleben mußte, daß aus den Leserkreisen Einsprache über Einsprache, eine Abonnementsaufkündigung nach der anderen einlief: Proteste, die den Zeitungspascha Girardin veranlaßten, Balzac die Fortsetzung der »Paysans« schnöde zu verleiden. Die meisten Abonnenten beklagten sich über die Langeweile des Romans. Andere wehrten sich, nicht mit Unrecht, gegen die politischen Tendenzen des Romans. Ein vom Ministerium beeinflußtes Militärblatt nahm gar Anstoß an der angeblich die Armee verletzenden Charakteristik des Generals Montcornet und bezichtigte Balzac einiger sachlicher Irrtümer in seinen die Schlacht von Aspern betreffenden Angaben: die kaiserliche Garde habe keine Kürassiere gehabt, Masséna habe seine Truppen nicht als »verwünschte Kerle« vorwärtsgetrieben und vor allem beschwerte sich der soldatische Gegner über die Einführung eines in Wirklichkeit gar nicht nachweisbaren Offiziers in das Schlachtgewühl von Eßling. Balzac blieb die Antwort nicht schuldig. Seine Abweichungen von dem historischen Sachverhalt wären in diesem Fall, wie in der »Ténébreuse affaire« bewußt und notwendig gewesen: jede allzu deutliche Beziehung auf zeitgenössische Geschichten berge Gefahren. Es fehlte nur noch, daß man ihn wegen der in den Paysans als in Burgund belegenen, in keiner Geographie vorkommenden Ortsnamen zur Rede stelle: »all diese Gebiete befinden sich, wie die Kürassiere der Kaisergarde auf dem unermeßlichen Globus, auf dem der Turm Von Ravenswood, die Bäder von Saint-Ronan, das Land Liliput, die Abtei Thélème, die Geheimräte von E. T. A. Hoffmann, die Insel Robinson Krusoes, die Besitzungen der Familie Shandy liegen: in einer Welt, in der es keine Steuern gibt, und wo die Post für die dort Reisenden zwanzig Centimes für je einen Band kosten.« Montcornet nimmt nach seinem Abzug aus Burgund wieder Dienst in der Armee. Sein Gast Blondet, »einer der bedeutendsten politischen Schriftsteller«, gerät im Laufe der Jahre durch seine unabhängige Haltung in solche Not, daß er nahe daran ist, Selbstmord zu begehen; als er die letzte Rückschau hält auf seine mitleidwürdige, verleumdete, mit Arbeit überlastete Existenz steigt eine edle schöne Frauengestalt vor seinem Blick auf, gleich einer in einem Trümmerfeld tadellos erhaltenen Statue; sein Hauswart bringt ihm einen schwarzgesiegelten Brief, in dem ihm Gräfin Montcornet den Tod des Generals meldet und andeutet, daß die Frau von vierzig Jahren, die er in seiner Jugend geliebt, ihm wohlgesinnt geblieben sei. Blondet heiratet die Witwe, und den Beschluß des düsteren Romans bildet die jubelnd angetretene Hochzeitsreise des Schriftstellers und der Gräfin – ein Schicksalswechsel, der kaum verhüllt an Balzacs Lebenswende nach Hanskis Tod erinnert.

Die Wahl seines und Evas künftigen Wohnsitzes kommt in seinen an Zärtlichkeit sich niemals genugtuenden Briefen beständig zur Sprache; seine Freunde in der Touraine befragt er nach Weingütern und Schlössern seiner engeren Heimat; in Paris mustert er alle Viertel; auf den Bauplätzen von Monceau, die Louis Philipp als bedächtiger Spekulant Stück um Stück zu erwerben vorhat, wirft Balzac sein Auge, um dort ein Haus zu bauen; in Passy und bei der Madeleine, in der Nähe der Place Lafayette und in der Rue Goujon hält er Umschau, bis er im September 1846 den Pavillon Beaujon in der Rue Fortunée kauft, ein aus dem 18. Jahrhundert stammendes, dazumal von einem reichen Finanzpächter aufgeführtes Voluptuar, in dem sogar für einen besonderen Zugang in das Oratorium der nächsten Kirche gesorgt war. Die Prachträume dieses Hotels schmückte Balzac, der einstweilen selbst in seiner Klause von Passy blieb, mit Kunstschätzen, kostbaren Kronleuchtern, seltenem Porzellan, Bronzen, reichgeschnitzten altertümlichen Bücherschränken, Truhen und einer förmlichen Bildergalerie aus; seine Sammlerpassion machte ihn nicht bloß zum Stammgast der Pariser Antiquitätenhändler; in Marseille und in Rom, Genua, im Haag, am Rhein und der Elbe ging er solchen Jägerfreuden nach; der Schwiegersohn Evas, Graf Georg Mniszeck, stand ihm bisweilen als Kenner bei; ein alter Franzose, den er als Restaurator zu Hilfe rief, verschaffte ihm wohlwollend einen Frauenkopf von Greuze; so kam allmählich ein Museum zustande, das Balzac in der ängstlich gehüteten Kunstkammer seines »Cousin Pons« geschildert hat.

Der Aufwand, den diese, wie er selbst sagte, der Anziehungskraft des Spieltisches vergleichbare Liebhaberei verursachte, hat Eva und Balzac bittere Sorgen bereitet. Kapitalsanlagen in Nordbahnpapieren, die er mit 627 anschaffen ließ, und die bald auf 575 und endlich unter pari fielen, schlugen fehl. Und seine literarischen Einnahmen, so befreiend sich nach zeitweiliger Übermüdung zu seiner Freude neuer Arbeitsmut einstellte, reichten nicht einmal zur Deckung seiner alten Schulden, geschweige zur Bestreitung seiner neuen außerordentlichen Auslagen aus. Der eherne Fleiß Eugène Scribes und seine gesetzlich geschützten Tantiemen hätten den klugen Sohn eines Seidenhändlers für sich allein nicht zum Millionär gemacht. Er war ein genauer Rechenmeister: sein Wappen mit der Feder und dem Wahlspruch »Inde fortuna et libertas« hätte ganz wohl die Beigabe eines kaufmännisch geführten Hauptbuches vertragen. Auch hätte Balzac, dem das Theater nur Enttäuschungen beschied, nicht wie Scribe ein Chalet erwerben und mit der lustigen Inschrift bedenken können:

Die Bühne bezahlte mein ländlich Asyl;
das dank' ich auch dir, wenn mein Werk dir gefiel.

Wäre freilich in seinen Tagen das literarische Eigentum des Erzählers so sicher geschützt gewesen wie zur Zeit Emile Zolas und Alphonse Daudets, dann hätten schon allein zwei Bücher, wie er sie 1845 improvisierte, jeden Mangel von ihm fernhalten müssen. »Der Moment verlangt es, daß ich zwei, drei Hauptwerke schaffe, die die falschen Götter dieser Bastardliteratur umstürzen und beweisen, daß ich jünger, frischer, fruchtbarer als je zuvor bin. Der alte Musikus« (nachmals Cousin Pons) »ist der arme Verwandte, der, mit Demütigungen und Beleidigungen überhäuft, herzensgut alles vergibt und sich nur durch Wohltaten rächt. ›Cousine Bette‹ ist ebenfalls die arme, durch Beleidigungen und Demütigungen niedergedrückte, im Kreis von drei, vier Familien lebende Verwandte, die Rache brütet für die Kränkungen ihrer Eigenliebe und die Verletzungen ihrer Eitelkeit.« In weniger als einem halben Jahre schrieb Balzac die 48 Bogen dieser beiden Romane, in Hundstagen, in denen das Thermometer bis auf 40 Grade stieg, in seinem Kabinett in Passy, über dem der im zweiten Stock wohnende Wäscher mit Kohlen, wie in einer Lokomotive, unter seinem Blechdach heizte. Von Tag zu Tag lieferte er der Druckerei die einzelnen Fortsetzungen der »Cousine Bette«, so daß, als er zur Erholung einmal für eine halbe Woche zum Besuch Evas nach Wiesbaden ausflog, der Eigentümer des Constitutionnel, Véron, das vollständige Stocken dieses die Leser begeisternden Romans besorgte, von dem Balzac der Geliebten stolz berichten konnte: »Sie werden, ich bin dessen gewiß, mit Vergnügen hören, daß zu meinen Gunsten ein ungeheurer Rückschlag erfolgt ist. Endlich hab' ich gesiegt. Noch einmal hat mein Schutzgeist über mir gewacht; noch einmal hat mich ein Engel des Friedens mit seinem Fittich berührt. In diesem Augenblick wenden sich Leser und Zeitungen mir zu: noch mehr, es ist wie eine allgemeine Akklamation und Krönung. Die mich bekämpften, kämpfen nicht mehr, die mir am feindlichsten waren, wie Soulié, kehren zu mir zurück!«

»Der alte Musikus«, »der Parasit« oder wie Balzac auf Evas Rat als Gegenstück zu »Base Betti« das Buch zuletzt betitelte, »Vetter Pons«, hat in den Tagen Napoleons den Rompreis bekommen und mit ein paar Romanzen Erfolg gehabt; dann hat er sich als Komponist nicht weiter entwickelt, so daß er als Sechziger sein Brot als Kapellmeister eines kleinen Theaters verdienen muß, dessen Leiter nach allerhand Wechselfällen der berühmte Handlungsreisende der »comédie humaine« Gaudissart geworden ist. Seinen eigentlichen Beruf hat Pons als Kunstenthusiast entdeckt; trotz seines beschränkten Einkommens und dem Grundsatz, für kein Stück mehr als 100 Franken auszugeben, hat ihn angeborener Geschmack und Spürsinn durch kluge Gelegenheitskäufe zum Besitzer einer Sammlung von Seltenheiten werden lassen, deren vollen Wert er selbst kaum ahnt und niemand bei dem lächerlich altväterisch gekleideten Hagestolz vermuten würde. Eine makellose Natur, hat Pons nur eine Schwäche: er ist auch bei Tisch wählerisch. Und da er sich den Luxus der Feinschmeckerei nicht leisten kann, geht er auf die Tafelfreuden seiner Verwandten und Schüler aus. Solang er jung ist, finden sich Gastfreunde. Mit den Jahren verlieren die sich mehr und mehr. Und obwohl er sich lang, allzulang, schiefe Gesichter und mürrischen Empfang gefallen läßt, unholden Gastgeberinnen nicht nach Gebühr geschätzte Gaben, wie einen von Watteau für die Pompadour gemalten Fächer verehrt, muß er erleben, daß ihn just diese Cousine auf Anstiften einer boshaften heiratslustigen Kammerjungfer, die Pons verschmähte, abdankt und fast an den Gesindetisch verweist. Bitter gekränkt verzichtet der Greis fortan auf alle Magenfreuden in fremden Häusern. Sein Tröster ist sein wahl- und wesensverwandter Lebensfreund, der blutarme, schon in der »Evastochter« liebreich eingeführte Klavierlehrer, Schmucke, ein Deutscher, gleich einem Dutzend anderer von Balzac namentlich genannter großer und kleiner Musikpädagogen der Pariser: Liszt, Thalberg, der Vater von Alphonse Karr, Zimmermann, Kalkbrenner, Herz usw. Schmuckes Aufzug und Aussehen ist nicht weniger wunderlich als die abenteuerliche Erscheinung von Pons, so daß die beiden auf den Boulevards nur die zwei Nußknacker heißen. Schmucke, dessen unmögliches Französisch Balzac phonetisch in den lustigsten Ausartungen wiederzugeben sucht, ist vielleicht die rührendste Gestalt des Romanciers: ein Urbild der Treue, Güte, Selbstlosigkeit und Bedürfnislosigkeit. Er wohnt in einem Quartier mit Pons und ist überselig, als Pons sich gleich ihm mit der von ihrer Hausmeisterin Madame Cibot versorgten Armeleutküche notgedrungen begnügt. Vier Monate später kommt durch einen wohlwollenden hochgestellten Verwandten eine Versöhnung zustande. Pons will daraufhin der Familie einen Liebesdienst erweisen und der Tochter eines nicht allzu begüterten Gerichtspräsidenten einen Millionär als Freier zuführen. Pons vermittelt die Begegnung des übermütig geschilderten, seine Frankfurter Abkunft nicht verleugnenden jüdischen Halbblutes Fritz Brunner mit den Pariser Angehörigen in seiner Kunstkammer, deren Kostbarkeit dem Fremden, nicht aber den Verwandten von Pons bewußt wird. Die Frau des Gerichtspräsidenten, Camusot, gibt zu Ehren des vermeintlichen Zukunftsbräutigams ein Prunkmahl, bei dem Pons ein Ehrenplatz eingeräumt wird; nach Tisch erklärt Brunner dem Haupt der Familie jedoch, er könne das ihm zugedachte Fräulein nicht heiraten, weil er jetzt erst gehört habe, daß sie die einzige Tochter sei: solche Hätschelkinder seien aber im Elternhaus so verwöhnt, daß er als Gatte besorgen müßte, nicht rücksichtsvoll genug zu sein. Ein Affront, für den Pons verantwortlich gemacht wird; die Familie beschuldigt ihn, derart Rache genommen zu haben für den ihm ein einziges Mal verwehrten Mittagstisch.

Von all seinen Sippen in Bann getan, erkrankt der harmlose, redliche, selbst von den Mildesten seiner Verwandtschaft verkannte Hagestolz auf den Tod. Der einzige, der Pons um seiner selbst willen liebt, bewährt sich auch in dieser Leidenszeit. Alle anderen sind heuchlerisch und verbrecherisch darauf bedacht, dem Sterbenden seine Bilderschätze abzujagen. Balzacs verhängnisvolle Neigung, im Handel und Wandel des Alltags weitangelegte Komplotte auch dort zu wittern, wo Dutzendmenschen nur dem Antrieb augenblicklichen Vorteils, der Lockung günstiger Gelegenheit folgen, äußert sich nicht unbedenklich in dem unwahrscheinlich verwickelten Ränkespiel um das Testament und Erbe von Vetter Pons. Die Hausmeisterin Cibot war in jungen Jahren als eine der feschesten Austernhändlerinnen eine Pariser Stadtfigur; nach ihrer Verheiratung mit einem kleinen Schneider entwickelt sie in ihrer Conciergewirtschaft eine Mundfertigkeit, die unfreiwillig zwerchfellerschütternd wirkt; die Suada, die ihr Balzac ablauschte, beschämt die naturtreuesten Standreden ähnlicher Volksfiguren Henri Monniers. Zehn Jahre lang bedient die Cibot Pons und Schmucke beflissen, zufrieden mit der Zubuße, die ihre kleinen Einnahmen durch den Monatslohn der zwei Junggesellen erfahren. Plötzlich hört die Cibot, daß Pons' Bilder Geldeswert haben. Ihre Begehrlichkeit erwacht. Sie hofft, daß Pons sie letztwillig mit einer Leibrente bedenken wird. Ihre Habgier wächst und wächst weiter. Sie begnügt sich nicht mit Lügen, Gleißnereien, Diebereien. Sie sucht einen volkstümlichen Orakelspruch: sie läßt sich, wie das übrigens Balzac selbst tat, überzeugt von den auch im Cousin Pons gläubig bekräftigten »okkulten« Wundergaben solcher Wahrsagerinnen, von der Kartenaufschlägerin Fontaine mit dem zugehörigen Apparat der Kröte Astaroth und der schwarzen Henne für hundert Franken »Le grand jeu« vormachen. Durch diese Prophezeiung in ihren bösesten Instinkten bestärkt, entpuppt sich die Cibot, wie Balzac selbst sie nennt, als eine »affreuse Lady Macbeth« der Hausmeistersphäre. Sie steckt sich hinter einen Armenarzt und den von diesem empfohlenen anrüchigen Winkelschreiber, die selbander alle Nichtswürdigkeiten vorbereiten, die Pons' Ende beschleunigen und sein Vermögen der Gerichtspräsidentin Camusot in die Hand spielen sollen: als Gegenleistung bedingen sich die beiden, vom Schicksal bisher mißhandelten Streber aus, daß Doktor Poulain Spitalsdirektor und der in seiner Heimat unmöglich gewordene Rechtspraktikant Fraisier Friedensrichter in Paris werden soll. Die Cibot stiehlt auch die unschätzbarsten Bilder aus dem Besitz von Pons, um sie dem jüdischen Makler Elie Magus zuzuschanzen, einem ebenso knauserigen als genialen Kenner, der (in einer der heitersten Geschichten Balzacs »Pierre Grassou«) Schwarten von Stümpern durch Fälscherkünste Ignoranten als Rembrandts und Hobbemas vortäuscht und teuer verkauft. Die Cibot hat auch nichts dawider, daß ihr armer Schneider durch Grünspan aus der Welt geschafft wird, um in zweiter Ehe einen auvergnatischen Analphabeten, den Eisenhändler Remonencq, zu heiraten: dieser Mörder des Schneiders hält als neugebackener Antiquitätenhändler in einem eleganten Laden Boulevard de la Madeleine die Kunden so lange zum besten, bis er, ein verruchter Giftmischer, aus Versehen oder durch die Aufmerksamkeit seiner Frau das Glas Vitriol trinkt, das er der Cibot zugedacht hat, um ihr Heiratsgut an sich zu bringen.

Das Maß der Greuel im Cousin Pons ist durch diese Missetaten nicht erschöpft. Die Gemahlin des Gerichtspräsidenten bietet als Bundesgenossin des Winkeladvokaten Fraisier die Hand zu Testamentsunterschlagungen. Und der von Pons zum Universalerben eingesetzte Schmucke, der, nach dem Wahrwort seines Freundes »arglos wie ein sechsjähriges Kind«, zeitlebens nie an Besitz gedacht hat, wird durch die Anschläge der Erbschleicher bei Gericht der ärgsten Umtriebe verdächtigt. Anwürfe, die diese reine Seele zuerst gar nicht versteht und als er sie endlich erfaßt, nicht überlebt: ein Hirnschlag entrückt ihn einer Welt der Gemeinheit und Tücke, die teuflisch absticht von der Engelsunschuld der beiden Musiker, Ihre Lichtgestalten verklären den Roman, dessen Reiz und Wert Dickens' würdige Satiren erhöhen. Die Kapitel »La mort comme elle est«, Treiben der gewerbemäßigen Totenbeschauer, Totengräber, Sargtischler, Grabmalspekulanten, Verlassenschaftsabhandlungen, kann nicht mit beißenderem Witz zur Sprache gebracht werden. Und die Zwischenspiele, in denen »der Napoleon des Boulevardtheaters« Gaudissart mit seinen Tänzerinnen, Orchestermitgliedern, Bühnenarbeitern abwechselnd despotisch und leutselig sich gibt, lassen schmerzlich bedauern, daß Balzac nicht dazukam, wie er das geplant, einen Roman zu vollenden »Le théâtre, comme il est«: »ein jungfräuliches Sujet«, wie er Eva scherzend schrieb, »d. h. nur der Stoff, denn sonst ist nichts jungfräulich beim Theater.«

Für die Cibot im »Cousin Pons« berief sich Balzac auf Lady Macbeth. Für die »Cousine Bette« scheute er sich nicht, auf Ähnlichkeiten seiner Heldin mit Jago und Richard III. hinzuweisen. So hat Grillparzer von der Magd, die der Liebhaber auf der Brigittenauer Kirchweih vom Tanz wegschmeichelt, Fäden sich spinnen gesehen zu Dido- und Medeagestalten der Vergangenheit und Zukunft; so ließ Gottfried Keller unter den Leuten von Seldwyla Romeo und Julia wieder auferstehen. Lisbeth Fischer ist ein Bauernkind; haßlich und verschlossen, wird sie von den Ihrigen von Jugend an zu den härtesten ländlichen Arbeiten gezwungen, während ihre wunderschöne Cousine Adeline geschont und gehäschelt wird; Betti haßt diese Cousine so sehr, daß sie nahe daran ist, ihr Äußeres zu verunstalten; sie bezwingt sich und läßt ihren Groll um so weniger merken, als Adeline durch eine seltene Fügung aus ihrem Heimatdorf in den Vogesen in die vornehmsten Pariser Kreise versetzt wird. Auf dem Durchmarsch hat sich Hector Hulot, der Bruder des republikanischen Führers gegen die Chouans, seither einer der tüchtigsten Napoleonischen Generale, in Adeline verliebt; er heiratet das herrliche Geschöpf, das, mit jeder Tugend geschmückt, Hector Hulot wohlgeratene Kinder schenkt und ihrem vergötterten Gatten, der unter der Restauration, wie unter Louis Philipp im Kriegsministerium zu den höchsten Posten gelangt, in ihrer Häuslichkeit wie in der Gesellschaft eine ideale Lebensgefährtin ist. Adeline vergißt Lisbeth nicht. Hulots laden Cousine Bette nach Paris. Baron Hulot schlägt ihr vier-, fünfmal Freier vor, kleine Beamte, zur Ruhe gesetzte Subalternoffiziere, die sie trotzig verschmäht; sie lebt größtenteils von ihrer Hände Arbeit; in ihrem Kämmerchen in einer uralten Mietkaserne näht und stickt sie Zieraten, Aufschläge, Distinktionszeichen für goldstrotzende Uniformen. Eines Nachts hört die Vierzigjährige in einem Nebenraum stöhnen. Hilfreich forscht sie weiter und findet einen jungen, bewußtlosen, durch Kohlendunst halberstickten Mann, der Selbstmord begehen wollte: Graf Wenzeslaus Steinbock, ein polnischer Flüchtling, sah in seinem Elend keinen anderen Ausweg. Er hat Begabung für Bildhauerei. Betti, die für den schmucken, vornehmen Livländer zärtliche Regungen verspürt, nimmt sich seiner mit mütterlicher Sorgfalt an. Sie streckt ihm ihre Spargroschen vor, damit er seine hübschen Einfälle, Kleinkunstwerke, ausführen kann und hält ihn, der sonst seinem slawischen Hang zur Indolenz nachgeben würde, streng zur Arbeit an. Steinbock bringt es in den paar Jahren, in denen Betti die Zuchtrute über ihn schwingt, zu tüchtigen Leistungen im Kunsthandwerk und Betti, die bisher niemandem in ihrer Verwandtschaft von ihrem Schützling erzählt hat, zeigt einmal Adelines Tochter Hortense triumphierend ein ihr gewidmetes Petschaft. Das neugierige Mädchen ruht nicht, bis sie von Betti erfahren hat, wer der Schöpfer des Siegelstockes, und das romantische Abenteuer erregt die Schwärmerei von Hortense für den Unbekannten dergestalt, daß sie nicht rastet, bis sie Steinbock kennenlernt, den Einfluß ihres Vaters zu Staatsaufträgen für den Anfänger benutzt und ohne Vorwissen Bettis mit dem polnischen Grafen sich verlobt. Betti wußte wohl, daß der so viel jüngere Wenzeslas sie niemals heiraten würde: die Heimlichkeiten Hortensens und des Polen sieht sie aber nicht mit Unrecht als Treubruch an und von Stund an gelobt sie für alle früheren Beleidigungen und doppelt und dreifach für die unsühnbare neue Demütigung erbarmungslose Vergeltung. Sie will allen Hulots heimzahlen, was ihr zeitlebens wissentlich und unbewußt zu Leid getan wurde. Und das Werkzeug ihrer Rache soll Madame Marneffe werden, eine Buhlerin, deren Urbild Balzac ebensowohl aus dem Venusberg wie aus der leibhaftigen Wirklichkeit geholt haben kann. Heine lobt den Tannhäuserdichter, der in seiner Naivität »die unheilvollen Verführungskünste und schamlosen Liebesränke der Frau Venus trefflich zu schildern verstand. Ein lasterhafter moderner Schriftsteller hätte die Gestalt dieses dämonischen Weibes nicht besser zeichnen können, dieser Frau Teufelinne, die bei all ihrem olympischen Stolz und bei all ihrer prächtigen Leidenschaft nichtsdestoweniger die galante Frau durchblicken läßt; sie ist eine himmlische, nach Ambrosia duftende Kurtisane, eine Kameliengottheit und sozusagen eine unterhaltene Gottheit. Wenn ich meine Erinnerungen durchblättere, muß ich ihr eines Tages auf dem Bredaplatze begegnet sein, wo sie mir ziemlich leichten Kleides vorüberging; sie trug ein graues Hütchen von gesuchter Einfachheit und war vom Kinn bis zu den Fersen in einen prachtvollen indischen Schal gehüllt, dessen Saum über das Pflaster hinstreifte. ›Wofür halten Sie diese Frau?‹ sagte ich zu Herrn de Balzac, der mich begleitete. ›Es ist eine unterhaltene Frau‹, antwortete der Romanschreiber. Ich war vielmehr der Ansicht, daß sie eine Herzogin sei. Aus den Mitteilungen eines gemeinsamen Freundes, der gerade hinzutrat, sahen wir, daß wir beide recht gehabt. Ebensogut, wie den Charakter der Frau Venus verstand der alte Poet den des Tannhäuser zu schildern, jenes wackeren Ritters, welcher der Chevalier des Grieux des Mittelalters ist.«

Valerie Marneffe ist die uneheliche Tochter eines Napoleonischen Generals Graf Montcornet und einer Kurtisane; solange ihr Vater lebte, wuchs sie im Überfluß auf; nach seinem Tode mußte sie froh sein, die Gattin eines kleinen Beamten im Kriegsministerium zu werden; in Lüsten versunken, zu jeder Niedertracht bereit, die seinen Finanzen oder seiner Amtsstellung zugute kommen kann, sah Marneffe in seiner Frau von vornherein die von der Natur mit seltenen Gaben für solche Waffengänge ausgerüstete Bundesgenossin. Von apartem Reiz in den anmutigen Unschuldsmienen, von erfinderischer Eleganz im einfachsten Aufzug, spielt sie meisterlich die vornehme Dame, fängt sie alte, ihrer Loretten satte Lebemänner in der Maske der »femme comme il faut«. Zwei, Cousine Bette nahestehende betagte Herren werden ihr willenlos untertan. Adelines Gatte, Baron Hulot, hatte jederzeit redseliges Blut. Als Offizier fand er auf Kreuz- und Querzügen durch Europa reiche Frauengunst. In der Ehe fühlte er sich ein Jahrzehnt lang befriedigt. Dann suchte er kostspielige Beziehungen zu armen, angehenden Künstlerinnen; dem Schwiegervater seines Sohnes, dem schwer reichen früheren Parfümeur Crevel jagte er zu dessen Verdruß die Sängerin Josepha Mirah ab, die ihn, sowie sie Karriere macht, als »gefärbten Kater« schnöde verabschiedet. Und der Sechziger, in dem wollüstige Begehrlichkeit unbesiegbar tobt, ist überselig, als er in Madame Marneffe an Stelle seiner bisherigen feilen Schönen eine »femme comme il faut« gefunden zu haben glaubt, die ihn, wie er sich einredet, um seiner selbst willen liebt. Hulot haben schon seine früheren Mätressen viel gekostet: Valerie Marneffe verlangt außer der Beförderung ihres Mannes zu immer höheren Rangstufen immer mehr Aufwand; sie muß ein neues Quartier beziehen, das üppig eingerichtet wird, Gastereien geben, Jahresrenten für alle Zukunft gesichert und gesteigert haben. Hulot verschuldet sich, verpfändet seinen Gehalt, schränkt den Haushalt seiner Frau ein: alles zur Freude von Cousine Bette, die, auf Tod und Leben mit Madame Marneffe verbündet, ihre Freundin zu neuen Aderlässen kaum aufzumuntern braucht. Um die Wette mit Hulot wirbt Crevel um die Gunst der Marneffe: sie gewährt ihm regelmäßige Zusammenkünfte in einem für solche Schäferstunden gemieteten Absteigquartier und prellt beide Greise mit ihrem ersten, aus Brasilien heimgekehrten Liebhaber, einem Krösus, Baron Montès de Montejanos. Keiner dieser Romane genügt der Übermütigen: sie setzt sich in den Kopf, auch Wenceslas Steinbock zu erobern, und zur besondern Genugtuung von Cousine Bette fällt der in seinem Künstlerberuf längst lau gewordene Gatte von Hortense Madame Marneffe zur Beute. Sie wird schwanger und redet jedem ihrer vier Liebhaber ein, der Vater zu sein. Ihr Gatte beharrt darauf, weiter zu avancieren, und da Baron Hulot Widerstand bei seinem Minister findet und nein sagen muß, lockt ihn das Ehepaar Marneffe in eine Falle – Valerie gönnt ihm in Grevels Liebesnest eine Nacht: morgens überrascht ihn aber in Begleitung der Polizeikommissäre der Gatte, der das unanfechtbare Amtsprotokoll und Hulots verräterische Liebesbriefe und Paternitätserklärungen nur als Preis für seine Berufung auf den verweigerten Posten herausgibt. Hulot setzt die Forderung des Erpressers beim Minister durch, der den Skandal der Bloßstellung eines seiner höchsten Beamten verhüten muß. Hulots Tage im Ministerium sind aber gezählt. Seine Schulden sind öffentliches Geheimnis. Ebenso seine Beziehungen zu Madame Marneffe. Diesen Moment benutzt Cousine Bette, mit ihren ehrgeizigsten Wünschen herauszurücken: sie will Hulots Bruder, den greisen Marschall Hulot, Grafen von Pforzheim, heiraten, um, wie sie vorgibt, seinerzeit durch ihre Pension der Familie Hulots beistehen zu können. Ihr kühnes Verlangen scheint sich zu verwirklichen. Ihre Anschläge haben fast an ihr Ziel, zur Erniedrigung ihrer Verwandten, zu ihrer Erhöhung geführt. Sie hat gesiegt, nur allzusehr gesiegt. Baron Hulot hat, um dem unersättlichen Geldhunger von Madame Marneffe zu genügen, zu verbrecherischen Mitteln gegriffen: er schickte den Onkel seiner Frau, einen biederen Getreidemakler, Johann Fischer, nach Algier, im Glauben, Unterschleife zum Schaden des Ärars durch die militärische Autorität decken zu können. Der Betrug kommt aber auf, Johann Fischer begeht Selbstmord im Gefängnis. Über Baron Hulot bricht ein Strafgericht des Ministers herein. Er ist zu feige, sich eine Kugel durch den Kopf zu jagen. Als Opfer fällt sein Bruder Marschall Hulot, der mit dem letzten Heller seiner Ersparnisse die unterschlagenen Gelder ersetzt, doch die Schmach nicht überleben kann. Cousine Bette hat den bürgerlichen Tod des Generals und eine unheilbare Selbstpreisgebung Adelines mit heraufgeführt: als Adeline von der drohenden Katastrophe hörte, hat sie Crevel, der sich einst vergeblich um ihre Gunst bewarb, um Zahlung der fehlenden 200 000 Franken gebeten und Opfer um Opfer verheißen. Ein Auftritt, der Crevel zu Herzen ging, doch durch Madame Marneffes Bosheit folgenlos blieb. Nach dem Tod ihres Mannes wird Madame Marneffe die Gemahlin Crevels.

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Laure de Berny

Baron Hulot ist jahrelang verschollen. Als es der unerschöpflichen Liebe und unwandelbaren Treue Adelines gelingt, seine Spur wiederzufinden, ist der »verlorene Vater« auf seinem Lasterweg tiefer und tiefer gesunken. Unter falschem Namen treibt er das Handwerk eines »öffentlichen Schreibers«, der Liebesbriefe für Mägde, Klagen für Winkeladvokaten besorgt, um durch diesen Erwerb für seine Lüste mit halbreifen Kindern aufzukommen. In seinem Haus von den Seinigen mit Ehren und Freuden aufgenommen, lebt er scheinbar auf, ist er eine Weile in Wesen und Behaben wie ehedem der Mann von Welt. Seine Passionen sind aber die alten. Eine normannische plumpe Magd sticht ihm in die Augen. Eines Nachts erwacht Adeline, die seit der ersten Katastrophe von stetem Nervenzittern gepeinigt wird, und da sie Hulots Bett leer findet, sucht sie besorgt nach ihm: im Dienstbotenzimmer hört sie seine Stimme, wie er der Maritorne sagt: »Meine Frau wird nicht mehr lange leben; wenn du willst, kannst du Baronin werden.« Drei Tage später stirbt Adeline: ihr letztes Wort war an ihren Mann gerichtet: »Mein Freund, ich konnte dir nur noch mein Leben geben; in einem Augenblick wirst du frei sein und kannst dann eine neue Baronin schaffen.« Dann sah man, was selten sein mag, Tränen aus den Augen einer Toten quillen. Ein paar Monate hernach erfuhr die Familie, daß der Baron Hulot die Küchenmagd Agathe richtig geheiratet hatte. Cousine Bette war Adeline im Tod vorangegangen. Bis an ihr Ende hatte sie ihre Umtriebe gegen die Familie fortgesetzt, in solcher Heimlichkeit, daß alle Hulots ihr Sterbelager umstanden und die Scheidende als Schutzgeist ihres Hauses betrauerten. Das Ende des Ehepaares Crevel-Marneffe hatte Cousine Bette noch zuvor mit ansehen müssen: der betrogene rachsüchtige Brasilianer hatte Valerie einen Giftstoff einzuimpfen gewußt, der sie und Crevel unter den entsetzlichsten Martern bei lebendigem Leib verfaulen ließ.

Absonderlicher noch als dieser absonderliche Ausgang Valerie Crevels ist dessen Vorgeschichte; Adelinens Sohn, ein dieser Musterfrau würdiger Mustermann, Advokat und angesehener Abgeordneter, verhehlt dem Minister nicht seinen Unmut über die drohende Vermählung seines Schwiegervaters mit Valerie; gleich nachher stellen sich bei Victor Hulot angeblich als Sendlinge der Geheimpolizei aus den Vautrinromanen bekannte Hexen mit der Frage ein, wann und zu welchen Bedingungen er das Ende Valeriens verlange: ein Mordangebot, das er entrüstet abweist. Als ihm dann in milder Form nahegelegt wird, wenn sich sein frommer Wunsch erfüllen sollte, einem italienischen Bettelmönch 40 000 Franken zu zahlen, sagt er nicht nein! Und als die Prophezeiung sich verwirklicht und Valerie vorzeitig und so grauenhaft zugrunde geht, erscheint bei Victor Hulot in der Tat ein zerlumpter Frater, dem der Advokat willig das Doppelte der bedungenen Summe ausfolgt. Vautrins Vasallin hat Montès Montejas durch eine ihr Gehorsam schuldige Kurtisane bei einem Diner von Loretten von der Vermählung Valeriens Kunde gegeben, dann, da der Rasende noch immer zweifelt, durch einen Überfall des Liebespaares Valerie-Steinbock in einem Stundenhotel den augenscheinlichen Beweis ihres Verrates erbracht und derart die Rache des vor Eifersucht Tollen in Flammen ausschlagen lassen. Vautrin mit seinen Leuten hat wieder einmal Vorsehung gespielt, die Geheimpolizei wie die Feme die Schuldige gerichtet. In diesen Ausartungen einer überhitzten Phantasie will es Balzac nicht allein seinen Nebenbuhlern in den Pariser Romanfeuilletons der vierziger Jahre Sue und dem älteren Dumas gleichtun: es gehört zu den Widersprüchen seiner Art und Kunst, unmögliche Gestalten wie den exotischen Brasilianer, Fabeleien von einem rätselhaften Indianergift und Wundermären von allwissenden, allmächtigen, von Vautrin befehligten Geheimagenten dicht neben Charaktere und Motive zu stellen, die mit solcher Klarheit und Wahrheit nur ein Geist von außerordentlichem Tiefblick schauen und wiedergeben konnte.

Die Stufenjahre eines gealterten Frauenjägers, die unausrottbaren, Pflicht und Ehre vergessenden Gelüste eines greisen Wüstlings werden niemals glaubhafter und genialer vergegenwärtigt werden, als in den Geschicken von Hector Hulot. Der gewaltige Zusammenstoß des Ministers Prinz von Weißenburg mit dem älteren Hulot, Marschall, Graf von Pforzheim, stimmt zu der Zeitgeschichte, in der eine Nichte des Ministers Marschall Sebastiani wegen Wechselfälschungen für einen Liebhaber vor das Zuchtpolizeigericht kam, die Minister Teste-Cubières wegen Bestechung angeklagt wurden und der Herzog von Choiseul-Praslin seine Gemahlin mordete. Der Typus des reichgewordenen, aufgeblasenen Parfümeurs Crevel, der – ein Vorläufer von Flauberts Homais – als seichter Freidenker sich und seinen Geldsack als den Beherrscher der Zeit ansieht, ist aus der Historie des Julikönigtums nicht wegzudenken. Ein dazumal und für alle Zukunft überzeugendes Spiegelbild des schlaffen Halbtalents ist der Schwächling Stanislas Steinbock, und nirgends hat Balzac den Beruf des echten Künstlers ernster und strenger umschrieben, als in seiner Parabase über die Notwendigkeit ehernen Fleißes, unerbittlicher Selbsterziehung. »Wenn sich der Künstler in seine Schöpfung nicht ohne Zaudern hineinstürzt, wie Curtius in den Abgrund, wenn er in diesem Krater nicht arbeitet, wie ein verschütteter Bergmann, wenn er die Schwierigkeiten der Reihe nach abwägt, statt sie eine nach der anderen zu besiegen, bleibt das Werk unausgeführt und der Künstler begeht Selbstmord an seinem Talent. Deshalb winkt auch derselbe Lohn, der gleiche Lorbeer dem großen Dichter wie dem großen General.« Erstaunlich in ihrer Verschiedenheit sind die Venuspriesterinnen: von den bettelarmen, nur durch Hunger zur Schande verdammten und den leichtfertigen, die sich mit ihren Künsten brüsten – »n'est pas courtisane qui veut« – bis zu den von Herzogen umschmeichelten Bühnengrößen vom Schlage Josephine Mirams, die edler Impulse fähig ist angesichts einer Dulderin, wie Hulots makellose Gemahlin Adeline. Ein Buhlerinnengenie wie Madame Marneffe hat unzählige Male Balzacs Schülern und Enkelschülern Modell gestanden: übertroffen wurde das Urbild von keinem Nachfahren Balzacs.

In dem Widmungsbrief seiner »Parents pauvres«, den beiden kontrastierenden Romanen vom Vetter Pons und Cousine Bette, an den mit Eva verschwägerten Prinzen von Teano, Don Michele Angelo Caetani nennt sich Balzac einen Doktor der sozialen Medizin, den Wundarzt unheilbarer Übel. Hoffte er aber auch nicht an volle Genesung der kranken Gesellschaft, so glaubte er doch an die Möglichkeit, manche Leiden zu mildern. Am wenigsten versprach er sich dafür von den politischen Machthabern seiner Zeit. Über Louis Philipp dachte er wohl nachgerade milder, er gab Eva nicht unrecht, die Respekt vor dem Bürgerkönig hatte; waren aber die Tage des Siebzigers nicht gezählt? Genügte nicht der kleinste äußere oder innere Anstoß, so fragte er die Freundin, die Gärung zum Ausbruch zu bringen? Wo wären die Retter in einer Katastrophe? Trotz seines Bekenntnisses zum legitimen Königtum war Balzac vorurteilslos genug, Musterpatrioten in anderen Lagern zu bewundern. In den »Illusions perdues« spielt der schwärmerische junge Republikaner Michel Chrestien, der bei einem Aufstand für seine Überzeugung fällt, nicht die schlechteste Rolle. Und in »Cousine Bette« wird der Leichenzug des ehrenfesten als Republikaner bewährten greisen Marschalls Hulot, Grafen von Pforzheim, nicht nur von unabsehbaren Volksmassen begleitet: ein Erzroyalist, Marquis von Montereau, der Bruder des Führers der Chouans, der als »le Gars« im Kampf gegen Hulot unterlag, erweist dem ruhmreichen, edlen Gegner die letzte Ehre und geht hinter seinem Sarge her. Solche Großherzigkeit ist aber die Ausnahme. In » Z. Marcas« erzählt Balzac die Geschichte eines zugrundegehenden, zugrunde gerichteten politischen Genies, das, von Strebern ausgebeutet, in Not endet, außerstande, seine Entwürfe ins Werk zu setzen, seine Ziele, die er hell vor sich sieht, zu erreichen. Als Hauptfehler im politischen Getriebe des Julikönigtums erscheint Marcas die Unfähigkeit der Regierenden, der Jugend ihr Recht werden zu lassen. Noch verderblicher war nach Balzacs Ansicht der Scheinparlamentarismus, dem er in dem 1847 begonnenen, nicht mehr zum Abschluß geführten Roman » Le député d'Arcis« an den Leib rücken wollte. Die Engherzigkeit eines Wahlzensus, demzufolge Jean Jacques Rousseau nicht stimmberechtigt gewesen wäre und Balzac selbst von maßgebenden Wahlkörpern ausgeschlossen blieb, rügte unser Romancier in Gesprächen und Briefen oft und zornig. Im »Député d'Arcis« wird der Schwindel eines provinzialen Wahlkampfes aufgedeckt. Das durch den Tod eines der Großkapitalistengruppe angehörigen Abgeordneten erledigte Mandat von Arcis erscheint in dieser von Danton-Traditionen erfüllten Stadt durch die demokratische Partei bedroht: um diesen Deputiertensitz für die Regierung zu retten, greift auf den Rat des Ministers Rastignac ein durch Spiel und Weiber ganz herabgekommener Pariser Lebemann, Maxime du Trailles, ein. Von Schulden aufgefressen, sucht er eine reiche Mitgift; die fände er bei seinem schmählichen Ruf nicht in Paris; erst wenn er eine amtliche Stellung ergattern könnte, würden seine Aussichten sich bessern. Rastignac macht die Verleihung eines solchens Postens vom Erfolg seines Probestückes in der Wahlschlacht abhängig. Maxime du Trailles will im Bund mit den listig eingefangenen Legitimisten einem unbedeutenden reichgewordenen Hutfabrikanten das Mandat zufallen lassen und zudem die Tochter dieses Herrn Philéas Beauvisage, eines Trabanten und Bewunderers von Crevel, heiraten. Maxime du Trailles glaubt seinen Kandidaten schon durchgebracht zu haben, als unvermutet ein völlig unerwarteter neuer Bewerber, ein begabter Bildhauer, der Sohn eines in der Gegend einflußreichen Edelmannes, Graf Salleneuve, in Frage kommt. Wie die Wahl wirklich ausgetragen wurde, hat Balzac selbst nicht mehr erzählen können: es blieb ihm auch versagt, wie er vorhatte, hundert Personen in der Trilogie seiner parlamentarischen Komödie auftreten zu lassen, deren zweiter Teil: »Der Abgeordnete in Paris« und deren Schlußstück »Eine Wahl in der Champagne« heißen sollte.

Heil vermöchte der kranken Zeit und Welt nach Balzacs Glauben nur die Wiederbelebung urchristlicher Gesinnung, stete Betätigung der Nächstenliebe, ja, der Feindesliebe durch Werke der Barmherzigkeit zu bringen. Das sollte eine Romanreihe beispielsmäßig offenbaren, die den polemisch bezeichnenden Namen führt: »die Kehrseite der zeitgenössischen Geschichte ( L'envers del'histoire contemporaine).« Ein mäßig begüterter Pariser, der sich im Notariat und als Journalist versucht und nicht bewährt hat, sucht ziemlich lebensmüde ein stilles, billiges Quartier; Godefroi findet das in einer der entlegensten Gassen in der Nähe der Notredame-Kirche Rue Chanoinesse als Mieter einer Madame de la Chanterie. Die Dame und ihre Hausgenossen wecken seinen Anteil. Unter ihrem Einfluß rafft sich der Schlaffe auf. Ihren Weisungen folgend, geht er verschuldetem und unverschuldetem Leid nach, hilft, als Sendling von Madame de la Chanterie und ihren Getreuen, Bedürftigen und Verzweifelnden, kehrt, wie ein Vorbote der Heilsarmee, in Lasterhöhlen, Elendsherbergen, Verbrechervierteln ein. Allmählich wird er gewahr, daß Madame de la Chanterie bedeutende, von katholischen, erprobten Bankhäusern gut verwaltete Geldmittel zu Gebote stehen. 2-3000 Geldspenden werden ohne Gedanken an Rückgabe verteilt. Godefroi macht gleichsam einen praktischen Kursus der Armenpflege mit. Seiner besonderen Aufmerksamkeit wird ein vom Geschick gepeinigter Hausvater anempfohlen: die Tochter des Unglücklichen leidet an einer entsetzlichen Krankheit; ihre Zähne fallen aus; sie bellt; der einzige Arzt, der das gräßliche Leiden bannen kann, ist ein jüdischer von Godefroi gewonnener Sonderling, der launenhaft und willkürlich seine Patienten wählt oder ablehnt. Der bedrängte Vater ist ein genialer Jurist, der als Staatsanwalt so blutig gegen die Royalisten gewütet hat, daß er, unter der Restauration brotlos, unter falschem Namen sich bergen muß; sein großartiges Werk, das die Verwaltung auf neuen Fundamenten aufzubauen vorschlägt, wird ihm durch wucherische Verleger entwunden. Godefroi nimmt sich des Verzweifelnden mit solchem Eifer und Erfolg an, daß ihn die Gefolgschaft von Madame de la Chanterie für würdig erklärt, in ihre Gemeinschaft, den Geheimbund der Trostbruderschaft einzutreten. Der von Godefroi aus seinem Jammer gezogene Rechtsgelehrte wird zugleich als derselbe furchtbare Ankläger erkannt, der in der Vendée der Werkmeister der Hinrichtung ihrer Tochter, der Urheber ihrer eigenen Verurteilung zu zwanzigjährigem Kerker war, den Madame de la Chanterie mit den verworfensten Weibern teilen mußte: ein Martyrium, in dem sie beschloß, sich und ihr Dasein nur mehr dem Dienst der Menschheit zu weihen. Als Bourlac erfährt, daß er die Rettung seines Kindes und seine Befreiung aus hoffnungslosem Elend derselben Frau zu danken hat, deren Tochter er auf das Schafott geschickt und die er selbst zum Zuchthaus verdammen ließ, schleppt er sich in ihr Haus, wirft sich auf die Knie und steht nicht eher auf, als bis diese Heilige nach schwerem Seelenkampf die Selbstüberwindung hat, ihm zu vergeben. »An diesem Tag wurde Godefroi für immer dem Orden der Trostbruderschaft gewonnen.« So lautet das Schlußwort des »Initié«, der letzte Teil des Zyklus »L'envers de l'histoire contemporaine«, den Balzac in der Buchausgabe »Wierzchownia, Ukraine, Dezember 1847« datierte.

Im Oktober war der Dichter auf dem Gut Evas eingetroffen. Acht Tage lang war er, ohne diese Reise durch ein Nachtlager zu unterbrechen, auf dem Weg gewesen. Das Schloß nannte er ein Louvre, das Gut so groß, wie ein französisches Departement. Die Fruchtbarkeit des Bodens bedarf keines Düngers; das Ehepaar Mniszek gebietet über 20 000 Bauern; zur richtigen Bewirtschaftung der Güter wären indessen 400 000 Seelen erforderlich. Das Land ist so seltsam beschaffen, daß man die größten Herrlichkeiten findet und die einfachsten Bequemlichkeiten vermißt; Wierzchownia ist das einzige Gut, das eine Carcel-Lampe und ein Spital hat; man sieht zehn Fuß hohe Spiegel und hat nur kahle Wände. Dabei gilt Wierzchownia als die luxuriöseste Behausung der Ukraine, die so groß ist wie Frankreich. Balzac genießt dort die wundervollste Ruhe. »Die Behörden waren höchst entgegenkommend, ich möchte sagen, geradezu galant gegen mich: ohne dieses Wunder wär' ich, der die Sprache der von mir durchreisten Länder nicht kennt, keinen Schritt weit gekommen.« Trotz der Fruchtbarkeit der Erde ist es ungemein schwer, Geld für die Ernten zu bekommen, denn die Verwalter stehlen, und an Armen für den Drusch fehlt es. Trotzdem hat man keine Vorstellung von dem Reichtum und der Macht Rußlands, das durch seine Bodenschätze früh oder spät Herrin der europäischen Märkte durch seine Naturprodukte werden muß. Geblendet durch diese Möglichkeiten entwickelt er seinem Schwager den (schon Seite 10 erwähnten) Plan, aus den Eichenwäldern der Grafen Mniszek Holz für Bahnschwellen nach Frankreich zu verfrachten, ein Projekt, das Balzac mit einem Mindestgewinn von 1 200 000 Franken beziffert und nur mit Hilfe eines Bankiers zu verwirklichen wünscht. Das Luftschloß zerfloß, als die Transportkosten berechnet wurden. In Wierzchownia muß man alle Handwerker bei sich haben: so ist ein eigener Zuckerbäcker, Schuster, Schneider, Tapezierer zum Haus gehörig; Balzac begreift nun, daß ihm Herr von Hanski, der sein Hausorchester hatte, seinerzeit in Genf von 300 Bedienten sprach.

Balzacs höchster Lebenswunsch war, wie er seiner Schwester schrieb, noch immer unerfüllbar. Eva behauptete, noch unentbehrlich als Beraterin des Ehepaares Mniszek zu sein in der Verwaltung der Güter. »Sie gab ihrer Tochter alles: diese ihre Absichten waren mir seit Petersburg bekannt. Übrigens bin ich entzückt darüber, daß mein Lebensglück jeden Gedanken an persönlichen Vorteil ausschließt. Ich werde darum nur noch feuriger bemüht sein, das mir Anvertraute zu bewahren. Ich werde noch für etwa zwei Jahre in Verlegenheit sein und die volle Auszahlung der Rente meiner Mutter einige Monate verschieben müssen: es wäre denn, daß meine literarischen Arbeiten sehr einträglich sich gestalten würden. Ich mußte hierher kommen, um mir Rechenschaft zu geben über alle Schwierigkeiten, die sich der Erfüllung meiner Wünsche entgegenstellen.« Trotz eines schweren Katarrhs und der in der Ukraine wütenden Cholera besucht Balzac das nordische Rom, Kiew mit seinen 300 Kirchen und seinem seltsamen Gemisch von Prunk und Elend. Man begegnet ihm allerorten auf das zuvorkommendste. In Wierzchownia hat er Salon, Kabinett, Schlafzimmer: die Fensterscheiben sind Spiegelscheiben, »so daß ich die Landschaft von allen Seiten sehe. Ihr könnt Euch danach vorstellen, was der Louvre von Wierzchownia ist, wo fünf, sechs Appartements gleich dem meinigen für Fremdenbesuche zu Gebote stehen.« Da er ununterbrochen fortarbeitet, ist er vormittags auf seinem Zimmer: erst zum Mittagessen geht er zu seinen Wirten. Die statten ihm hier und da Gegenbesuche ab. Das ganze Zusammenleben ist patriarchalisch, behaglich.

Angelegentlich bittet er die Mutter, das Haus in der Rue Fortunée sorgsam zu überwachen. Eva hegt unablässig Besorgnisse für ihre Behausung und die seit sechs Jahren zusammengetragenen Reichtümer: Madame Hanska fürchtet Diebstähle, Brände. Und Balzac graut es, wenn er denkt, was er noch alles schuldig ist und was er noch alles wird zahlen müssen für Silber, Leinenzeug, Ergänzung des Mobiliars, eigene Wagen. Das »asiatische Klima« hat Balzac von Anfang zugesetzt; auf einer Schlittenfahrt kam ihm sein Pelz aus sibirischem Fuchs so dünn wie ein Blatt Löschpapier vor. Seine Freunde bewehren ihn für die Heimreise mit einem Mantel, der so undurchdringlich ist wie eine Mauer. Nach viermonatigem Aufenthalt in der Ukraine trifft er wieder in Paris ein, wohin ihn dringende Geldsorgen, Einzahlungen für Bahnaktien, fällige Schulden rufen. »Das Jahr 1848 wird«, so schreibt er der Mutter noch aus Wierzchownia, »aus Gründen, die von jedem Willen unabhängig sind, sehr schwer für mich sich gestalten. Alle meine Schulden werden von mir, durch meine Feder bezahlt sein und erst 1849 werde ich den Grund legen zu meinem eigenen Vermögen.« Zehn Tage nach seiner Ankunft in Paris wurde Balzac Zeuge der Februarrevolution, die noch ganz andere Berechnungen als die seinigen zuschanden machten.

Am 24. Februar sah Champfleury, der kurz vorher dem ihm persönlich unbekannten Meister einen Roman gewidmet und dadurch Zugang bei ihm gefunden hatte, zu seiner Verwunderung Balzac als einen der ersten in die Tuilerien, in den Saal der Marschälle, unbeirrt durch die Flintenschüsse und das Handgemenge der miteinander kämpfenden Soldaten und Revolutionäre vordringen: ihn hatte das geschichtliche Schauspiel gelockt, und er begriff das Gelüst des gleichfalls herbeigeeilten Darstellers seines Quinola, Monrose, der einen Fetzen vom roten Samt des Thrones haben wollte. Drei Tage später lud Balzac Champfleury in seine Behausung; als nach einer zweistündigen Unterhaltung, in der fast ausschließlich der Meister das Wort geführt hatte, Champfleury sich empfehlen wollte, zeigte ihm Balzac seine Galerie. Mit gleichem Stolz führte er ein andermal Gautier in seinen Gemächern umher und ließ ihn, dem er ehedem neben seinen gesammelten »Contes« einen Band unbezahlter »Comptes mélancoliques« betitelter Schuldscheine in wehmütiger Laune vorgewiesen hatte, seine Kunstschätze besichtigen. Als ihm Gautier daraufhin sagte, er müsse mittlerweile Millionär geworden sein, wehrte Balzac diese Zumutung kleinlaut ab: »Ich bin ärmer als jemals. Nichts von alledem gehört mir. Ich bin nur der Torwart und Hüter dieses Hauses.«

Ein Pariser Klub, der »Fraternité universelle«, setzte seinen Namen auf die Kandidatenliste für die Nationalversammlung und forderte ihn auf, sein politisches Glaubensbekenntnis abzulegen. Balzac lehnte dieses Verlangen ab. Wer ihn wählen wolle, müsse längst aus seinen Werken wissen, ob er verdiene, den 900 Abgeordneten eingereiht zu werden. An sich würde er das gefährliche, Selbstverleugnung heischende 1848er Mandat annehmen, wenn es ihm aus freien Stücken übertragen würde; darum zu werben, Hege ihm fern. Von 1789 bis 1848 habe Frankreich alle 15 Jahre seine Regierungsform gewechselt; es wäre Zeit, ein dauerndes Regiment zu finden, damit die Geschicke des Vaterlandes nicht periodisch in Frage gestellt blieben. Den törichten Einwurf, daß er aus dem fernsten Rußland herbeigeeilt sei, nur um zu kandidieren, fertigte er mit dem Hinweis auf seine literarischen Arbeiten und die Notwendigkeit ab, ein neues Stück auf die Bühne zu bringen. Geldnot bedrängte ihn ärger als irgendwann: Gavarni erzählte den Goncourts, daß er anno 1848 den Romancier das letztemal auf dem Versailler Bahnhof getroffen habe: die Schranke zwischen der ersten und dritten Klasse lag vor ihnen: »So weit sind wir nun beide«, sagte Balzac. »Sie voll Schulden und ich muß dritter Klasse fahren.«

Wiederum hoffte er, der schlimmsten Bedrängnis durch einen Theatererfolg abzuhelfen. Dem Leiter des Théâtre historique hatte er beredt das Szenarium eines Stückes, »Peter der Große und Katharina«, erzählt, das er mit echt russischen Veduten, Trachten, Aufzügen ausschmücken wollte. Nach den Junischlachten kam er von diesem Vorhaben ab: er schrieb dem Direktor dieser Bühne, Hostein, daß nach der blutigen Niederwerfung des Aufstandes der Proletarier die Theater monatelang leerbleiben würden. Schon vorher hatte er im Théâtre historique am 25. Mai 1848 ein Drama, »Die Stiefmutter«, spielen lassen, zu dem ihm die Idee beim Besuch eines Hauses gekommen war, in dem die Stiefmutter scheinbar in voller, nach Balzacs Eindruck zu voller Eintracht mit der Tochter aus erster Ehe lebt: als er aber einmal zufällig unbemerkt in den Salon kam, sah er, wie das Mädchen beim Verlassen des Zimmers der arglosen Stiefmutter einen Blick des Hasses zuwarf. Aus diesem Erlebnis erwuchs seine »Drame intime«: La Marâtre.

Ein achtundzwanzigjähriges Mädchen war namenlos verliebt in einen jungen Mann, dessen Vater von Napoleon zu den Bourbons überlief und sein Vermögen vergeudete; sie heiratete einen zweiunddreißig Jahr älteren General, der allen von Napoleon Abtrünnigen Todhaß geschworen hat. Sie führt den Geliebten unter falschem Namen als Geschäftsleiter der Fabrik ihres Gatten ein – der General ist Industrieller geworden wie der Marschall Marmont – und ihre Stieftochter wird der Abgott Ferdinands, die diese Neigung ebenso glühend erwidert. Der Kampf der Frauen entbrennt; er wird wie ein Kampf der Wilden mit Heimlichkeit und Hinterhältigkeit geführt. Die Stieftochter vergiftet sich zuletzt, um Ferdinand vor der Rachsucht ihrer Stiefmutter und dem Jähzorn des Vaters zu schützen, mit Arsenik, das ihr die Stiefmutter zugedacht hatte. Die gerichtliche Untersuchung kann Gertrud nichts anhaben: sie ist eine zu allen Schlechtigkeiten, Gehässigkeiten, Gewalttätigkeiten bereite, echt Balzacsche Besessene. Manche Seitenfigur ist gut; die politischen Gegensätze, Napoleonkult und Bourbonenhaß, verleugnen die Zeitstimmung nicht; das Ganze ist unglaubhaft; die böseste »Stiefmutter« war diesmal die Muse.

Noch einmal trat Balzac in der Öffentlichkeit unter alte und junge Berufsgenossen: Ledru-Rollin hatte für den 25. Juli 1848 in den Festsaal des Institut de France die Schriftsteller-Gesellschaft geladen, um ihr Gutachten über »Kunstbücher« abzugeben: nach stürmischen, nicht immer gescheiten Redereien, die Balzac nicht wenig belustigten, wurde beschlossen, Ledru-Rollin zwei Delegierte zu senden mit der Erklärung, daß Kunstbücher in revolutionären Zeiten weniger am Platze wären, als volkstümliche, und Balzac wurde einstimmig zum Vertreter der Gesellschaft gewählt. Er lehnte diese Ehre rundweg ab: der Minister habe keinen Rat, nur eine Antwort verlangt. Damit zog er sich zurück. Ein junger Poet, Theodor de Banville, verließ mit ihm den Saal und in einem glänzenden Kapitel seiner Erinnerungen erzählt der schwärmerische Lyriker, wie der Romancier, ohne Banville zu kennen, seine Gedanken erraten, sich sofort seiner bemächtigt und auf einer stundenlangen Wanderung durch Paris monologisch seine Ideen über Kunst und Welt habe ausströmen lassen. In solchen Ergüssen hatte Balzac seinesgleichen nur noch in Diderot und Hebbel, denen jeder Hörer gleich recht war, wenn sie dabei sich selbst hören konnten.

Die Zeitfragen über die Organisation der Arbeit bestimmten ihn zu einem »Brief über die Arbeit«, der im Frühjahr 1848 geschrieben, erst länger als ein halbes Jahrhundert später veröffentlicht wurde. Balzac geht hart ins Gericht mit Louis Philipp, der die Jugend niederhielt, der materiellen Wohlfahrt und dem Handel zuliebe den Frieden um jeden Preis erkauft. Er vergaß, daß Ehre höher steht als Geld; mit den Schlauheiten eines normannischen Roßtäuschers kommt man weit, doch währe das höchstens 18, keine 20 Jahre in Frankreich. Der Feigste wird mutig, wenn man ihn öffentlich ohrfeigt. Scharf lehnt Balzac die Uniformierung von Lohn und Arbeitszeit ab. In der Gelehrtenrepublik gibt's etwa 1000 Personen, unter den Dramatikern ungefähr 600; Zelebritäten seien darunter nicht so viel, als die Finger seiner Hände. Jährlich 20 000 Franken verdienen keine 50, jährlich 10 000 nicht 200. Alle Theater, Zeitungen, Buchhändler zahlen zusammen höchstens zwei Millionen. Der Staat soll sich nicht in private Verhältnisse mischen. Gleichheit der Arbeits- und Lohnbedingungen setzt die Schimäre gleicher Magen, Gehirne, Leiber voraus. Man würde nur das Kapital aus Frankreich verscheuchen, das Kapital sei aber allen Angriffen unzugänglich; es flüchte, stürmisch aufgenommen, ins Ausland, zumal nach Großbritannien.

Im Herbst reist er wieder in die Ukraine: eine Fahrt, die ihm nur durch ein Darlehn von 5000 Franken des Verlegers Souverain ermöglicht wird; er will höchstens ein Vierteljahr ausbleiben und läßt seine Mutter als Hüterin des Hotel Beaujon in der Rue Fortunée zurück. In Wierzchownia wird er aufgenommen und gehalten wie ein königlicher Gast. Doch nur als Gast. Eva hat durch große Brände auf ihrem Gut, durch treulose Verwandte bei Erbteilungen schwere Verluste erlitten. Eine Schuldenlast von 400 000 Franken für den Kauf und die Einrichtung des Hotels Beaujon bedrückt sie so sehr, daß sie schon erwägt, dieses Besitztum zu veräußern; Honoré scheint auch nicht der einzige, der die Witwe ihrer Reize, ihres Ranges und ihres Vermögens halber zur Gemahlin begehrt. Und als Balzac von Eva erlaubt wird, ein Majestätsgesuch einzureichen, lehnt der Zar ab, durch einen Gnadenakt die Ehe eines französischen Schriftstellers mit Frau Hanska zu genehmigen und verweist die Bittsteller auf die Gesetze des Landes. Die Unsicherheit der Pariser Zustände macht Eva wenig Lust, die Ukraine mit diesem Hexenkessel zu vertauschen. Für Balzac und seine Familie werden die Folgen der Revolution immer katastrophaler. Seit dem Jahr 1847 hat er nichts eingenommen als ein Drittel der Tantièmen, das ihm der Vaudevillist Clairville für eine handwerksmäßige Dramatisierung der Kusine Bette »Madame Marneffe« zufließen läßt. Eine Aufführung des »Mercadet« kommt weder in der Comédie Française, noch mit Frédérick-Lemaître zustande. Sein Schwager Surville, ein Musteringenieur, gerät in so arges Gedränge, daß er sich einschränken, seine Wohnung aufgeben muß. Balzacs Entwürfe zu neuen Stücken »Der Bettlerkönig« usw. hält auch sein Kamerad Laurent-Jan nicht für aussichtsvoll. Die französische Akademie zieht bei der nächsten Vakanz eine literarische Null, den Herzog von Noailles, Balzac vor: eine Wahl, die Balzac mit dem bitteren Scherz abfertigt: »Der bessere Edelmann war ich; denn ich trat seinerzeit vor der Kandidatur Victor Hugos zurück. Der bessere Autor von uns beiden ist offenbar der Herzog von Noailles, der auch keine Schulden hat.« Einen Wandel nach allen Wirren erwartet Balzac nur von einer starken, monarchistischen Regierung, und er scheint mit Laurent-Jan Napoleon für den Retter zu halten.

Stärker als alle politischen und literarischen Fragen beherrscht ihn aber die Liebe zu Eva; ebenso groß als durch die »Comédie humaine« glaubt er nach einem überraschenden Selbstbekenntnis durch die Ehe mit dieser großen Dame aus altem Fürstengeschlecht zu werden, nur durch den Bund mit ihr will er sein Lebenswerk krönen oder weltabgeschieden, wie er als hungernder Musensohn begonnen, mit hundert Franken im Monat sich bescheiden: eine Entsagung, in der er es, wie er behauptet, Spinoza und Rousseau gleichzutun vermöchte.

Sein ruheloses Hirn erschöpfte, als ob es sich um das Geschick eines seiner Romanhelden handeln würde, also alle Zukunftsmöglichkeiten, und achtete nicht der furchtbaren Fortschritte seiner Krankheit, die seinen im Oktober 1848 für ein Vierteljahr festgesetzten Aufenthalt Monat um Monat verzögerte und Eva bestimmte, sich im Mai 1850 nur aus Mitleid mit Balzac trauen zu lassen, nachdem die Ärzte, ohne daß er das ahnte, sein Todesurteil gesprochen hatten. Gleich nach seiner Ankunft im Herbst 1848 meldeten sich Atem- und Gehbeschwerden. Ein Rückfall, den eine Erkältung auf einem Ausflug nach Kiew verursacht hatte, verschlimmerte das Übel und die Sachlichkeit, mit der er seiner Schwester die Symptome seiner Leiden beschreibt, als ob es sich um die Krankheit von Vater Goriot oder Madame de Mortsauf handeln würde, muß jeden Fühlenden doppelt erschüttern. Sein Stiertemperament, so sagt er, nimmt den Kampf mit dem Tod auf: er zählt sich zur Opposition, die das Leben heißt. So tapfer hält er sich in Zeiten, in denen er so schwach ist, daß er sich nicht kämmen kann; er ist nicht imstande, zehn Schritte zu gehen, die kleinste Anhöhe zu ersteigen; zweimal hatte er Erstickungsanfälle, die glauben ließen, sein letzter Augenblick sei gekommen. Zwei gute, in der Wiener Schule gebildete Ärzte, Vater und Sohn Knothe, diagnostizieren eine Hypertrophie des Herzens und versprechen ihm Heilung. Sein Kopf schmerzt Tag und Nacht. Kälte und Hitze des »asiatischen Klimas« tun ihm gleichen Schaden. Verschiedene Kuren, u. a. eine Zitronenkur, bringen vorübergehend Milderung: eines Morgens stürzt er unter furchtbaren Erbrechungen zusammen, sein Kopf scheint ihm Millionen Kilogramme zu wiegen, neun Stunden lang kann er sich nicht rühren, ihm ist dann wieder zumut, wie einem Haschischtrinker; seine Schwindelzustände lösen Geräusche aus, als ob sein Schädel die Kuppel des Petersdomes wäre, in dem alle Glocken dröhnen. Sechs Tage und sechs Nächte bleibt er zu Bett: sanguinisch wähnt er die Krise beschworen, seine Arbeitsfähigkeit erfrischt, seine Körperkräfte erneut. Die Familie Hanski-Mniszek pflegt ihn wie einen Vater; Eva wird selbst krank angesichts der Leiden Honorés. Seine Augen versagen den Dienst; er magert ab; seine Nerven sind auf das äußerste gereizt. Seinem Verleger schreibt er, daß nur sein Arzt ihn vor dem Ende Souliés behütet habe: denn Soulié – der vielgelesene, vielgespielte, viel zu viel schreibende Erzähler der Memoiren des Teufels – habe dieselbe Krankheit gehabt wie er; Zulma Carraud bekennt er, daß nur seine fünfzehnjährigen Zwangsarbeiten seine Herz- und Kopfleiden hervorgerufen haben. Einen der wenigen Lichtblicke bereitet ihm das Geschenk eines weißen Schlafrockes aus zirkassischem Seidenstoff (Termolama), der künftig seine alte Mönchskutte überflüssig macht. Seine Heilung scheint ihm vorwärtszugehen und endlich kann er nach langem Hangen und Bangen Mutter und Schwester jauchzend melden, daß am 14. März 1850 in der Pfarrkirche von Berditschef seine Trauung stattgefunden hat: Eva hat durch einen heroischen Entschluß alle Hindernisse beseitigt, ihrer Tochter ihr ganzes Vermögen abgetreten und sich nur eine Rente vorbehalten. Seit 1846 sei er mit Eva verlobt gewesen, für die er Hymne auf Hymne anstimmt in den Briefen an die Seinigen.

Im April tritt das Paar die Reise nach Paris an unter unsagbaren Verdrießlichkeiten; die kotigen polnischen Straßen waren so unwegsam, daß sie statt sechs Tagen einen Monat brauchten, bis sie in Dresden eintrafen. Am 20. oder 21. Mai hofft er in Paris zu sein und er bittet seine Mutter, Treppen und Gemächer festlich mit Blumen zu schmücken, die Ankommenden aber nicht zu erwarten: Eva solle und müsse seiner Mutter den ersten Besuch machen. Als das Paar endlich nach so viel Wechselfällen vor seinem Heim anlangt, strahlt Lichterglanz aus allen Fenstern; vergebens läutet und klopft Balzac um die Wette mit dem Kutscher; ein Schlosser muß gerufen werden, um die Tür gewaltsam zu öffnen; der Diener ist plötzlich wahnsinnig geworden und die erste Aufgabe des »Grafen Balzac« (so nennt man ihn in den Rechnungen) im Pavillon Beaujon ist es, François in ein Irrenhaus bringen zu lassen.

Mühsam schleppt sich Balzac ein paar Wochen fort; mehr als zwanzig Stufen kann er nicht steigen; zum schweren Ärger seiner Frau geht er selbst ihres Gepäckes wegen auf das Zollamt und versäumt darüber den Besuch Théophile Gautiers, an den er seiner Frau einen Entschuldigungsbrief in die Feder diktiert und das eigenhändige Postskriptum richtet: »Ich kann weder lesen noch schreiben!« Wenn Balzac nicht mehr lesen und schreiben konnte, war aber seine letzte Stunde nicht fern. Es ging auch rasch bergab. Eva sah den Verfall der Kräfte des schwer Leidenden weniger besorgt an als seine Schwester; ihre Briefe an den behandelnden Arzt, Doktor Nacquart, sind erstaunlich ruhig. Seinen Abschiedsbesuch am 18. August 1850 hat Victor Hugo in den »Choses vues« geschildert:

»Ich läutete. Der Mond schien durch Gewölk. Die Straße war verlassen. Niemand kam. Ich läutete ein zweites Mal. Die Tür öffnete sich. Eine Magd erschien mit einer Kerze. ›Was will der Herr?‹ Sie weinte. Ich nannte mich. Man ließ mich in den Salon eintreten, der zu ebener Erde war und in dem auf einer Konsole dem Kamin gegenüber Davids marmorne Kolossalbüste Balzacs sich befand. Ein Licht brannte auf einer reichen, inmitten des Salons stehenden Tischplatte, deren Fußgestell sechs vergoldete Statuetten vom feinsten Geschmack bildeten. Eine andere Frau kam, die gleichfalls weinte und mir sagte: ›Er stirbt. Madame hat sich zurückgezogen. Die Ärzte haben ihn seit gestern aufgegeben. Er hat eine Wunde am linken Bein. Der Brand ist dazugekommen. Die Ärzte wissen nicht, was sie tun. Sie sagten, daß die Wassersucht eine speckige, daß Fleisch und Haut wie vertalgt wäre und daß es deshalb unmöglich sei, eine Punktierung vorzunehmen. Vorigen Monat hat sich der Herr an der Zierat eines Möbels verletzt.‹ ›Die Ärzte haben eine Punktierung vorgenommen, aber es hat sich ein Geschwür am Bein gebildet. Herr Roux hat ihn operiert. Gestern hat man den Verband abgenommen. Die Wunde, statt zu eitern, war rot, trocken, entzündet. Dann haben sie gemeint: er ist verloren und sind nicht mehr wiedergekommen. Man ist zu vier, fünf anderen gegangen. Alle haben erwidert, es ist nichts zu machen. Die Nacht war schlecht. Seit neun Uhr morgens spreche der Herr nicht mehr. Madame hat einen Priester holen lassen. Er ist gekommen und hat dem Herrn die letzte Ölung gegeben. Der Herr hat ein Zeichen gemacht, er wisse, was vorgehe. Eine Stunde später hat er seiner Schwester, Madame de Surville, die Hand gereicht. Seit elf Uhr röchelt er. Er wird die Nacht nicht überleben. Wenn Sie wollen, will ich Herrn von Surville holen, der noch nicht zu Bett ist.‹ Die Frau verließ mich. Ich wartete einige Augenblicke. Das Licht erhellte kaum das Ameublement des Salons und die prächtigen an den Wänden hängenden Gemälde von Porbus und Holbein. Die Marmorbüste schwankte im Dämmer wie das Gespenst des Mannes, der im Sterben war. Leichengeruch erfüllte das Haus. Herr von Surville trat ein und bestätigte mir alles, was die Magd gesagt hatte.

Wir schritten über einen Gang, wir stiegen eine mit einem roten Teppich belegte mit Kunstwerken, Statuen, Vasen, Bildern, Emailleschüsseln dichtangefüllte Stiege empor, dann kam wieder ein Gang, in dem ich eine offene Tür bemerkte. Ich hörte ein lautes, verhängnisvolles Röcheln. Ich war im Zimmer Balzacs. Ein Bett stand inmitten des Zimmers. Ein Bett aus Mahagoni, mit Traversen und Gurten, zu Füßen und zu Häupten ein Apparat, dazu bestimmt, den Kranken zu bewegen. Herr von Balzac war in diesem Bett, den Kopf gestützt auf eine Masse von Polstern, auf die man noch die Kissen von rotem Damast vom Kanapee des Zimmers gelegt hatte. Sein Gesicht war violett, fast schwarz, zur Rechten geneigt, der Bart ungekämmt, die Haare grau, kurz geschnitten; das Auge offen und starr. Ich sah ihn im Profil und da glich er dem Kaiser. Eine alte Frau, die Krankenwärterin und ein Diener standen aufrecht zu beiden Seiten des Bettes. Ein Licht brannte hinter dem Pfühl auf einem Tisch, ein anderes auf der Kommode bei der Tür. Eine silberne Vase war auf den Nachttisch gestellt. Dieser Mann und diese Frau schwiegen mit einer Art von Schrecken und hörten den Sterbenden laut röcheln. Das Licht beim Pfühl erhellte lebhaft das beim Kamin aufgehängte Bild eines jungen rosigen lächelnden Mannes. Ein unerträglicher Geruch strömte aus dem Bett. Ich hob die Decken auf und faßte die Hand Balzacs. Sie war schweißbedeckt. Ich drückte sie. Er erwiderte den Druck nicht. In demselben Zimmer hatte ich ihn einen Monat zuvor besucht. Er war heiter, voll Hoffnung, ohne Zweifel um seine Heilung, seine Geschwulst lachend zeigend. Wir hatten viel geplaudert und über Politik gestritten. Er warf mir meine »Demagogie« vor. Er war Legitimist. Er sagte mir: ›Wie konnten Sie mit solcher Heiterkeit auf den Titel eines Pair von Frankreich, den schönsten Titel nach dem eines Königs von Frankreich verzichten?‹ Er sagte mir auch: ›Ich habe das Haus des Herrn von Beaujon ohne dessen Garten, aber mit dem Oratorium für die kleine Kirche an der Straßenecke. Ich habe da in meinem Zimmer eine Tür, die zur Kirche führt. Eine Drehung des Schlüssels und ich bin in der Messe. Ich halte mehr auf diese Tribüne als auf den Garten.‹ Als ich ihn verließ, gab er mir das Geleite bis zu dieser Treppe, mühsam gehend, dann zeigte er mir die Tür und rief seiner Frau zu: ›Vor allem zeige Hugo all meine Gemälde.‹

Die Wärterin sagte mir: ›Bei Tagesanbruch wird er sterben.‹ Ich stieg hinab und nahm in meinen Gedanken diese fahle Gestalt mit. Da ich durch den Salon schritt, fand ich die Büste wieder, unbeweglich, fühllos, von unbestimmtem Glanz umflossen und ich verglich den Tod der Unsterblichkeit.

Heimgekehrt traf ich – es war an einem Sonntag – mehrere Personen, die mich erwarteten, u. a. Riza Bey, den Geschäftsträger der Türkei, den spanischen Dichter Navarrete und den italienischen Verbannten, den Grafen Arrivabene. Ich sagte ihnen: ›Meine Herren, Europa verliert soeben einen großen Geist.‹

Er starb in der Nacht. Er war 51 Jahre alt. Man begrub ihn Mittwoch.«

Die Leiche wurde in der Kapelle Beaujon aufgebahrt: sie passierte dieselbe Tür, deren Schlüssel Balzac kostbarer war als alle Schätze des Generalpächters Beaujon. Giraud hatte am Tag des Todes Balzacs Bild gemalt. Die Abnahme der Totenmaske war unmöglich; so grauenhaft zerstört fanden die Gipsgießer am nächsten Morgen das Gesicht. Man legte die Leiche in einen mit Blei ausgelegten Eichensarg.

Am 22. August war das Leichenbegängnis. In der Kirche Philippe du Roule waren Victor Hugo, Minister Baroche, Houssaye, Nerval, Sainte-Beuve, Vater und Sohn Dumas, Banville, David, Frédérick-Lemaître, Augustine Brohan, Rothschild, viele Arbeiter, zumal Setzer und Buchdrucker. Die Zipfel des Bahrtuches hielten Victor Hugo, Alexander Dumas, Sainte-Beuve und Baroche. Dieser Minister des Prinzpräsidenten – Napoleon hatte täglich nach dem Befinden des Kranken fragen lassen – saß in der Kirche neben Hugo und meinte: »Er war ein hervorragender Mann.« Victor Hugo erwiderte: »Er war ein Genie.« Der Leichenzug ging über die Boulevards zum Père Lachaise. Die Trauergäste gingen neben dem Sargwagen zu Fuß. Als sie zum Grab kamen, das hoch oben lag, war eine ungeheure Menschenmenge da, der Weg war steil und eng, die Pferde hatten Mühe beim Aufwärtsgehen den schwankenden Sarg festzuhalten. Victor Hugo wurde zwischen die Räder und Grabsteine geklemmt und fast zerdrückt. Zuschauer, die neben dem Grab standen, rissen ihn an den Schultern zu sich. Man senkte den Sarg in die Gruft, die neben den Gräbern von Nodier und Casimir Delavigne liegt. Der Priester sprach sein Gebet, dann ergriff Victor Hugo das Wort:

»Der Mann, der in das Grab steigt, gehört zu denen, denen der öffentliche Schmerz das Geleite gibt. Die Blicke richten sich fortan nicht auf die Häupter, die herrschen, sondern auf die Häupter, die denken, und das ganze Land erbebt, wenn eines dieser Häupter verschwindet. Heute ist die Volkstrauer der Tod eines Mannes von Talent, die nationale Trauer der Tod eines Mannes von Genie. Der Name Balzac wird sich der leuchtenden Spur gesellen, die unsere Epoche in der Zukunft zurückläßt. Balzac gehört zu der mächtigen Generation von Schriftstellern, die nach Napoleon kam, ebenso wie die erlauchte Plejade des 17. Jahrhunderts nach Richelieu kam, als ob es in der Entwicklung der Zivilisation ein Gesetz gäbe, das den Beherrschern durch das Schwert die Beherrscher durch den Geist folgen ließe. Balzac war einer der ersten unter den Größten, einer der Höchsten unter den Besten. Es ist nicht der Ort hier zu sagen, was alles diese glänzende überlegene Intelligenz war. All seine Bücher bilden nur ein Buch, ein lebendes, leuchtendes, tiefes Buch, das man kommen und sich bewegen sieht mit ich weiß nicht was Schrecklichem und Grausigem gemischt mit dem Wirklichen unserer ganzen zeitgenössischen Zivilisation. Ein merkwürdiges Buch, das der Dichter Comédie genannt hat und das er hätte Geschichte nennen können, das alle Formen und Stile annimmt, das über Tacitus hinausgeht und bis Sueton reicht, das Beaumarchais streift und Rabelais berührt, ein Buch, das Beobachtung, Einbildungskraft ist; das das Wahre, Intime, Bürgerliche, Triviale, Materielle verschwendet und bisweilen durch alle jäh zerrissene Realitäten plötzlich das düsterste, tragischste Ideal schauen läßt. Unbewußt, er mag wollen oder nicht, zustimmen oder nicht, ist der Autor dieses ungeheuren, seltsamen Werkes von der starken Rasse der revolutionären Schriftsteller. Balzac geht gerade auf sein Ziel los. Er greift der modernen Gesellschaft an den Leib. Er entreißt allen etwas, dem einen die Illusion, andern die Hoffnung, diesen einen Schein, jenen eine Maske. Er durchwühlt das Laster, er seziert die Leidenschaft. Er vertieft und ergründet den Menschen, die Seele, das Herz, die Eingeweide, das Hirn und den Abgrund, den jeder in sich hat. Und durch eine Gabe seiner freien kraftvollen Natur, durch ein Vorrecht der Intelligenz unserer Zeit, die, da sie Revolutionen so nahe gesehen hat, besser das Ziel der Menschheit gewahrt und die Vorsehung besser begreift, erhebt sich Balzac lächelnd und heiter von dieser furchtbaren Studie, die bei Molière Melancholie und bei Rousseau Misanthropie hervorgebracht hat. Dies ist das Werk, das er uns hinterläßt, ein hohes, gediegenes Werk, die robusten Grundlagen von Granit, ein Monument, von dessen Höhe fortan sein Ruf lange leuchten wird. Die großen Männer schaffen ihr eigenes Piedestal, die Zukunft nimmt die Statue auf sich. Sein Tod hat Frankreich mit Schrecken getroffen. Seit einigen Monaten war er nach Frankreich heimgekehrt. Da er sich sterben fühlte, wollte er das Vaterland wiedersehen, wie man am Vorabend einer großen Reise kommt, die Mutter zu umarmen. Sein Leben war kurz, aber voll erfüllt, reicher an Werken als an Tagen. Ach, dieser gewaltige, nimmermüde Arbeiter, dieser Philosoph, dieser Denker, dieser Dichter, dieses Genie hat unter uns das Leben gelebt voll Stürmen, Kämpfen, wie es zu allen Zeiten allen großen Männern gemeinsam ist. Heut ist er hier in Frieden. Nun ist er über Streit und Haß hinaus. An demselben Tag geht er ein in das Grab und in den Ruhm. Er wird fortan über all den Wolken, die über unsere Häupter ziehen, glänzen unter den Sternen des Vaterlandes. Sie alle, die hier sind, sind versucht, ihn zu beneiden. Wie groß auch unser Schmerz ist angesichts eines solchen Verlustes, ergeben wir uns in diese Katastrophe. Nehmen wir sie hin in dem, was sie Hartes und Bekümmerndes hat. Es ist vielleicht gut, vielleicht notwendig in einer Zeit, wie der unsrigen, daß von Zeit zu Zeit ein großer Tod den von Zweifel und Skepsis erfüllten Geistern eine religiöse Erschütterung mitteilt. Die Vorsehung weiß, was sie tut, wenn sie also das Volk dem höchsten Geheimnis gegenüberstellt und den Tod zu überdenken gibt, der die große Gleichheit ist und auch die große Freiheit. Es kann nur ernste und erhabene Gedanken in allen Gemütern geben, wenn ein erhabener Geist majestätisch in ein anderes Leben eintritt, wenn eines der Wesen, das lange über der Menge mit den sichtbaren Flügeln des Genies geschwebt hat, plötzlich die anderen Schwingen ausbreitet, die man nicht sieht, und in das Unbekannte entschwindet. Nein, es ist nicht das Unbekannte. Ich habe schon bei einer anderen schmerzlichen Gelegenheit gesagt und werde nicht müde es zu wiederholen, es ist nicht die Nacht, es ist das Licht. Es ist nicht das Nichts, es ist die Ewigkeit. Es ist nicht das Ende, es ist der Anfang. Ist es nicht wahr, ihr alle, die mich hört? Särge gleich diesem beweisen die Unsterblichkeit.«


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