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X.
Eva

Es währte länger als anderthalb Jahre, bevor Balzac den Besuch, den er Eva, gleich nachdem er den Tod ihres Gatten erfahren, angekündigt hatte, machen, seine erste Reise nach Rußland antreten konnte. In dieser Prüfungszeit beteuert er immer glühender seine Liebe, treibt er einen förmlichen Kult mit den Bildern, die Eva ihm zukommen ließ. In seinem Arbeitszimmer hängt die Ansicht des Herrensitzes von Wierzchownia, dessen Schloß, Teich, Park und Rasengründe er durch stete Betrachtung bald so genau kennt, wie ein Hausgenosse; in seinem Schreibzeug steckt eine Visitenkarte Evas und sein Augen- und Herzenstrost ist die Kopie ihrer Miniatur von Daffinger. So warmen Dank er dem Wiener Maler für sein feines Porträt weiß, das Urbild zeichnen seine Briefe an Eva Zug um Zug noch treuer nach der Natur. Er preist vor allem ihre majestätische, die Stirn einer »Analytikerin«; ihre herrlichen schwarzen Haare, die »schönsten« Hände, das leuchtende Auge; ihre rundlich zur Fülle neigende Rubensgestalt sieht er wachend und träumend so lebendig vor sich, wie den Mund, der sinnlich, zu Zeiten selbst grausam gemuten kann. Er hört im Geiste den kindlichen Klang ihrer Stimme, ergötzt sich an der slavisch weichen Aussprache ihres Französisch, legt scherzend ihr »tiiiieules« (statt tilleuls) einem Frauenzimmer der Pension Vauquer auf die Lippen. Die Pietät, mit der er Madame Bernys stets als seines Schutzgeistes gedenkt, glaubt er nicht zu entweihen, wenn er Evas Geist, Gemüt und Geschmack gleich hoch stellt, wie die Gaben der geschiedenen Freundin, der die Polin durch den unschätzbaren Reiz der Jugend überlegen ist. Um Evas willen strebt er nach neuen Kränzen. Er hofft in die Académie française und dadurch in die Pairskammer zu kommen; die beiden anderen Akademien, die Mitarbeit am Wörterbuch der Akademie, das Amt des lebenslänglichen Sekretärs und damit eine ständige Jahreseinnahme von 15 000 Franken dürfte ihm nicht entgehen. Ruhm und Reichtum wird Eva mit ihm teilen, einen europäischen Salon, wie der Maler Gérard ihn besessen, ihr eigen nennen, eine der Königinnen von Paris werden.

Diesen kühnen Zukunftsphantasien folgten schwere Enttäuschungen. Aus Wierzchownia kam wie ein eiskalter Wasserstrahl die Erklärung Evas: er sei frei; ihre Tante Rosalie rate unbedingt von Paris ab; seit ihrer Zusammenkunft in Wien seien sieben Jahre verflossen, in denen er, statt nach Rußland, dreimal nach Italien gereist sei. Tiefgetroffen erwiderte Balzac: die Mittel zu den Fahrten nach Turin und Mailand hätten ihm die Viscontis gegeben; nach Wierzchownia sei er nur darum nicht gekommen, weil sein Geld nicht dazu gelangt habe. Seine Expedition nach Sardinien hätte, wie seine Theatergänge mit Vautrin und Quinola, keinen anderen Zweck gehabt, als seinen Schulden ein Ziel zu setzen. Mit verdoppelter Anstrengung mache er sich an neue Romane, um die 2000 Franken zu erübrigen, die eine Seereise über Havre oder Dünkirchen nach Rußland kosten würde. Eva lenkt ein. Der Kummer des Freundes, den Krankheit und Schlafsucht plagt, stimmt sie milder. Er hört mit schmerzlicher Überraschung, daß ihre Erbrechte durch Prozesse bestritten werden; er will ihr mit Rat und Tat beistehen, als »Prinzgemahl« ihrer ukrainischen Herrschaft uneigennützig für sie und ihre Tochter Anna sich einsetzen. Die Aufrichtigkeit seiner Gesinnung ist unverkennbar, seine Versicherung, daß er alle von seiner Schwester für ihn geplanten reichen Heiraten ausgeschlagen habe, unwiderleglich. Schon will er sich am 20. August 1842 nach Rußland aufmachen, da ereilt ihn ein unbedingtes Verbot Evas, die aus der Ukraine nach Petersburg sich begeben hat, um ihre verwickelten Vermögensfragen zu ordnen. Balzac weint heiße Tränen über Evas Veto, gibt ihr aber recht: noch sei die Zeit nicht für ihn gekommen; eine Witwe, die vor Ablauf des Trauerjahres heirate, gäbe Anlaß zu Nachreden.

Er klagt, daß die Frische seiner Schöpferkraft nachlasse, schafft aber trotzdem emsiger als je zuvor. Die schlimmste Gegnerschaft bereite ihm seine Mutter, die er unverholen als das böse Prinzip seines Lebens bezeichnet; schon sein Vater habe ihm 1822 gesagt, er werde keine grausamere Feindin haben als seine Mutter. Madame Berny riet ihm, er solle sich dauernd von ihr trennen; seine Schwester und er fragten den Arzt, ob die Mutter nicht am Ende geisteskrank sei; der Doktor, der sie seit 33 Jahren kennt, antwortete: »Ach, sie ist nicht verrückt, sie ist bösartig (méchante).« Balzac hält sich gleichwohl nach wie vor für verpflichtet, ihren Unterhalt zu sichern und die Gebote der Natur und Gesellschaft zu erfüllen, obschon sie ein Ungeheuer und eine Ungeheuerlichkeit (monstre et monstruosité) sei.

Die Unnatur dieser Familienbeziehung erklärt manches in seiner grenzenlosen Hingebung für Madame de Berny und in seiner kritiklosen Überschätzung Evas, der zu Ehren er an seinem Namenstag, 16. Mai 1843, das Gebet an seinen Schutzpatron richtet: »O großer, heiliger Honorius, dir, dem man eine so häßlich-schöne Straße in Paris verdankt, beschirme mich ganz besonders in diesem Jahr! Laß mein Schiff nicht untergehen! Sorge dafür, daß ich mit Hilfe eines Bürgermeisters oder Konsuls aufhöre, Junggeselle zu sein, denn du weißt, daß ich seelisch seit bald elf Jahren verheiratet bin. Seit fünfzehn Jahren führ' ich das Leben eines Märtyrers. Gott hat mir 1833 einen Engel geschickt: möge dieser Engel mich bis zu meinem Tode nicht mehr verlassen. Ich habe von ›Schreiberei‹ gelebt: mach', daß ich ein wenig durch Liebe lebe. Nimm dich ihrer mehr als meiner an, denn ich möchte ihr alles, selbst meinen Anteil am Himmel geben, und sieh dazu, daß wir bald glücklich sind. Ave, Eva!« Ein Lieblingsscherz mit der Umkehrung ihres Namens, den er zuerst im Prolog zum dritten Zehnt der Contes drolatiques machte, und in der Inschrift eines Eva gestifteten Ringes wiederholte.

Nicht mit Liebesschwüren und Liebesgaben war aber Befreiung von drückendsten Schulden und das Reisegeld zu gewinnen. Er schuf, schuf unaufhörlich, obwohl nach seinem Klageruf Gott selbst nur sechs Tage geschaffen hat. Er schrieb für Pariser Verleger und Zeitungen nicht allein, sondern auch für Verleger in dem Städtchen Lagny Buch um Buch. Fieber, drohende Gehirnentzündungen hinderten ihn nicht, in Lagny in einer Winkeldruckerei, die mit Wasser-, nicht mit Dampfkraft, und dem Abhub der Pariser Setzer betrieben wurde, die letzten Korrekturen für ein paar Romane abzuwarten, die ihm mit 7500 Franken honoriert wurden. Und er mußte, da ein paar Pariser Blätter, die Romane von ihm gekauft hatten, ihre Zahlungen einstellten, mit ganz unzulänglichem Reisegeld in Dünkirchen das Schiff besteigen und seinem Anwalt überlassen, das rückständige Honorar bei den falliten Zeitungen einzutreiben und ihm nach Petersburg nachzuschicken, wo er Ende Juli 1843 ankam und bis Ende September verweilte. Die Seefahrt hatte dem tödlich Erschöpften wohlgetan, das Wiedersehen mit Eva feierte er durch einen enthusiastischen Eintrag in ihrem Tagebuch: »Ich bin am 29. (nach dem russischen Kalender am 17.) Juli eingetroffen und habe das Glück gehabt, mittags meine teure Gräfin Eva wiederzusehen und zu begrüßen. Ich hatte sie seit Wien nicht wiedergesehen und fand sie ebenso schön, ebenso jung als damals. Und doch liegen 7 Jahre dazwischen, und sie war in ihrer Weizenwüste geblieben wie ich in meiner Pariser Menschenwüste. Sie hat mich wie einen alten Freund empfangen, und ich habe alle Stunden, die ich nicht mit ihr verlebt habe, als unglückliche, kalte, traurige angesehen. Von 1833-1843 sind 10 Jahre verflossen, während deren alle Gefühle, die ich für sie hege, gegen das herkömmliche Gesetz, durch alle Kümmernisse der Abwesenheit und Enttäuschung noch gesteigert wurden.«

Die Monate des Petersburger Aufenthaltes waren Zeiten reiner Freude für die Liebenden. So beständig sie beisammen waren, ergab sich doch ab und zu Anlaß zu Zetteln und Episteln, in denen Balzac seine Eva gelegentlich duzte. Bettinas »Briefwechsel Goethes mit einem Kinde«, der just in französischer Übertragung erschienen war, lieh Eva ihrem Gaste, der den ersten Band mit Laune und Lauge übergoß: Bettinas Weisung, »dies Buch ist für die Guten, nicht für die Schlechten«, mache für alle Zukunft alle Vorreden überflüssig. Den »deutschen Schalk« (zwei Worte, die nach Balzac einander widersprechen) hänselt er schonungslos. Schon Mérimée habe in seiner Novelle »La double méprise« der »Amour de tête« einen wütenden Stich versetzt – Bettina gebühre die Ehre, das Ungeheuer zu erlegen: Mérimée habe ihm einen Dolchstoß beigebracht, Bettina hab' es mit Opium vergiftet; Balzac sage darum mit Odry in der Posse »Die Seiltänzer«: »Das gehört nicht in die Literatur, sondern in die Apotheke.« Und Goethe werde, je mehr Bettina schreibe, im Gegensatz zur Fabel von Pygmalion, immer mehr versteinert. »Bettina merkt das nicht. Goethe ist ihr nur ein Vorwand zu Briefen, sie schreibt ihr Backfischtagebuch weiter: wir haben aber derartiges, nicht für den Druck Bestimmtes nicht einmal, sondern zu Dutzenden weit anmutiger zu lesen bekommen. Bettinas Briefe begleiteten warme Westen, Pantoffeln usw. Und Goethe dankt ihr weit mehr für die Westen als für die Briefe: auf ihre unbegreiflichen Theorien über Musik antwortet er nur mit ›Närrchen! Närrchen!‹ Die Westen usw. nimmt er mit den Worten hin: ›Du erscheinst, teure Bettina, durch deine Geschenke wie ein wohltuender Genius usw.‹ Bettina ist also, wie Sie sehen werden, immer ein Närrchen, ein Schalk, wenn sie über die Kunst schreibt, und ein Genie, wenn sie Westen stickt. Goethe war nicht nur ein großer Dichter, er war auch ein angenehmer Spötter und ein sehr feiner Kritiker. Nodier hätte sich nicht besser lustig gemacht über eine der tausend Zehntelmusen Frankreichs.«

Evas Briefe an Balzac würden die Probe einer ähnlichen Kritik kaum besser bestehen, obwohl derselbe strenge Richter andere Briefwechsel nicht minder scharf mitnahm: »ich habe die Briefe (Mirabeaus) an Sophie (Monnier) miserabel gefunden, schon, als ich siebzehn Jahre alt war. Die Rousseaus sind von einem Rhetor.« Und selbstbewußt schließt er: »ich ziehe die unsrigen allen vor.« Ein Urteil, das, soweit es Balzacs Briefe an Eva betrifft, sicherlich nicht allem Schwulst und Pathos zugutekommen kann, in dem er seinen »Engel« anhimmelt. Und die Töne, die Eva anschlägt, sind, soweit sie der Nachwelt an das Ohr schlagen, gleichfalls nicht von Überschwang frei. So schrieb sie z. B. am Weihnachtsabend 1843 in ihr Album: auch sie wolle heute ihr Fest haben. Sie las kniend, was eine ruhmvolle Hand – doch was ist Ruhm für das Herz? – (in dasselbe Album) eingetragen hat. Sie weiß nun, was Glück ist. Sie verherrlicht die Größe und Güte Balzacs, seine Erhabenheit, Sanftmut, Intelligenz und Herzensgröße. Er fühle heut' wie ein Sechzehnjähriger. »Gott allein weiß, weshalb ein armseliges Pflänzchen am Fuß des Lorbeers gedeiht.« Hoffentlich war dieser Erguß Ausdruck reiner, von Selbstgefälligkeit freier Neigung: menschlich und zumal weiblich wär' es gewesen, daß auch ein bißchen Eitelkeit mitspielte. Stand doch der Ruhm Balzacs dazumal auf dem Gipfel. Der Hof Nikolaus' I. hielt sich freilich nicht mehr an die Überlieferung Katharinas, die, wohlbedacht auf ihre Glorifikation im Ausland als neue Semiramis, mit Voltaire korrespondierte, Baron Melchior Grimm als ihren Vertrauensmann heranzog, Diderot zu sich lud. Custines Buch über Rußland hatte den Unwillen des autokratischen Zaren dermaßen erregt, daß kein französischer Autor eine Audienz bei ihm zu erwarten hatte. Wie weit Balzacs Name aber in Rußland gedrungen war, hat er selbst einmal halb im Spaß, halb im Ernst erzählt; sein Geschichtchen ist uns von Sainte-Beuve aufbehalten: »Wem reden Sie von Ruhm? ich hab' ihn gekannt, gesehen. Ich reiste in Rußland mit einigen Freunden. Die Nacht bricht ein, wir sprechen in einem Schloß mit der Bitte um Gastfreundschaft vor. Bei unserer Ankunft ist die Schloßfrau mit ihrer Gesellschaftsdame voll Eifer. Eine der letzteren verläßt den Salon, um Erfrischungen für uns zu holen. In der Zwischenzeit nennt man mich der Hausfrau; die Konversation kommt in Fluß, und als die Dame, die hinausgegangen war, zurückkommt, mit der Schüssel in der Hand, um uns zu bewirten, hört sie unversehens die Anrede: ›Sie glauben also, Herr von Balzac …‹ Freudig überrascht fährt sie zusammen, läßt die Schüssel zu Boden fallen, so daß alles zerbricht. Ist das nicht der Ruhm?«

Ähnliche Beweise für das Ansehen, das sein Name genoß, wurden ihm zuteil, als er nicht zur See, sondern auf dem Landweg heimkehrte. Nie und nirgends hatte er sich, wie er Eva versicherte, glücklicher gefühlt als in ihrem Petersburger Heim, auf gemeinsamen Gängen an der Newa, in das Winterpalais und Schauspielhaus; er sah auch Kaiser Nikolaus und seine Heerschau in Krasnoje-Selo, bei der in der grellen Sonne Mahnungen seiner Arachnitis, des Kopfleidens, das er sich in Paris durch Überarbeitung zugezogen, meldeten. Jeder Winkel der Wohnung Evas, jede Farbe und Falte ihrer Toiletten, jede Kleinigkeit ihrer Nippes blieb seinem Gedächtnis eingeprägt.

Als er schweren Herzens schied, tröstete beide die Zuversicht auf ein baldiges Wiedersehen in Rußland oder Deutschland: Balzac selbst hoffte auf kommende, dauernde Verbindung durch eine kirchliche Trauung: eine Erwartung, der Eva nicht widerstrebte, die aber durch die strengen Ehegesetze im Zarenreiche, die schwierigen Erbschaftsfragen und nicht zum wenigsten durch die Bedenken ihrer Angehörigen gegen die Verbindung mit einem Literaten sieben Jahre lang unerfüllt blieb. Solche Sorgen fochten Balzac nicht an, als er den Reisewagen bestieg, von Eva mit Schneeschuhen, Pelz und einem Mundvorrat versorgt, der trotz einer leckeren geräucherten Zunge die Belsazarschmäuse am Gasttisch der Hanska nicht vergessen machte; so bekannte er in Plauderbriefen, die der »Muschik« unterwegs an die »Gebieterin seines Herzens« richtet, »das sie unumschränkter beherrscht als der Zar seine Reiche«. Der Postmeister von Tilsit, Nernst, feiert den berühmten Passagier durch ein drei Stunden währendes Mahl; in Berlin stellt sich der französische Gesandte Bresson sofort in seinem Hotel ein und ladet ihn für den nächsten Tag zu einem großen Diner, bei dem, von der Hausfrau abgesehen, alles alt und häßlich oder jung und scheußlich war: er selbst hatte der zweiundfünfzigjährigen Nichte Talleyrands, der Herzogin von Dino, den Arm zu geben, die dieser Begegnung mit Balzac in ihren Memoiren ebenso unwirsch gedenkt, wie seines seinerzeitigen Besuches bei ihrem Oheim in Rochecotte. Das Tischgespräch drehte sich um Personalien und läppische kleine Tagesereignisse, Unterhaltungen, die Balzac die Späße E. T. A. Hoffmanns über die kleinstaatlichen Höfe erklärlich machten. Berlin findet auch sonst wenig Gnade vor ihm. In einer Stunde kann man s. E. alle beieinanderliegenden Denkmale und Sehenswürdigkeiten angeschaut haben, im Theater gibt's nur »Medea« und den »Sommernachtstraum«, da der König von Preußen bloß »tote Literatur« beschützt. Auf Anregung des Gesandten schreibt er Alexander v. Humboldt eine Zeile, den er im Salon Gérard kennengelernt hatte. Und der große Gelehrte eilt sofort zu Balzac, bringt ihm Grüße vom Prinzen und der Prinzessin von Preußen und ist sein Wegweiser nach Potsdam zu Tieck, der sich vielleicht noch einer Anzeige Balzacs der französischen Übersetzung seiner Schriften erinnerte, und mit seiner greisen Gräfin, einer schier »achtzigjährigen, mit einem grünen Augenschirm bewehrten Mumie«, den Gast, durch seine Huldigung angenehm berührt, liebenswürdig aufnahm.

In Berlin las Balzac auch, daß sein Drama »Paméla Giraud«, das zwei Theaterdichter, Bayard und Jaime, eingerichtet hatten, im Vaudeville abgefallen war. Das bürgerliche Schauspiel hätte besseres Schicksal verdient. Eine Blumenmacherin, die ein Tapeziergehilfe heiraten möchte, verliebt sich auf einem Volksball in einen jungen, vornehm aussehenden Mann, der jählings unter falschem Namen in ihre Mansarde kommt, sie entführen, in Gretna Green heiraten will. Dem Unbekannten ist die Polizei auf den Fersen. Durch die Geschwätzigkeit des eifersüchtigen Tapezierers fällt er seinen Verfolgern in die Hände. An einer bonapartistischen Verschwörung beteiligt, kann er nur durch ein Alibi gerettet werden. Der skeptische Advokat Dupré, ein satirischer, tiefer Kenner des Eigennutzes seiner philiströsen Klienten, verteidigt den Beschuldigten, und alle bringen Pamela, aus Liebe zu Jules, dazu, falsches Zeugnis zu geben, daß er in der kritischem Nacht bei ihr war. Freigesprochen, wollen ihn seine Angehörigen, u. a. eine adelsstolze heuchlerische Tante, zwingen, die Tochter eines Pairs, die Nichte eines Generals zu heiraten, der für eine Bestechung von 100 000 Franken diese Ehe durchsetzen will, übrigens, wie Dupré das sofort durchschaut, Schuld an dem Komplott trägt, aus dem er sich auf Kosten von Jules zurückgezogen. Dupré durchkreuzt diese Infamien, indem er Pamela vor Gericht falschen Zeugnisses bezichtigt. Nun wird er von den in Todesangst, ihrer eigenen Straffälligkeit halber zu ihm eilenden Eltern, der Tante und dem Mitschuldigen Jules', dem General, überlaufen. Die Selbstlosigkeit und Unschuld Pamelas rührt den Anwalt dermaßen, daß er ihr seine Hand anbietet, die sie annimmt. Als aber ihre Neigung für Jules offenbar wird, will Dupré, obwohl sie dankbar ihr Wort einhalten würde, diesen Bund zustande bringen. Es gelingt ihm, den Prozeß gegen Pamela durch einen einsichtigen Justizminister niederschlagen zu lassen und die in ihrem Egoismus heillos ängstlichen Verwandten Jules' zu bestimmen, in Pamelas Ehe zu willigen. Die Schärfe der Verdammung engherziger Bourgeois in Duprés Ausfällen ist nicht zu überbieten: es weht hier rauhere Luft als in Scribes Gesellschaftskomödien, eine Vorahnung der Anklage- und Rebellenstücke von Augier, dem jüngeren Dumas und Becque. Die Reinheit Pamelas, die Güte Duprés, die Anspruchslosigkeit der Eltern Pamelas, die Gestalt des trotz aller Eifersucht hilfsbereiten Tapezierers bringen Licht in die sonst so dunkle Gesellschaft. Die Tüchtigkeit im Wesen des Menschenkenners Dupré und die Redlichkeit der kleinen Leute aus dem Volk ist der einzige tröstliche Kontrast zu der Sippe falscher Ehrbarkeit, arger Streberei, durch Geld oder Adelsstolz käuflicher Biederschufte und Halbmenschen. Daß trotz allen Geistes ein solches Stück für Verdauung suchende Theatergänger, zumal 1843, nichts war, nimmt nicht Wunder. Im Roman hätten die vielfach nur allzu glaubwürdigen Charaktere nicht weniger gewirkt als andere Sittenschilderungen des Kenners seiner Zeitgenossen. Technisch ist die Komödie gut gegliedert, lustige Szenen stehen neben rührenden, Spannungen sind nicht vergessen.

Die Nachricht von dem Mißerfolg seines Stückes hat Balzacs Stimmung in Berlin sicherlich nicht gehoben. Seine besten Stunden verlebte er dort mit zwei russischen, Französisch radebrechenden Bildhauern, die seine Reisegefährten gewesen waren, und denen er im Hotel de Russie ein Diner gab. Die Aussicht, eine Woche lang in Berlin gefeiert zu werden, lockte ihn nicht. »Berlin«, so schreibt er verdrießlich, »ist die Stadt der langen Weile; müßt' ich acht Tage hierbleiben, ich würde sterben.« Sehnsucht nach Eva verzehrt ihn: sie müßten einander schon von Stund an für immer angehören. Er will so rasch als möglich nach Hause an die Arbeit. Da er aber wegen der Leipziger Messe an der Pleiße kein Quartier findet, muß er nach Dresden, und da entzückt ihn vor allem der Zwinger; er bewundert die Schöpfungen Augusts des Starken, ist mehr noch als von der Raffaelschen von der Holbeinschen Madonna erbaut, nennt das Schauspielhaus das anmutigste, das er je gesehen, zieht Dresden als Wohnort unbedingt Berlin vor: die Umgebungen sind malerisch, die Stadt steht als Residenz mitteninne zwischen deutschen und schweizerischen Stadtbildern. Über Mainz und Köln fährt er weiter: ein schöner, sommerlich wirkender Tag und die wechselnden Landschaftsaussichten am Rhein tun ihm wohl. In Belgien, das er in vier Tagen mustern wollte, überanstrengt er sich neuerdings: seine Arachnitis, die Entzündung der Hirnhäute, quälte ihn immer stärker. Der Arzt gebietet Schonung: eine Kur, von der Balzac nie viel hören mag. Blutegel und Purganzen bringen ihn nach einigen Wochen so weit, daß er allmählich den Beginn seiner Arbeitsstunde wieder auf halb fünf, halb vier und endlich auf halb drei Uhr morgens festsetzen kann. Die von Doktor Nacquart anbefohlene zeitweilige Muße kommt den Sitzungen beim Bildhauer David zugute, der durch Victor Hugo den Romancier bitten ließ, ihn, wie zuvor Goethe, Chateaubriand, Victor Hugo, Cooper, für eine Kolossalbüste modellieren zu dürfen. David glückte es, wie Balzac Eva scherzend schreibt, sein Bulldogggesicht in das Haupt eines Olympiers zu verwandeln. Der Wunsch Balzacs, an einem Malachitsockel die Reliefs von Eva, seiner Mutter, seiner Schwester und Nichten, sowie die Gestalten der schönen Imperia, Seraphita, der Magd Grandets Nanon und Madame de Beauséants (oder an deren Stelle auf Geheiß Evas die Lilie im Tale, Madame de Mortsauf) angebracht zu sehen, blieb unerfüllt. Das majestätische Meisterwerk krönt in einer mächtigen Wiederholung Balzacs Grab auf dem Père-Lachaise.

Vom Verkehr mit dem Ehepaar David erfährt Eva durch seine fortlaufenden Tagebuchblätter, die noch zwangloser als zuvor sich geben, seit ihm der (später auch dem nach Rußland reisenden Hector Berlioz) aus Kunstbegeisterung hilfreiche Tilsiter Postmeister auf der Durchreise für seine Briefschaften Vergünstigungen verheißen hat. Bis zum Überdruß werden Geldfragen abgehandelt. Vergeblich wollte Liszt ihn damit trösten, daß Lamartine sich noch in heilloserer Lage befinde; daß George Sand Schulden hat, Lamennais zahlungsunfähig geworden, Berryer nicht weiß, wie mit seinen Gläubigern fertig werden. Die Académie française, in der Victor Hugo für seine Aufnahme wirbt, und der sterbende Nodier ihn als seinen Nachfolger sehen möchte, weist seine Kandidatur aus dem Grunde zurück, weil sie kein Mitglied in ihrem Kreis haben will, das in Gefahr ist, in Schuldhaft abgeführt zu werden. An Arbeiten und Plänen, seinen Nöten ein Ende zu machen, läßt er es auch nicht fehlen. Er beschreibt für Hetzels Sammelwerk »Le diable à Paris« die »kleinen Leiden des Ehelebens«: eine schwache Folge der »Physiologie du mariage«; er ist daran, Coopers »Spion« als Verkleidungsrolle für Lemaître zu dramatisieren; er beginnt eine Reihe neuer Romane, kann sich aber nicht verhehlen, daß die Leichtigkeit des Schaffens, die Frische seiner Einbildungskraft nicht die gleiche ist wie vor den beklemmenden Anfällen seines Kopfleidens; die überreizten Nerven rächen sich. Er fühlt zeitweilig ein Nachlassen seiner künstlerischen Fähigkeiten. Und doch muß er mit neuen Werken herausrücken, wenn er Eva wieder in Rußland oder unterwegs treffen oder gar ihren gemeinsamen Hausstand begründen will. Sie tauschen Verlobungsringe, und obschon es um Balzacs Wirtschaft so schmal bestellt ist, daß er wie seit Jahrzehnten am Faschingsdienstag keinen Sou in der Tasche hat, kauft er auf Borg Kostbarkeiten für seine spätere Einrichtung, bezahlt er 1350 Franken für eine Kommode und einen Sekretär, die aus dem Besitz Marias von Medici und Heinrichs IV. stammen sollen und in Balzacs Schätzungen bald mit 40 000 und mehr Franken bewertet werden.

Anfang und Ende seiner Ergüsse sind Liebeserklärungen, die mitunter humoristisch berühren: »Ich lese Deinen Brief noch einmal, eh' ich Dir Lebewohl sage; Shakespeares Julia ist Rabengekrächz neben meiner Nachtigall.« In Neuchâtel, Genf, Wien seien sie einander lange nicht so nahe gekommen wie in Petersburg: er gehört ihr, wie der Hund dem Herrn, wie der Künstler dem Ideal des Schönen, wie das Gebet dem lieben Gott, wie das Leben der Sonne: Sie können noch dreißig Jahre zusammenbleiben. Ohne Übersättigung. »Ein großes Wort. Wir haben beide den gleichen Kultus des Ideals, den gleichen Glauben füreinander, dieselbe Ergebung in die Launen des anderen. Zu alledem gesellt sich das Unerklärliche, die unsichtbare Flamme, die Gott gewissen Geschöpfen geschenkt hat, und die uns durchglüht, denn ich liebe Dich, wie man Gott liebt, wie man das Glück liebt.« Und nicht allein im Rausch dieser vertraulichen Zwiesprache beherrscht Eva Balzacs Gedanken und Gefühle: er widmet ihr, nachdem er ihr zuvor Seraphita zugeeignet hat, die beiden ersten Romane, die er nach seiner Rückkehr vollendet: »Die Kleinbürger« (März 1844) und »Modeste Mignon« (März-Juli i844).

»Hier, Madame« (so redet seine Widmungsepistel zu den »Petits bourgeois« die von ihm als Constance-Victoire neugetaufte Geliebte an) »eines der Werke, die, man weiß nicht woher, in den Sinn kommen und einem Autor gefallen, bevor er voraussehen kann, welche Aufnahme ihm das Publikum, der große Richter des Augenblicks, bereiten wird. Fast sicher Ihres Wohlwollens für meinen Eifer, eigne ich Ihnen dieses Buch zu: muß es nicht Ihnen gehören, wie ehedem der Zehnte der Kirche gehörte im Gedanken an Gott, der alles sprießen und reifen läßt in den Feldern, wie in den Geistern? Einige Lehmklumpen, Überbleibsel, die Molière am Fuß seiner Riesenstatue Tartuffes liegen ließ, sind hier von einer mehr verwegenen als geschickten Hand geknetet: soweit ich aber hinter dem größten aller Komöden zurückbleiben mag, ich werde zufrieden sein, diese Bröckchen, die ich im Vordergrund seines Stückes aufgelesen, benutzt zu haben, indem ich den modernen Heuchler am Werk zeigte. Der Grund, der mich am meisten zu diesem schweren Unternehmen ermutigt hat, war, es losgelöst von jeder religiösen Frage zu finden, die Ihretwegen, die so fromm ist, und ebenso um dessentwillen fernzuhalten war, was ein großer Schriftsteller«, Lamennais, »die Gleichgültigkeit in Sachen der Religion genannt hat. Möge die doppelte Bedeutung Ihrer Namen«, Beständigkeit ( Constance) und Sieg ( Victoire), »für dieses Buch prophetisch sein. Genehmigen Sie den Ausdruck achtungsvoller Dankbarkeit desjenigen, der sich den ergebensten Ihrer Diener zu nennen wagt, de Balzac.«

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Selbstkarikatur Balzacs 1837

Nicht zum ersten und einzigen Male gedachte Balzac Molière nachzueifern; er wollte, nachdem Molière in Harpagon den Geiz verkörpert, in Grandet ein Seitenstück schaffen; in seinem Nachlaß fand sich auch der Entwurf einer Komödie »Orgon«, den er sinnreich als die Bourgeoisie im Zeitalter Ludwigs XIV. deutete, ein Schauspiel, in dem, fast wie dazumal in der Geschichte, Tartuffe der Sieger bleiben sollte. »Die Kleinbürger« spielen vielfach in den Kreisen der »Employés«. Zur Ruhe gesetzt, wünschen die meisten dieser pensionierten Beamten unter dem Julikönigtum Gemeinderäte, Abgeordnete, Ritter der Ehrenlegion zu werden. Die Eitelkeit, Albernheit, Prinzipienreiterei dieser Leutchen, die Ahnen von Flauberts Apotheker Homais sein könnten, wird munter und boshaft gezeigt. Die kleinen und großen Strebereien, Falschheiten, Mitgiftjägereien, Wucherpraktiken verdichten sich in der Tartuffefigur eines angeblichen Armenanwalts, Théodose de La Peyrade, der die geheimen Lüste und Liebhabereien jedes einzelnen ausspäht und sich dienstbar macht, um die Hand der reichsten Erbin, Macht und Einfluß zu gewinnen. Wiewohl Balzac im Gegensatz zu der von ihm verspotteten »Humanitairerie« nur christliche Caritas als Heilmittel gegen Zeitkrankheiten und Weltschäden gelten läßt, entgeht ihm auch in den »Kleinbürgern« das Ränkespiel gewisser Priestergruppen und ihres weitverzweigten Anhanges nicht. Die vielgestaltigen Spielarten der Beamten und Kleinbürger sind in erstaunlicher Mannigfaltigkeit zur Stelle: einer wird als Tee- und Kakaofälscher reich; ein zweiter, im Nebenamt Klarinettist eines Theaterorchesters, duldet für jedes Kind einen anderen Vater und bemüht sich, seiner Tochter die Hinterlassenschaft seines Nebenbuhlers als Heiratsgut zuschanzen zu lassen; ein dritter wird wegen seiner verflossenen galanten Streiche von seiner altjüngferlichen Schwester vergöttert, die sich dadurch befugt glaubt, seine unbedeutende Frau zu tyrannisieren; der vierte, Phellion, der schon in den Employés als Doppelgänger Prudhommes lächerlich gemachte, in seiner Einfalt und Schulfuchserei doch nicht verächtliche Phellion hat tüchtige Gelehrte zu Söhnen; als fünfter der Kanzleispion Dutocq mit seinen Bundesgenossen, den Polizisten, Pfandnehmern, Winkelwucherern. Kein Schlupfloch dieser Kleinbürgerquartiere mit ihren Obergeschossen und Kellerasseln blieb Balzac verschlossen. Seine Petits bourgeois nehmen in der »Comédie humaine« mit Recht ebensoviel Raum ein, wie unter dem Bürgerkönigtum. Schade nur, daß Balzac, wie sonst seine Diplomaten, Weltkinder, Kleriker, Bravi, auch diese Kleinbürger wiederholt gar zu tief angelegte Komplotte aushecken läßt; doppelt Schade, daß »Les petits bourgeois« nicht von ihm selbst nach seinem Vorhaben in einem Folgeroman in ihrem Aufstieg als Staats- und Geld- und Zeitungsgewaltige geschildert wurden. Der zweite Teil des Werkes, den nach Balzacs Tod Charles Rabou schrieb, ist mit Unrecht in die Gesamtausgabe eingereiht worden: er sticht stofflich und künstlerisch von Balzacs Arbeit ab, wie Fabriksware von sorgsam gepflegtem Handgespinst.

Auch das Widmungsblatt von »Modeste Mignon« gilt Eva: »Einer Polin. Tochter eines geknechteten Landes, Engel durch die Liebe, Dämon durch die Phantasie, Kind durch den Glauben, Greis durch die Erfahrung, Mann durch das Hirn, Frau durch das Herz, Riese durch die Hoffnung, Mutter durch den Schmerz, Dichterin durch den Traum: Dir, die zu alledem noch die Schönheit ist, dies Werk, in dem Deine Liebe, Deine Einbildungskraft, Dein Glaube, Deine Erfahrung, Dein Schmerz, Dein Hoffen und Dein Träumen wie die Ketten sind, die ein Gewebe umschließen, das weniger glänzend ist als die Poesie, die Deine Seele birgt und deren Ausdruck, wenn sie Dein Antlitz belebt, für den, der Dich bewundert, das gleiche bedeutet, wie für die Gelehrten die Schriftzeichen einer verlorenen Sprache.« Die überschwängliche, von Schwulst nicht freie Huldigung schuldete Balzac diesmal nicht nur der Geliebten: Eva war die Anregerin und Mitarbeiterin von Modeste Mignon. Sie hatte eine Novelle geschrieben und verbrannt, doch die Fabel ihrer Geschichte, die sie Balzac in einem Brief mitteilte, sprach ihn an. Er bat sie, die Erzählung neuerdings zu Papier zu bringen, damit er sie verbessern und unter seinem Namen veröffentliche. »Sie werden die weiße Farbe Ihrer Strümpfe nicht verändert haben und Autorfreuden genießen, wenn Sie sehen, was ich von Ihrer anmutigen schönen Prosa beibehalten habe. Man muß zuerst eine Provinzfamilie malen, in der mitten in diesem vulgären Leben ein junges überspanntes Mädchen sich befindet und dann durch Briefwechsel den Übergang finden zur Beschreibung eines Poeten in Paris. Der Freund des Dichters, der die Korrespondenz fortführen wird, muß einer der Männer von Geist sein, die willig Gefolgsleute einer Ruhmesgröße werden. Es gäbe ein hübsches Bild solcher dienender Ritter, die alle Sorgen um die Zeitungen auf sich nehmen. Die Lösung muß zugunsten des jungen Mannes gegen den großen Dichter ausfallen und die Rauheiten und Manien einer großen Seele zeigen, die die kleinen erschreckt. Machen Sie das. Sie werden mir geholfen und mich« – dieser Kehrreim darf nicht einmal bei einem Buch fehlen, an dem die Liebe mitdichten soll – »ein paar Tausend Frankenscheine haben verdienen lassen. Welcher Ruhm!« Eva beschied sich damit, Balzac ihren Stoff zu überlassen: die Bearbeitung fiel ausschließlich Balzac zu, der bewußt oder unbewußt auch noch das Spiel Porzias mit den drei Kästchen einbezog. In Erinnerung an den Beginn seines Briefwechsels mit der Etrangère ersinnt und gestaltet er die Wechselwirkungen, die zwischen einer phantastischen Leserin und einem genialen oder für genial gehaltenen Künstler durch briefliche Anknüpfung sich ergeben. Der von einer Unbekannten angeschwärmte Lyriker, der zugleich ein ebenso großer Prosaiker, Redner und Anwärter auf die Pairie ist, Canalis, in dem man Lamartine als Urbild erkennen wollte, ist zu bequem, einen solchen Briefwechsel selbst zu führen; er überläßt diese Korrespondenz seinen ihm befreundeten Sekretär. Als aber im Lauf der Ereignisse die Provinzialin als Millionenbraut und Gräfin, als Ausbund von Geist und Schönheit sich entpuppt, nimmt Canalis den Wettbewerb mit seinem Sekretär auf, dem als dritter Freier ein Herzog aus ältestem Geschlecht entgegentritt. Sieger bleibt der erste Briefschreiber. Die Pfade des Sekretärs führen durch Gestrüpp und blühende Heide zuguterletzt in lichte Liebesparadiese. Als Schauplatz hat diesmal Balzac Havre mit dem Vorort Ingouville gewählt. Die Figur des Mädchens, von dessen abenteuerlichen Geheimkorrespondenzen und Bestellungen des unbekannten Poeten in die Kirche niemand in ihrer kleinstädtischen Umgebung etwas merkt – einzig und allein der blinden Ahne, ein feiner Zug, dämmert etwas auf –, ist ebenso sicher gefaßt, wie der eitle Canalis und der jämmerlich herabgekommene, Balzac mit Entsetzen für die Zukunft des französischen Hochadels erfüllende Herzog. Ein zwergenhafter Bastard, ein Notariatsschreiber, der Modeste anbetet, scheint einer Episode Walter Scotts nachgebildet. Nach der Natur gemalt ist der rauhbeinige Soldat, der als Musterprokurist und Tugendwächter im Hause Mignons waltet; ebenso die herzogliche Geliebte von Canalis. Die Tonarten in den Briefen Modestes an ihren Lieblingspoeten und in den Antworten seines Ersatzmannes sind virtuoser gemeistert, als in den Korrespondenzen der aus dem Harem (in Pierre Lotis »Desenchantées«) an französische Berühmtheiten gerichteten Episteln für die Emanzipation der Türkinnen, die sich mit den jüngsten Moden in Dichtung und Musik vertraut zeigen. Daß in einem unter dem Zeichen der Literatur stehenden Roman fleißig von Poeten und ihren Schöpfungen geredet wird, überrascht nicht: Balzac verherrlicht wie bei jedem früheren Anlaß Sterne, kann sich im Lob Richardsons nicht genug tun, neckt auch hier Bettina von Arnim und verblüfft durch die Behauptung, daß Goethes Meisterwerk nicht Faust, sondern Tasso sei, in dem er seltsame Analogien mit seiner Modeste Mignon herausfindet: »c'est la comédie de Tasse de Goethe ramenée à la verité pure.«

Im Journal des Débats, das »die Kleinbürger« angenommen hatte, läßt er Modeste Mignon vorangehen, die (auch das meldet er Eva) mit 6000 Franken bezahlt wurde. Die Zeitungen kämpfen für ihre Romanfeuilletons ein »Turnier des Geldes« aus. Véron erwarb den Constitutionnel und bedroht den Siècle mit dessen 45 000 Abonnenten durch den »Ewigen Juden«, den er Sue für 100 000 Franken abgenommen hat und mit der Novelle »Jeanne« von George Sand, die 18 000 Franken bekam. Le Soleil, von dem verwegenen Zeitungsrevolutionär Dutacq gegründet, bietet seinen Abnehmern acht statt vier Folioseiten zum Preis von 40 Franken in allen Provinzen: »es wird ein Gemetzel von Abonnenten, eine Schlacht um Groschen, einen Kampf mit Druckerschwärze und Prosa geben: ich bin frei und will davon profitieren.« Der Verleger von Thiers, Paulin, denkt gar an ein Blatt zu 24 Franken jährlich und verheißt, falls es zustande käme, Balzac für je einen Band seiner (leider nie geschriebenen) Szenen aus dem Militärleben 10 000 Franken, d. h. 60 000 Franken für 40 Bogen, 100 000 Franken für 10 Bände. Angesichts dieses Zifferntaumels sieht sich Balzac schon im Besitze eines stattlichen Hauses, in dem Eva als Herrin walten soll und er verschuldet sich, aller Gelübde vergessend, durch die Erwerbung gediegener Möbel für die noch gar nicht gemietete Wohnung. Sie ist in alledem »sein einziger Gedanke, sein einziger Wunsch.«

Der »Zyklop der Arbeit« hat den »Ariel der Erinnerungen« nicht verscheucht und er wäre selig, vom Juli 1844 bis zum Mai 1846 in Wierzchownia weilen zu dürfen. Not täte solche Erholung. Eine Gelbsucht streckt ihn wochenlang auf das Krankenlager. Der Arzt fordert dringend eine Badekur in Karlsbad. Balzac will davon nichts wissen. Sein Übel habe keinen anderen Grund als das Übermaß seines Kaffeegenusses, seiner Arbeitsmühen und Nachtwachen. Er magert sichtlich ab, so daß ihm der Verlobungsring vom Finger fällt; seine Leber schwillt an; Ohnmachten befallen ihn – Vorboten kommender, schwererer Leiden, die er einstweilen heroisch niederzwingt, denn nur mit der Feder kann er sein Reisegeld sich verschaffen. In übler Laune ficht ihn auch Eifersucht an: er hat auf Evas Wunsch Liszt eine Empfehlung an Eva nach Petersburg mitgegeben und der Hexenmeister hat der Geliebten in ihrem Haus ein Privatkonzert beschert: fortan schilt Balzac bei jedem Anlaß auf den Ungarn, der in Wirklichkeit ein Zigeuner, ein Gaukler, eine alte Kokette, dünkelhaft wie ein Komödiant und gehässig wie ein Staatsanwalt sei: »er hat nur Finger.«

Wehmütig gedenkt er im Hochsommer 1844 der Jahrestage seiner Abreise nach Rußland, seiner Ankunft in Petersburg; zur Sicherung künftiger Zeiten arbeitet er rastlos, allen Einsprüchen des Arztes zum Trotz, fort. »Ich beschäftige mich mit unserem Glück. Wir werden 1846 eines der köstlichsten Häuser von Paris besitzen, ich werde keinen Heller Schulden und für 500 000 Franken Aufträge haben, ungerechnet die Ausbeutung der »Comédie humaine«, die mindestens ebensoviel ausmachen wird. Ich bin also, schöne Dame, eine Partie von einer Million und darüber, wenn ich nicht sterbe. Wenn ich also, nach Ihrer Bemerkung, keine Bettlerin heirate, werden Sie ebensowenig einen Armen heiraten. Wir werden zwei reizende Greise sein, verschönt durch die Liebe, wie Sismondi und seine Frau.«

Im Februar 1845 läßt sich Eva mit ihrer Tochter in Dresden für einige Monate nieder; Balzac kann zu seinem großen Schmerz nicht von seinen Arbeitspflichten los und sein Vorschlag, sie möge incognito nach Paris kommen und unter seiner Führung die Weltstadt mit ihren Schauspielhäusern, Konzerten und Sehenswürdigkeiten kennenlernen, wird zunächst nicht verwirklicht; er führt »das Leben eines gehetzten Hasen« und versteht hinterdrein selbst nicht »das unbegreifliche Wunder«, wie er in Sorgen, von Gläubigern, Verlegern, Zeitungsleitern bedrängt 1841-1846 sechzehn Bände seiner »Comédie humaine« zustande bringen konnte. Am 1. Mai 1845 eilt er nach Dresden zu Frau Hanska. Von dort reist er mit ihr nach Kannstatt und verlebt mit ihr, ihrer Tochter und dem Grafen Mniszeck auf gemeinsamen Fahrten die Monate bis zum August. Inkognito, genauer auf Grund eines Passes, in dem sie mit ihrer Tochter als Schwester und Nichte Balzacs erscheint, führt er Eva nach Paris. Zusammen weilen die vier in Deutschland, Frankreich, Belgien, Holland. Als sie voneinander hastig in Brüssel scheiden, gedenkt Balzac in seinem Brief wehmütig der Unterbrechung »dieser Wiedergeburt seiner Jugend, dieses unverhofften, anbetungswürdigen ehelichen Zusammenlebens, die seine Wünsche übertraf.«

Im Herbst 1845 hat er endlich wieder die Möglichkeit, Eva in Chalons zu begrüßen und mit ihr und den ihrigen am 29. Oktober über Marseille nach Neapel zu reisen. Drei Wochen später muß er wieder in Paris sein, doch ein Vierteljahr darauf fährt er wieder als »Vetturino di amore«, wie Madame de Girardin ihn neckend nennt, nach Italien und verlebt mit Eva herrliche Wochen in Rom, wo er zum Fußkuß des Papstes zugelassen wird, die ewige Stadt, wie er seiner Schwester schreibt, von A – Z und die Illumination von Sankt Peter sieht und die Osterfeier mitmacht, so daß seine Reise für zehn zählt; er nimmt sich gleichwohl vor, den ganzen nächsten Winter in Rom zuzubringen, denn von den 300 Kirchen hat er nur die hauptsächlichsten besuchen können. Nichts übertrifft das »Miserere« des Chores von Sankt Peter, eine Engelsmusik von Guglielmi, die er unbedingt der der sixtinischen Kapelle vorzog. Man muß Rom einmal im Leben gesehen haben: sonst weiß man nichts von Altertum, der Architektur, von der Verwirklichung des Unmöglichen. Rom wird eine der größten und schönsten Erinnerungen seines Lebens bleiben und man muß seine Mutter sehr lieben, um, dem Abschluß eines Romans und seinem Pflichtgefühl zuliebe, zurückzukommen, statt diese große Angelegenheit auf einmal zu erledigen. Selbst auf eine zweite (Privat-) Audienz beim Papst mußte er verzichten, weil die erst nach zwei Wochen hätte stattfinden sollen. Er kaufte auch Gemälde für sein Pariser Zukunftsheim: einen Sebastian del Piombo, Bronzino und Mirevelt; in Marseille, wo der witzige Méry sein Führer und Berater war, wählte er bei einem Antiquitätenhändler gleichfalls mit Kennerblick altertümliche Schüsseln, Silber, Spiegel, Fruchtschalen u. dgl. m. aus.

Mit Eva, ihrer Tochter und Annas Bräutigam, dem polnischen Grafen Georg Mniszeck, einem liebenswürdigen Mann, der ein emsiger Entomologe war, war Balzac dauernd in seligster Stimmung geblieben. »23 Städte«, so schrieb er Eva, »sind geheiligt. Neuchâtel, Genf, Wien, Petersburg, Dresden, Kannstatt, Karlsruhe, Straßburg, Passy, Fontaineblau, Orleans, Bourges, Tours, Blois, Paris, Rotterdam, Haag, Brüssel, Baden, Lyon, Toulon, Neapel.« Er weiß nicht, was diese Erinnerungen für Eva bedeuten: für ihn ist es, als ob dabei ein Chopin die Tasten berühren würde. Neuchâtel: eine weiße Lilie; Genf: ein glühender Traum; unser Mittag; die goldene Ernte. Wien: die Trauer im Glück; ich kam dahin, gewiß, dort nur Trauriges zu sehen; Wien war meine reinste Hingebung. Petersburg: der blaue Salon an der Newa. Dresden: Hunger und Durst. Elend im Glück. Ein Armer, der sich auf das Festmahl eines Reichen stürzt. Kannstatt: alle Süßigkeiten eines Nachtisches. Karlsruhe: das Almosen für einen Armen. Straßburg: volle Liebe (l'amour savant), der Reichtum Ludwigs XIV. Die Gewißheit wechselseitigen Glückes. Passy, Fontainebleau: das Genie Beethovens. Erhaben. Orleans, Bourges, Tours und Blois: Konzerte. Vielgeliebte Sinfonien. Paris, Rotterdam, Haag, Amsterdam: Herbstblumen. Aber Brüssel ist unser würdig. Baden war der Gipfelpunkt: ewige Eintracht; hier war die Glut von Genf und jener Abend, an dem ich dich wiedersah und alle angesammelten Wünsche zweier Herzen, die sich anbeteten. Lyon sah ihn seine Liebe überbieten durch eine Vollkommenheit, die aus Lyon ein besonderes Schiboleth seines Lebens macht. Tours ist die Tochter von Lyon und all diese Reichtümer wurden gekrönt durch die Wonnen von Neapel, würdig dieses Himmels, dieser Natur, dieser ›Wölfe‹ (Evas Kosename ist Louloup). Alle Erinnerungen an Madame Berny sind weit entfernt …«

In seinen Papieren fanden sich noch folgende eigenhändige Aufzeichnungen, die sich auf dieselben Eindrücke beziehen: Neuchâtel: einen Brief in der Hand. Genf: ein Schlüssel. Wien: ein Finger auf den Lippen. Petersburg: ein Finger, der ein Zeichen macht zu kommen. Dresden: auf ein Veilchen gebückt. Kannstatt: auf einen Fauteuil gelehnt. Karlsruhe: hält eine Sanduhr. Straßburg: mit einer phrygischen Mütze. Passy: eine Hand vor den Augen. Fontainebleau: eine Fackel haltend. Orleans: eine goldene Kugel. Bourges: auf ein Rad gestützt. Paris: fünf Kronen in der Hand. Rotterdam: eine umgekehrte Fackel. Haag: ein riesiges Füllhorn. Amiens: eine Muschel. Brüssel: sechs Rosen haltend. Baden-Baden: mit Vergißmeinnicht bekränzt. Lyon: eine Palme haltend …

Ganz anders als diese Tändeleien packen ein paar Briefe, in denen im September 1846 von den Vorbereitungen zu einer geheimen Ehe die Rede ist, deren Zweck war, ein Kind, das Eva von Balzac erwartete, legitimiert zur Welt kommen zu lassen. Balzac sprach in Metz mit zwei einflußreichen Leuten: vor allem mit einem Staatsbeamten, Germeuil, der in Vendome sein Gymnasialkamerad gewesen. In der Provinz stellen sich einem solchen Vorhaben Schwierigkeiten entgegen. Die Priester sind nicht verschwiegen. Die Standesregister werden jährlich bei Gericht hinterlegt, wo sie streng verifiziert werden. Die Trauung bedarf vier Zeugen; der Kundmachung; einer Gemeinde, in welcher die Ankunft einer schönen Fremden kein Gerede verursacht. Maire und Sekretär. Wir haben in Metz das alles ins reine gebracht. Wir haben einen willfährigen diskreten Maire. Er wird sich mit unseren Dokumenten begnügen. Die Verlautbarung wird erfolgen, doch von anderen dermaßen gedeckt, daß man sie nicht bemerken wird. Die Heirat wird nachts beim Maire stattfinden. Zwei Zeugen, der Sohn seines Arztes Nacquard, wird aus Paris mit einem anderen, der auch nicht aus der Gegend ist, kommen; für beide bürgt man. »Du wirst in Saarbrücken bleiben und ich werde mich ostensibel in Metz aufhalten. Am entscheidenden Tag wirst Du von Saarbrücken dorthin kommen, wo ich bin. Nach der Zeremonie wirst Du nach Saarbrücken zurückkehren und wir werden die Einsegnung entweder beim Bischof von Metz oder beim Pfarrer von Passy erbitten, denn man haftet nicht für die Verschwiegenheit des Ortspfarrers; man versichert mich bloß der Diskretion der Zivilbehörde.« Wenn dann die Standesregister nach Metz kommen, fallen sie in die Hände des Balzac vollkommen ergebenen königlichen Prokurators. »Nun wär's das Allersicherste, uns anfangs Januar zu verheiraten, denn wir würden ein Jahr für die Hinterlegung der Register haben. Aber sei ruhig: wir werden in Frankreich verheiratet sein und der größeren Vorsicht halber unseren Ehekontrakt in Paris machen. In Metz ist das unmöglich, der Eintragung halber. Wir sind gerettet. Wüßtest Du nur, welches Entgegenkommen ich gefunden. Den Prokurator hatte er bei Doktor Nacquard und dessen Verwandten kennengelernt. Alles wird sich auf drei, vier Personen beschränken. Nacquard und der Geburtshelfer werden unsere notwendigen Vertrauten sein. Übrigens geht alles gut. Die Unregelmäßigkeiten werden wenig bedeuten, der Heiratsakt wird ausgezeichnet sein. Man wird nur Deinen Geburts- und Hanskis Totenschein verlangen. Es ist somit alles vorausgesehen. Alles geht gut. Du verstehst, daß: ich Dich als verheiratet bezeichnet habe, doch durch eine von einem gefälligen Priester geschlossene nichtige Verbindung; deshalb finden meine beiden Metzer Freunde die religiöse Eheschließung nutzlos, denn man muß Deinen Ruf retten und ich habe alles Unrecht der Schwangerschaft auf mich genommen und dem königlichen Prokurator Delacroix gesagt, daß ich vor Kummer sterben würde, meinen Sohn in einem Heiratsakt [nachträglich] anerkannt zu sehen und daß Dich das töten würde. Das war das ausschlaggebende Argument, das der Prokurator unserer Heirat zu seiner eigenen Sache machen ließ. Ach, als sie mir ihren Beistand verheißen und den Erfolg verbürgt haben, atmete ich auf, denn ich hatte Bergeslasten auf mir, seit ich die Schwierigkeiten sah, die man im Ausland machte. Nichtsdestoweniger: wenn sich der Pfarrer von Wiesbaden mit der Erlaubnis des Pfarrers von Passy begnügen würde, der sie gewiß uns beiden zur Heirat geben würde, behauptet Delacroix, daß diese Ehe in Frankreich gültig und eines Tages regulierbar wäre. Auch müßte man das versuchen. Es wäre sicherer und sicherlich zu erwägen. Ich erwarte Deine nächste Antwort. Sage Dir, daß ich zu jeder Stunde in Dir lebe. Das ist jetzt doppelt wahr.«

Er erwartet sicher einen Sohn. »Unser Victor Honoré regt sich also«, schreibt er bald nachher. »Und wenn Du das wünschest, werden wir ihn im Heiratsakt anerkennen. Gib ihn mir nur, daß ich ihm meine Fürsorge angedeihen lasse und mein Leben an ihn verschwende. Laß ihn sich unter meinen Augen entfalten, damit ich ihn hege, wie Du ihn getragen hast. So werd' ich mich ein wenig mit zu seiner Mutter machen.« Wenige Wochen später bringt Eva in einer Fehlgeburt ein totes Kind zur Welt. Balzac ist verzweifelt. »Ich glaubte nicht,« so schreibt er am 8. Dezember, »daß ich den Anbeginn eines Wesens so lieben könnte: aber dieses ›commencement‹ warst Du, waren wir beide.« »Du hast«, so fährt er am 25. Dezember fort, »den Kummer nicht gelindert, den mir der furchtbare Zwischenfall verursacht hat. Aber Du hast mein Bedauern vermindert (durch die Meldung, daß es ein Mädchen geworden wäre), denn ich wünschte lebhaft einen Vict(or) Honoré. Ein Victor verläßt seine Mutter nicht und wir hätten ihn 25 Jahre bei uns gehabt. Solang haben wir noch miteinander zu leben.«

Auch diese Zuversicht trog. Balzac hatte nur mehr vier Jahre vor sich und seine Trauung fand erst wenige Monate vor seinem Tode statt. So streng er jüngeren Freunden aber auch Enthaltsamkeit anempfahl und so häufig er sich Eva gegenüber seiner Treue berühmte, kinderlos ging er nicht aus der Welt, obwohl ihm Eva keinen Nachwuchs mehr bescherte. Théophile Gautier schreibt, daß Balzac einen unehelichen Sohn hinterließ, der Arzt Cabanès weiß gar von vier Kindern, die den Dichter überlebt haben sollen. Und wie Eva das Andenken ihres großen Gatten sich angelegen sein ließ, wird nach unanfechtbaren Gewährsmännern noch zu berichten sein. Die Witwe von Ephesus lebt überall und jederzeit neu auf.


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