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Zweiunddreißigstes Kapitel

(Bruders Weg verfinstert sich)

Die Tageshitze blieb. Kein Wind eiste hier die Felder grau, scherte die Bäume kahl. Ich weiß nicht, wieviel Zelt über uns gestrichen war. Es mochten viele Jahre gewesen sein.

Ich weiß nur, als wir jene Stätte verließen, war es nur meine Schnauze, der ich vertrauen konnte. Mit den Augen sah ich nichts mehr.

Eine Kugel Carlos hatte mir das Licht genommen.

Es war in der heißesten Stunde des Tages gewesen. Weit entfernt vom Hof des Hauses, wo der kühlende Brunnen plätscherte, saßen mein geliebter Herr und Lavinia beisammen. Mein geliebter Herr bemühte sich, auszurechnen, aus wieviel blauschwarzglänzenden Seidenfäden Lavinias Zöpfe bestanden, die sie sonst unter dem bunten Kopftuch verbarg.

Er verrechnete sich stets. Er mußte daher jeden Mittag wieder aufs neue beginnen. Aber das ärgerte weder ihn noch Lavinia. Sie lachten beide ohne Ende während des schwierigen Vorhabens. Sie achteten auf nichts anderes.

Ich hatte von weitem Carlos Schritte gehört. Obwohl sie bloßen Fußes durch das hohe Gras traten! Ich spürte den Dunst von Wut und Erregung, von höchster Gefahr durch Glut, Hitze und den Duft der vielen sonndurchglühten Blüten an meinen geliebten Herrn streichen.

Mein Fell sträubte sich. Ich gab heftig Anschlag. Mehrmals. Mein geliebter Herr zählte weiter. Ich nahm Angriffsstellung ein. Mein geliebter Herr kümmerte sich nicht darum. Er war hoch in den Tausenden und zählte weiter.

Lavinia störte mein Gebell. Sie wollte sich die Ohren zuhalten. Mein geliebter Herr band ihre Hände mit ihren Haarsträhnen zusammen. Beider Lachen sprang ineinander.

Carlo stand schon dicht neben uns. Hinter den Stämmen der Oliven.

Ich jagte bellend hin und her, zwischen meinem geliebten Herrn und ihm. Ich stellte Carlo.

Seine Kugel traf mich. Ich hatte noch Kraft genug, um ihm den Arm lahm zu beißen.

Die Waffe war schon zu Boden gefallen, als die andern kamen, um Carlo fortzureißen ...

Wir waren weitergewandert. Mein geliebter Herr hatte meine Augen gekühlt von früh bis wieder früh. Wieder hatte ich ihn ganz für mich allein. Ich fühlte seine schmalen Hände unablässig in meinem Fell. Aber seine Stimme hörte ich fast gar nicht.

Ich wartete. Ich hatte dies alles schon durchgemacht. Das Licht würde wiederkommen. War es doch diesmal sogar mein geliebter Herr selber, der mich pflegte. Ich leckte meine Augen unermüdlich. Ich wartete. Es wurde nicht wieder hell um mich.

Bevor ich dies begriff, hatte ich mich daran gewöhnt, mich im Dunkeln auszukennen. Ohr und Schnauze hatten begonnen, mir jedes Geräusch, jeden Gegenstand näher zu rücken ...

Wir waren an das Meer gekommen. Ich hörte das Rauschen der großen Flut. Ich spürte Salzgeruch.

Wir schliefen im Freien. Wo wir rasteten, half mein geliebter Herr den Arbeitenden.

Es war eine gute Zeit. Mein geliebter Herr war sanft und gut zu mir. Und immer ich bei ihm.

Ich bellte nicht mehr viel. Ich fürchtete, meinem geliebten Herrn Verdruß zu machen, wenn ich mich besonders hervortat. Ich bellte nur noch bei Gefahr. Bei solcher, die meinen geliebten Herrn bedrohte.

Ich lernte das Maul zu halten, wenn es mich selbst betraf. Der Hilflose ist jedes Starken Spott. Ich hatte es begriffen, Tatsachen lassen sich nicht wegbellen.

Als man mir das erste Mal einen alten Blechtopf an den Schwanz gebunden, hatte ich noch zugebissen. Ich war weit davongesprungen. Rasend über die Schande, die man einem Dobermann anzutun gewagt hatte.

Mein geliebter Herr suchte mich, bis er mich fand. Er ahnte, daß mir jemand Böses getan hatte.

Er wurde aufmerksam. Am andern Tage ertappte er ihn, der mich diesmal in ein altes Fischernetz zu locken verstanden hatte. Ich zappelte darin, wie die Fliege im Gewebe der Spinne.

Mein geliebter Herr riß das Netz auseinander. Wutgeheul fiel über ihn her. Ich stellte mich vor ihm auf. Man lachte über die blinde Bestie. Ich blieb aufrecht. Ich hörte Furcht aus dem Lachen klirren. Ich wich nicht einen Schritt von meinem geliebten Herrn. Er rief den andern zu, kein Mensch werde Mensch sein, ehe er nicht begriffen habe, das Tier zu achten wie seinesgleichen.

Wütende Stimmen schallten. Man wollte sich von keinem Fremden sagen lassen, daß man nichts Besseres wäre, als ein Tier. Steine hagelten auf uns.

Wir zogen weiter. Allerorts machte ich meinem geliebten Herrn ähnlichen Verdruß. Ohne es verhüten zu können. Ich schämte mich des Fressens, das ich aus seiner Hand erhielt.

Mein geliebter Herr war ein großes Stück höher geworden. Ich reichte ihm kaum noch an die Schulter.

Er brauste nicht mehr auf, wenn uns Spott traf. Er sprach mit Ruhe. Er bat. Er berichtete von mir und andern Geschöpfen, die nicht Menschen waren und doch sich freuen konnten und leiden mußten wie sie.

Manchmal gab ihm einer recht. Ein Kind rief bei seinen Worten den Namen eines geliebten Hundes, Esels oder Vogels. Seine Meinung nahmen die vielen als Spielerei. Oder es war ein Alter, der heftig mit dem grauen Kopfe Beifall wackelte. Sein Zittern aber galt den andern nichts mehr.

Immer wieder lehrten uns Steine, eiligst weiter zu ziehen ...

Eines Tages bemerkte ich, daß mein geliebter Herr wieder die Feder führte. Ich hörte ihr schnelles Scharren.

Briefe erreichten meinen geliebten Herrn. Ich witterte Hans Leinsteins Hand. Dunst der Erregung schlug aus diesen Blättern in meinen geliebten Herrn. Ich leckte ihm den nackten Fuß. Er begann wieder über mich hinweg zu sehen.

Über mich und alles.

Eines Morgens trafen wir wieder mit dem Wanderer zusammen, dessen Morgenschlaf ich viele Fliegen zu verdanken gehabt hatte. Ich erkannte ihn sofort. Er wußte nichts mehr von mir. Erst allmählich begriffen mein geliebter Herr und er, daß sie sich schon einmal begegnet waren.

Er sagte, daß sie blinder wären, als die Blinden, Sie, die einen Ort suchten, der nirgends zu finden wäre. Und diesem Suchen doch wehrlos verfallen wären.

Wir rasteten zusammen. Im Schatten einer Mauer. Ich spürte Rosenduft. Ich hörte fröhliche Bienentöne.

Mein geliebter Herr zog einen Brief aus der Wandertasche, wo alle seine geschriebenen Blätter lagen, und die ich stets tragen durfte. Um den Leib wurde sie mir geschnallt.

Mein geliebter Herr entfaltete mehrere Blätter. Der Dunst von Teer und Öl durchstrich die Rosenluft.

Mein geliebter Herr gab dem Fremden geschriebene Worte Hans Leinsteins kund. Hans Leinstein forderte die Rückkehr Achims. Seit Jahren warte das Erbe Onkel Toms auf ihn. Er solle es benutzen, um Worte zu Werken werden zu lassen.

Er blickte auf mich. Er warf einen Stein über die grüne Ebene, dem ich hinterdreinsprang.

Als ich zurückgesprungen kam, hörte ich Achim sagen: »Hilflos verlassen oder erschießen. Dicht an das Gute, das ich will, grenzt das Schlimme.«

Ich verstand nicht, was seine Worte bedeuten konnten. Unruhe hatte mich befallen. Katzendunst strich durch den blumenduftgefüllten Windhauch. Ich schnupperte und schnupperte.

Der Fremde schlief lange. Nur die fröhlichen Bienentöne surrten.

Endlich stand er auf.

Er sagte, mein geliebter Herr brauche keinen Rat. Er würde doch tun, was er tun müsse. Er wolle ihn nicht darum bedauern. Das hieße für ihn, sich selbst bedauern. Und das wäre das Schmählichste. Ein reiches Erbe? Es koste viel, ein Mensch zu sein. Er wisse nicht, ob es ein Erbe geben könne, groß genug, um diese Kosten aufzubringen. Jung sterben müssen oder in sich selbst gestorben leben wie alle andern, das waren die Spesen, die er bis jetzt hatte dafür verrechnen sehen, auf diesem bunten Kreisel.


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