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Elftes Kapitel

(Bruder macht die Bekanntschaft eines vornehmen Hundes. Erfährt, daß die Anschauungen über die Menschen verschieden sind)

Man kann auch in der Heimat Heimweh haben, hörte ich meinen geliebten Herrn einmal sagen. Später, als wir nirgends mehr zu Haus waren.

Ähnlich mußte mir in der Zeit gewesen sein, die nun folgte. Unruhe quälte mich, als hätte ich Ameisen im Fell. Ich wußte keinen Platz, wo ich alle vier in wirklicher Behaglichkeit von mir zu strecken wagte. Es regnete nicht. Aber keine Helle stieg auf. Keine Wärme strich über meinen Rücken. Auch nicht aus den Augen meines geliebten Herrn.

Ich legte mich meinem geliebten Herrn oft in den Weg, damit er über mich stolpere, ich seine Füße zu fühlen bekam. Er schalt mich dumm. Ich war zufrieden, daß er mit mir sprach.

Er war jetzt selten allein. Sein Freund Richard begleitete ihn. Beide studierten, turnten, spazierten zusammen.

Richard war, wie ich den Herrn Senator sagen hörte, ein junger Mann, wie er sein sollte. Er verkehrte mit niemandem unter seinem Stand. Er wünschte nichts andres, als zu diesen Kenntnissen zu kommen, die jemand bedurfte, auf den Ansehen und Vermögen warteten.

Ich wußte auch ohnedies, daß ich Richard nicht anzubellen hatte. Ich begrüßte ihn gar nicht.

Abneigung ist meistens gegenseitig. Richard mochte keine Hunde. Er sagte, wir wären ihm der Inbegriff der Feigheit und Unterwürfigkeit. Die Lakaien der Tierwelt. Untergebne, aber kein standesgemäßer Verkehr.

Aus Angst vor der peitsche duckten und kuschten wir uns, ließen uns mit Füßen treten. Die kleinste Katze wehre sich. Nie würde man sie dahin bringen können, nicht die Krallen zu gebrauchen, wenn ihr jemand etwas antun wolle.

Mein geliebter Herr gab ihm Recht und Unrecht. Er nannte es Demut, daß wir unsre Kräfte und Waffen nicht mehr für uns selbst anwandten. Daß wir es fertig brachten, nur für andre da zu sein.

Ich legte den Kopf auf das Knie meines geliebten Herrn.

Ich wunderte mich, daß er von mir sprechen konnte, ohne mich zu bemerken. Er blickte bei allem, was er sprach, weit in die Ferne. Als sähe er immer noch etwas andres als wir. Er lächelte und war heiter. Mir aber war als witterte ich Unheil über ihm. Meine Unruh blieb an mir hängen.

Ich umschlich den Herrn Senator. Obwohl mich der Katzendunst plagte.

Er sagte zu Frau Alwine, daß ich endlich etwas Anhänglichkeit zu spüren scheine.

Frau Alwine antwortete, daß ihr mein Blick unangenehm wäre. Er wäre melancholisch und gleichzeitig impertinent. Auch wußte sie nicht, ob meine Rasse eigentlich noch schick und modern wäre.

Ich verkroch mich unter einen Tisch, ins angenehme Halbdunkel.

Der Herr Senator sagte, Achim hänge an mir. Darauf sei Rücksicht zu nehmen. Für die nächste Zeit wenigstens. Der Junge müsse im Gleichgewicht bleiben. Man müsse zufrieden sein, wenn sich seine kleine Affäre so schnell erledigen lasse, wie es den Anschein habe.

Frau Alwine antwortete, sie werde nie begreifen, daß ihr eigner Sohn solche Sympathien fassen konnte. Ein Mädchen, daß sich nicht einmal täglich die Zähne putze. Denn sie glaube nun einmal nicht, daß man im Volke wirklich etwas von Toilettenpflege wisse.

Der Herr Senator spiegelte sich in seinen blanken Fingernägeln.

Fräulein Angelika kam zu den Eltern gesprungen. Ich kroch hervor, um sie zu begrüßen.

Sie sagte, ich hätte es gut. Ich wäre immer fertig angezogen in meinem Fell. Sie aber hätte keine Ahnung, welches ihrer Kleider sie heute wählen solle.

Man erwartete den Besuch des Herrn Assessors Gerstenrot. Ich kannte den Herrn noch nicht. Doch hatte ich von ihm sprechen hören. Die dicke Lina nannte ihn den Herrn Schwiegersohn. Worauf die schmale Elvira stets sagte, die dicke Lina solle nicht immer alles im voraus wissen wollen. Es käme doch alles anders. Auch den Herrn Harald hätte die dicke Lina fälschlich Schwiegersohn genannt.

Worauf die dicke Lina summte: »Und da wollt er und da wollt er und da könnt er leider nicht.«

Ich hatte erzählen gehört, daß der Herr Senator Herrn Harald das Billett zu einer Reise um die Welt geschenkt hatte.

Frau Alwine riet Fräulein Angelika, das blaßlila Seidenkleid anzulegen. Weil dies das Gold ihrer Blondheit besonders zur Geltung brächte.

Die schmale Elvira kam hier gerade mit einem Tablett herein. Ich umsprang sie. Man befahl Elvira, mich mit sich hinaus zu nehmen.

In der Küche wiederholte die schmale Elvira die Worte der gnädigen Frau.

Die dicke Lina lachte mitten hinein in die Pfanne, die sie vor sich hatte. Sie sagte, das Gold des Herrn Senators kleide Fräulein Angelika besser als alle Locken.

Bald darauf kam der Herr Assessor. Er gefiel mir. Er sprach sofort zu mir, wie zu einem guten Bekannten. Er verstand sich auf unsresgleichen. Er sprach mir von seinem eignen Hund, einem weißen sibirischen Windhund, namens Lord. Einem Rassestück ersten Ranges.

Frau Alwine bat Herrn Assessor, seinen vierbeinigen Freund endlich einmal mitzubringen. Die Freunde unsrer Freunde sind unsre Freunde, sagte sie.

Der Herr Assessor küßte beiden Damen die Hände. Er sagte, während seine blanken Augengläser Fräulein Angelikas Augen spiegelten, ob es wahr wäre, daß er sich hier Freund nennen dürfe.

Er trat mich dabei heftig auf den Schwanz. Ich hatte zu spät begriffen, daß nicht mehr von mir die Rede war und hatte mich ungeschickt dazwischen gedrängt. Ich quietschte unbeherrscht auf. Man überhörte es angenehmerweise.

Der Herr Assessor behielt Fräulein Angelikas Hand immer noch in der seinen. Ich glaubte trotzdem nicht nötig zu sein. Ich schlich mich hinaus. Auch unbeabsichtigte Fußtritte bleiben Fußtritte ...

Einige Tage später war der Herr Assessor von Lord begleitet. Lord war weiß, schmal, hochbeinig, lang. Mit einem schmalen Kopf, der das kleinste an ihm war.

»Der vollkommene Aristokrat,« rief Frau Alwine und lobte auch das reinliche Weiß des Fells. Sie fragte sehr erregt, ob sibirische Windhunde jetzt vielleicht moderner wären als Dobermanns.

Ich ging Lord langsam entgegen. Duckte mich, um ihn aufs Korn zu nehmen. Ich hielt mich nicht für weniger als er. Rasse ist Rasse. Und persönlich unbekannt ist unbekannt.

Schließlich begrüßten wir uns. Jeder mit der Schnauze am entgegengesetzten Teil des andern.

Frau Alwine versuchte solche Begrüßungen stets zu unterbrechen. Sie geriet durch sie in größte Verlegenheit. Ich hörte sie oft zu dem Herrn Senator sagen, daß ihr unser Benehmen nicht nur widerlich, sondern auch unbegreiflich wäre. Bei Hunden, wie wir, aus den besten Familien. Was sei Dressur, wenn man uns nicht einmal solche Unschicklichkeiten abzugewöhnen verstände ... Die doch absolut keinen Zweck haben könnten.

Der Herr Senator spiegelte sich hierbei wieder, wie bei allen solchen Gelegenheiten, in seinen blanken Fingernägeln.

Aber auch ich hätte hier keine Antwort zu geben gewußt. Tradition ist Tradition. Aber Zweck? Wir wußten, wenn wir uns auf unsre Art ausgiebig geprüft hatten, auch nicht mehr, als Menschen nach einem Händedruck und ihrer Art von Begrüßung. Nämlich: ich bin ich und du bist du.

Lord war älter als ich. Erfahrner. Lebensgleichgültiger. Keine Neugier plagte ihn, den Garten mit der Schnauze zu durchstöbern.

Er hatte sich sofort in der Vorhalle auf ein rotsamtnes Kissen ausgestreckt. Frau Alwine fand dies einen malerischen Anblick. Sie fragte wieder, ob Dobermanns wirklich noch als ladylike gälten.

Als wir allein geblieben, erklärte mir Lord, daß er die Menschen für rechte Trottel halte. Ihre Affektiertheit, nur auf den Hinterbeinen gehen zu wollen, nannte er verächtlich und einfältig. Sie erreichten damit nichts andres, als langsamer vorwärtszukommen, als jedes andre Säugetier. Ganz abgesehen davon, daß, wer immer von oben herabsieht, kein Ding mit richtigem Maß messen könne.

Ich lobte meinen geliebten Herrn. Rühmte seine Schnelligkeit auf dem Eis.

»Kindskopf,« knurrte Lord.

Er war mißgelaunt. Er war gewohnt, daß man ihm, sowie seinem Herrn Zigarren, einige Zuckerstücke anbot. Er knurrte, daß man in diesem Hause nicht die einfachsten Manieren zu kennen scheine.

Ich fragte ihn, ob er jemals eine Dressurschule besucht hätte. Er schüttelte den Kopf. Die Peitsche existierte nicht für ihn. Er würde sich auch durch sie nicht hindern lassen, sich auf jedes kleine Getier zu stürzen, wenn es ihm unnötigerweise in den Weg käme. Wenn er sich Kleines, Untersetztes schnell bewegen sähe, überfiele ihn eine Wut, die unbezwingbar wäre.

Ich konnte dies nachempfinden. Nur hatte man mir Beherrschung beigebracht.

Doch Leidenschaft läßt leiden, wie man es auch anstellt. Lord mußte dieser Passion halber meist an der Leine traben. Ich bedauerte ihn um diese Freiheitsberaubung.

Lord verbat sich dies. Er fand, daß ihm recht damit geschähe. Ein Aristokrat sollte von selbst wissen, daß man sich nicht umblicke. Sollte wissen, nichts Vornehmeres finden zu können, als sich selbst. Alle Exzesse vermieden sich dann von allein.

Das verstand ich nicht. Ich nahm damals alles noch wichtig. Auch stritt ich gern. Ich behauptete, daß Lord seinem Herrn Rücksicht schuldete. Es konnte diesem keine Annehmlichkeit sein, mit Lord an der Leine zu laufen.

Lord leugnete auch dies. Er meinte, sein Herr wäre gutmütig wie ein Frosch. Er ginge gern an der Leine.

Allmählich entspann sich ein wenig Vertrauen zwischen Lord und mir. Wir mußten viele Stunden zusammen verbringen. Herr Assessor Gerstenrot kam immer häufiger.

Die menschlichen Stimmen schallten ohne Unterlaß zu uns hinaus.

Ich überlegte, was sie sich stets zu erzählen haben könnten.

Ich hatte Frau Alwine sagen gehört, ein Wohlerzogner spräche im Salon so wenig von Religion, Politik, Weltanschauung und andern peinlichen Dingen, wie er sich dort die Nägel reinige.

Lord spitzte nicht einmal die Ohren zu meiner Nachdenklichkeit.

Er gähnte. Erst nach einer Weile knurrte er, daß wir keinen Grund hätten, sie um die Kunst des Wortemachens zu beneiden. Sie glaubten selber nur wenig von dem, was sie redeten. Einander aber glaubten sie gar nichts ...


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