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Zweiundzwanzigstes Kapitel

(Bruder lernt zweibeinige und vierbeinige Artisten kennen und fühlt sich nicht unzufrieden dabei)

Hete fand mich gewachsen und schöner geworden. Dasselbe sagte sie von meinem geliebten Herrn. Der gar nichts sagte. Er blickte nur.

Hete selbst hatte sich auch verändert. Sie hieß auch nicht mehr Hete. Sie hieß Estella. Sie hatte das Singen schnell gelernt. Sie erzählte meinem geliebten Herrn, wie weit sie es gebracht hatte. Sie sänge jeden Abend auf einer großen Bühne.

Sie lief hinaus und kam bald wieder hineingeflattert. Blauschillernd beflügelt. Wunderhübsch, wie eine blitzende Fliege oder ein blinkender Mistkäfer. Sie flog auf den Tisch und sang, daß sie eine Streichholzschachtel wäre aus fernem Schwedenland, und schon die kleinste Reibung versetze sie in Brand.

Der Herr mit der Glasscherbe, der Konstantin genannt wurde, schlug immerfort die Hände zusammen und rief: »Bravo, Estella!«

Mein geliebter Herr blickte nur.

Hete fragte, ob sie ihm nicht gefalle, und kitzelte ihn mit einer der leichten Federn, die hinter ihrem Ohr im Büschel wippten.

Er nieste heftig, als erwache er aus tiefem Schlaf. Er lachte und begann nun auch zu schwatzen.

Ich legte mich ihm zu Füßen. Es gab hier wie in der Schachtel der Geborgenheit viele weiche Stoffe und Kissen. Es war nicht schlecht, hier zu sein. Nur der Duft, der die Schnauze umkribbelte, war zu süß.

Hete sang noch andre Lieder. Sie sang das Lied von einer Herrenweste, die ihr gar nicht gefiel, sie war nicht bon und viel zu bunt und ohn Fasson. Herr Konstantin spielte dazu am Klavier.

Ich spitzte die Ohren. Ich verlor wieder einmal die Beherrschung. Ich sang mit.

Mein Schreck war groß, als ich dessen bewußt wurde. So schnell es gelingen wollte, brachte ich mich unter das Sofa. Ich glaubte schon, Stock und Stiefelabsatz im Fell zu fühlen.

Nichts davon geschah. Man lachte. Ein Herr im schweren Pelz, der gerade zur Tür hereintrat, fragte, ob er bei der Einstudierung einer neuen Nummer störe: Estella, die reizende Maid als Orpheus an der Oberwelt. Bezwingerin nicht nur der Menschen, sondern auch der Tiere.

Hete sprang vom Tisch. Sie sagte, daß sie zwar keine Ahnung habe, wer Orpheus wäre, wohl aber, wer der Herr im Pelz wäre. Sie rief seinen Namen laut durchs Zimmer und machte ihn auf diese Weise mit meinem geliebten Herrn bekannt.

Der Fremde hieß Augustus Augustinus. Mein geliebter Herr stutzte und blickte zu mir. Ich spitzte die Ohren. Auch ich witterte etwas bei diesem Namen.

»Woher kennen wir den Herrn?« fragte Achim und lachte.

Ich beschnupperte den Angekommenen. Er schreckte nicht zurück vor mir, versuchte auch keine plumpe Vertraulichkeit. Er verstand mit meinesgleichen umzugehen. Ich witterte Pudelgeruch an ihm.

Er sagte zu meinem geliebten Herrn, daß er nicht durchaus Menschenfeind, aber jedenfalls Tierfreund wäre. Und sprach von einem Pudel Rex. Den er seinen Kollegen und Mitarbeiter nannte.

Nun wußten wir, woher wir ihn kannten.

An jeder Straßenecke, wo ich in Dreibeinstellung haltzumachen liebte, klebte groß und bunt das Bild des Augustus Augustinus mit seinem Pudel Rex. Nur war er dort in einem weißen Anzug und schneeweißen Gesicht zu sehen.

Mein geliebter Herr hatte oft zu mir gesagt, ich solle mir diesen schwarzen Pudel neben dem weißen Herrn gut ansehen, der könne mehr als ich ...

Ich wurde bekannt mit Rex. Wir waren uns nicht unangenehmer, als es sich die Menschen untereinander sind. Wir wurden alle miteinander befreundet. Niemand war hochmütig gegen mich. Ich durfte herumspringen, soviel ich wollte. Man lachte zu allem. Klirrte etwas in Scherben, rief Hete, wie nett es wäre, daß sie sich nun endlich etwas Neues an diese Stelle kaufen könne. Herr Konstantin bat, daß er es sein dürfe, der Fräulein Estella einen Schadenersatz bringen konnte. Mein geliebter Herr jedoch rief, daß er Hete und ihre Wünsche besser kenne und länger, als Herr Konstantin. Er werde den Einkauf übernehmen.

Die Stimmen prallten zusammen, daß ich mich aufstellte neben meinem geliebten Herrn.

Herrn Konstantin gefiel das nicht. So nahm ich an. Er verließ rasch das Zimmer.

Hete lachte.

Aber dann sagte sie, daß Achim verträglicher sein müsse. Und weltgewandter. Dieser Zwiespalt wäre so einfach zu erledigen gewesen, sie hätten ihr alle beide etwas schenken sollen. Und sie lachte wieder.

Hetes Kleid glitzerte blendend. Die Augen gingen mir über, wenn ich scharf zusah. Meinem geliebten Herrn schien es ebenso zu ergehen. Er wendete sich fort, während er zu Hete sagte, daß er nicht zu teilen gewohnt wäre.

Augustus Augustinus, der schon in seinen weißen Anzug gekleidet war, wendete ihnen seinen Rücken zu, auf dem ein goldenes Fragezeichen glänzte. Er übte mit Rex einen Schuhplatterltanz. Er sang dazu, er steh auf einer Brücke und spuck in einen Kahn, dann freue sich die Spucke, daß sie Kahn fahren kann.

Mein geliebter Herr fragte Hete, womit sich Herr Konstantin eigentlich beschäftige.

Hete schlüpfte schon in den Pelzmantel.

Augustus Augustinus zog seinen Pelz über und band Rex eine goldverzierte Schabracke um. Rex stellte sich dabei auf die Hinterbeine und benahm sich, wie Fräulein Angelika vor dem Spiegel, ehe sie zum five o'clock tea den Salon betrat. Ich rannte ihn über den Haufen. Nur zum Spaß.

Vor den Fenstern tutete das Auto des Herrn Theaterdirektors, das jeden Abend die drei Künstler Estella, Augustus Augustinus und Rex abzuholen kam.

Mein geliebter Herr fragte noch einmal nach dem Daseinszweck des Herrn Konstantin.

Hetes Hände rutschten jetzt in lange Handschuhe hinein. Sie lächelte und sagte, daß Herr Konstantin sechzig Zigaretten am Tag rauche. Ob das nicht individuelle Beschäftigung genug wäre.

Sie lachte wieder. Sie gingen alle miteinander fort.

Ich stellte mich hinter den Scheiben auf die Hinterbeine, die Schnauze gegen das Glas gedrückt. Ich hörte, daß mein geliebter Herr auch in das Auto stieg.

Ich durchschnüffelte die leeren Zimmer. Dann legte ich mich vor die Türe und wartete, bis Hete und Achim zurückkehren würden.


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